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Der Siebenschläfer Vorwort von Günther Nenning

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Ich fahre zeitig auf Urlaub. Vorsaison, billiger, und ich möchte dem Fremdenverkehr entgehen. Natürlich ist das vergeblich. Was macht man in so einem Fall? Ich bin ein moderner Mensch, ich frage einen Experten.

Dietmar Grieser ist ein hochrangiger Experte für bzw. gegen Fremdenverkehr, hochrangiger Autor vieler guter Bücher über das, was er »Literaturtourismus« nennt: Man soll das Land, die Leute, die Geschichte kennen – und nicht auf die »Touristiker« hereinfallen.

Grieser ist ein Mann, den zu loben sich lohnt. Jede noch so schöne – oder schön gewesene – Gegend wird gräulich fremdenverkehrt. Ist das unsere Zukunft? Gibt es nur noch Bücher, in denen das Land und die Leute, die Geschichte und die Gegenwart vierfärbig vertouristelt wird? Nein, es gibt Dietmar Grieser.

Es gibt ihn und möge es ihn noch lange geben und mögen noch recht viele Griesers nachwachsen. Das wünsch ich mir und uns allen tourismusgeschädigten Europäern. Wie kommen wir denn dazu? Alles, was recht ist! Aber zuviel ist zuviel!

Grieser ist das hochwirksame Gegengift gegen die Fremdenverkehrsvergiftung. Ich feiere ihn ganz rücksichtslos – weil der Aufstand gegen die Verhäßlichung unserer europäischen, alpinen, heimischen Schönheiten nötig ist. Fremdenfeindlichkeit ist streng verboten, Fremdenverkehrsfeindlichkeit ist erlaubt.

Grieser ist kein vermummtes Widerstands-Dummi. Er ist offen für das Reisen, aber mit Hirn und Herz, und macht daraus Best- und Longseller. »Wien – Wahlheimat der Genies«. »Stifters Rosenhaus und Kafkas Schloß«. »Alle Wege führen nach Wien«. »Schauplätze der Literatur«.

Alles amüsant zu lesen, gepflegte Sprache, unheimliche Orts-, Geschichts- und Literaturkenntnis. Worüber Grieser schreibt, dort möchte man gern hinfahren. Er ist ein bekennender Antitourismuswolf im Literaturtourismusschafspelz. Derselbe, der einem so Lust macht aufs Herumreisen, derselbe antwortet auf die Interview-Frage »Wie lautet Ihr Lebensmotto?« verschmitzt mit Pascal, dem großen alten Querdenker:

»Der Welt bliebe unendlich viel Unglück erspart, wenn alle Menschen auf ihren Zimmern blieben.« – Darauf besteht keine Aussicht. Wenn sie aber, diese Eichhörnchen in der Mobilitätstrommel, in ihren Zimmern Grieser lesen und dann erst losreisen, wohlunterrichtet und wohlunterhalten – dann sind sie schutzgeimpft gegen Verblödung durch Tourismus.

»In welcher Zeit hätten Sie gern gelebt?« – Grieser: »Bin mit heute ganz zufrieden.« – Der Hannoveraner, ja, unglaublich, von dort ist er gebürtig (1934), aber wenigstens hat er Tiroler Vorfahren; der geständige Hannoveraner also hat sehr gut wienerisch gelernt. Denn »ich bin ganz zufrieden« – heißt auf wienerisch ja überhaupt nicht »ganz, gänzlich, zur Gänze«. Im Gegenteil, es schwingt die Sehnsucht mit, die vernünftige, moderate Sehnsucht nach nur noch viel mehr Zufriedenheit.

No ja, schlecht geht’s ihm ja nicht, dem großen Erfolgsautor. Er ist gesund. Frage: »Ihr liebster Sport?« – Antwort: »Sport – was ist das?« Er hat seine Lieblingsplätze: »Im Frühjahr in Wien, im Sommer auf Madeira, im Herbst in Muskat, im Winter in Südtirol.« – Wo Muskat ist, weiß ich nicht. Ich halte es für eine Nuß. Aber er wird sicher ein schönes Buch darüber schreiben.

Natürlich ist er Professor h. c. Natürlich macht er Fernsehserien. Natürlich ist er Mitglied des PEN-Clubs und Inhaber fast aller Preise. Natürlich zählt das nicht soviel. Es zählt vielmehr: seine unerschöpfliche Neugier; seine Lust, am Großen das Kleine, Geheime aufzuspüren, weil es das eigentlich Wichtige ist; seine Rastlosigkeit, gepaart mit Gelassenheit.

Im Interview antwortet Grieser auf die Frage »Welches Tier wären Sie gerne?« – »Siebenschläfer«. Siehe, der rastlos schreibende Reisende hielte gern sieben Monate Winterschlaf jährlich. Der Siebenschläfer hat große Augen, mit denen er in den restlichen fünf Monaten des Jahres die Welt genau besieht.

Wien, im März 2006

Dietmar Grieser für Kenner

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