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2.

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Schlechte Luft und schlechte Sicht: Zigarettenrauch hing schwer über den Tischen. Dunkelhaarige Männer saßen in kleinen Gruppen beisammen und spielten Tavla, die türkische Variante von Backgammon. Drüben am Fenster spielten einige Männer Okay, sie langten nach bunten Chips mit verschiedenen Zahlen und steckten sie auf Holzleisten, die jeder vor sich stehen hatte. Von den weiß getünchten Wänden hallte ständig das Klacken von Spielsteinen wider, die geworfen oder geschoben wurden. Ein riesiger Ventilator an der Decke schwappte die rauchige Luft zurück über die Tische.

Mustafa Sa saß an einem kleinen Tisch in der Nähe des Durchgangs, der mit einem schweren, roten Stoff behangen war. Sa presste die beiden Tavla-Würfel gegeneinander und schleuderte sie mit einer ruckartigen Bewegung des Handgelenkes über das Spielbrett. Pasch fünf. Er nahm sein Gegenüber verächtlich in den Blick, griff dann auf das Spielfeld und verschob zwei der hellen, runden Steine. Er nahm einen dunklen Stein heraus und legte ihn lässig auf dem Mittelsteg ab.

»Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich das nicht leiden kann«, sagte der andere hinter seiner Sonnenbrille hervor. »Glaubst du, ich seh das nicht, wenn du dir die Zahlen in der Hand zurechtlegst. Du schiebst die Würfel ja nur übers Spielfeld anstatt sie zu werfen! So kann ich das auch!« Kemal Derintop griff nach den Würfeln und schleuderte sie lustlos zurück auf das Brett. Er stützte die behaarten Arme auf die Knie und beugte sich über das Spielgeschehen.

»Was willst du?« antwortete Sa. »Du wirst es nicht glauben, aber ich bin in der Lage, einen Großteil meiner Zahlen anzusagen. Und zwar so, wie ich sie brauche.«

»Das ist es ja, was ich meine! Du schaust, was du brauchst, fummelst dir die Zahlen in der Hand zurecht und schiebst die Würfel blitzschnell übers Holz. Glaubst du, ich wäre blind?« Derintop setzte endlich einen seiner Steine vorwärts und rückte seine Sonnenbrille zurecht. Er war einer jener Typen, die zu allen möglichen Gelegenheiten eine Sonnenbrille trugen, mochte es noch so dunkel sein. Eine dicke Goldkette hing um seinen Hals. Türkisches Rotgold. Derintop war ein kräftiger Mann von Mitte dreißig, stiernackig. Er hatte einen starken Bartwuchs. Obwohl er sich jeden Morgen mit einem Messer rasierte, prangten schon nachmittags wieder dicke Stoppeln um sein Kinn. Das Gesicht war kantig, die Kiefer mahlten ständig, wie das Menschen tun, die was zu verarbeiten haben. »Spiel endlich anständig!«

»Spiele du endlich schnell«, lachte Sa. »Man schläft ja ein. Bei Tavla muss das zack zack gehen, sonst geht die Spannung verloren. Warum weißt du das nicht?«

Der schwere Vorhang teilte sich. Ein kleines, dürres Männlein mit einer Schürze kam aus dem vorderen Raum. Es trug ein Tablett mit kleinen, schlanken Gläsern, die mit Çay, dem hellbraunen, türkischen Tee, gefüllt waren, und ging hinüber zu den Tischen am Fenster.

»Du bist ziemlich gereizt, seitdem dein Bruder tot ist«, sagte Sa und wiederholte sein betont lässiges Wurfritual. »62. Hast du schon mal was von der Einwirkung des Geistes auf Materie gehört? Wenn ich gut drauf bin, weißt du, so ein bestimmtes, absolut sicheres Gefühl, dann werfe ich genau das, was ich brauche. Das ist einfach so. Billige Tricks habe ich dann nicht nötig.« Mustafa Sa setzte zwei Steine und kratzte sich an der grauen Schläfe. An diesem Mann schien alles grau zu sein. Der Anzug, die Augen, die Haare, sogar die blutleeren Wangen. Sein Alter war schwer zu schätzen. Wahrscheinlich Mitte fünfzig. Wenn er sprach, hielt er den Kopf seitlich und so hoch, dass er sein Gegenüber von oben herab betrachteten konnte. Dazu seine zur Schau getragene Lässigkeit, und wenn er nicht gerade Spielsteine und Würfel bewegte, die ihm wie von selbst aus der Hand zu fallen schienen, fummelte er an einer Gebetskette, die er zwischen den Fingern aufwarf. Jetzt langte er in die Innentasche seines Jacketts, zog eine 50-Euro-Note hervor. Er schob sie neben das Brett und lächelte in die schwarzen Löcher von Derintops Sonnenbrille hinein.

Der Kellner trat an ihren Tisch heran und stellte zwei Gläser mit Çay ab. Er schob zögernd die kleinen Löffel zurecht, die auf den Untertassen lagen. Dann murmelte er hastig: »Lochner ist tot!«

Der Kopf mit der Sonnenbrille ruckte hoch. Derintop schien aufspringen zu wollen. Das Männlein zuckte zusammen.

»Ich weiß sonst auch nichts. Ich hab‘s nur gerade gehört«, entschuldigte es sich und verdrückte sich eilig hinter den Vorhang.

Sa schmunzelte. »Dann brauche ich ja nicht lange zu raten, was? So langsam bist du also doch nicht. Ich dachte zwar, ich hätte dich gewarnt, aber – gut. Wie lange hast du ihm aufgelauert? Drei Tage?«

Derintops schwarze Löcher waren auf den Boden gerichtet, er schien zu überlegen. Sa deutete auf das Spielbrett »Du bist am Zug.«

»Da hast du Recht.« Derintop war aufgestanden. Seine Bewegungen waren flinker als es seine massige Figur vermuten ließ. Wortlos verließ er den Raum.

Rubine im Zwielicht

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