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James Bond jagt nicht nur Verbrecher, sondern auch Kolibris

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Herbst 1960. Der Londoner Verlag William Collins Sons & Co. hat von dem Standardwerk »Die Vogelwelt der Karibik«, das er seit 24 Jahren in seinem Programm hat, eine auf den jüngsten Stand gebrachte Neuauflage herausgegeben; nun erhält der Autor die ersten Rezensionen, die sich in der Presseabteilung angesammelt haben. Das dicke Kuvert mit den Zeitungsausschnitten geht nach Amerika: Der Adressat ist Kurator für Vogelkunde an der Akademie für Naturwissenschaften in Philadelphia. Sein Name: James Bond.

Der Sechzigjährige, der in Cambridge studiert und acht Jahre seines Lebens in England zugebracht hat, ist die Nr. 1 unter den Ornithologen der Region Kleine Antillen, Große Antillen und Bahamas; nicht weniger als 429 Vogelarten hat er unter die Lupe genommen, und darunter sind etliche, die er entdeckt und als erster beobachtet und beschrieben hat.

Professor Bond, ganz und gar der Typ des in seinen Forschungsgegenstand vernarrten Gelehrten, ist mit der Schriftstellerin Mary Wickham verheiratet, die, ebenso wie er aus Philadelphia stammend, für Magazine wie »The Ladies’ Home Journal«, »Town and Country« und »The Forum« Gedichte und Kurzgeschichten verfaßt. Und sie ist es auch, die ihrem Mann – vor allem, wenn er auf Exkursion außer Landes weilt – die Post besorgt, die Korrespondenz abnimmt.

Auch der soeben eingelangte Verlagsbrief aus England geht zuerst durch ihre Hand. Mrs. Bond findet vorderhand nichts Auffälliges an den paar Ausschnitten, die sie da dem Umschlag entnimmt: Rezensionen aus ornithologischen Fachpublikationen – ihr Mann wird sich freuen, daß auch die Neuauflage seines Buches ein so lebhaftes Echo auslöst. Nur einer der Artikel macht sie stutzig: Es ist eine Glosse aus der Londoner »Sunday Times«, deren Autor sich darüber erstaunt zeigt, »daß James Bond sich nun auch als Vogelkundler entpuppt hat«.

Mrs. Bond schüttelt den Kopf: Was um Himmels willen sollte daran so überraschend sein? Ist ihr Mann nicht seit einem Vierteljahrhundert ornithologisch tätig, ja als Koryphäe seines Faches weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus etabliert und anerkannt? Mrs. Bond liest also weiter. Aber auch aus dem P.S., mit dem der ominöse Beitrag endet, wird sie nicht klug: »Irrtum!« schreibt der Verfasser in seinem Nachsatz. »Soeben entdecke ich, daß es sich bei dem Mann, der das Buch »Birds of the West Indies« geschrieben hat, um einen ganz anderenJames Bond handelt: um den Kurator für Vogelkunde an der Akademie für Naturwissenschaften in Philadelphia.« Und dann der Schlußsatz: »Sorry for the mistake.«

Was für ein »mistake«?

Auch Professor Bond, den seine sichtlich irritierte Gattin daraufhin zu Rate zieht, kann sich auf das Geschreibsel der »Sunday Times« keinen Reim machen. Erst eine Begegnung mit dem US-Vertreter des Verlages Collins, der sich zufällig in Philadelphia aufhält und zu einem Gedankenaustausch mit Mr. und Mrs. Bond zusammentrifft, bringt Licht in die rätselvolle Angelegenheit: Ein englischer Krimi-Autor namens Ian Fleming habe seit einiger Zeit riesigen Erfolg mit Romanen rund um einen Geheimdienstagenten, dessen Code 007 laute und dessen bürgerlicher Name James Bond.

Das Ehepaar Bond in Philadelphia hat keinen Zugang zu dieser Art von Literatur, liest prinzipiell keine Krimis, weiß also auch nichts von der stetig wachsenden Popularität dieser angeblich so exzentrischen Romanfigur, amüsiert sich jedoch über die zufällige Namensgleichheit und läßt im übrigen das Ganze auf sich beruhen. Auch die Lektüre eines der Fleming-Bücher – es ist der Band »James Bond jagt Dr. No« –, der man sich, nun doch neugierig geworden, unterzieht, hat lediglich zur Folge, daß Mrs. Bond ihren Spaß daran hat, die irrwitzigen Abenteuer des Romanhelden mit dem beschaulichen Zoologen-Alltag ihres Mannes zu vergleichen: Welch ein Glück, daß »ihr« James Bond nur hinter Kolibris und Flamingos her ist und nicht wie sein fiktiver Namensvetter hinter einem Monster wie diesem gemeingefährlichen Wissenschaftler Dr. No, der sich anschickt, mit Hilfe radioaktiver Strahlen das amerikanische Raumfahrtprogramm zu zerstören.

Die Angelegenheit, von den Bonds in Philadelphia bald schon wieder vergessen, nimmt eine neue Wendung, als im Jahr darauf unser US-Ornithologe von einer seiner Forschungsreisen zurückkehrt und seine Frau die von unterwegs mitgebrachten Filme zum Entwickeln bringt. Mrs. Bond zählt zu den Stammkunden in Dedaker’s Camera Shop; der Verkäufer in dem kleinen Laden glaubt ihr also eine Freude zu machen, als er sie mit den Worten begrüßt:

»Haben Sie schon den Artikel über Ihren Mann gelesen? Toll!«

»Was für einen Artikel?«

»Na, im ›Playboy‹!«

Mrs. Bond weiß von keinem Artikel im »Playboy« – das ganze Blatt ist ihr fremd. Nun aber doch mißtrauisch geworden, besorgt sie sich besagte Ausgabe, blättert mit spitzen Fingern das Heft durch und stößt tatsächlich, mittendrin zwischen all den schrillen Nuditäten, auf ein Interview mit James-Bond-Autor Ian Fleming, in dem dieser über die Herkunft des Namens seines Romanhelden Auskunft gibt. Und was bekommt Mary Wickham Bond da zu lesen? Sie kann es kaum fassen: Ian Fleming habe, als er sich daranmachte, seinen ersten James-Bond-Roman zu schreiben und über einen passenden Namen für seine Titelfigur nachzudenken, das Buch »Birds of the West Indies« von einem gewissen James Bond in die Hand bekommen und sich spontan entschlossen, auf dessen Namen zurückzugreifen.

Mrs. Bond weiht ihren Mann in den Vorgang ein, man schwankt zwischen Erstaunen und Entrüstung, erwägt sogar eine Klage wegen Rufschädigung – und entscheidet sich letztendlich doch dafür, die Sache von der heiteren Seite zu nehmen. Eines allerdings kann sich Mrs. Bond nicht verkneifen: Sie schreibt dem Autor, der da so locker mit fremden Identitäten umspringt, einen Brief. Und bekommt Antwort! Zwar nicht gerade prompt, doch dafür um so zerknirschter und devoter: Jawohl, er sei sich im klaren darüber, daß er die Zustimmung des »wirklichen« James Bond hätte einholen müssen, er entschuldige sich vieltausendmal für seinen frechen Übergriff, räume dem solcherart Brüskierten im Gegenzug das Recht ein, seinerseits mit dem Namen Fleming nach Belieben zu verfahren, etwa wenn er bei der Bezeichnung einer von ihm entdeckten besonders ekelhaften Vogelart in Verlegenheit geraten sollte, und lade ihn im übrigen als Feriengast in sein Haus auf Jamaika ein, wo man alles tun werde, den James Bond Nr. 1 an der Geburtsstätte von James Bond Nr. 2 zu verwöhnen und zu versöhnen.

Was sollte da zu versöhnen sein? Die Bonds sind ihrem Verbal-Parasiten keineswegs gram, sondern zeigen sich von dessen Eingeständnis im Gegenteil »immensely amused«. Und was das Verwöhnen betrifft, so kommen ihm haufenweise andere zuvor. Der erste, der den Professor aus Philadelphia von seiner ihm plötzlich zugewachsenen Prominenz profitieren läßt, ist ein Zollbeamter im Hafen von Southampton: Als der pfiffige Staatsdiener an den Koffern, die er gerade abfertigen will, den berühmten Namen prangen sieht, salutiert er ehrfürchtig und läßt den Ankömmling unkontrolliert durch. Und der Kollege in Jamaika, wo Professor Bond einige Zeit später ebenfalls den Zoll passiert, stellt zwar die üblichen Fragen, pointiert sie jedoch auf seine Weise. Es entwickelt sich folgender Dialog:

»Etwas zu verzollen, Sir?«

»Nein.«

»Keine Zigaretten? Kein Whisky?«

»Nein.«

»Und Feuerwaffen?«

»Nein«, antwortet Professor Bond, der inzwischen gleichfalls seine Lektion gelernt hat, und fügt, indem er auf jene Körperpartie deutet, an der 007 sein Schulterhalfter zu tragen pflegt, mit breitem Grinsen hinzu:

»Und wenn ich eine hätte, sie wäre ganz gewiß nicht im Koffer.«

Weitere Beweise seiner Auserwähltheit erhält Professor Bond an den New Yorker Theaterkassen: Selbst bei Vorstellungen, die auf Monate hinaus ausverkauft sind, ist, sobald er seinen Namen nennt, im Handumdrehen ein Platz für ihn frei.

Zu einer momentanen Verstimmung kommt es allerdings eines Tages doch noch, und daran ist ein Artikel in dem renommierten Magazin »The New Yorker« schuld, in dem 007-Autor Ian Fleming, abermals nach der Herkunft des Namens seines Superhelden befragt, antwortet:

»Ich wollte, daß die Figur hinter einem möglichst nichtssagenden Namen zurücktritt. Da kam mir dieses Buch über die Vogelwelt der Karibik in die Hand, und als ich den Namen des Autors las, wußte ich sofort: Das ist es, was ich suche. James Bond – wohl der ödeste und langweiligste Name, der mir jemals untergekommen ist.«

Das sollte Ian Fleming wirklich dem Reporter gesagt haben? Bei den Bonds in Philadelphia läutet das Telephon Sturm: Freunde, die dem öffentlich Geschmähten dringend anraten, den unverschämten Kerl zu verklagen. Doch James und Gattin Mary Wickham Bond wählen einen anderen Weg, den Konflikt auszutragen: Im Februar 1964 wieder einmal für ein paar Tage auf Jamaika zu Gast, entschließen sie sich, der seinerzeit brieflich ausgesprochenen Einladung Folge zu leisten, machen sich auf die Suche nach dem an der Nordküste der Insel gelegenen Fleming-Besitz »Goldeneye« und drücken, dortselbst angelangt, auf den Knopf der Türglocke. Eine farbige Bedienstete öffnet und fragt, wen sie melden kann. »Mr. und Mrs. James Bond!« lautet die knappe Antwort. Als habe sie es mit einer Geistererscheinung zu tun, stürzt die verschreckte Person ins Hausinnere, und wenige Augenblicke später steht den Ankömmlingen ein vor Liebenswürdigkeit dahinschmelzender Ian Fleming gegenüber. Im Nu löst sich die Spannung, die über der Szene liegt, in Heiterkeit auf. Nein, so erkennt Ian Fleming auf den ersten Blick, so schaut keiner aus, der im nächsten Moment eine Schußwaffe zückt und drauflosballert.

»Wir möchten nur den Ort kennenlernen, an dem James Bond entstanden ist.«

Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung bittet Fleming seine Gäste ins Haus. »Kürzlich«, so schlägt seine anfängliche Betretenheit sogleich in Übermut um, »erhielt ich Post von einem weiteren James Bond. Er lebe in Sussex, habe vor zu heiraten, und erlaube sich anzufragen, mit welchen Hochzeitsgeschenken er von mir zu rechnen habe. Ich überwies ihm 10 Pfund.«

Der weitere Verlauf der denkwürdigen Begegnung vom 5. Februar 1964 ist rasch erzählt: Die Gäste werden durchs Haus geführt, man nimmt gemeinsam ein vergnügliches Mittagsmahl ein, und da sich zufällig zur selben Zeit ein Team des Kanadischen Fernsehens auf dem Fleming-Besitz aufhält, das mit dem Hausherrn ein Interview drehen will, nützen alle Beteiligten die einmalige Gelegenheit und bringen nicht nur den Schöpfer, sondern auch den Namensgeber des Geheimagenten 007 ins Bild. Fleming wird die Ausstrahlung dieses Filmdokuments übrigens nicht mehr erleben: Sechs Monate darauf, am 12. August 1964, stirbt der erst Sechsundfünfzigjährige an Herzversagen. Die Widmung, die er seinem Gast in das noch druckfrische Exemplar des jüngsten Bond-Romans kritzelt, ist eine seiner letzten handschriftlichen Äußerungen; sie lautet:

Wer ist dieser »Dieb«, den sein Geschöpf 007 James Bond zu einem der bestverdienenden Schriftsteller der Welt gemacht hat?

Am 28. Mai 1908 kommt er als einer von drei Söhnen des Unterhausabgeordneten Major Valentine Fleming in London zur Welt; von der Mutter weiß man nur, daß sie eine belesene Frau von stupender Schönheit ist, die mit ihren Kindern Großes vorhat. Ian besucht das strenge Knabeninternat von Eton sowie die Militärakademie in Sandhurst. Doch bevor er sich, um sich auf die Diplomatenlaufbahn vorzubereiten, an den Universitäten von München und Genf zum Psychologiestudium einschreibt, nimmt sich ein in dem Tiroler Wintersportort Kitzbühel residierendes Pädagogenpaar aus England des Achtzehnjährigen an: Ernan Forbes Dennis und Phyllis Bottome halten im Tennerhof deutsche Sprachkurse ab, die allerdings weit mehr sind als dies, fast so etwas wie jenes humanistische Allround-Training, das man in späteren Jahren Studium generale nennen wird.

Aus der Bibliothek des Tennerhofs leiht sich Ian die Werke von Kafka, Musil und Zweig, von Schnitzler, Rilke, Werfel und Hofmannsthal aus, er lernt die Zeichenkunst solcher Größen wie Kokoschka und Kubin kennen, in der Auseinandersetzung mit den Lehren Alfred Adlers gelingt es dem frustrierten Wirrkopf, seine Minderwertigkeitskomplexe abzubauen. Mit den in Kitzbühel gewonnenen Freunden beiderlei Geschlechts trifft man sich im populären Café Reisch, im Sommer geht man im Schwarzsee schwimmen und klettert aufs Kitzbüheler Horn, im Winter wird Ski gefahren.

Auch zu seinen ersten Schreibversuchen – es ist die Kurzgeschichte »Death on Two Occasions« – kommt es im Laufe seines Kitzbühel-Jahres, und das Erlebnis eines Lawinenabgangs, das um ein Haar tödlich für Ian Fleming ausgeht, wird ihn 36 Jahre später sogar zu einer der Szenen seines James-Bond-Romans »On Her Majesty’s Secret Service« inspirieren. Noch auf der Höhe seines Ruhms als Weltbestsellerautor wird Ian Fleming von jener »golden time« seiner Jugendjahre schwärmen, die er 1926/27 in den Tiroler Alpen zugebracht hat.

Wieder zurück in England, absolviert Ian die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst, doch obwohl er unter den 62 Bewerbern den 25. Platz erreicht, bleibt ihm das Auswärtige Amt verschlossen, und so wendet er sich statt dessen dem Journalismus zu. Vier Jahre im Sold der Nachrichtenagentur Reuters, berichtet er unter anderem, seine Russischkenntnisse nutzend, über einen Moskauer Spionageprozeß; nur mit seinem Wunsch, von Stalin zu einem Interview empfangen zu werden, blitzt er ab. Nach Zwischenspielen im Bankgeschäft – zuerst als Wertpapierhändler, dann als Börsenmakler – ergreift der inzwischen Einunddreißigjährige die Chance, sich in jenem Metier zu bewähren, das die Voraussetzungen für seine spätere Schriftstellerkarriere schafft: Der Freiwilligen-Reservist der Britischen Marine – gerade eben ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen – wird im Range eines Leutnants zum persönlichen Assistenten von Konteradmiral Godfrey berufen, der die Leitung des Marine-Geheimdienstes innehat …

Flemings Dienstsitz ist das Whitehall-Building in der Londoner City, sein Büro der Room 39, seine Code-Nummer die 17 F, seine Aufgabe der weitere Ausbau des Nachrichtendienstes sowie die Ausbildung von Sonderkommandos für Geheimeinsätze in feindlichen Territorien. Als der Krieg vorüber ist, kehrt der nunmehrige Mittdreißiger ins Zivilleben zurück und übernimmt zunächst die Leitung des Auslandsressorts beim Kemsley Zeitungskonzern, bevor er für einige Jahre zur »Sunday Times« wechselt.

Am 24. März 1952 in den Stand der Ehe tretend, teilt Fleming sein Leben von nun an zwischen London und Jamaika auf, wo er seit 1946 ein Haus besitzt. Wenn man ihm glauben darf, ist es vor allem die Angst vor dem Verlust des Junggesellendaseins, was ihn zum Bücherschreiben treibt: Die intensive Versenkung in die Geheimdienstwelt des Superagenten 007 soll ihm jenen Freiraum sichern, den er durch den neuen Status bedroht sieht. Fleming setzt sich im Arbeitszimmer seines Hauses an die zwanzig Jahre alte Reiseschreibmaschine, spannt ein Blatt feinsten Foliopapiers ein und beginnt seinen ersten James-Bond-Roman: »Casino Royale«. Jeden Tag von 9 bis 12 brütet er über dem Manuskript, nach dem Lunch geht er schwimmen und/oder fischen – von seinem Besitz »Goldeneye« ist es nur wenige Schritte zum Nordufer der Jamaika Bay.

Gut ein Jahr darauf erscheint das Buch, doch der Absatz läßt zu wünschen übrig: Von der englischen Erstausgabe werden 8000, von der amerikanischen gar nur 4000 Stück verkauft – gerade genug, daß man sich einmal im Jahr (so vertraut er mit bitterer Ironie seinem Tagebuch an) ein Spargelessen leisten kann. Der große Durchbruch kommt erst mit dem Film: Ian Fleming gibt 1960 dem Drängen des Produzententeams Broccoli-Saltzman nach, seine Stoffe – inzwischen sind auch die Romane »Leben und sterben lassen«, »Mondblitz«, »Diamantenfieber«, »Liebesgrüße aus Moskau« und »James Bond jagt Dr. No« erschienen – für Hollywood freizugeben.

Hat der »Daily Express« schon bisher jedes der Fleming-Bücher in Fortsetzungen vorabgedruckt, so veranstaltet nun Englands auflagenstärkste Tageszeitung eine Leserumfrage, um den Hauptdarsteller des ersten James-Bond-Films zu küren. Zehn junge Schauspieler stehen zur Wahl, sechs Millionen »Daily-Express«-Leser geben ihre Stimme ab, die große Mehrheit votiert für den dreißig Jahre alten Sean Connery, einen ehemaligen schottischen Lastwagenchauffeur, der als Chorist in dem Musical »South Pacific« und mit Hauptrollen in ein paar B-Pictures der 20th Century Fox erste bescheidene Erfolge vorzuweisen hat.

Alles Weitere ist heute Filmgeschichte: James Bond wird zum Kino-Hit, ja zur Kultfigur einer ganzen Generation – und Ian Fleming, ihr Schöpfer, zum Erfolgsautor, dessen nach und nach dreizehn 007-Bücher zu seinen Lebzeiten 25 Millionen Mal verkauft und damit neben den Schallplatten der Beatles zu einem der größten britischen Exportschlager werden.

Präsident Kennedy läßt verlauten, er habe jederzeit einen James Bond auf dem Nachttisch liegen (desgleichen – welch makabre Pointe! – sein Mörder Harvey Lee Oswald); der Bond-Stil beeinflußt die Herrenmode ebenso wie das Champagner- und Wodka-Geschäft, der 007-Diplomatenkoffer ist im Winter 1964 das meistverkaufte Weihnachtsgeschenk. Der »Goldfinger«-Film (dessen Riesenerfolg Fleming selber übrigens nicht mehr erlebt) läuft in einem New Yorker Kino 24 Stunden am Tag – nur von kurzen Pausen unterbrochen, in denen die Popcornreste aus dem Saal gefegt werden; kein Geringerer als der spätere italienische Starautor Umberto Eco widmet den »Erzählerischen Strukturen in Flemings Werk« eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung, und Fleming selber tauscht seine alte Reiseschreibmaschine gegen ein eigens für ihn angefertigtes vergoldetes Exemplar (das, dreißig Jahre nach seinem Tod, auf einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Christie’s für stolze 56 000 Pfund in die Hände eines Sammlers übergehen wird).

Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, und pikanterweise ist es ausgerechnet Terence Young, Regisseur der ersten James-Bond-Filme, der das Geschöpf seines Freundes Fleming einen »abscheulichen Kerl« findet, »der bei der SS hätte Karriere machen können«. Ein Rohling gegenüber unbewaffneten Männern und ein Schuft gegenüber vertrauensseligen Frauen, heimse er dafür, daß er von seiner Lizenz zum Töten nach Herzenslust Gebrauch mache, auch noch königliche Orden ein. »Außerdem habe ich Bond niemals ein Buch lesen, ein Konzert besuchen oder ins Theater gehen sehen. Er ist in meinen Augen ein geistig minderbemitteltes Individuum, ein totaler Banause.«

Ganz anders sieht das klarerweise Ian Fleming: Zumindest in punkto Hobbys hat der Autor viel zuviel von sich selbst in diesen 007 projiziert, als daß er zu ihm auf Distanz gehen könnte, ohne sich lächerlich zu machen. So wie Bond liebt Fleming blaue Anzüge und haßt Schnürschuhe, schwört auf Golfspiel und Unterwassertauchen (wofür er eigens bei Meister Jacques Cousteau Unterricht genommen hat), macht sich nichts aus Blumen, fährt schnelle Autos, raucht täglich sechzig eigens für ihn gemischte Zigaretten, hat ein Faible für asiatische Frauen, mischt sich seinen Martini nach dem gleichen Rezept, und dafür, daß er am Spieltisch des Kasinos von Estoril (wo er während des Krieges gegen eine Phalanx deutscher Spione antritt) kläglich verliert, rächt er sich, indem er James Bond beim Bakkarat in Royale-les Eaux um so schamloser abkassieren läßt.

Freilich – ein Banause (Regisseur Terence Youngs Hauptvorwurf gegen 007) ist Ian Fleming nicht: Schöngeist durch und durch, der einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Einkünfte in seine Privatbibliothek steckt, kann er auf Erstausgaben von Einstein, Curie, Röntgen, Kipling, Lilienthal und Marx verweisen, und die vielen Sachfehler, die seinen eigenen Werken angelastet werden, sind nicht etwa Ausfluß mangelnder Bildung, sondern voll beabsichtigt: »Dann schreiben die Leute nämlich wütende Protestbriefe, und mein Verleger sieht, wie wichtig ich bin.«

Soviel zu Flemings »Eigenanteil« an der Charakterzeichnung seiner Titelfigur. Aber da sind auch noch eine Menge anderer Urbilder im Spiel, und die haben fast durchwegs mit Flemings Vergangenheit als Geheimdienstmann bei der Royal Navy zu tun. Da ist zum Beispiel Captain Dunstan Curtis, der beim Überfall der Deutschen auf Algier die feindlichen Codes knackt; Captain Wilfred Dunderdale, der im Ersten Weltkrieg mit seinem perfekten Russisch die Ost-Agenten austrickst; der jugoslawische Doppelspion Dusko Popov, der den Amerikanern den japanischen Luftangriff auf Pearl Harbor voraussagt; und schließlich der schon zu gemeinsamen Etoner Schülerzeiten mit Fleming befreundete schottische Abenteurer Ivar Bryce, der im Auftrag der Alliierten im Berliner Luxushotel Adlon die Nazi-Größen bespitzelt und in Südamerika ein Informationsnetz aufbaut.

Auch bei vielen anderen Figuren der James-Bond-Bücher schöpft Ian Fleming aus Selbsterlebtem – greifen wir nur zwei heraus: Hinter Miss Moneypenny, der herbliebenswürdigen Vorzimmerdame jenes Büros, in dem 007 seine Aufträge entgegennimmt, verbirgt sich die 1908 in Bukarest geborene Vera Maria Rosenberg, die während des Zweiten Weltkriegs die Frankreich-Abteilung des Secret Service leitet, und als nach Erscheinen des »Goldfinger«-Romans das Gerücht aufkommt, Fleming habe die Gestalt dieses Jahrhundertverbrechers mit gewissen Zügen des amerikanischen Edelmetallkönigs Charles W. Engelhard ausgestattet, muß der Autor sogar eine Weile davor zittern, wegen Ehrabschneidung vor Gericht zitiert zu werden. Doch Mister Engelhard ist ein Mann von souveränem Humor, läßt über seine Konzernzentrale verlautbaren, er fühle sich im Gegenteil geschmeichelt, in die Literatur eingegangen zu sein, und als er eines schönen Tages für seinen Privat-Jet eine neue Stewardess engagiert, gibt er der jungen Dame spontan den Namen der abtrünnigen Goldfinger-Pilotin Pussy Galore. In der Welt der Krimis ist eben alles, wahrhaftig alles möglich …

Aus: Sie haben wirklich gelebt, 2001

Dietmar Grieser für Kenner

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