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6. Kapitel

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Am übernächsten Tag um 19 Uhr 30 parkte Winston seinen uralten grünen VW Käfer vor dem Bordell ‚Erotic Pigs’ ein.

Alle Autos, die er vor diesem besessen hatte, waren übrigens ebenfalls grüne VW Käfer gewesen, obwohl er sich problemlos einen echten Luxusschlitten hätte leisten können.

Er hatte einfach eine sentimentale Schwäche dafür.

Lag es vielleicht daran, dass er den ersten grünen VW Käfer als Honorar für die Lösung seines allerersten Falles erhalten hatte?

Oder daran, dass er auf dem Rücksitz eines grünen VW Käfers das erste Mal Sex gehabt hatte – mit einer Zirkusakrobatin?

Oder lag es etwa daran, dass die grüne Farbe seines VW’s ihn an die Farbe des sturmgepeitschten Meeres in einem Dokumentarfilm über den Fischfang vor Neufundland erinnerte, den er als Kind einmal gesehen hatte?

Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.

Also genug von dem Scheiß.

Winston betrat das Bordell und blickte sich suchend um.

Auf einigen Stühlen des Eingangsbereichs saßen spärlich bekleidete Mädchen, die ihm verführerisch zulächelten, andere waren von vollständig bekleideten Männern – zukünftigen Kunden – besetzt, und einige waren natürlich auch frei wie der Wind. Oder wie die Vögel auf den Feldern. Oder wie Tommy – der aus der berühmten Rockoper - nach seiner Genesung.

Aber in erster Linie waren sie natürlich ganz gewöhnliche Stühle, auf denen zufällig gerade keiner saß.

Hinter einer mit schweinchenförmigen Skulpturen verzierten Theke stand eine vollschlanke Frau in mittleren Jahren, die ein geschmackvolles, um die Taille plissiertes blau-grün-violett geblümtes Kleid von Claiborne trug, das, um bei der Wahrheit zu bleiben,

eigentlich überhaupt nicht geschmackvoll war, sondern vielmehr eine geschmackliche Entgleisung, die ihrem Schöpfer die fristlose Entlassung eingetragen hatte.

Man hätte die Trägerin des Kleides, eben jene vollschlanke Frau in mittleren Jahren, ohne weiteres für ein biederes Hausmütterchen halten können, und etwas Ähnliches war sie, genau genommen, tatsächlich, nämlich das Mütterchen dieses Hauses, oder, etwas prosaischer ausgedrückt: die Puffmutter.

Als sie Winston erblickte, eilte sie ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, umarmte ihn herzlich und rief:

„Hallo, Jamie, wie nett, dass du uns auch wieder mal besuchst! Ich habe schon fast befürchtet, dass du uns untreu geworden bist. Na, was kann ich für dich tun? Wir haben einige interessante Neuzugänge, darunter sogar eine 28-jährige japanische Brillenträgerin – du hast mir doch einmal erzählt, dass du auf 28-jährige japanische Brillenträgerinnen stehst, oder nicht?“

„Doch, das stimmt. Und ich finde es ganz besonders nett von dir, Martha, dass du daran gedacht hast. Nur bin ich heute leider in einer beruflichen Angelegenheit hier.“

„Wieso beruflich? Die Fische, die ich von dir gekauft habe, sind alle frisch, gesund und munter.“

„Das freut mich zwar, aber darum geht es nicht. Die Sache ist die, dass ich mich entschlossen habe, doch noch ein allerletztes Mal als Detektiv zu arbeiten.“

„Das ist ja wundervoll, Jamie! Du weißt doch, wie die Mädels und ich dich bewundern! Ich werde gleich Sekt...“

„Später gern, Martha. Zunächst aber habe ich eine große Bitte an dich.“

„Und die wäre? Sie ist schon erfüllt, noch bevor du sie aussprichst.“

„Ich brauche ein Zimmer für mich allein. Wäre das für fünfhundert Dollar möglich?“

„Nur für dich allein? Du bist mir aber ganz ein Schlimmer, Jamie. Wenn das der Liebe Gott wüsste! Ich sage nur: Genesis, Kapitel 38. Aber könntest du das nicht genauso gut bei dir zu Hause erledigen?“

„Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Ach so. Also, das mit dem Zimmer ist natürlich kein Problem. Für wie lange brauchst du es denn?“

„Nur für heute Abend.“

„Geht in Ordnung, Jamie. Kein Problem. Aber darf ich fragen, wofür du es brauchst, wenn nicht für ein paar selbstverliebte Stunden? Du kennst mich ja, ich bin nun mal eine echte Neugierdsnase...“

„Ich möchte dir vorsichtshalber lieber nichts darüber erzählen, Martha, obwohl ich weiß, dass du schweigen kannst.

Jedenfalls geht es um folgendes: Wenn heute ein Staubsaugervertreter bei dir auftaucht, dann schick ihn bitte zu mir rauf, ich habe etwas geschäftlich mit ihm zu besprechen.“

„In Ordnung, Jamie. Du kannst Zimmer vier benützen, und sollte ein Staubsaugervertreter hier aufkreuzen, schicke ich ihn zu dir.“

„Du bist ein Goldstück, Martha“, sagte James Winston, küsste sie platonisch auf die Wange und begab sich nach Zimmer vier, wo er, eine Zigarette nach der anderen rauchend, auf die Ankunft des CIA-Beauftragten wartete.

Endlich klopfte es an der Tür, und noch bevor Winston ‚Herein!’ rufen konnte, stürmte ein Mann ins Zimmer, in der linken Hand einen Staubsauger, in der rechten eine Vertretertasche.

„Guten Tag“, sagte er. „Sie haben Glück. Ich kam gerade von der Arbeit und wollte mich hier ein wenig entspannen, da sagte mir Martha, dass Sie unbedingt einen neuen Staubsauger brauchen. Glücklicherweise habe ich immer einen im Wagen. Das beste Modell, das es zurzeit auf der ganzen Welt gibt. Und dabei unheimlich preiswert.“

„Äh... Moment...“

„Ja? Was gibt’s?“

„Es ist vollkommen überflüssig, dass Sie mir jetzt noch irgendeine Geschichte erzählen, Sie können offen sprechen, wir sind unter uns, und dieses Zimmer ist garantiert wanzenfrei. Also kommen Sie zur Sache.“

„Gern“, erwiderte der Vertreter, steckte den Anschluss seines Staubsaugers in eine Steckdose, kippte den Inhalt von Winstons Aschenbecher auf den Fußboden und saugte die Bescherung im Nu weg.

„Sehen Sie?“, sagte er. „Aber das ist noch lange nicht alles, dieses Gerät saugt sogar feuchten Dreck, Hausmilben und Bettwanzen. Und das alles für lächerliche tausend Dollar, also praktisch umsonst.“

Allmählich stieg in Winston der Verdacht auf, dass er es hier mit einem echten Vertreter zu tun hatte.

„Könnten Sie den Staubsauger mal öffnen?“, bat er, um sich Gewissheit zu verschaffen, und tatsächlich: Es war ein ganz normales Gerät, ohne besonderen Inhalt.

Um nicht in dem Vertreter den Verdacht zu wecken, dass hier etwas nicht stimmte, blieb Winston nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

„Ich nehme ihn“, sagte er, zückte seine Geldbörse und überreichte dem Vertreter die tausend Dollar.

„Kunden, die sich so schnell entscheiden können wie Sie, sollte man öfter haben“, stellte der Vertreter zufrieden fest.

„Was ich nicht ganz verstehe, ist folgendes“, sagte Winston. „Ich habe heute zu Martha gesagt, dass ich einen Staubsauger brauche, und keine Viertelstunde später kreuzen Sie schon hier auf. Das war natürlich Glück für mich, aber eigentlich war das doch ein ziemlich großer Zufall, finden Sie nicht?“

„Eigentlich nicht. Ich bin Stammgast, wissen Sie, durchschnittlich zweimal die Woche komme ich hierher, weil meine Frau mich nicht versteht, und heute war eben so ein Tag. Sie werden bestimmt viel

Freude mit diesem großartigen Gerät haben.

Wenn ich Ihnen vielleicht noch einen kleinen persönlichen Tipp geben darf, nachdem Sie hier ganz allein herumsitzen:

Wenn Sie den Staubsauger auf höchste Stufe einschalten und dann die Düse gegen Ihr bestes Stück halten...“

„Sagen Sie, wofür halten Sie mich?“

„Für einen zufriedenen Kunden. Probieren Sie es ruhig einmal aus, es schadet ja nichts. Sie werden sehen, dass Sie dann sogar noch etwas zufriedener sein werden, hähä, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Schon gut“, sagte Winston. „Richten Sie Martha bitte aus, dass sie gleich raufkommen soll, ich möchte mich bei ihr bedanken. Und Ihnen danke ich dafür, dass Sie zu mir gekommen sind, obwohl Sie eigentlich schon Feierabend hatten.“

„Nichts zu danken. Ein Arzt lässt einen Patienten, der Hilfe braucht, ja auch nicht einfach auf der Straße liegen, nur weil er nicht mehr im Dienst ist. Und wir Staubsaugervertreter sind genauso: Unverbesserliche Idealisten.“

„Nun denn: Auf Wiedersehen. Und noch einmal vielen Dank.“

„Und noch einmal nichts zu danken. Und viel Freude und, hähä, Zufriedenheit mit dem neuen Gerät.“

Der Vertreter entfernte sich.

Wenig später klopfte es und Martha trat ein, in Begleitung eines weiteren Staubsaugervertreters.

„Entschuldige, Jamie, dass ich mit diesem aufdringlichen Kerl hier raufkomme, ich habe versucht, ihm zu erklären, dass er zu spät kommt, weil du inzwischen einem anderen Vertreter einen Staubsauger abgekauft hast, aber er hat sich einfach nicht abwimmeln lassen, er meinte, es wäre sehr wichtig.

Du wolltest mich sprechen?“

„Schon gut, Martha, ich wollte dich nur bitten, diesen Mann, wenn er

kommt, ebenfalls zu mir zu schicken, aber das hat sich ja erübrigt.

Lass uns bitte jetzt allein.“

„Äh... James?“

„Ja?“

„Wir haben jetzt auch ein Showprogramm. Die Show fängt in ungefähr einer Stunde an. Und vielleicht hast du Zeit und Lust, dir das anzusehen. Es würde mich nämlich interessieren, was du davon hältst. Du weißt ja, dass ich auf dein Urteil immer den allergrößten Wert lege.“

„Ist gut, Martha. Danke für den Hinweis. Das müsste sich zeitlich eigentlich ausgehen. Aber seit wann bietet ihr auch ein Showprogramm? Bisher lief das Geschäft doch auch ohne Show ganz hervorragend, oder?“

„Ja, schon. Aber die Zeiten sind vorbei. Heutzutage muss man seinen Kunden schon etwas ganz Besonderes bieten, wenn man sie bei der Stange halten will.“

„Ich verstehe. Also, ich komme, sobald ich hier fertig bin. Bis später, Martha.“

„Bis dann, Jamie. Ich reserviere dir schon mal den besten Tisch.“

***

Der Strohmann

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