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»Ich war Königin am Nil …« Die Weltbürgerin Djavidan Hanum geb. May Gräfin Török von Szendrö

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Das Zeitalter der »Grandes Dames« ist endgültig vorbei, der Stoff für die atemberaubenden Stories von den mondänen Salondamen, die zugleich über ein hohes Maß an Bildung verfügen, wird knapper und knapper. Wo das Auge hinblickt, macht sich lähmende Nivellierung breit.

Eine der letzten, die noch das Prädikat »Dame von Welt« verdienen, ist Djavidan Hanum. Auf dem Sankt-Leonhard-Friedhof in Graz befindet sich ihr Grab, und am Hausportal ihrer letzten Wohnstätte, Wittekweg 7, kündet eine Gedenktafel von ihrem extravaganten Leben. Wer sich aufmacht, den Spuren der 1968 Verstorbenen zu folgen, muß allerdings tiefer schürfen: Die nüchterne Formulierung »Sie schrieb und musizierte, sie komponierte und malte« gibt nichts von der abenteuerreichen Vita dieser Weltbürgerin wieder, die 17 Jahre vor ihrem Tod mit der Veröffentlichung ihrer Memoiren Aufsehen erregt: mit dem 1951 in der »Münchner Illustrierten« erschienenen Fortsetzungsbericht »Ich war Königin am Nil«.

Ja, das war sie, und sie war noch vieles mehr – diese um 1877 als May Gräfin Török von Szendrö in Philadelphia Geborene. Es lohnt sich also, dieses einzigartige Schicksal der Vergessenheit zu entreißen, das von höchstem Aufstieg wie von tiefster Enttäuschung geprägt ist, von leidenschaftlichen Amouren und künstlerischen Spitzenleistungen, vom Glanz des alten Österreich und vom geheimnisvollen Zauber à la Tausendundeine Nacht.

Sie ist ein Kind der Donaumonarchie. Der ungarische Magnat Joseph Graf Török von Szendrö ist ihr Vater, Sophie Gräfin Vetter von der Lilie ihre Mutter. Doch die Ehe der Eltern geht auseinander: Gräfin Sophie verliebt sich während einer Amerikareise in den aus Pest stammenden und in jungen Jahren in die USA ausgewanderten Industriellen Theodor Puskas von Ditro. Herr über Silberminen, Goldbergwerke und Erdölfelder, zählt Puskas seit kurzem zu den engsten Mitarbeitern des Erfinders Thomas Alva Edison und zieht in dessen Auftrag durch die Lande, um der neuesten Errungenschaft der Kommunikationstechnik zum Durchbruch zu verhelfen: Gleichermaßen begnadeter Techniker wie erfolgreicher Geschäftsmann, errichtet er in zahlreichen Städten Telefonzentralen. Als er an der Seite seiner Lebensgefährtin nach Europa zurückkehrt, diese 1882 in England heiratet und wenig später Edisons Erfindung auch auf der Pariser Weltausstellung präsentiert, ist es Kleinkind May, dem die Ehre widerfährt, im US-Pavillon auf den Knopf zu drücken und die Telefonleitung in Gang zu setzen.

Als Europa-Emissär des großen Edison setzt Puskas nun seine Pionierarbeit in der Alten Welt fort, man logiert in den Luxushotels der diversen Metropolen, und wenn man des ständigen Herumreisens müde ist, zieht sich die junge Familie auf ihren österreichischen Besitz zurück: Schloß Waasen in der Steiermark.

May, von ihren Eltern betont frei erzogen und ungetauft, um über ihre spätere Religionswahl selbständig entscheiden zu können, ist dreizehn, als sie eines Tages ohne jede Begleitung in den Zug nach Wien steigt, um ihren Bruder wiederzusehen, der in der Reichshaupt- und Residenzstadt das Theresianum besucht. In der berühmten Adelsschule wimmelt es von Prominentensprößlingen: Zu den Klassenkameraden des jungen Török zählen unter anderem die Söhne des Schahs von Persien, eines indischen Maharadschas und des Vizekönigs von Ägypten. Besonders letzterem, dem 16 Jahre alten Prinzen Abbas Hilmi, gilt seine ganze Bewunderung: Der junge Mann verfügt über einen eigenen Trakt in dem hochvornehmen Institut an der Favoritenstraße; zu seinem Gefolge zählen ein arabischer Scheich, ein türkischer Privatlehrer, ein eigener Sekretär und ein Diener.

Als May im Theresianum eintrifft und der Bruder ihr entgegeneilt, um die Dreizehnjährige zu ihrem Gästezimmer zu begleiten, ist Prinz Abbas Hilmi gerade im Begriff, den Zweispänner zu besteigen, der für eine seiner täglichen Ausfahrten bereitsteht: Man wird einander vorgestellt. Das bezaubernde Lächeln, mit dem der Araberprinz die blutjunge Besucherin willkommen heißt, geht Backfisch May durch Mark und Bein, und das gleiche Spiel wiederholt sich, als man einander tags darauf bei dem in den Festsälen des Theresianums veranstalteten Abschlußball ein weiteres Mal begegnet und May von dem in seiner Galauniform noch eleganter Auftretenden zum Walzertanz aufgefordert wird. Auch, als das frühreife Persönchen längst wieder ins elterliche Schloß in der Steiermark heimgekehrt ist, erkundigt sie sich bei ihrem Bruder nach dessen charmantem Klassenkameraden und erfährt so, daß der Bedauernswerte sein Studium in Wien abgebrochen und die Heimreise nach Ägypten angetreten hat: Sein Vater ist gestorben, und Prinz Abbas Hilmi muß von einem Tag auf den anderen den Thron besteigen.

Zehn Jahre verstreichen. May, nun eine blühende Schönheit von dreiundzwanzig, weilt zu Besuch in Paris. Und welch seltsame Fügung: Sie und Abbas Hilmi, der sich zur selben Zeit in der französischen Hauptstadt aufhält, laufen einander per Zufall in die Arme. Jahrzehnte später, in ihren Lebenserinnerungen, wird sie die schicksalhafte Wiederbegegnung im Detail schildern:

»Ich kam vom Blumenmarkt an der Madeleine, den Arm voll Rosen, und ging in die Halle eines großen Hotels, wo ich mich mit einer Freundin treffen wollte. Als ich mich nach ihr umsah, stand plötzlich der junge Khedive vor mir. Sein Gesicht war reifer und ernster geworden, aber die graublauen Augen hatten das gleiche unbeschreibliche Leuchten, als strahlte aus ihnen die ganze Sonne Ägyptens. Vor Verwirrung ließ ich meine Rosen fallen, und wir mußten beide lächeln. Das erste Wort, das er zu mir sprach, war: ›In Ägypten sind die Rosen noch viel schöner.‹ Wir setzten uns in eine stille Ecke, und er erzählte mir, wie anders sein Leben geworden sei, seit wir uns in Wien gesehen hatten – der Tod seines Vaters, die große Verantwortung für das Glück seines Landes, die schwierigen politischen Verhältnisse zwischen den Großmächten. Dann schwieg er einen Augenblick und sagte schließlich ganz leise: ›Ich glaube, Sie würden mir Glück bringen.‹ Die Tage, die er noch in Paris blieb, waren im offiziellen Programm nicht vorgesehen, aber sie entschieden über mein Leben. Aus dem Sonderzug, der ihn nach Triest brachte, schrieb er mir drei Briefe, die er an den verschiedenen Stationen zum Erstaunen seines Gefolges selbst in den Briefkasten warf. Im letzten stand: ›Bezauberin, Du wirst kommen, und wir werden glücklich sein.‹«

May Török von Szendrö, kaum heimgekehrt auf den elterlichen Besitz in der Steiermark, nimmt Abschied von Schloß Waasen und tritt die Reise nach Nordafrika an. Da ihr künftiger Gemahl seit fünf Jahren mit einer anderen, der ägyptischen Prinzessin Ikbal Hanum, verheiratet ist und Abbas Hilmis Mutter einer Ehe mit einer nichtmuslimischen Europäerin ihre Zustimmung verweigert, ist nur eine heimliche Trauung möglich, der erst Jahre später, als May nach intensivem Studium des Islam den neuen Glauben annimmt, auch die offizielle folgen wird. Unter dem neuen Namen Zubeida Hanum nun also die Zweitfrau des Khediven und Prinzessin, lebt sich die Mittzwanzigerin in die Sitten und Gebräuche des Haremalltags ein, versucht, ihrem »Gebieter« eine gute Gesponsin zu sein, lernt mit den Intrigen des Hofstaates fertigzuwerden, hält den Freiheitswillen der im Grunde emanzipierten Intellektuellen im Zaum und kann dennoch das Scheitern ihrer Ehe nicht aufhalten. Als der Khedive, statt sich mit ihr persönlich auszusprechen, den Beschuldigungen einer böswilligen Verleumderin Glauben schenkt, ist für Zubeida Hanum der Zeitpunkt gekommen, die Trennung von ihrem Mann einzuleiten und nach Europa zurückzukehren.

Nun also wieder in Österreich, eröffnet die einvernehmlich Geschiedene in Wien einen Schönheitssalon und beginnt, auch was ihren Umgang mit dem anderen Geschlecht betrifft, ein neues, ein drittes Leben. Schon als Kind hochmusikalisch, nimmt sie bei dem berühmten Pianisten, Komponisten und Frauenhelden Eugen d’Albert Klavierunterricht, in einem der Wiener Literatencafés lernt sie den Schriftsteller Otto Kaus kennen, auch der Zeichner Olaf Gulbransson, die spätere Hermann-Broch-Gefährtin Ea von Allesch sowie das Ehepaar Gerhart und Margarethe Hauptmann zählen zu ihrem Freundeskreis, und der Dichter Robert Musil macht die nunmehr unter dem Namen Djavidan Hanum ins Wiener Gesellschaftstreiben Eintauchende, ohne sie freilich persönlich zu kennen, sogar zur literarischen Figur, indem er sie sowohl in seinem Theaterstück »Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer« als auch in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« – wenn auch sorgsam verschlüsselt – verewigt.

Während ihr Exgatte, am 19. Dezember 1918 von den britischen Protektoratsherren entmachtet und seiner Thronrechte beraubt, in die Schweiz emigriert und als Bankier in Genf ein neues Leben beginnt, faßt Djavidan Hanum in Berlin Fuß, kommt mit der dortigen Filmindustrie in Berührung, arbeitet für die UFA und macht sich vor allem daran, ihre Erinnerungen an die Jahre an der Seite des Vizekönigs von Ägypten zu Papier zu bringen. Unter dem Titel »Harem« veröffentlicht der Berliner Verlag für Kulturpolitik 1930 ihr brisantes Memoirenwerk, dem später noch die Novellensammlung »Gülzar, der Rosengarten«, ein Lyrikband, eine Reihe von Hörspielen, ja sogar eine eigene Orchesterkomposition folgen werden.

Mit dem aus der Sowjetunion geflohenen ehemaligen zaristischen Offizier Simon Kulatschkoff, der, nunmehr Schauspieler und Sänger, ihr ständiger Begleiter ist, übersiedelt die fünfzehn Jahre Ältere 1936 nach Wien. Das Kriegsende, das mit dem Vorrücken der Roten Armee für einen russischen Emigranten nichts Gutes verheißt, erleben Djavidan und Simon im fernen Innsbruck. Kulatschkoff tritt einen Posten in der Industrie an, Djavidan arbeitet als Dolmetscherin für die französische Besatzung.

Ihr Versuch, eines Tages die alten Verbindungen in Paris wiederaufleben zu lassen, endet tragisch: Als Djavidan während eines nostalgischen Spaziergangs vor dem Haus, in dem sie seinerzeit mit dem Khediven glückliche Stunden verbracht hat, ohnmächtig zusammenbricht, tritt bei der Überprüfung der Papiere durch die Pariser Polizei zutage, daß dies arme Häufchen Elend vorzeiten die Gemahlin eines regierenden Monarchen gewesen ist.

Die Heiratsanträge, die ihr daraufhin – die Presse berichtet über den Vorfall ausführlich – ins Haus flattern, schmeicheln zwar der alten Dame, können sie jedoch nicht in der Treue zu ihrem Lebensgefährten Simon Kulatschkoff beirren. Das aus England eintreffende Angebot, sich zu Probeaufnahmen für den geplanten Film »Queen for a Day« einzufinden, scheitert an der Weigerung ihres »erhabenen Vetters«, König Georges VI., der Hilfesuchenden zu einem Visum zu verhelfen. Bleibt also zur Sanierung ihrer Finanzen nur die Möglichkeit, einer großen deutschen Illustrierten ihre Memoiren zu verkaufen und im übrigen zu ihrem Cousin, Freiherrn Heinrich von Hammer-Purgstall, in die Steiermark zu ziehen, wo sie und ihr Gefährte fortan in Schloß Hainfeld bei Feldbach logieren.

Hier entdeckt Djavidan Hanum ein letztes, in ihr schlummerndes Talent: Sie beginnt zu malen, und tatsächlich hat sie mit den berauschenden orientalischen Motiven ihrer rund 200 Bilder Erfolg, kann sogar eine Auswahl der besten in Wien, Graz und Amsterdam ausstellen. Von dem Erlös aus dem Verkauf eines Schloßbesitzes, den sie sich allerdings mit 35 weiteren Erben teilen muß, kann sie zwei kleine Eigentumswohnungen in Graz erwerben, wovon eine Simon Kulatschkoff und die andere sie selber bezieht. Bei ihrer Übersiedlung nach Graz eine Frau von siebenundsiebzig, bleibt die von Natur aus Rastlose auch jetzt nicht untätig, sondern malt weiter ihre Bilder, und ihre Hausnachbarn, von denen die wenigsten wissen, welch abenteuerreiches Leben die imposante alte Dame hinter sich hat, wissen deren freundliches Wesen so sehr zu schätzen, daß sie ihr nicht einmal ihr temperamentvolles nächtliches Musizieren verübeln. Sieben Wochen nach ihrem 91. Geburtstag stirbt Djavidan Hanum und wird auf dem Friedhof von Graz-Sankt-Leonhard beigesetzt.

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