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7.

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Wagners Bauch drückte gegen den Rand des Waschbeckens. Vor dem Spiegel darüber betastete Wagner die dicke Lippe. Die rechte Mundhälfte war ziemlich stark geschwollen. Er fasste vorsichtig die Schneidezähne dahinter und prüfte, ob sie wackelten. Zum Glück nicht. Das linke Auge machte ihm Sorgen. Er nahm den Waschlappen vom Wandhaken, befeuchtete ihn mit kaltem Wasser und betupfte die Schwellung. Probehalber schloss er das andere Auge und stellte fest, dass er mit dem verletzten Auge momentan nicht viel erkennen konnte. Verschwommen nahm er im Spiegel sein lädiertes Gesicht wahr. Erneut drückte er den Waschlappen auf das Auge, ungeduldig und etwas fester, als würde das etwas nutzen. Da klingelte es an der Wohnungstür.

Wagner, noch immer in seinem vom Joggen verschwitzten T-Shirt, war froh, dass ihn jemand besuchen kam. Er hatte allerdings keine Vorstellung, wer das sein könnte. Gleichwie, in solchen Stunden ist man nicht gern allein, dachte er, ging zur Wohnungstür und öffnete.

Draußen standen zwei Männer. Der ältere der beiden stand direkt vor ihm, und die Art, wie er auf Wagner herab genau auf dessen geschwollenes Auge schaute, erinnerte ihn fatal an den Blick des Raufboldes im Park. Wagner glaubte im ersten Moment, nun wäre die nächste Portion Prügel fällig.

»Bärhalter. Mordkommission«, schrie der Mann durchs Treppenhaus und fingerte eine entsprechende Marke aus der Tasche seiner beigen Cordhose. Der Mann hinter ihm, ein hagerer Jüngling mit Hakennase, nickte amüsiert. »Und das ist mein Kollege Winterberger.« Bärhalter stierte immer noch wie ein Adler auf Wagners Auge. Der Schmerz wurde wieder stärker. Wagner wich wortlos von der Tür und gab den beiden den Weg in die Wohnung frei.

Er wies in die Küche, Bärhalter ließ sich breit auf einen der Stühle fallen. Winterberger klackte mit hochhackigen, schwarzen Stiefeln über das Schiffsparkett und schaute sich das Poster über dem Kühlschrank an, das eigentlich ein Schallplattencover war. Eine Schwarz-Weiss-Fotografie aus den Fünziger Jahren, die zeigte, wie zwei Putzfrauen Jesus mitsamt Kreuz auf die Stufen eines Domes gelegt hatten und ihn mit einem Wasserschlauch abspritzten. Winterbergers Nase stieß beinahe an die Domstufen. Dann wechselte er abrupt nach rechts hinüber zum Wandkalender der Städtischen Müllabfuhr, und die Nase schien die einzelnen Tage des Monats durchgehen zu wollen.

»Sie wundern sich sicher, dass wir Sie so unvermittelt aufsuchen. Oder nicht?« Bärhalters buschige Augenbrauen hoben sich.

»Eh, sicher.«

»Sicher was, ja oder nein?«

Winterberger löste sich vom Kalender. Das Klacken seiner Stiefel entfernte sich hinüber zum Wohnzimmer.

Wagner lehnte sich gegen das Küchenfenster und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er versuchte sich zu erinnern, wo er die Herrentasche versteckt hatte, und ob überhaupt.

»Hören Sie mir überhaupt zu? Ich habe Sie etwas gefragt!«

Immer noch im Rucksack, also im Auto, und die Edelsteine im Handschuhfach, dachte Wagner erleichtert. »Sie werden es mir sicher erklären, nicht?« Etwas Forschheit war wohl nicht das Verkehrteste. »Es wird Sie interessieren, dass ich Journalist bin, Wupper-Kurier, Fachgebiet organisierte Kriminalität.«

»Na, hervorragend!« Warum schrie dieser Mann nur so? »Dann können wir ja zusammenarbeiten. Was halten Sie davon?«

Wagner glaubte im Wohnzimmer das Öffnen einer Schublade zu hören. »Was macht Ihr Kollege da?«

»Er recherchiert. Genau wie Sie. Sie scheinen ja auch ein recht eifriger Mensch zu sein. Immer gleich am Tatort, nicht wahr? Möglichst, bevor geschossen wird. Wie machen Sie so etwas?«

»Woher wissen Sie …«, Wagner wäre jetzt gern zu seinem Wagen gegangen, um die Herrentasche und die Steine in einen Gulli zu schmeissen. Immerhin war er froh, dass er die Tasche, als er von Nok gekommen war, nicht mit in die Wohnung genommen, sondern das Diktiergerät herausgenommen und sie achtlos auf dem Beifahrersitz liegengelassen hatte.

»Wir haben einen Tipp bekommen. Reicht das?« Bärhalter sprang auf und steuerte auf Wagner zu »Und jetzt hören wir auf mit den Spielchen! Wo genau haben Sie gesessen, als das passierte?«

Wagner fühlte sich zwischen Bärhalter und dem Fensterbrett eingezwängt. Der Mann hatte einfach Dominanz, vor allem, wenn er so dicht vor einem stand. Man hörte Winterberger ins Schlafzimmer wechseln. Unpassenderweise fing er dort an, irgendein fröhliches Lied zu pfeifen. Wagner musste aus der Defensive heraus: »Ist es neuerdings verboten, Zeuge eines Mordes zu sein?«

»Nein, aber dann bleibt man am Tatort oder meldet sich wenigstens, um auszusagen, was man gesehen hat. Also: Wo in der Schwebebahn haben Sie gesessen?«

»Ganz hinten. Ich habe von dem ganzen Trubel überhaupt nichts mitbekommen. Ich hatte auch überhaupt keine Zeit, weil ich sowieso gerade mit einer anderen Geschichte beschäftigt war.«

»Ach ja? Organisierte Kriminalität, was? Scheint ja ganz schön was los zu sein im Tal.«

Bärhalter wandte sich von Wagner ab und schaute sich in der Küche um. »Wie kommt es eigentlich, dass ich noch nie von Ihnen gehört habe. Wir haben sonst immer mit Herrn Buchholz zu tun, wenn der Kurier etwas wissen will. Sind Sie neu?«

»Nö.«

»Sie wirken so.«

Bärhalter war offensichtlich darauf aus, ihn zu verunsichern. Das hieß bei einem Kommissar in den meisten Fällen, dass er nicht viel in der Hand hatte. In Fernsehkrimis war das jedenfalls so. Wagner schöpfte wieder Mut.

»Also ich finde das unverschämt, dass Ihr Kollege hier einfach durch meine Wohnung spaziert und in den Schränken herumschnüffelt, ohne dass etwas gegen mich vorliegt! Pfeifen Sie ihn zurück!« Man hörte Winterberger drüben unbekümmert weiter pfeifen.

»Oder hatten Sie einen Grund, so schnell abzuhauen? War Ihnen plötzlich schlecht geworden? Oder hatten Sie etwas an sich genommen?«

Jetzt irgendwas sagen, irgend etwas, dachte Wagner hektisch. »Ziehen Sie wenigstens Ihre Stiefel aus, verdammt nochmal!« schrie er hinüber. »Meinen Sie, ich habe Lust auf Fußpilz?« Wagner hörte, wie Winterberger die Tür des Schlafzimmerschrankes zuschlug und über das Schiffsparkett zurückkam.

»Es steht eine konkrete Frage im Raum.« Bärhalter baute sich wieder vor Wagner auf. Der Mann roch nach Pfeifentabak. »Man hat Sie gesehen, wie Sie etwas vom Tatort mitgenommen haben.«

Wagner war froh, dass sein Gesicht ohnehin deformiert war. Da fiel Verlegenheit und eine zusätzliche Rötung nicht so leicht auf. »Und was sollte das gewesen sein?«

»Warum nicht Edelsteine? Der Mann hat damit gehandelt. Aber das wussten Sie ja vermutlich schon vor uns und bevor er tot war. Habe ich Recht?« Wagner tippte auf irgendeinen billigen schottischen Verschnitt, das Aroma weckte Assoziationen an Schafe, verrauchte Pubs und schalen Whiskey. Er war froh, dass wenigstens seine Nase noch in Ordnung war.

»Und wie passt das da hinein?« Bärhalter stach mit dem Zeigefinger auf Wagners lädiertes Auge zu. »Sind wir vielleicht irgendwem in die Quere gekommen, hm? Möchte der Herr etwa eine Anzeige erstatten?«

»Ach was. Irgendein wild gewordener Hundebesitzer, weil ich beim Joggen seinen Pudel angeschrien habe, als der mich attackiert hat.« Wagner musste aus dieser Situation heraus, irgendwie. Er schlängelte sich an Bärhalter vorbei und wies mit langem Arm ins Wohnzimmer. »Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich schlage vor, ich hole jetzt mein Diktiergerät, und dann können Sie fortfahren mit Ihren Unverschämtheiten.«

»Es liegt drüben auf der Schlafzimmerkommode.« Winterberger wies mit dem Daumen lässig über die Schulter. Er war zurückgekommen und begann nun, sich für den Besenschrank zu interessieren. Er öffnete ihn und musterte den Inhalt.

»Also gut.« Bärhalter stieß sich von der Anrichte ab. »Ich gebe zu, für einen Durchsuchungsbefehl reicht es nicht. Aber sollten wir noch einen kleinen Anhaltspunkt finden, dass Sie irgendwie in diesen Fall verstrickt sind, ich schwöre Ihnen, dann krempelt mein Kollege Ihnen tatsächlich die Wohnung um. Dafür zieht er sogar die Stiefel aus.«

Winterberger warf breit lächelnd den Kopf zurück wie ein wieherndes Pferd und schob hinter Bärhalter ab zur Wohnungstür. »Und vergessen Sie nicht«, schrie Bärhalter durchs Treppenhaus. »Wir behalten Sie im Auge.«

Rubine im Zwielicht

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