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Rote Madonna Die Volksbildnerin Emma Adler

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Emma Adler – ist das nicht diese in jungen Jahren bildhübsche Person, die für die Madonna an der Altarwand der Pfarrkirche von Nußdorf am Attersee Modell gestanden ist?

Das ist sie auch. Aber eben nur auch. Es ist an der Zeit, sich um ein vollständigeres Bild dieser in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Frau zu bemühen.

Fangen wir dennoch mit dieser Geschichte an. Sie ist es schließlich, die die Gattin des österreichischen Sozialistenführers Victor Adler berühmt gemacht hat, und eine schöne Geschichte ist es obendrein.

Seit 1879 sind die beiden miteinander verheiratet – sie ist zu dieser Zeit zwanzig, er sieben Jahre älter.

Ab 1886 reist die Familie regelmäßig in das kleine Salzkammergutdorf Parschallen zur Sommerfrische. Besonders die Kinder genießen die Freuden des Landlebens. Da die Adlers aber einen großen Freundeskreis haben, mit dem man sich auch während der Ferien trifft, muß Frau Emmas Haushalt stets für Gäste gerüstet sein, die anständig zu bewirten sind. Das ist im kleinen Parschallen, das zu dieser Zeit nur aus fünf einfachen Bauernhöfen besteht, nicht ganz leicht. »Weit und breit«, so wird Emma Adler später in ihren tagebuchartig angelegten Erinnerungen festhalten, »war nichts zu bekommen. Im Ort selbst wuchs außer Getreide nichts – nur ein paar armselige Zwetschkenbäume, die wenig Früchte abwarfen. So schickten wir vor unserer Abreise aufs Land Fässer und Kisten voraus, die mit Kolonialwaren gefüllt waren.«

Die frischen Lebensmittel holt man sich vom Greißler im drei Kilometer entfernten Nachbarort Nußdorf. Ist es ein größerer Transport, so rückt der Hausherr persönlich aus, schnallt sich den Rucksack über und kehrt schwerbepackt heim. Kleinere Lasten übernimmt seine Frau. Und bei einem dieser Einkaufsgänge – es ist im Sommer 1887 – wird Emma Adler, die ihrer Attraktivität wegen auch von den Einheimischen geachtete Achtundzwanzigjährige, von einem Fremden angesprochen, der sich als akademischer Maler zu erkennen gibt und gerade den Auftrag erhalten hat, für die Nußdorfer Kirche ein neues Marienbild anzufertigen. Für den Jesusknaben hat er unter den Dorfkindern unschwer das geeignete Modell gefunden, jetzt braucht er bloß noch eine Madonna. Ob sie, die schöne Fremde, vielleicht so freundlich wäre, ihm für ein paar Porträtsitzungen zur Verfügung zu stehen?

Emma Adler, einerseits geschmeichelt, andererseits – als bekennende Jüdin und Sozialistin – voller Zweifel, ob sie recht daran tue, auf ein solches Angebot einzugehen, bittet um Bedenkzeit und bespricht die Angelegenheit mit ihrem Mann. Victor Adler, der sich seinerseits nach der Heirat hat taufen und auch die Kinder in die protestantische Kirche hat aufnehmen lassen, um ihnen »die blödsinnigen Scherereien zu ersparen, die in Österreich Konfessionslosigkeit herbeiführt«, hat keine Bedenken, und so kann Meister Emanuel Oberhauser – so der Name des Künstlers – ans Werk gehen und sein Marienbild malen: mit Emma Adler als Modell.

Anders denken darüber die strenggläubigen Einheimischen; Emma Adler berichtet in ihren autobiographischen Aufzeichnungen:

»Als das fertige Bild den Altar schmückte, waren die Bauern entrüstet und riefen: ›Des is’ ja d’ Adlerin und nit an Eichtel die Muttergottes!‹«

Heute, 117 Jahre nach dem unerhörten »Frevel«, eine Andersgläubige und obendrein Exponentin der »linken Reichshälfte« für eine katholische Devotionalie einzuspannen, hat die seinerzeitige Affäre nur noch Kuriositätswert, und diejenigen, die davon wissen, versäumen bei ihrem Attersee-Aufenthalt nicht, der Nußdorfer Pfarrkirche einen Besuch abzustatten und den »Stein des Anstoßes«, der nach wie vor seinen angestammten Platz an der Wand des linken Seitenaltars einnimmt, zu bestaunen.

Wer sich damit nicht begnügt, sondern mehr über Emma Adler wissen will, ist auf die einschlägigen Bibliotheken angewiesen, und siehe da, er wird Leben und Werk einer Frau kennenlernen, die es in der Tat wert ist, der Vergessenheit entrissen zu werden …

Im ungarischen Debrecen, das sowohl während der Revolution von 1848/49 wie auch nach dem Einmarsch der Sowjets 1944/45 vorübergehend Regierungssitz (und geschichtlich Uninteressierten zumindest durch eine nach ihm benannte, auch in Österreich populäre Wurstsorte vertraut) ist, kommt Emma Braun 1859 zur Welt. Der Vater ist im Eisenbahnbau tätig; ein Muster an Disziplin und Ehrgeiz, findet man ihn während der warmen Jahreszeit schon um 4 Uhr morgens an seinem Arbeitsplatz, wo er die Errichtung der wichtigen Bahnstrecke nach Budapest beaufsichtigt. Auch von seinen sieben Kindern erwartet der Herrisch-Strenge überdurchschnittlichen Fleiß.

Sohn Heinrich, Emmas Lieblingsbruder, wird es später bis zum führenden Publizisten der deutschen Sozialdemokratie bringen; einer seiner Mitschüler am Akademischen Gymnasium in Wien ist Sigmund Freud. Und er, Heinrich Braun, ist es auch, der Emmas Ehe »stiftet«: Nur zwei Männer, so sagt er, seien seiner ebenso schönen wie klugen Schwester würdig – Friedrich Nietzsche und Victor Adler. Daß es letzterer ist, der das »Rennen« macht, hat Bruder Heinrich eingefädelt: Der Prager Millionärssohn und nunmehrige Jungarzt für Neurologie Victor Adler, sieben Jahre älter als Emma, lernt seine künftige Frau beim gemeinsamen Musizieren kennen. Sie sitzt am Klavier und spielt Beethoven, er blättert die Noten um. Auch Goethe ist ein Thema, das die beiden jungen Menschen miteinander verbindet. 1878 wird geheiratet.

Als sich Victor Adler der Politik zuwendet, wird Emma seine engste und eifrigste Mitstreiterin. Während er sein gesamtes elterliches Erbe in die noch junge Arbeiterbewegung steckt, nimmt sie, die gleichfalls aus wohlhabenden Verhältnissen kommt, jedwede Entbehrung auf sich, um dem von ihrem Mann vorgegebenen Ziel zu dienen: Als am 1. Mai 1890 die Wiener Arbeiter zum Mai-Aufmarsch in den Prater strömen, steckt sie ihre Kinder ins Bett und schließt sich dem Demonstrationszug an.

Umfassend gebildet und in mehreren Fremdsprachen sattelfest, macht sich Emma Adler mit Vorträgen und Sprachkursen im »Arbeiter-Bildungsverein« nützlich. Außerdem redigiert sie die Jugendbeilage der »Arbeiter-Zeitung«, gibt Sammelwerke wie »Bücher der Jugend« heraus, übersetzt englische, italienische und russische Belletristik ins Deutsche, schreibt Abhandlungen über »Die Frauen der Großen Französischen Revolution« und über »Goethe und die Frau von Stein«. Auch ihre Erfahrungen mit dem Armeleuteleben der Attersee-Bauern, das sie während des alljährlichen Urlaubs im kleinen Parschallen kennengelernt hat, finden ihren Niederschlag in einer ihrer zahlreichen Veröffentlichungen: Emma Adlers Studie »Bauerndasein« erscheint 1898 im österreichischen »Arbeiter-Kalender«.

Schon zuvor hat sie in einem Aufruf die Werktätigen ihres Landes dazu animiert, zur Feder zu greifen und über ihr Leben zu berichten. »Es wird die Leser«, so schreibt sie im Vorwort des auf diese Weise zustandekommenden Sammelbandes, »gewiß interessieren, zu erfahren, wie Leute, die schon in frühester Kindheit den Kampf ums Dasein aufnehmen mußten und nicht einmal die geringe Schulbildung der heutigen Proletarierjugend genossen haben, es dazu gebracht haben, ihre Gedanken so frisch mitzuteilen, daß diese Beiträge zu den besten des Buches gehören.« Eine Spinnerin, ein Schneider, ein Weber und ein Glasschleifer debütieren unter ihrer Anleitung als Autoren.

Nur ihre eigenen Probleme behält Emma Adler für sich: Als Marie, eines ihrer drei Kinder aus der Ehe mit Victor Adler, zum Dauerfall für die Psychiatrie wird, verfällt auch sie in schwerste Depressionen. Zwei Selbstmordversuche sind die Folge: Seit dem 11. November 1918 Witwe, will sich die auch über die Gewalttat ihres Sohnes Friedrich Verzweifelte (der am 21. Oktober 1916 aus Protest gegen dessen Kriegspolitik den amtierenden Ministerpräsidenten Graf Stürkh erschossen hat) aus dem Fenster stürzen.

Gleichwohl wird sie ihren Lebensabend – Emma Adler stirbt am 23. Februar 1935 im Alter von 75 Jahren – an der Seite ihres Sohnes im Schweizer Exil zubringen: Der zum Tod verurteilte Friedrich Adler ist nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie amnestiert worden und hat sich als Sekretär der Sozialistischen Internationale in Zürich niedergelassen.

In ihrem Testament äußert Emma Adler die Befürchtung, sie könnte als Gattin des prominenten Politikers Victor Adler nach ihrem eigenen Hinscheiden ebenfalls »in Wort und Schrift verherrlicht«, ja mit »Tugenden und Talenten« ausgestattet werden, die sie »nie besessen« habe. Um dies zu vermeiden, verfüge sie, »in Ruhe und wortlos der Erde übergeben zu werden«. Ihrem Wunsch wird entsprochen: Die Beisetzung auf dem Zürcher Friedhof Rehalp findet in aller Stille statt.

Verborgener Ruhm

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