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9.

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Müßig zu spekulieren, inwieweit Lochner an Hakan Derintops Tod Schuld war. Man mochte der Ansicht sein, dass jeder schließlich für sich selbst verantwortlich ist. Findige Kriminalisten würden in einem solchen Fall eine Art Beihilfe zur fahrlässigen Selbsttötung konstatieren, ein Vorwurf, der vor Gericht erfahrungsgemäß nicht viel hergab. Hakans Bruder Kemal aber kam von seinem vorgefertigten Urteil nicht herunter, dass Lochner Hakan vorsätzlich umgebracht hatte. Die Polizei stocherte im Nebel, Bärhalter hatte inzwischen immerhin Lochners Konten durchstöbert, aber nichts Auffälliges feststellen können. Der Mann war hoch verschuldet.

Bärhalter hatte zwar davon gehört, dass es eine Szene gab, in der man sich in teuren Hotels traf und um hohe Einsätze spielte, aber das brachte ihn auch nicht weiter. Er beschloss daher, sich wieder auf den Mord an der Schwebebahn zu konzentrieren. Was drei Tage zuvor im 11. Stock des Mercuria-Hotels passiert war, interessierte also im Grunde niemanden so recht, auch nicht Derintop, der hatte ohnehin sein festes Bild. Er wusste, dass sein Bruder und Lochner sich in dieser Nacht über einem Tavla-Spiel gegenübersaßen und um hohe Einsätze spielten. Er hatte Hakan ja selbst zum Hotel gefahren und wusste, dass Lochner bereits oben auf ihn wartete.

Lochner gab sich betont gelangweilt und schaute, während Hakan Derintop die Steine zu einem neuen Spiel auf das Feld setzte, aus dem großen Fenster, das beinahe die gesamte Wand einnahm. Unten blinkten die Reklametafeln des neuen Einkaufscenters, einige wenige Autos fuhren über die breite Allee, der angrenzende Busbahnhof war bereits leer.

»Was hältst du davon, erst mal ne Nase nachzulegen«, nuschelte Lochner und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen, schwarzen, Gel-getränkten Haare. Die beiden spielten schon seit Stunden. »Man will ja auf Zack bleiben, was, Alter?« Lochner lächelte Hakan wie ein Messer an; dünne Lippen, seine Augen waren kalt. Dabei waren die Pupillen auffallend groß, Lochner wippte ständig mit einem Bein, Übermotorik, unausgelastet.

»Warum nicht, es läuft ja sowieso gerade bestens für mich«, lachte Hakan, der in dem großen, schwarzen Ledersessel verloren wirkte. Im Gegensatz zu seinem Bruder war er ein schmächtiger junger Mann, kränklich aussehend, mit Rändern unter den Augen. Seine Pupillen waren ebenfalls geweitet, was einen maskenhaften Kontrast ergab. Hakan war der erklärte Schützling seines Bruders. Der hatte ihn mit den Worten verabschiedet: »Pass auf dich auf. Lochner ist eine Ratte. Und wenn er komisch wird, du weißt, wo dein Handy ist, ja?« Hakan war wie ein Dandy gekleidet. Er trug ein violettes Seidenhemd, eine weiße Leinenhose mit Bügelfalte. Der schwere Gürtel mit dem bronzefarbenen Büffelkopf als Verschluss wirkte, als sei er von seinem Bruder geliehen. Die Jacke hatte er an einen Kleiderhaken nahe der Tür gehängt. Ein Umschlag schaute aus der Innentasche hervor.

Lochner ging rüber zu dem breiten Tisch, der vor dem Fenster stand. Unten jagte ein Polizeiauto mit Blaulicht über die Bundesstraße, das Martinshorn war hier oben kaum zu hören. Lochner warf einen 200-Euro-Schein auf den Tisch und zog ein kleines, weißes Papier heran, das geöffnet vor ihm lag. Er griff zu einer Rasierklinge und begann mit feingliedrigen Fingern, das Kokain auf dem Papier zu tackern. In kurzen Abständen zog er – beinahe verächtlich – Luft durch die Nase, was wie eine unfeine Marotte wirkte, tatsächlich aber das Erkennungsmal eines ›altgedienten‹ Koksers war, dem man nichts mehr vormachen konnte. Vielleicht gab es da ja in irgendeinem Schleimhautwinkel noch einen winzigen Krümel, der sich, zwischen Härchen verhakt, bislang geweigert hatte, in die Blutbahn abzudriften.

»Und du glaubst also, du hättest schon gewonnen?« nuschelte er über die Schulter hinweg. »Du weißt ja, wenn wir hier nicht alles weggeputzt haben, einschließlich des Wodkas, ist überhaupt nichts entschieden. Außerdem taue ich erst immer in den frühen Morgenstunden auf. Das weißt du doch. Beim letzten Mal hattest du anfangs auch Oberwasser, und dann: niente.« Lochner schabte das Pulver erneut zu einem Haufen, zog ihn wieder mit der Klinge zu einer Leine auseinander und tackerte weiter.

»Ja, aber da ging es nur um Peanuts. Ich gehe hier mit deinen Hunderttausend raus, das kannst du mir glauben. Letztens habe ich diesen Orhan, diesen Lakai von Sa, bis aufs Hemd ausgezogen. Kannst du mir glauben. Bis aufs Hemd. Sa fand das gar nicht witzig, obwohl es ja nicht seine Kohle war.« Manchmal versuchte Hakan Lochners lässige Ausdrucksweise nachzuahmen, weil er ihn und seine zur Schau gestellte Unverschämtheit insgeheim bewunderte. Allerding wirkte das bei Hakan aufgesetzt, ja lächerlich. »Was ist nun?« Hakan warf betont ungeduldig die Würfel über das Spielbrett.

»Kannst es nicht erwarten? Was? Kitzelt‘s in der Nase? Mach dich doch nützlich. Schenke Wodka nach, Orangensaft dazu, randvoll alles, wie man es bei euch in der Türkei gewohnt ist. Wegen mir klingle unten an, wie das mit ein paar frischen Orangenscheiben aussieht. Das Zimmer geht sowieso auf deinen Namen, ich hab das so angeleiert. Sag einfach Derintop, dann wissen die Bescheid.«

»Das Restaurant hat doch längst geschlossen.«

Lochner kicherte vornübergebeugt. Es war eher ein Kichern durch die Nase, und ein paar Kokain-Krümel rutschten über die Tischplatte. »Hakan, wie wir ihn kennen. Immer bescheiden. Ich sag dir, so kommst du zu nichts. Du musst aus den Leuten rausholen, was nur geht, sonst kriegst du am Ende gar nichts. Soll dieser Nachtheini an der Rezeption doch zusehen, wo er die Orangen herkriegt.« Hakan hatte inzwischen die beiden sechseckigen Gläser, die neben dem Spielbrett auf dem Tisch standen, gefüllt – fast bis zum Rand. Er hörte jetzt, wie Lochner mit einem kurzen, heftigen Zug Kokain durch den Geldschein einsog. Hakan sprang auf und stellte sich neben Lochner.

»Ich hab dir auch gleich eine Line langgezogen. Wenn du sowas machst, sieht das immer aus wie ein Schlachtfeld. Wahrscheinlich zu gierig.« Hakan griff nach dem Geldschein, der zusammengerollt auf dem Tisch lag, aber Lochner kam ihm zuvor: »Ja, wer wird denn gleich! Immer auch an die Hygiene denken. Als hätte er nicht selbst genügend Scheine.« Hakan ging schnell hinüber zum Spieltisch und zog einen Schein von seinem Geldstapel. Lochner folgte ihm, griff nach dem Glas, trank einen kleinen Schluck und lümmelte sich in den Ledersessel. Er hörte, wie Hakan zurückging und hinter ihm mit einem tiefen Zug das Kokain einsog, die Luft möglichst lange anhielt, als würde er es inhalieren, und dann wieder ausatmete.

»So, komm, keine Zeit verlieren. Jetzt kommt die Wende.« Lochner baute die dunklen Steine in seinem Homeboard auf. Die beiden spielten weitere Stunden, setzten mit raschen Bewegungen ihre Steine auf dem Brett, Lochner tat das mit gesteigerter Arroganz, dem es nichts auszumachen schien, dass Hakans Geldstapel wuchs. Die Flasche Wodka wurde leer. Hakan zeigte einen irren Glanz in den Augen. Die Abstände, in denen die beiden Kokain schnupften, wurden geringer.

»So kommen wir nicht weiter.« Lochner warf sich in seinem Sessel zurück. Aus seiner schwarzen Herrentasche, die neben ihm auf dem Beistelltisch lag, zog er eine Einwegspritze hervor, eine gelbe Plastikflasche Zitronensaft, ein weiteres Briefchen, in dem vermutlich weiteres Pulver steckte. »Hast du schonmal was von nem Cocktail gehört?« Hakan schüttelte den Kopf und starrte beinahe ehrfürchtig auf das Papier. »Nein? Koks und Heroin, die geilste Mischung, die dir jemals untergekommen ist. Sag ich dir.«

»Ja, aber spritzen?«

»Anders bringt‘s das nicht. Das Zeug muss direkt ab ins Blut. Das eine wie das andere. Und zwar gleichzeitig. Wenn du das erst über die Nase nacheinander einnimmst, oh Mann, it takes ages. Nein, das muss gleichzeitig ankommen. Hier.« Lochner hielt die Spritze hoch und schnipste mit dem Zeigefinger dagegen, als sei sie schon gefüllt. »Mach dir keine Sorgen, ich richte alles an. Du kannst ja in der Zeit den Nachtwächter beschäftigen. Frag ihn, wo der Wodka bleibt.«

Lochner ging wieder zum großen Tisch am Fenster. Es war kaum Verkehr auf der breiten Straße unter ihm.

»Mensch, Lochner, es ist halb fünf. Da gibt es nichts mehr.«

Hakan blieb auf seinem Stuhl sitzen und beobachtete, wie Lochner das Kokain auf einen Esslöffel gab, Wasser darüber träufelte und Zitronensaft. Dann hielt er die Flamme des Feuerzeugs unter den Esslöffel und kochte das Kokain auf. Die Unterseite des Löffels wurde schwarz. Er zog die Flüssigkeit mit der Spritze auf, legte sie beiseite und trocknete den Löffel mit einem Ende des Vorhanges. Seine Bewegungen waren flink und sicher. Er nahm ein zweites Briefchen, faltete es auseinander und tackerte das Heroin mit der Rasierklinge klein. Dann schabte er es mit der Klinge auf den Löffel. Dieselbe Prozedur wie mit dem Kokain. Lochner zog auch diese Flüssigkeit in die Spritze, hielt sie vor das Gesicht und schnippte mit dem Zeigefinger dagegen, um Luftbläschen aufsteigen zu lassen.

»Was ist? Ärmel hoch.«

»Beide?«

Lochner kicherte. »Quatsch. Kriegst wohl nie genug, was? Hat überhaupt keine Ahnung, der Mann. Wie viele Spritzen siehst du hier in meiner Hand. Zwei?« Lochner dirigierte Hakan hinüber zum breiten Bett, auf dem eine schwere, weiße Tagesdecke ausgebreitet lag. »Mach es dir gemütlich. Ich zeige dir jetzt, wie das geht. Zuerst mal brauchen wir deinen Gürtel.

»Muss das sein?«

»Sicher muss das sein. Meinst du, ich will zusehen, wie du dir stundenlang in den Venen rumstocherst?«

»Wieso ich? Ich hab das noch nie selbst gemacht.« Hakans Gesicht zeigte eine Mischung aus Angst und Neugierde. Zögernd zog er den Gürtel ab. Der Büffelkopf schlug gegen die Bettkante.

»Mein Gott, ein schwereres Exemplar konntste dir wohl nicht aussuchen, was? Na, gib schon her.«

Hakan blieb am Rand des Bettes steif im Hohlkreuz sitzen. Über ihm hing an der Wand ein Ölgemälde mit Landschaftsmotiv: Irgendwelche Bauern stocherten mit Mistgabeln im Stroh herum. Lochner band Hakan den rechten Oberarm ab. Der Büffelkopf hing schwer herunter.

»So, und jetzt kommt dein Einsatz. Mach ein paar Mal kurz hintereinander eine Faust, und dann suchst du dir in aller Ruhe eine schöne Vene hier in deiner Armbeuge.« Hakan befolgte Lochners Answeisungen. »Sieht ja gar nicht so schlecht aus. Kann man ja fast reinwerfen die Spritze. So, und jetzt stichst du einfach rein und ziehst die Spritze vorsichtig ein wenig zurück. Wenn Blut kommt, hast du gewonnen, dann kannst du das Zeug reinpumpen. Hast du kapiert?«

Hakan nickte. Er nahm die Spritze aus Lochners Hand. »Und? Was ist mit dir? Willst du denn nicht?«

»Türken haben den Vortritt.«

Lochner sah, wie Hakan zögernd die Spritze ansetzte. Es funktionierte. Der Typ schien gar nicht so blöd zu sein. Blut lief in die Kanüle, Lochner löste den Gürtel, und Hakan stach langsam zu, bis zum Anschlag.

»So, und jetzt ziehst du noch einmal kurz zurück und stichst wieder zu, und das isses dann.«

Hakan nickte. Als er fertig war, zog er die Spritze aus dem Arm und reichte sie Lochner.

»Und jetzt leg dich ein bisschen hin, ein paar Sekunden.« Hakan sank auf die Tagesdecke. Er atmete schwer. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Lochner wischte ihm mit einem Papiertaschentuch das Blut aus der Armbeuge. »Na, was sagen wir dazu?«

Hakan sagte gar nichts mehr. Mit einem Ruck bäumte sich sein Oberkörper auf und fiel wieder zurück. Er schnappte hektisch nach Luft, bäumte sich wieder auf, fiel zurück.

»Heh, mach kein Scheiß!«

Nach einer Minute machte Hakan gar nichts mehr. Er lag reglos auf der Tagesdecke, den rechten Ärmel des violetten Hemdes hochgekrempelt, der schwere Büffelkopf hing über die Bettkante herunter.

Lochner stand auf und starrte einen Moment entgeistert auf den leblosen Körper. Dann drehte er sich abrupt um und begann, in aller Eile seine Utensilien einzusammeln, die Spritze, die Briefchen, sein Geld, die Herrentasche. Das Tavla-Spiel konnte liegen bleiben, es gehörte Hakan. Die Gläser, den Tisch und was nicht alles abzuwischen, machte keinen Sinn, er würde jetzt nicht stundenlang hier herumputzen. Lochner ging zur Tür. Er blieb noch einen Moment stehen, hielt die Klinke in der Hand, und schaute ungläubig auf das Bett. Hakan hielt die Augen weit geöffnet und starrte leer gegen die Zimmerdecke. Lochner riss die Tür auf, Hakans Jacke wurde durch den Luftzug leicht am Kleiderhaken bewegt.

Als Lochner aus dem Fahrstuhl trat, hatte er sich wieder gefasst. Ein schläfriger Portier mit Glatze und grauem Haarkranz saß an der Rezeption und nickte ihm hinterher, wie er das jede Nacht hundert Mal tat.

Rubine im Zwielicht

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