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11.

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Wagner warf das Stück Schweineleber auf ein Kunststoffbrett. Er setzte sich an den Küchentisch und begann es mit einem Messer in Streifen zu schneiden. Zwiebeln lagen bereits in Ringen auf einem zweiten Brett. Wagner blinzelte. Eine Träne lief aus dem geschwollenen Auge, er wischte vorsichtig mit dem Handrücken darüber. Auf dem Elektroherd köchelte Reis vor sich hin.

Es schellte. Wagner zögerte einen Moment und schaute durch das Fenster. Es dämmerte bereits und Wagner musste unwillkürlich an den Schläger denken. Wieder schellte es, zweimal kurz hintereinander. Wagner hatte Bärhalter vor Augen. Er schaute schnell auf den Küchenboden, wo er unter einer Diele des Schiffsparketts die Edelsteine versteckt hatte, die er mittlerweile verfluchte, und ging hinüber zur Wohnungstür.

Es war Nok. Sie wich einen Schritt zurück, als sie Wagner in der Tür stehen sah, mit seinem geschwollenen Auge, das Küchenmesser in der Hand. Wagner schaute an sich herunter, bemerkte das Messer und versuchte ein Lächeln, was dem lädierten Gesicht eine komische Note verlieh.

»Was haben Sie denn gemacht? Haben Sie sich geschlagen?«

»Man mich, nicht ich mich. Kommen Sie doch rein.« Die beiden gingen in die Küche. Nok trug ein knielanges Blümchenkleid mit großen roten Blüten, was am Körper einer abendländischen Frau sogleich kitschig ausgesehen hätte, stellte Wagner bewundernd fest. Nok setzte sich umstandslos auf einen der Stühle, wickelte einen hauchdünnen, blutroten Schal vom Hals und legte ihn über die Stuhllehne. Wagner bestaunte eine doppelt gelegte Perlenkette. War diese Geste Absicht? Sollte das irgendein Zeichen sein? Wohingegen sie doch vorgestern erst behauptet hatte, sich keinen Schmuck leisten zu können? Hatte sie das nicht so gesagt? Wagner spürte, wie er sich gleich wieder von Nok verunsichern ließ.

»Freut mich, wirklich. Aber wie sind Sie an meine Adresse gekommen?« Wagner setzte sich an den Tisch und fuhr fort, die Schweineleber in Streifen zu schneiden. Nok schaute interessiert zu.

»Ich habe einfach beim Wupper-Kurier angerufen, und da habe ich Frau -, wie heißt Sie doch?«

»Etwa Witzleben?« Wagner biss sich auf die Lippe, was ihm sofort einen stechenden Schmerz eintrug.

»Ja genau, Wissleben.«

»Witz. Witzleben.«

»Wissleben, genau. Nette Frau. Ich wollte mich nur wegen dieser asiatischen Einwanderer vergewissern, ob das stimmt, was Sie mir erzählt haben.«

Wagner räusperte sich. »Und was hat Sie gesagt?«

»Dass sie davon nichts weiß. Sie würden momentan an einer Reportage über den Botanischen Garten arbeiten.«

»Leider, ja, und die Sache mit den Einwanderern mache ich erstmal ins Blaue hinein. Ich bin freier Journalist. Da denkt man sich schonmal irgendein Thema aus, recherchiert ein wenig und bietet es später an.«

Nok lächelte. »Ich habe es mir so ähnlich auch schon gedacht. Sie wirken nicht wie jemand, der etwas im Schilde hat.«

»Führt. Schilde führt.«

»Deswegen bin ich nämlich gekommen. Ich wollte wissen, wie das nun weitergeht? Ob Sie noch mehr über asiatische Einwanderer wissen wollen? Und ob ich Ihnen dabei helfen kann.« Ihre Finger spielten mit der Perlenkette, und Wagner bemerkte erst jetzt einen goldenen Ring mit einem aufgesetzten, rötlich funkelnden Stein.

Wagner zeigte mit der Messerspitze auf sein geschwollenes Auge. »Sagen Sie mal, kann das sein, dass Ihr Mann einen weißen Mercedes fährt?«

»Oh ja, haben Sie ihn kennengelernt?«

»Ja, und wie. Er hat mich zusammengeschlagen.«

»Ja, ach, schon wieder.«

»Nein, zum ersten Mal, und hoffentlich zum letzten Mal.«

»Ich meine, das ist schon ein paar Mal vorgekommen. Seit wir getrennt leben, stellt er mir nach, müssen Sie wissen. Er ist sehr eifersüchtig.«

»Das schien mir auch so.«

»Ja, nicht? Sobald er mich mit einem anderen Mann zusammensieht, verliert er die Kontrolle. Oh, das tut mir leid. Haben Sie noch Schmerzen?« Nok stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Wagner beugte sich wieder über das Kunststoffbrett. »Sagen wir so: Man hat gespürt, dass er sich mit Zuschlagen auskennt.«

Nok sah drüben auf der anderen Straßenseite den weißen Mercedes. Ihr Mann saß darin und schaute herüber.

»Hat Ihr Mann Sie etwa auch immer geschlagen?«

Nok drehte sich um.

»Mich? Nein. Getrunken hat er, das hat mir gereicht. Aber sagen Sie mal, was kochen Sie da?«

»Das ist Laab, eine thailändische Spezialität. Ich habe das Rezept in einem Kochbuch für asiatische Spezialitäten entdeckt. Ich habe Ihnen ja bereits erzählt, dass ich ein Faible dafür habe.«

»Faible?«

»Ja, Vorliebe, ein Gefallen, eine Schwäche.«

Nok lächelte. Ihre Fingerspitzen strichen wieder über die Perlen.

»Laab. Und das können Sie?«

»Ich versuch‘s.« Wagner wand sich bescheiden. Er stand auf, ging zum Elektroherd und öffnete den Topf, in dem der Reis köchelte. Er nahm einen Kochlöffel und begann, mit ausladenden Bewegungen sorgfältig umzurühren.

»Oh oh oh«, Nok war neben ihn getreten. Ihr mildes Parfüm mischte sich mit dem Geruch von gekochtem Reis. »Das dürfen Sie nicht machen.«

»Was?« Wagner hielt in der Bewegung inne.

»Wenn das Wasser ausgekocht ist, dürfen Sie den Reis niemals mehr umrühren. Lassen Sie ihn einfach auskochen, sonst zerkleinern Sie die Körner. Gerade bei Langkornreis. Und wenn Sie nicht aufpassen, haben Sie – wie heißt das? – Matsch.«

Nok nahm Wagner den Löffel aus der Hand und legte ihn beiseite. »Haben Sie denn keinen Reistopf?«

Wagner schüttelte den Kopf.

»Das kennen Sie nicht, stimmt das? So etwas können Sie in jedem asiatischen Lebensmittelladen kaufen. Ein ganz gewöhnlicher Topf in einem elektrisch betriebenen Umtopf. Sie geben Reis hinein, dann Wasser, und zwar so viel, dass es zwei Zentimeter über dem Reis steht. Dann schalten Sie den Topf ein. Und wenn der Reis fertig gekocht ist, springt der Schalter von allein um, und der Reis wird weiterhin warm gehalten. So einfach ist das. Vor allem gibt es keine Probleme mit angebranntem oder matschigem Reis. Haben Sie die Leber nun fertig geschnitten?«

Nok nahm das Kunststoffbrett vom Küchentisch, schabte die Leberstücke mit dem Messer in einen Topf und gab die Schweineschwarten, die neben dem Herd auf der Anrichte lagen, hinzu. Sie füllte Wasser in den Topf und wechselte ihn gegen den Topf mit dem aus, den sie an Wagner weiterreichte. »Hier, haben Sie etwas zu tun. So schlecht ist der Reis eigentlich gar nicht geworden. Wenn Sie vorsichtig sind, können wir ihn sogar essen.«

Wagner gehorchte. Er begann den Reis mit übertriebener Sorgfalt aus dem Topf in eine Schüssel zu geben. Nok deutete mit dem Kopf auf eine grüne Chilischote, die auf der Anrichte lag. »Und? Haben Sie noch nicht genug?«

»Ich will versuchen, mich langsam an die Schärfe heranzutasten.« Wagner versuchte ein Lächeln. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass man diesen Satz auch als erotische Anspielung nehmen konnte. Er fragte sich, ob Nok das auch gemerkt hatte. Sie stand neben ihm und beobachtete, wie er umständlich langsam den Reis in die Schüssel bugsierte. Wagner fragte sich, was wäre, wenn ihr Mann diesen Satz hören würde, nur hören würde, und er spürte den Schmerz am Auge.

Nok arbeitete mit schnellen, sicheren Bewegungen. Sie war praktisch veranlagt, das sah man sofort, stellte Wagner fest. So wie sie die Dinge in die Hand nahm, ohne zu zögern und lange zu überlegen. Nach zwanzig Minuten war das Laab fertig angerichtet. Wagner deckte den Tisch und schenkte einen trockenen Rotwein ein. Sie stießen mit den Gläsern an, tranken einen Schluck und Wagner fand, dass es Zeit war, endlich reinen Wein einzuschenken: »Warum haben Sie eigentlich gesagt, dass Sie mit Edelsteinen nichts zu tun haben?« und wies mit der Gabel auf ihre linke Hand und den rötlich funkelnden Ring.

»Stellen Sie sich vor: Sie sind eine alleinstehende, junge Frau und da kommt ein fremder Mann und fragt gleich nach Edelsteinen. Was sagen Sie dann?«

War das eine logische Antwort oder eine schlagfertige, überlegte Wagner. »Aber Sie handeln doch damit.« Das war ein direkter Vorstoß, und so war es am besten, wenn man etwas herauskriegen wollte.

»So würde ich das nicht sagen. Ich verdiene gelegentlich etwas hinzu.« Keine Spur von Verwunderung darüber, wie Wagner überhaupt dazu kam, so etwas zu behaupten. »Wenn eine meiner Freundinnen nach Thailand fliegt, um ihre Verwandten zu besuchen, bringt sie mir anschließend ein paar Ringe und Armbänder mit, oder Perlen. Man muss irgendwie zu Geld kommen, wenn man allein lebt. Ansonsten habe ich mit allen möglichen Utensilien gehandelt: Porzellanfiguren, Glücksbringern, kleinen Altären, Buddhastatuen, auch mit Reistöpfen. Mit Schmuck eher selten. Aber das ist ohnehin vorbei. Auch die Asiaten, die hier leben, halten ihr Geld zurück. – Seien Sie vorsichig mit der Chilisauce.«

»Aber Sie kennen sich aus mit Edelsteinen?«

»Ein wenig. Eigentlich nur mit solchen Steinen, die man in Thailand, Burma und Laos findet: Rubine, Saphire, Süßwasser-Zuchtperlen. Meine Freundinnen legen sie immer in ein Kilo getrocknete Schweinekrusten, wenn sie etwas mitbringen.« Nok beugte sich vor. »Wegen der Einfuhrzölle, verstehen Sie.«

Wagner stocherte auf seinem Teller herum. »Haben Sie die Steine denn dort schon fertig in Ringe oder Amulette einfassen lassen oder erst hier?«

Nok schwieg. Sie trank einen Schluck Rotwein.

»Jedenfalls haben Sie darüber Lochner kennengelernt, stimmt das?«

»Ja, ist schlimm. Der arme Kerl. Ich habe schon davon gehört.«

Nok schaute Wagner mit großen Augen an. Aus ihrem Gesicht war absolut nichts herauszulesen.

Wagner wählte bewusst die Gegenstrategie. Er beschloss mit offenen Karten zu spielen. Warum er das tat, war ihm selbst nicht klar. Vielleicht war es einfach ein Mangel an taktischem Geschick oder auch an Verspieltheit, der ihn oft den direkten Weg nehmen ließ. Er war jetzt aufgestanden, bückte sich unter dem Durchgang zum Wohnzimmer und hob eine der Dielen an. Er zog die Cellophantüte mit den Edelsteinen heraus, setzte sich wieder und schob seinen Teller beiseite.

Er ließ einen Stein auf die Tischplatte kullern. Er war tropfenförmig geschliffen, und man erkannte dunkle und rötliche Kristalle, die miteinander im Lichterspiel waren, wenn man den Stein bewegte »Was für ein Exemplar ist das? Ist es echt?«

Nok kam um den Tisch herum auf seine Seite. »Sagen Sie bloß: Sie haben selbst Edelsteine? Aber warum verstecken sie sie?« Wagner roch wieder ihr Parfüm, als Nok sich über den Tisch beugte. Sie berührte den Stein leicht mit einem Finger. »Wenn er echt ist, ist es ein Rubin. Vielleicht aus Burma, so wie meiner.« Sie deutete auf ihren Ring. »Wo haben Sie den Stein her?«

»Würden Sie ihn haben wollen?«

Nok lachte: »Noch einen? Aber wenn er echt wäre, warum nicht?« Sie begann zu kokettieren und wiegte leicht in den Hüften.

»Wieso wissen Sie das nicht?«

»Das ist heute immer schwieriger auseinanderzuhalten, ob ein Stein echt ist oder echt, aber aufpoliert, geschönt, gefärbt ist und so weiter, oder ob er sogar synthetisch hergestellt ist. Das kann man hier so am Küchentisch nicht feststellen.«

»Wie denn?« Wagner war kurz davor, Nok über die Hüfte zu streicheln, traute sich aber nicht. Stattdessen stand er auf, ging rüber ins Wohnzimmer und kam mit einem Papier zurück. Er legte es vor Nok auf den Tisch: »Das ist vermutlich das passende Zertifikat dazu.«

Nok zog staunend die Augenbrauen hoch: »Na also, dann wissen Sie ja, dass der Stein echt ist.«

»Hatten Sie eigentlich etwas mit Lochner?« Wieder so eine Frage ins Blaue hinein. Gleichzeitig fürchtete er sich vor der Antwort und einem diffusen Neid auf den Toten.

Nok rückte von Wagner ab. »Hat das mein Mann behauptet?«

»Nein, der hat nur geschlagen.«

Nok begann, den Tisch abzuräumen. »Es kann ja sein, dass er etwas von mir wollte, aber – wie sagt man hier? Dazu gehören immer zwei.« Wagner fühlte das sofort auf sich bezogen und kugelte verlegen mit dem Rubin über die Tischplatte.

»Machen Sie das nicht«, Nok legte ihre Hand kurz auf die seine. »Solche Steine sind empfindlich, wissen Sie das? Wenn sie echt sind«, lächelte sie und zog ihre Hand zurück. »Wenn Sie das übrigens ganz genau wissen wollen, sollten Sie einen Gemmologen aufsuchen.«

Nok blieb vor Wagner stehen, der nicht so recht wusste, wo er hinschauen sollte. Er dachte an die Würgefeige und seinen aberwitzigen Vergleich. Im Moment stellte er allenfalls eine Feige in verhaltener Stellung dar. Eine verklemmte Feige, die sich irgendwo am Geäst eines exotischen Wirtsbaumes verhakt hatte. Wagner wurde über sich selbst wütend. Das alles hier brachte ihn aus dem Konzept.

»Das Laab haben Sie hervorragend gekocht, Herr Wagner.« Nok reichte ihm die Hand.

»Sagen Sie doch Jens, das klingt besser.« Da war es nun wieder: der direkte Weg aus der Defensive. Wagner war aufgestanden und folgte Nok zur Tür. Im Hausflur drehte sie sich noch einmal lächelnd um. »Und Ihre Einwanderer? Was machen wir mit denen?« Wagner versuchte ebenfalls ein Lächeln. Nok wartete die Antwort gar nicht erst ab. Wagner sah ihr nach, sah wie der Stoff des Blümchenkleides um ihre Hüften schwang. Als Wagner zurück in die Küche kam, sah er den blutroten Schal über der Stuhllehne. Im ersten Moment dachte er daran, Nok hinterherzulaufen. Dann aber nahm er den Schal in die Hand, fühlte den weichen, hauchdünnen Stoff und roch daran. Er zog den milden Geruch des Parfüms ein, ging ins Wohnzimmer und hängte den Schal an ein kleines Bücherbord über dem Schreibtisch. Er zupfte am Stoff herum, bis er zufrieden nickte.

Draußen schaute Nok kurz auf den weißen Mercedes und ging nach links um die Häuserecke zu ihrem Wagen.

Rubine im Zwielicht

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