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Dietmar Grieser auf den Spuren österreichischer Musikgenies Die Marseillaise von Ruppersthal

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Ignaz Pleyel

Wißbegierige Anrainer der Ignaz-Pleyel-Gasse in Inzersdorf bleiben ganz auf sich gestellt: Keine Zusatztafel, die sie – wie in vielen anderen Wiener Straßen Usus – über Identität und Bedeutung des Namensgebers aufklärt.

Paris ist anders. Der Flaneur, der mit der Rue Pleyel im Arrondissement Reuilly nichts anfangen kann, weiß zumindest, daß die »Salle Pleyel« am Faubourg St. Honoré die berühmteste und mit ihren 3000 Plätzen größte Konzerthalle der Stadt ist; wer an der Station Carrefour-Pleyel in die Métro einsteigt, kann sich unschwer auf die mit Notenbeispielen dekorierten Perrons einen Reim machen, und seitdem das Österreichische Kulturinstitut bei der Verwaltung des Pariser Prominentenfriedhofs Père Lachaise die Anbringung einer Zusatzplakette am Sockel des Pleyel-Grabmals durchgesetzt hat, ist für jedermann sichtbar, daß der 1831 hier Bestattete ein »Autrichien« gewesen ist: »Né à Ruppersthal«.

Ruppersthal im Weinviertel, Ortsteil von Großweikersdorf, 583 Einwohner, 500 000 Liter Grüner Veltliner pro Jahr. Spätestens seit der Sonderbriefmarke des Jahres 1994, der Aufführung des Festspiels »Pleyel, der vergessene Sohn unserer Heimat«, dem auf einer ORF-CD festgehaltenen Millenniumskonzert in der Pfarrkirche und der Eröffnung des Pleyel-Museums in der ehemaligen Dorfschule weiß jeder Ruppersthaler, wer da vor über 200 Jahren (so der Titel einer der vielen Gedenkveranstaltungen) »von Niederösterreich in die Welt« hinausgezogen ist.

Martin Pleyl (er noch ohne das polyglotte e zwischen dem y und dem l) ist Schulmeister, Organist und Mesner in einer Person. Auch Sohn Ignaz zählt zu seinen Zöglingen. Von Mutter Anna Theresia wird gemunkelt, sie sei eine wegen eines amourösen Fehltritts von der Familie verstoßene Gräfin Schallenberg. Wie auch immer: Der am 18. Juni 1757 zur Welt gekommene Ignaz zeigt musikalisches Talent, die Eltern schicken ihn zur Ausbildung nach Wien. Der Dittersdorf-Adept Johann Baptist Vanhal, sein erster Lehrer, kann seine Gönner, die Grafen Erdödy, dazu überreden, das junge Genie der Obhut der Esterhazys in Eisenstadt anzuvertrauen – satte 100 Louisdor pro Jahr lassen sie sich »Lehre und Pension« bei »Papa Haydn« kosten. Auch Meister Gluck spart, als ihm die ersten Kompositionen des Neunzehnjährigen vorgelegt werden, nicht mit (kritischem) Lob: »Junger Freund, Sie haben gelernt, Noten aufs Papier zu setzen. Nun müssen Sie nur noch lernen, die überflüssigen wieder zu streichen.« Und der ein Jahr ältere Mozart schreibt an seinen Vater: »Seine Quartette sind sehr angenehm. Wenn Du sie noch nicht kennst, such sie zu bekommen, es ist der Mühe wert.«

1783 wird im Straßburger Münster eine Stelle frei, der Sechsundzwanzigjährige übersiedelt als Adjunkt des Domkapellmeisters ins Elsaß. Noch bevor er dessen Nachfolge antritt, hat er die Staatsbürgerschaft gewechselt: Aus dem Österreicher Pleyl wird der Franzose Pleyel. Als die Revolution ausbricht, hilft ihm das freilich wenig: Als Landsmann der verhaßten Königin Marie Antoinette kann er sich der Guillotine nur entziehen, indem er lautstark den neuen Herren huldigt und für eine der Revolutionsfeiern eine »Hymne à la Liberté« schreibt. Seinen kirchlichen Posten ist er dennoch los: Die Domgottesdienste sind eingestellt, Kardinal Rohan flieht ins Exil, Pleyel selber weicht nach London aus, wo inzwischen auch sein Lehrer Haydn konzertiert.

Als er die Zeit gekommen sieht, einen Neuanfang in Straßburg zu riskieren, landet Pleyel im Kerker. Und um der abermals drohenden Hinrichtung zu entgehen, komponiert er binnen einer Woche, von zwei Gendarmen Tag und Nacht bewacht, eine achtstündige Revolutionsmusik, deren monströse Pathetik – unter Einsatz von Kirchenglocken, Massenchören und Schlachtenlärm – die Republikaner derart begeistert, daß sie ihren Schöpfer in die »Ehrenliste der Revolutionskünstler« aufnehmen. Daß er vermutlich auch die Musik für die Marseillaise beigesteuert hat, kann er freilich nicht auf seine Fahne heften: Das ursprünglich den Soldaten der Rhein-Armee zugedachte Kampflied geht auf einen blutrünstigen Text des Straßburger Pionierhauptmanns Rouget de Lisle zurück, und mit dem ist Pleyel zwar gut Freund, wohnt mit ihm im selben Haus und hat auch schon eines seiner früheren Werke vertont, aber daß die Noten zu »Allons, enfants de la patrie« nicht von einem Franzosen, sondern von einem Ausländer stammen sollen, ist allseits unzumutbar, und so bleibt es wohl für alle Zeiten dabei: Textdichter Rouget de Lisle, obzwar in punkto Musik nur als exzellenter Sänger und Geiger ausgewiesen, hat auch die Melodie der Nationalhymne geschrieben.

Das zweite Leben des Ignaz Pleyl alias Ignace Pleyel setzt 1795 mit seiner Übersiedlung nach Paris ein: Der Achtunddreißigjährige, dessen Sinfonien, Streichquartette und Opern nun immer seltener aufgeführt werden, gründet einen Musikverlag mit eigener Notenstecherei, steigt in den Instrumentenhandel ein und errichtet eine Klavierfabrik, deren Ruhm schon bald den Ruhm des Komponisten gleichen Namens übertreffen wird. Mit der Übergabe des florierenden Unternehmens an seinen Sohn Camille anno 1824 zieht sich der inzwischen Siebenundsechzigjährige auf sein Landgut in der Nähe von Paris zurück, wo er am 14. November 1831 stirbt.

Der Junior, mit Hector Berlioz’ Exbraut Marie Félicité Denise Moke, einer zu ihrer Zeit berühmten Konzertpianistin, verehelicht, hinterläßt keinen männlichen Erben: Der Name Pleyel bleibt nur mehr als Taufpate des führenden Pariser Konzertsaals erhalten und als Klaviermarke. Heute werden die schon von Chopin, Rubinstein und Saint Saëns hochgeschätzten Pleyel-Flügel in einer Werkstätte der südostfranzösischen Provinzstadt Alès hergestellt – und das auch nur, weil sich das Nachfolgeunternehmen des »Autrichien« mit einer Zusatzproduktion von Radio- und Fernsehgeräten über Wasser hält.

Aus: Heimat bist du großer Namen, 2000

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