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SIE PROPHEZEITE IHM GLÜCK

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heitere Liebesgeschichte

erstmals erschienen in ROMANWOCHE


"Die ganze Wahrsagerei ist Humbug", behauptete Axel Wolf, ein gut aussehender, schlanker Mann Ende Zwanzig, der mit seinen Freunden am Tresen der Tennisbar hockte und seit gut einer Stunde mit ihnen über dieses umstrittene Thema diskutierte. Von Beruf war er Computerfachmann, also ein Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stand und für derlei Mätzchen nichts übrighatte. Nach einem tiefen Schluck aus seinem Pilsglas fuhr er fort:

"Kein Mensch kann in die Zukunft sehen. Die das von sich behaupten, sind Scharlatane, denen man schleunigst das Handwerk legen sollte. Mir ist unbegreiflich, dass ihr an diesen Blödsinn glaubt. Ihr seid schließlich auch nicht von gestern."

"Das sind wir weiß Gott nicht", erwiderte Britta Wegner, die Verlobte von Charly Ebenhöh, dem besten Freund Axels. "Trotzdem hat mich diese Madame Futura überzeugt. Sie wusste nicht nur Dinge aus meiner Vergangenheit, die außer mir keiner kennen konnte, sondern sagte mir unter anderem voraus, dass ich innerhalb eines halben Jahres einen goldenen Ring an meiner linken Hand tragen würde." Sie hielt Axel das Beweisstück unter die Nase. "Bitte sehr, was ist das?"

"Jetzt hör' aber auf", grinste Axel überlegen. "Wenn du das für eine Bestätigung von Madame Futuras Glaubwürdigkeit hältst, kann ich nur den Kopf schütteln." Er tat es. "Charly und du gehen seit über drei Jahren zusammen. Irgendwann stand die Verlobung ohnehin ins Haus."

"Und was ist mit meinem Unfall?", gab Charly zu bedenken. "Den hat sie schließlich auch vorausgesagt."

"Sie hat dich Auto fahren gesehen", spöttelte Axel. "Dann war diese Prophezeiung kein besonderes Kunststück. Sogar ich hätte dir weissagen können, dass es irgendwann einmal kracht bei dir. Deswegen nenne ich mich aber noch lange nicht Hellseher."

"Mir hat Madame Futura eine kleine Erbschaft prophezeit", erzählte Claudia Wissel, die mit ihrem Mann Günther ebenfalls zum Freundeskreis an der Tennisbartheke gehörte. "Was geschah? Ein Vierteljahr später starb meine Großtante Kunikunde und hinterließ mir ein Sparbuch. Es waren zwar nur einhundertzweiunddreißig Mark und achtundsiebzig Pfennig drauf, aber immerhin - Madame Futura hatte sich nicht geirrt."

"Das ist noch gar nichts gegen das, was mir widerfahren ist", trumpfte ihr Mann Günther auf. "Claudia kann es bestätigen. Madame Futura kündigte mir eine bevorstehende Erkrankung an, die nur durch eine Operation behoben werden konnte. Kaum hatte ich ihr Haus verlassen, setzten bei mir starke Blinddarmreizungen ein. Zwei Stunden später lag ich in der Klinik."

"Zufälle, nichts als Zufälle", tat Axel die Beweisführung seiner Freunde mit einer geringschätzigen Handbewegung ab. "Diese sogenannten Hellseher halten ihre Aussagen so allgemein, dass immer etwas zutreffen wird. Ich falle jedenfalls nicht auf diesen Quatsch herein."

"Vielleicht hast du ja auch bloß Angst", vermutete Britta.

"Wovor soll ich denn Angst haben?"

"Davor, dass Madame Futura dir etwas weissagt, was dir nicht behagt", entgegnete Britta.

"Da kann ich doch nur lachen!", tönte Axel.

"Dann geh zu ihr", forderte Charly seinen Freund auf. "Wir alle waren dort. Sogar ich, der ich anfangs ebenso skeptisch war wie du. Ich habe mich überzeugen lassen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die in die Zukunft blicken können. Dir würde sie es genauso beweisen. Wetten?"

Nun war das Wetten eine der drei großen Leidenschaften Axels. Die zweite war das Tennisspielen, das er meisterhaft beherrschte, und die dritte ein gut gekühltes Pils. Für Frauen hatte er zwar auch eine gewisse Schwäche, aber eine Leidenschaft war noch nicht daraus geworden. Vermutlich lag es daran, dass ihm die Richtige noch nicht über den Weg gelaufen war.

"Um was willst du denn wetten?", ging Axel denn auch sofort auf das Spielchen seines Freundes ein. "Und wie stellst du dir das Ganze vor?"

"Ganz einfach", erwiderte Charly. "Du begibst dich zu Madame Futura und lässt dir etwas über deine nähere Zukunft erzählen. Sollte das Ereignis, das sie dir prophezeit, nicht innerhalb eines Jahres eintreten, verpflichte ich mich, die nächste Fete unseres Tennisclubs zu finanzieren. Im umgekehrten Fall bist du an der Reihe."

"Kein Problem", lachte Axel. "Diese Wette habe ich so gut wie gewonnen. Mach' inzwischen schon mal den Kies locker, Charly!"

"Abwarten", sagte dieser. "Natürlich verlange ich absolute Ehrlichkeit von dir."

"Das hättest du nicht betonen müssen", entgegnete Axel. "Und nun gebt mir mal die Adresse dieser seltsamen Madame."


*

Madame Futura lebte in einem alten Haus am Rande der Stadt, das von einem wild wuchernden Garten umgeben war. Die Beschäftigung mit der Zukunft schien der Wahrsagerin keine Zeit zum Unkraut jäten zu lassen.

Axel parkte seinen Wagen am Straßenrand, stieg aus und ging zu einem verrosteten Schmiedeeisentor, das sich unter seinem Druck quietschend öffnete. Im Haus begann ein Hund zu bellen. Mit ein paar Schritten war der junge Mann an der Tür und schaute sich nach einer Klingel um. Als er keine fand, klopfte er.

"Guten Tag, Herr Wolf", begrüßte ihn die malerisch gekleidete ältere Frau, die wenig später die Tür öffnete. Sie trug einen mit geheimnisvollen Ornamenten bestickten Kaftan und einen Turban aus dem gleichen Stoff, unter dem ihr eisgraues Haar hervorlugte. Auf ihrer rechten Schulter hockte eine Eule, die Axel müde anblinzelte. Zu ihren Füßen zeigte ein kleiner schwarzer Hund undefinierbarer Rasse seine Zähne.

"Treten Sie ein", sagte die Frau. "Ich habe Sie schon erwartet. Vor Luzifer brauchen Sie keine Angst zu haben. Er tut Ihnen nichts."

"Woher wussten Sie, dass ich zu Ihnen komme?", wunderte sich Axel. "Haben meine Freunde mich angemeldet?"

Madame Futura, deren Gesicht zerknittertem Pergament glich, lächelte freundlich. "Keiner hat Sie angemeldet", beteuerte sie. "Ich sah es in meiner magischen Kristallkugel, bevor Sie selbst wussten, dass Sie kommen werden. Und nun folgen Sie mir bitte. Meine Zeit ist bemessen."

Axel verkniff sich eine spöttische Antwort und ließ sich von ihr in einen düster beleuchteten Salon führen, der mit allerlei altertümlichen Möbeln eingerichtet war. In der Mitte des Raumes befand sich ein runder Tisch, auf dem die von goldenen Händen gehaltene Kristallkugel stand.

"Nehmen Sie bitte Platz", forderte Madame Futura ihn auf und deutete auf einen Stuhl vor dem Tisch. Sie selbst setzte sich ihm gegenüber und stützte den Kopf in die Hände. Luzifer - welch sinniger Name, dachte Axel belustigt - ließ sich zu ihren Füßen nieder. Die Eule blieb auf ihrer rechten Schulter hocken.

"Gut machen Sie das", lächelte Axel. "Man fühlt sich ins Mittelalter zurückversetzt. Verdient man eigentlich viel mit diesem Hokuspokus?"

"Ich weiß, Sie sind voller Skepsis, Herr Wolf", murmelte Madame Futura, die sich in Trance zu versetzen schien. "Aber ich will versuchen, auch Sie von meinen Fähigkeiten zu überzeugen, die mir von einem Höheren verliehen wurden. Und nun schweigen Sie bitte, damit ich mich konzentrieren kann."

Axel tat ihr den Willen und beobachtete amüsiert, was nun geschah.

Madame Futura starrte, mit den Fingerkuppen leicht ihre Schläfen massierend, auf die magische Kristallkugel, die von innen heraus plötzlich zu glühen und dann immer heller zu strahlen begann.

"Netter Trick", dachte Axel. "Wahrscheinlich betätigt sie unter dem Tisch mit dem Fuß einen Lichtschalter. Sehr beeindruckend, aber immer noch nicht überzeugend für mich. Die Wette gewinne ich spielend."

"Sie heißen Axel Wolf", sagte Madame Futura mit hohler Stimme, "und wurden am..." - sie nannte Datum und Ort seiner Geburt - "... geboren. Ihre Eltern hießen Andreas und Maria."

"Das wird ihr Charly geflüstert haben", dachte Axel. "Und angemeldet hat er mich entgegen ihrer Behauptung auch bei ihr. Diesem alten Gauner traue ich alles zu."

"Sie hatten eine angenehme Kindheit", fuhr Madame Futura fort, "und wurden von ihren Eltern, deren einziger Sohn Sie waren, umhegt und verwöhnt, auch wenn Sie die vierte Klasse der Grundschule wiederholen mussten."

Madame Futura kam nun noch auf weitere Einzelheiten aus seiner Vergangenheit zu sprechen, die aber alle auch Charly, mit dem er Tür an Tür aufgewachsen war, bekannt sein mussten. Dann endlich beschäftigte sie sich mit seiner Zukunft.

"Sie haben einen sehr guten Beruf", sagte die Hellseherin, "der Sie auch künftig, wenn Sie ihm treu bleiben, vortrefflich ernähren wird. Und dann sehe ich eine junge Frau, die Sie in Kürze kennen lernen werden. Sie ist mittelgroß, sehr hübsch und hat hellblonde, lockige Haare. Zum Zeitpunkt Ihres Zusammentreffens wird sie ein rotes Kleid tragen. Sie wird... sie wird... hmmm... sie wird etwas verlieren, das Sie aufheben und ihr nachtragen werden. Ein.. ein... ja, ihr Portemonnaie wird sie fallen lassen und es nicht bemerken. Diese Frau wird Ihre große Liebe werden. Ich sehe Hochzeitsglocken..."

"Danke, das genügt", unterbrach Axel die Wahrsagerin lachend. "Ersparen Sie sich und mir weitere Worte. Ich kann diesen Unsinn nicht länger ertragen. Sagen Sie mir, was ich Ihnen schuldig bin, und dann verschwinde ich."

"Bitte sehr, wie Sie wünschen", grollte Madame Futura und blickte von ihrer Kugel auf, deren Licht daraufhin sofort erlosch. "Ich hätte Ihnen auch noch einiges über Ihre fernere Zukunft erzählen können, aber wenn Sie nicht wollen..." Sie hob die Hände. "Sie müssen es wissen."

"Das weiß ich auch", grinste Axel. "Was muss ich zahlen?"

"Nichts", erwiderte Madame Futura frostig. "Leuten, die mir nicht glauben, nehme ich nichts ab."

"Um so besser", freute sich Axel und erhob sich. "Dann darf ich Ihnen für Ihre Zukunft, die Sie ja vermutlich schon kennen, alles Gute wünschen."

Als Madame Futura keine Antwort gab und sich beleidigt abwandte, zuckte Axel die Schultern und ging.


*

Drei Tage später. Axel hatte im Supermarkt einige Einkäufe getätigt und trat mit seinem Wagen an die Kasse, um die Waren zu bezahlen. Vor ihm wartete ein mittelgroßes Mädchen mit hellblonden, lockigen Haaren. Als sie sich nach ihm umblickte, sah er, dass sie sehr hübsch war. Das rote Kleid stand ihr vortrefflich zu Gesicht.

"Das gibt es doch nicht", dachte Axel, dem das Mädchen ausnehmend gut gefiel, verwirrt. Genau sein Typ war sie. So und nicht anders hatte er sich immer die Frau fürs Leben vorgestellt. Wenn sie jetzt noch ihr Portemonnaie verlöre...!

Da war es auch schon passiert! Das hübsche, blonde Mädchen in dem roten Kleid hatte seine Rechnung beglichen, die Waren in einen Einkaufskorb gelegt und die Geldbörse obendrauf. Dann war sie gegangen. An der Tür stieß sie mit einem Mann zusammen, strauchelte ein wenig, wobei das Portemonnaie vom Korb herunterrutschte und auf den Boden fiel. Sie schien es nicht zu bemerken und eilte weiter.

Axel hatte die Szene mit angehaltenem Atem verfolgt. Er hatte inzwischen ebenfalls bezahlt und seine Sachen in einer Tasche verstaut. Da kein anderer Anstalten machte, das Portemonnaie des Mädchens aufzuheben, tat er es und schaute sich nach ihr um. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Auch draußen war sie nirgends zu finden. So öffnete er die Geldbörse und schaute nach, ob sich hier vielleicht ein Hinweis auf die Adresse des Mädchens finden ließ. Neben einem beträchtlichen Geldbetrag stieß er auf ihren Personalausweis.

"Behält die alte Hexe am Ende doch recht?", überlegte er, während er mit seinem Auto zu der bewussten Adresse fuhr, die er dem Ausweis entnommen hatte. "Das wäre unglaublich - und meine Wette hätte ich außerdem verloren."

Monika Albers - so hieß das Mädchen - war hocherfreut, als er ihr die verlorene Geldbörse brachte. Als sie ihn aus ihren himmelblauen, langbewimperten Augen dankbar anlächelte, begann ein Feuer in ihm zu brennen, wie er es noch nie gekannt hatte. Sollte das die Liebe sein, von der er schon so oft die merkwürdigsten Dinge gelesen, die er selbst aber noch nie erlebt hatte?

"Wie kann ich das nur wiedergutmachen?", fragte sie. "Ich hatte gerade mein Gehalt bei der Bank abgeholt. Mein gesamter Monatslohn wäre futsch gewesen, wenn Sie nicht..."

"Vielleicht könnten wir mal zusammen essen gehen", schlug er vor. "Wenn Sie heute Abend Zeit hätten...?"

Monika hatte Zeit, und es wurde ein wunderschöner, unvergesslicher Abend. Wie im Flug vergingen die Stunden, und als sie sich endlich weit nach Mitternacht trennten, waren beide der Auffassung, dass dies nicht unbedingt ihr letzter gemeinsamer Abend sein musste. Ein zärtlicher Kuss vor Monikas Haustür besiegelte das Versprechen, sich recht bald wiederzusehen. Am besten schon morgen.


*


"Ich habe meine Wette verloren", gestand Axel seinen Freunden vom Tennisklub ein halbes Jahr später bei seinem Polterabend ein. "Nie und nimmer hätte ich es für möglich gehalten, dass diese Madame Futura tatsächlich in die Zukunft blicken kann - und doch durfte ich es am eigenen Leib erleben. Es gibt eben Kräfte zwischen Himmel und Erde..." Axel unterbrach sich und sah seine Freunde, die glucksend zu lachen begonnen hatten, stirnrunzelnd an. "Warum gickelt ihr so blöd?"

"Mein lieber Axel", sagte Charly, während er sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte. "Nachdem ja nun alles so gekommen ist, wie wir es geplant hatten, können wir dir auch ein Geständnis ablegen. Eine Madame Futura hat es nie gegeben."

"Jetzt spinnt mal nicht", schnitt Axel ihm die Rede ab. "Ich war schließlich selbst bei ihr."

"Du warst bei einer alten Schauspielerin, die wir - deine Freunde - für einen guten Zweck engagiert hatten", klärte Charly seinen Freund auf.

"Ja, aber woher wusste diese Frau dann...?"

"Das war alles getürkt", fiel ihm Monika ins Wort und schmiegte sich an ihn. "Ich liebte dich schon so lange, aber du hast mich nie beachtet."

"Und da wir uns das nicht länger ansehen wollten - Monika ist nämlich eine alte Schulfreundin von mir und hat mir ihr liebeskrankes Herzchen unlängst ausgeschüttet -, fassten wir den Plan, dich mit der Nase förmlich auf sie zu stoßen", sagte Britta.

"Das hättet ihr aber einfacher haben können", meinte Axel kopfschüttelnd. "Ihr hättet sie mir bloß vorzustellen brauchen."

"Wer weiß, ob es dann zwischen euch gefunkt hätte", lächelte Günther. "So aber, nachdem eine Wahrsagerin euer Glück prophezeit hatte, musste es einfach klappen."

"Und es hat ja auch geklappt - oder?", fragte Monika und schaute ihren Bräutigam um Verzeihung heischend an. "Bist du sehr böse darüber?"

Als Antwort schloss Axel sein geliebtes Mädchen in die Arme und küsste es. Und die dabeistanden, prophezeiten den beiden ein langes, glückliches Leben. Dafür mussten sie nicht einmal Wahrsager sein.

Herz, Schmerz und Gänsehaut

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