Читать книгу Bunsenstraße Nr. 3 - Dietmar Schmeiser - Страница 7
ОглавлениеMein ist die Rache, spricht der Herr
Noch war ich keine fünf Jahre alt geworden, da sollten mein Bruder Edwin und ich zum Kinderarzt. Kinderarzt, das hörte sich freundlich an und, wenn man noch nie dort gewesen war, durfte man auch das Beste annehmen.
Es war ein schöner Spätsommertag, als der Arztbesuch stattfinden sollte. Ungewöhnlich war die Vorbereitung. Wir wurden zuvor gewaschen, obwohl wir doch schon am Morgen diese Tortur hatten über uns ergehen lassen. Egal, ob wir Tante Anna in der Sophien- oder Onkel Hermann in der Rüppurrer Straße besuchten, so gründlich gewaschen wurden wir untertags nie, sieht man vom Bad am Samstagnachmittag ab.
Weit war der Weg auch nicht. Die Weinbrennerstraße mit ihren alten Vorgärten trippelten wir entlang, und am Kopfende des Rosengärtchens, wie bei uns der kleine Park am Weinbrennerplatz hieß, wohnte auch schon der Onkel Doktor. Offensichtlich ein weiterer Onkel, den wir noch nicht kannten.
Im Erdgeschoss eines stattlichen, vierstöckigen Hauses klingelte meine Mutter, und schon kam eine ganz in Weiß gekleidete Frau an die Tür, die, ohne groß zu fragen, uns in ein Zimmer brachte, in dem wir warten sollten. Es tat sich einige Zeit gar nichts. Manches erschien mir hier merkwürdig. Sicher, Mutter war schon öfters mit uns zu Leuten gegangen, die mir fremd waren. Ein Besuch bei neuen Tanten und Onkels war immer spannend. Hier allerdings kam Unruhe auf. Hatte das etwas mit Mutter zu tun?
Eine Tür öffnete sich. Mutter wurde von einem Herrn begrüßt, der offensichtlich auch die weiße Farbe so auffällig schätzte. Auch uns grüßte der neue Onkel und erkundigte sich ausgesprochen freundlich nach unseren Namen. Es gab keinen Grund, ihm diese nicht zu nennen. Mutter wurde Unverständliches gefragt, worauf sie geflissentlich antwortete. Die Atmosphäre, daran erinnere ich mich noch genau, wurde immer seltsamer. Völlig befremdlich wurde mir allerdings dann die Angelegenheit, als der Herr anfing, mich zu befingern und mir die Hose herunterzuziehen. Da stand ich nun mit nacktem Po. Freundlich lächelnd ergriff er einen Gegenstand aus Silber und Glas, der auf einem kleinen, gläsernen Tisch gelegen hatte. Er hielt diesen merkwürdigen Gegenstand gegen das Licht, und ich gewahrte zu meinem großen Schrecken am Ende desselben eine spitze Nadel. Ich durchschaute die freundliche Hinterlist, als mich der neue Onkel über sein Knie legte und offensichtlich mit Lust und in böser Absicht mir mit dieser Nadel in meinen Hintern stach. Ich schrie auf und mein Bruder mit mir. Ob ich mir noch etwas vom deutschen Jungen anhören musste, der nicht wehleidig sei, weiß ich nicht mehr.
Das Schlimmste kam aber sogleich. Noch heute bin ich mir sicher, dass ich das nun Folgende als erheblich bösartiger empfand als diesen vorhergegangenen hinterlistigen Stich.
Meine Mutter zog mir wieder meine Hose an, und jetzt wurde mein kleiner Bruder ergriffen. Mit ohnmächtiger Wut musste ich zusehen, wie meinem doch so kleinen Bruder ebenfalls die Hose heruntergezogen wurde. Dieser ahnte, was ihm blühte, und er schrie aus Leibeskräften. Ich konnte ihm nicht helfen. Zu groß war die Übermacht, zumal jetzt auch noch die weiße Frau hinzukam. Es ist besonders gemein, wenn sich so viele Große über den Kleinsten hermachen. Ich wurde zurückgehalten, und ich schwor mir, wenn ich groß bin, werde ich jedes Unrecht rächen.
An die Rolle meiner Mutter in der Szene erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass es hieß, wir müssten noch zweimal kommen. Ich habe gebrüllt: „Wir kommen nie wieder!“
Schnell waren wir im Treppenhaus und durch den Vorgarten gegangen. Mir blieb nur noch das heimliche Gebet zum Himmel um Rache.
Was nun kommt, mag ein schlechtes Licht auf meinen vierjährigen Charakter werfen. Wenige Tage nach unserem Besuch hatte die Royal Air Force das Haus dieses bösen Onkels bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Lustvoll schaute ich auf die noch rauchende Ruine.