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2. Kapitel

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Als der Agent den Laden betrat, war James Winston gerade damit beschäftigt, ein Prachtguppymännchen zum Geschlechtsverkehr mit einem Blackmollyweibchen zu animieren.

Er sammelte nämlich gerade Material für eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel ‚Über die abartige Entartung der Arten’.

Der Prachtguppy zeigte allerdings keinerlei Ambitionen, durch eine Erwähnung in Winstons Buch weltberühmt zu werden.

„Na los, mach“, drängte Winston ungeduldig. „Ich seh es dir doch an, dass du scharf auf sie bist. Also nur keine falsche Scham. Na, jetzt komm schon. Du kriegst dafür auch die doppelte Futterration, und zwar von deinem Lieblingsfutter.

Das ist doch wirklich ein großzügiges Angebot, oder nicht?“

‚Oh mein Gott, der Kerl redet tatsächlich mit Fischen. Gut, dass der Chef mir gesagt hat, dass er ein Genie ist. Sonst würde ich ihn jetzt bestimmt für total meschugge halten’ überlegte der Agent und räusperte sich geräuschvoll.

„Wir reden später weiter“, sagte Winston zu dem Fisch und wandte sich seinem Besucher zu.

„Ich habe Sie gar nicht kommen hören“, bemerkte er. „So leise sind erfahrungsgemäß nur Einschleichdiebe und Agenten. Und nachdem ein Dieb sich wohl kaum geräuspert hätte, um sich bemerkbar zu machen, sind Sie zweifellos ein Agent.“

„Das ist richtig“, bestätigte der Agent. „Ich bin 003. Ich wollte...“

„Den Rabatt für Agenten“, unterbrach Winston. „Selbstverständlich. Alles klar. Agenten werden von mir prinzipiell bevorzugt behandelt. Sehen Sie, zum Beispiel habe ich hier ein trächtiges Guppyweibchen. In drei Tagen, sieben Stunden und zwölf Minuten wird es sieben Junge gebären, drei männliche und vier weibliche, wobei sich das vierte Kind

später durch eine besonders auffällige Färbung auszeichnen wird. Und weil Sie Agent sind, verrechne ich Ihnen nur das Weibchen.“

„Das ist sehr großzügig von Ihnen, aber deswegen bin ich nicht hier. Es geht um etwas anderes. Nämlich um einen wichtigen Fall.“

„Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ? Welchen dieser wichtigen Fälle meinen Sie?“, fragte Winston und jagte sich einen doppelten Whisky durch die Gurgel.

„Äh ... keinen von diesen“, erwiderte der Agent, leicht irritiert. „Es geht um das Vaterland. Es ist in Gefahr. Und Sie sollen es retten.“

„Wenn ich in meiner Eigenschaft als Fischzüchter dazu in der Lage bin, herzlich gerne“, erwiderte Winston.

„Wir brauchen nicht den Fischzüchter, sondern den genialen Detektiv James Winston.“

„Der ist tot. Ich habe ein für alle Mal genug von diesem schmutzigen Job.“

„Aber...“

„Kein Aber. Den Rest meines Lebens habe ich dem Wohl und Wehe der Fische geweiht. Fische sind das Gelbe vom Ei meines Lebens.

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Fisch. Der Mensch ist genau genommen nichts weiter als ein degenerierter Fisch. Nenne einen Fisch deinen Bruder, so wird er dir antworten: ‚Du bist nicht mein Bruder, du Qualzüchtung, geh mir aus der Sonne!’

Wenn Sie also gekommen sind, um mich zu überreden, für Sie wieder Detektiv zu spielen, hätten Sie sich den Weg sparen können. Meine Antwort lautet nein.“

„Aber das Vaterland...“

„Ist in Gefahr, ich weiß“, vollendete Winston und fuhr spöttisch fort. „Ich kenne euch ja: Bei jeder Kleinigkeit schreit ihr gleich, dass das Vaterland in Gefahr ist, und bis jetzt hat sich noch jedes Mal herausgestellt, dass alles halb so wild war.

Oder wollen Sie etwa bestreiten, dass die CIA fünf Millionen Dollar ausgegeben hat, um herauszufinden, wer dem Außenminister einen Zettel mit der Aufschrift ‚Ich bin doof’ auf den Rücken geklebt hat?

Das ganze war natürlich nur ein dummer Lausbubenstreich. Aber ihr habt darin einen Versuch subversiver Elemente gesehen, das Ansehen der USA in der Welt zu untergraben.“

„Was wollen Sie?“, entgegnete der Agent gekränkt. „Immerhin ist es uns im Zuge unserer Ermittlungen gelungen, im Haus des Außenministers eine Maus aufzuspüren, deren Fell total verwanzt war.

Ganz so harmlos, wie Sie denken, war diese Angelegenheit also auch wieder nicht. Und diesmal ist die Bedrohung noch tausendmal ernster.“

„Geben Sie es auf“, sagte Winston. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder als Detektiv arbeite, ist ungefähr so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass ... nun, dass zum Beispiel plötzlich auf der Straße vor meinem Laden Milch und Honig fließen.“

„Entschuldigen Sie, ich muss ganz dringend mal telefonieren“, sagte der Agent hastig, zog sich den linken Schuh aus und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass er unterwegs in ein Häufchen Hundekot getreten war.

„Sie haben nicht zufällig ein Stückchen Küchenrolle?“

„Aber gern. Moment. Hier bitte“, erwiderte Winston, und nachdem der Agent den Schuh notdürftig gereinigt hatte, hielt er ihn sich ans Ohr und sprach in den Absatz:

„Zentrale! Hier 003! Zentrale? Zentrale? Komisch, ich höre nichts.“

„Wenn ich Ihnen einen kleinen Tipp geben darf: Das liegt vermutlich daran, dass sich das Telefon in Ihrem rechten Schuh befindet“, bemerkte Winston. „Es gibt zwar Leute, die glauben, man könne links und rechts nicht verwechseln, aber das ist ein Irrtum.“

„Möglich wäre es“, gab der Agent zu und zog sich auch noch den rechten Schuh aus. „Ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für einen kompletten Idioten, aber wissen Sie, wir bekommen so oft neue Ausrüstungsgegenstände, dass es unmöglich ist, sich alles immer ganz genau zu merken. Entschuldigung. Einen Moment bitte.

Zentrale? Hier 003. Es geht um Folgendes, ich bin gerade bei James Winston, und ich habe ihn fast schon so weit.

Es gibt da nur noch ein kleines Problem, und zwar brauche ich jetzt unbedingt von euch einen Tankwagen, der mit einem Gemisch aus Milch und Honig gefüllt ist. Die Sache ist nämlich die, dass er sich einen Bach aus Milch und Honig wünscht, der...“

„Schluss mit dem Unsinn!“, rief Winston ärgerlich und entriss dem Agenten das Schuh-Telefon. „Hallo, Zentrale? Hier James Winston.

Ihr Agent hat da etwas missverstanden. Ich habe dieses Beispiel nur gewählt, um zu verdeutlichen, dass ich auf gar keinen Fall wieder als Detektiv arbeiten werde. Also sparen Sie sich bitte diese idiotische Aktion.“

Er gab dem Agenten seinen Schuh zurück, der ihn wieder an seinen Fuß steckte.

„Tja, ich schätze, das war’s dann wohl“, sagte Winston. „Aber falls Sie irgendwann einmal einen Fisch kaufen wollen, können Sie mich selbstverständlich herzlich gerne wieder besuchen.“

„Sie wollen ja bloß nicht mehr als Detektiv arbeiten, weil Sie sich bei Ihrem letzten Fall bis auf die Knochen blamiert haben“, behauptete der Agent. „Und was Sie doppelt schmerzte, war, dass ausgerechnet Ihr Erzfeind, der Gangsterboss Chinchilla, Ihnen diese Niederlage zugefügt hat, um Sie vor den Augen der ganzen Welt bloßzustellen.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Winston.

„Da staunen Sie, was? Wir haben natürlich unsere Erkundigungen eingezogen, bevor ich zu Ihnen geschickt wurde.

Die CIA arbeitet gründlich, das sollten Sie eigentlich wissen, Winston.“

„Für Sie immer noch Mister Winston, 003.“

Mister 003, Mr. Winston. Aber zurück zur Sache. Glauben Sie nicht, dass es besser wäre, nach einem glorreichen Sieg abzutreten als nach einer blamablen Niederlage?“

„Im Prinzip schon. Aber mir wurde damals bewusst, dass ich alle Freude an meinem Beruf verloren hatte. Also beschloss ich, mein Detektivbüro dicht zu machen und mich stattdessen ganz meiner großen Leidenschaft zu widmen, nämlich der Fischzucht.

Und Sie dürfen mir glauben, dass ich diesen Entschluss bisher noch keine Sekunde lang bereut habe.“

„Nun, wenn das so ist, dann sind Sie auch bestimmt nicht daran interessiert, Chinchilla diese bittere Niederlage heimzuzahlen“, sagte der Agent listig, während er sich zum Gehen wandte. „Der Fall, mit dem wir Sie beauftragen wollten, wäre dazu die beste Gelegenheit gewesen. Deshalb haben wir uns ja an Sie gewandt, weil kein anderer Chinchilla so gut kennt wie Sie.

Da Sie aber lieber Fischzüchter bleiben wollen – was ich verstehen kann, denn das ist eine sehr schöne, friedliche, beschauliche Tätigkeit - bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an einen anderen zu wenden. Schade. Nun denn: Schönen guten Tag noch, Mr. Winston.“

„Warten Sie!“, rief Winston.

„Was gibt’s denn noch?“, fragte der Agent. „Ach ja, ich habe ganz auf das Guppyweibchen vergessen, das Sie mir liebenswürdigerweise zu einem Sonderpreis angeboten haben.“

„Nein, darum geht es nicht. Kommen Sie mit, ins Hinterzimmer. Ich muss zugeben, dass es Ihnen gelungen ist, mich neugierig zu machen. Natürlich denke ich nach wie vor nicht daran, den Fall zu übernehmen, aber möglicherweise könnte ich Ihnen einige wichtige Informationen zukommen lassen.“

***

Der Strohmann

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