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3. Kapitel

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„Also, schießen Sie los“, befahl Winston, nachdem sie im Hinterzimmer Platz genommen hatten, und schenkte sich einen vierfachen Whisky ein.

Seinem Gast bot er vorsichtshalber nichts zu trinken an, weil er befürchtete, dass dieser das Angebot annehmen könnte.

„Haben Sie sich zufällig die Rede unseres Präsidenten zur Lage der Nation angesehen, Mr. Winston?“

„Leider nein. Wissen Sie, ehrlich gesagt interessiere ich mich nicht für Politik. Aber ich habe gehört, dass er keinen besonders guten Tag erwischt haben soll...“

„Ganz recht, Mr. Winston. Diese Rede war eine einzige Katastrophe. Spätestens nach dieser Rede wird kaum noch jemand daran zweifeln, dass unser Präsident tatsächlich an hochgradiger Oligophrenie leidet.“

„Entschuldigung. Oligo...“

„Oligophrenie. Das ist der medizinische Fachausdruck für Schwachsinn.“

„Alles klar. Aber eigentlich habe ich nicht den Eindruck, dass er besonders darunter leidet. Auf mich wirkt er eigentlich immer ziemlich zufrieden und ausgeglichen. Die Leidtragenden dürften doch wohl eher diejenigen sein, die die Folgen seiner schwachsinnigen Entscheidungen ausbaden müssen.

Und das sind glücklicherweise meistens irgendwelche Ausländer.“

„Das stimmt natürlich, Mr. Winston. Aber trotzdem hat diese völlig missglückte Rede seine Chancen auf eine zweite Amtsperiode nicht gerade verbessert. Nach jüngsten Umfragen halten ihn nur noch knapp 30 % für einen guten Präsidenten, und wenn der Kandidat der Demokraten auch nur einigermaßen attraktiv ist...“

„Alles gut und schön, aber was geht mich das an?“, unterbrach Winston. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich habe nichts gegen unseren Präsidenten. Ganz im Gegenteil, ich habe ihn sogar selbst gewählt. Aber ich würde schön langsam gerne wissen, was das alles mit Chinchilla zu tun haben soll.“

„Dazu komme ich gerade, Winston... äh... Mr. Winston.

Für die Vorwahl der Demokraten haben sich bisher drei Kandidaten angemeldet:

Dr. James Black, der Nobelpreisträger für Medizin, dem es gelungen ist, Heilmittel gegen AIDS, Krebs und Altersschwäche zu finden, dann der ehemalige Bodybuilder und nunmehrige Filmschauspieler Charlton Davis und, last not least, Willy, der weltberühmte dressierte Schimpanse.

Dr. James Black ist natürlich von vornherein chancenlos, weil er schwul ist und sich öffentlich zu seinem Lebensgefährten bekannt hat, und Willy sind auch nicht viel mehr als zwanzig Prozent der Stimmen zuzutrauen. Also wird aller Voraussicht nach Charlton Davis das Rennen machen.

Und nun komme ich zu dem Teil, der Sie interessieren wird:

Charlton Davis hat seine Karriere als Bodybuilder beim ‚Chikago Athletic Club’ beschlossen, der, wie Sie vielleicht wissen, Jeff Bucher gehört, der rechten Hand Chinchillas.

Nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Mister Universum wechselte Davis damals zum Athletic Club...“

„Das allein beweist noch gar nichts. Wahrscheinlich haben die ihm eine Menge Kohle dafür angeboten. Und ehrlich gesagt würde ich als Sportler mich auch nicht dafür interessieren, wem der Verein gehört, für den ich antrete, solange die Kasse stimmt.“

„Ich auch nicht“, erwiderte der Agent. „Aber finden Sie es nicht, vorsichtig ausgedrückt, etwas merkwürdig, dass Davis sich auch während seiner gesamten Filmkarriere im Dunstkreis der Organisation bewegt hat?

Und damit meine ich nicht bloß, dass sein Lieblingsregisseur Player höchstwahrscheinlich zur Organisation gehört, sondern vor allem, dass ausnahmslos alle Filme, an denen Davis bisher mitgewirkt hat, von GMG produziert worden sind.

Und GMG gehört, wie Sie vermutlich wissen, einem gewissen Claudio Verona alias Chinchilla, offiziell zwar nur zu einundfünfzig, de facto aber zu hundert Prozent.

Natürlich ist das immer noch kein Beweis...“

„Natürlich nicht“, sagte Winston nachdenklich. „Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es ein Zufall ist. Jeder, der Chinchilla kennt, weiß, dass dieser Mann nichts dem Zufall überlässt. Und wenn er einem Bodybuilder aus einem seiner Clubs zu einer großartigen Filmkarriere verhilft, dann erwartet er sich von ihm eine entsprechende Gegenleistung.“

„Eben“, sagte der Agent. „Und das bedeutet, dass der nächsten Präsident der Vereinigten Staaten aller Voraussicht nach ein Strohmann Chinchillas sein wird.“

„Sofern dieser Charlton Davis tatsächlich die Wahlen gewinnt.“

„Ganz recht. Und jetzt frage ich Sie, Mr. Winston, auf Ehre und Gewissen: Wollen Sie uns dabei helfen, dieses furchtbare Unheil von unserem Land abzuwenden, oder wollen Sie auch unter diesen Umständen bei Ihrem Nein bleiben?“

„Nein.“

„Wie darf ich das verstehen? Was meinen Sie mit Ihrem Nein? Nein oder Ja?“

„Wenn ich Nein sage, so heißt das immer Nein.“

„Das heißt, Sie wollen uns nicht helfen.“

„Nein.“

„Also schön, dann...“

„Nein, halt, warten Sie! Ich will Ihnen ja helfen! Ich verneinte nur Ihre Frage, ob ich bei Nein bleiben will. Unter diesen Umständen bleibt mir ja gar nichts anderes übrig, als diesen Fall zu übernehmen. Davis darf nicht Präsident werden und ich bin bereit, alles zu tun, um das zu verhindern.“

„Das freut mich“, erwiderte der Agent. „Großartig. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

„Ich auch nicht“, sagte Winston und schenkte sich noch einen Whisky ein.

Seinem Gast bot er wieder nichts an, weil er die knapp zwanzig Liter Whisky, die er zurzeit im Haus hatte, nur ungern mit jemandem geteilt hätte.

So wie viele große Männer neigte auch er zu einem gewissen gesunden Egoismus.

***

Der Strohmann

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