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Derintop stand am Jägerzaun und sah die offene Terrassentür. Er lächelte. Da er nicht wusste, ob sich Anna Lochner womöglich im Wohnzimmer aufhielt, ging er diesmal nicht schnurgerade auf das Haus zu, sondern entlang des Zauns an einer Reihe von Rhododendren vorbei.

Er trug Jeans und ein blütenweißes Rüschenhemd, das sich eher dazu eignete, bei der Hausbank Eindruck zu machen. Derintop drückte sich gegen die Rückwand, schob seine Sonnenbrille auf die Stirn und lugte durch das große Fenster in das Wohnzimmer. Niemand da. Vermutlich war Anna Lochner oben.

Derintop zögerte nicht und glitt durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Er zog die Schuhe aus und stellte sie sorgfältig unter der Heizung auf dem Laminatboden ab. Es waren schwarze Halbschuhe mit einer runden Verzierung auf dem Rist und angedeuteten Schnürsenkeln. Er schlich auf weißen Socken zur Tür gegenüber und lauschte. Er glaubte, oben Schritte zu hören und überlegte einen Moment, wie er verfahren sollte: erst im Wohnzimmer suchen oder gleich nach oben.

Er schaute sich um. Das war kein gewöhnliches Wohnzimmer, fand er. Er vermisste den obligatorischen Schrank, der eine ganze Wand einnahm. Stattdessen Regale mit Büchern und allerlei Schnickschnack aus fremden Ländern. Vor dem großen Fenster eine Sitzgruppe, ein niedriger Tisch, eine offene Vitrine, jedoch nichts, wo man ein Versteck vermuten würde. Alles irgendwie offen. Derintop drückte die Klinke. Er sah vor sich den Treppenaufbau, drüben die Haustür und zog sich geduckt am Geländer die Stufen hoch. Noch vor dem oberen Treppenabsatz sah er am Ende des Flurs eine offene Tür und hörte, wie ein Ordner in ein Regal zurückgestellt wurde.

Derintop grinste wieder. Er richtete sich auf und spazierte ohne Umstände in das Zimmer: »Merhaba! Frau Lochner. Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht mehr.« Anna Lochner war am Schreibtisch zusammengezuckt. Sie trug ein biederes, rosafarbenes Hemd und einen langen, grauen Rock und saß in einem rollbaren Bürostuhl. Sie hatte den Rücken gekrümmt, hielt beide Hände vor den Mund, als müsse sie ihren Schrei auffangen, und sah Derintop aus roten Augen entsetzt an. Der war sofort bei ihr, rollte den Stuhl mit Wucht gegen die Zimmerwand und stützte sich schwer auf die Armlehnen. Er roch nach Rosenwasser.

»Mein Gott, was wollen Sie? Wer sind Sie?«

»Wir haben uns schon mal gesehen. Jedenfalls ich Sie, Frau Lochner. Ich sage nur: Wettbüro. Viele viele Türken.« Derintop beschrieb mit dem rechten Arm einen Bogen. »Und dazwischen Ihr Mann. Beim Glücksspiel.« Derintop setzte den Zeigefinger unter sein rechtes Auge und zog die Haut etwas herab.

Anna Lochner schaute zwischen die Beine Derintops auf den Laminatboden. Sie hatte keine Chance aus der Ecke herauszukommen.

»Jaha, Glücksspiel. Und Frau Lochner war verdammt unglücklich darüber.«

»Bitte, tun Sie mir nichts, ich …«

»… und hat ihm eine Szene gemacht und ihn mitgenommen wie einen Schuljungen. Leider aber …«, Derintop griff mit der linken Hand in das splissige Haar und ruckte ihren Kopf hoch. »Leider hat der gute Mann aber später weitergespielt. Konnte es einfach nicht lassen. Tage später. Im Hotel. Wissen Sie das?« Derintop schrie sie plötzlich an und stieß ihren Kopf gegen die Wand. Anna Lochner weinte. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Derintop atmete dicht über ihr. »Sie wissen das, ja? Und Sie wissen auch, dass er meinen Bruder auf dem Gewissen hat.« Er schlug mit der flachen Hand zu. »Und dass er das Geld genommen hat.« Wieder ein Schlag. »Und Sie wissen auch, wo er es versteckt hat!« Noch ein Schlag.

Anna Lochner hielt die Hände schützend vor das Gesicht.

»Na los, wo ist es? Sagen Sie es, und ich lasse Sie in Ruhe.«

»Ich weiß es doch nicht. Wirklich nicht!«

Derintop packte Anna Lochner mit beiden Händen am Hemdkragen, ruckte sie hoch, sah ihre roten Augen, das Haar, das ihr in Strähnen ins Gesicht fiel, und ließ sie zu Boden fallen. Ihre Unschuld wirkt ehrlich, stellte er sachlich fest.

»Aber Sie wissen, wo ich hier Schnüre finde, was? Paketschnüre!« Er sah das schwarze Telefonkabel über den Boden schlängeln, riss es aus der Steckdose und kniete sich über Anna Lochner. Die starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie waren das. Sie haben meinen Mann erschossen!«

»Vielleicht. Vielleicht ist mir auch jemand zuvorgekommen. Aber es macht keinen Unterschied.« Derintop arbeitete ruckartig, drehte ihre Arme auf den Rücken und zog die Schnur um ihr Handgelenk fest. »Ich suche jetzt nicht nach Klebeband. Wir können uns das ersparen, wenn Sie den Mund halten. Ich schaue mich ein wenig um, und dann sehen wir weiter. Okay? Teekkür ederim. Danke schön.«

Anna Lochner blieb regungslos liegen. Derintop erhob sich und ging aus dem Zimmer die Treppe hinunter.

Derintop suchte. Er suchte im Wohnzimmer, im Arbeitszimmer, in der Küche, zog Schubladen auf und wurde immer wütender. Auf dem Schreibtisch funkelten ein paar Edelsteine. Derintop fegte sie mit einer Handbewegung herunter. Derintop ging in den Keller. Man hörte lautes Rumpeln. Einmachgläser zersplitterten am Boden, ein Metallregal wurde umgestoßen. Zurück im Erdgeschoss griff er zum Schlüsselbund, der neben der Haustür an einem kleinen Holzbrett hing und trat an die metallene Seitentür. Er probierte einige Schlüssel, dann öffnete er und betrat die Garage. Er blieb etwa zehn Minuten fort, dann kam er wieder nach oben.

Anna Lochner hörte, wie er nebenan im Schlafzimmer das Bett, den Schrank, die Kommode durchwühlte.

Als er zurück ins Büro kam, zeigte sein Gesicht eine Mischung aus Wut und Enttäuschung. Er sah auf Anna Lochner herab, die auf der Seite lag und gegen die Wand starrte. Er sah, wie ihr Rock verrutscht war, er sah die weißen Seidenstrümpfe unter dem Rock. Er trat an sie heran und setzte einen Fuß auf ihren Oberschenkel. Unter seinem Socken spürte er ihr warmes Fleisch.

»Nein, bitte nicht. Bitte nicht das.«

»Doch.« Derintops Fuß rutschte höher.

»Ich kann doch gar nicht wissen, wo dieses Geld ist. Hören Sie, mein Mann und ich haben doch in der letzten Zeit eigentlich gar nicht mehr zusammen gelebt. Er war doch kaum hier.«

»Das ist aber schade. Da hat Ihnen sicher was gefehlt.« Derintops Fuß rutschte noch höher. Er sah nun ihren Slip.

Anna Lochner drehte sich auf den Rücken und versuchte, sich auf dem Laminatboden ein wenig zur Wand zu schieben, um so den Rock wieder etwas herunterzuziehen. Derintops Fuß folgte.

»Mein Mann hatte eine Geliebte. Schon seit längerem. Eine Asiatin. Er hat sich in der letzten Zeit meistens bei ihr aufgehalten. Glauben Sie mir bitte.«

»Und das soll mich davon abhalten, dass wir beide jetzt rüber ins Schlafzimmer gehen?« Derintop zog sie brutal an den Achseln hoch. »Wo finde ich diese Asiatin, heh?«

»Grünsiegelpassagen. Gleich neben dem China-Restaurant. Sie hat dort ein kleines Büro. Import Export.«

Derintop ließ sie fallen: »Import Export, das haben wir auch immer, so etwas. Passen Sie auf: Ich glaube Ihnen das. So, wie Sie hier herumwimmern, haben Sie wirklich von nichts eine Ahnung. Es kann natürlich auch sein, dass Ihr Mann das Geld doch hier irgendwo gebunkert hat, und Sie wissen das gar nicht. Wenn ich bei dieser Asiatin nicht weiterkomme, tauche ich wieder auf. Dann grabe ich Ihnen den Garten um, wenn es sein muss. Vielleicht mache ich dann auch noch was anderes.« Er stand breitbeinig über ihr und ruckte den Zeigefinger ein paar Mal gegen sie. Dann drehte er sich um, lief die Stufen hinab, öffnete die Haustür und wäre beinahe auf Socken auf die Straße getreten. Er ging zurück ins Wohnzimmer, zog die Schuhe an und verließ das Haus. Er schien sich überhaupt keine Gedanken darüber zu machen, dass er von Nachbarn gesehen werden könnte. Er trat zu seinem BMW, den er direkt vor dem Haus geparkt hatte, zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und zog die Sonnenbrille wieder von der Stirn herab. Er schaute noch einmal auf das Haus, den Vorgarten mit einigen flauschigen Büschen und auf die obere Etage, er betrachtete das alles wie ein Kaufobjekt. Dann setzte er sich in den Wagen, schaltete türkische Musik ein, eine tiefe, melancholische Frauenstimme, und fuhr los.

Rubine im Zwielicht

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