Читать книгу Dietmar Grieser für Kenner - Dietmar Grieser - Страница 15

Vom Ladenschwengel zum Meisterregisseur

Оглавление

Josef von Sternberg

Als dem Schauspieler William Powell 1929 ein frischer Hollywood-Vertrag zur Unterschrift vorgelegt wird, besteht er auf der Zusatzklausel, er dürfe niemals wieder für einen Film verpflichtet werden, bei dem Josef von Sternberg Regie führt. Auch für andere aus der Branche ist der zu dieser Zeit Fünfunddreißigjährige ein Leuteschinder sondergleichen, und als er gegen Ende seines Lebens zur Feder greift und seine Erinnerungen niederschreibt, bemüht er sich selber um eine Erklärung für sein tyrannisches Walten hinter der Kamera. Ob es mit seiner harten Kindheit zu tun haben mag?

Jonas Stern – so der bürgerliche Name des am 29. Mai 1894 im Wiener Bezirk Leopoldstadt Geborenen – wächst in bedrückenden Verhältnissen auf: Für jede Tracht Prügel muß er dem Vater die Hand küssen, sein Religionslehrer macht aus dem Hebräisch-Unterricht ein sadistisches Inferno, die Freuden der Praterlokale mit ihren duftenden Gänsebraten, schäumenden Limonaden und betörenden Strauß-Walzern kennt er nur vom »Speanzeln« durch den Zaun.

Aber auch im gelobten Land Amerika, wohin die siebenköpfige Familie 1908 auswandert, läßt das Glück auf sich warten: Der Vierzehnjährige darf in einem New Yorker Putzmacherladen Kellerstiege und Trottoir reinigen, und als er auch diesen Job verliert, muß er froh sein, sich mit Schneeschaufeln durchzubringen, mit Hausieren oder mit dem Zustellen von Packpapier.

Der »Einstieg« ins Filmgeschäft erfolgt, als ihn ein gleichaltriger Bursche, den er beim Streunen durch die Parks von Manhattan kennengelernt hat, in die Geheimnisse einer Kellerwerkstatt einweiht, in der dessen Vater mit einer selbstgefertigten Apparatur ramponierte Filmbänder »aufmöbelt«. Für 15 Dollar pro Woche darf Jung-Jonas mit Rasierklinge und Klebstoff mithelfen, in der Reparaturabteilung einer Verleihfirma die verschlissenen Kopien von ihren Verschmutzungen, Schrammen und Rissen zu befreien, damit sie wenigstens noch fürs Abspielen in drittklassigen Vorstadtkinos taugen.

Da er seine Sache gut macht, steigt unser Held mit der Zeit zum Leiter der Versandabteilung auf: Nun hat er dafür zu sorgen, daß die Kinos pünktlich ihre Filmrollen bekommen. Und als er sich eines Tage in jenem Vorführraum zu schaffen macht, in dem sich die Regisseure die Muster ihrer vor der Endfertigung stehenden Streifen ansehen, wird man auch dort auf den cleveren Typ aufmerksam und überträgt ihm – noch befinden wir uns in der Stummfilmära! – die Kontrolle der Zwischentitel.

Was er hier den Aufnahmeleitern, Scriptgirls und Cutterinnen bei deren Arbeit abguckt, kommt ihm zustatten, als er während des Ersten Weltkrieges zum Militär einrückt: Jonas Stern kann sich bei der Herstellung wehrertüchtigender Lehrfilme für die US-Army nützlich machen. Und als er 1918 die Uniform ablegt, ist er endgültig für höhere Aufgaben reif, steigt als Regieassistent voll in die Branche ein und dreht sieben Jahre darauf sogar seinen ersten eigenen Film: »The Salvation Hunters«.

Charlie Chaplin erkennt das Talent des besonders auf Unterwelt-Sujets und düstere Stimmungen spezialisierten Regieneulings, Produzenten machen die erforderlichen Geldmittel locker, Hollywood-Stars wie Emil Jannings verhelfen dem Vierunddreißigjährigen, der sich inzwischen den wohlklingenden Künstlernamen Josef von Sternberg zugelegt hat, zum Durchbruch. Und als der gleiche Jannings, vor der Rückkehr nach Europa stehend, an seinem Debüt beim gerade aufkommenden Tonfilm bastelt, nimmt er den zehn Jahre Jüngeren kurzerhand nach Berlin mit und betraut ihn mit der Regie des »Blauen Engels«.

Heinrich Mann erklärt sich mit der totalen Umkrempelung der Story vom »Professor Unrat« einverstanden, Carl Zuckmayer verwandelt die Romanvorlage in ein Drehbuch, Friedrich Holländer steuert die Musik bei. Nur die Hauptdarstellerin fehlt noch: Wer käme für die Rolle des verruchten Vamps Lola in Betracht, die den Schultyrannen Raat zugrunde richtet? Sternberg blättert in den Photokatalogen der Schauspieleragenturen. »Frl. Dietrich« heißt die unbekannte Blondine, die ihm ins Auge sticht. Doch sein Assistent, um seine Meinung befragt, winkt ab: »Der Popo ist nicht schlecht, aber brauchen wir nicht auch ein Gesicht?« Da sieht Sternberg sie wenige Tage später wieder – und diesmal leibhaftig: Mehr oder minder zufällig ist er in eine Theatervorstellung geraten, in der dieses »Frl. Dietrich« – Georg Kaisers Revuestück »Zwei Krawatten« steht auf dem Programm – eine kleine Rolle innehat. Und jetzt fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Die oder keine!

Alles Weitere ist Filmgeschichte: »Der blaue Engel« wird zur Weltsensation. Und Marlene Dietrich folgt ihrem Entdecker, als dieser in seine Wahlheimat zurückkehrt, nach Amerika und dreht unter seiner Regie ein Meisterwerk nach dem anderen: »Marocco«, »Blonde Venus«, »Shanghai Express«, »Die scharlachrote Kaiserin«, »Die spanische Tänzerin«. Und als wären Sternberg und sein Superstar schicksalhaft aufeinander angewiesen, wird keiner seiner späteren Filme – darunter »The King steps out«, »Sergeant Madden«, »The Shanghai Gesture«, »Jet Pilot«, »Macao« und der in Japan gedrehte »Anatahan« – an jene Hits der dreißiger Jahre anknüpfen, die Sternberg mit Marlene Dietrich geglückt sind. Mit sechzig zieht er sich aus dem Filmbetrieb zurück, 1965 veröffentlicht er seine Memoiren, am 22. Dezember 1969 stirbt der einstige Wiener Praterbengel Jonas Stern alias Josef von Sternberg fünfundsiebzigjährig in einer Klinik in Hollywood.

Aus: Heimat bist du großer Namen, 2000

Dietmar Grieser für Kenner

Подняться наверх