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3.2 Jesus Christus – der Mittler
ОглавлениеDie „Nachfolge“ stellt eine Konkretion von Bonhoeffers Lehre von Jesus Christus dar. Bonhoeffer fragt darin, welche ethischen Konsequenzen aus dem Glauben für das Leben als Christ zu ziehen sind. Das Buch will zeigen, wie konsequente Nachfolge Jesu nach der Bergpredigt im Dritten Reich gelebt werden kann. Bonhoeffer kritisiert und korrigiert damit indirekt die Theologie seines wichtigsten Lehrers Karl Barth, der vor allem in seiner Frühzeit abgelehnt hatte, dass der Glaube an Jesus Christus für den Glaubenden zur Erfahrung und damit anschaulich wird.
Im Zentrum von Bonhoeffers Lehre von Jesus Christus steht in der „Nachfolge“ der Gedanke von Christus als dem Mittler. „Er ist der Mittler, nicht nur zwischen Gott und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Wirklichkeit.“41 Bonhoeffer begründet diesen Gedanken mit der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi. „Weil alle Welt durch ihn und zu ihm geschaffen ist (Joh 1,3; 1Kor 8,6; Hebr 1,2), darum ist er der einzige Mittler in der Welt.“42 Weil Christus der Schöpfungsmittler ist, ist er der Einzige, der zu Recht in einem unmittelbaren Verhältnis zu allem Geschaffenen steht. Sich als Mensch an Christus vorbei, also unmittelbar, den Mitgeschöpfen bzw. dem Mitgeschaffenen zu nähern, ist Raub und Frevel gegenüber der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi.
Bonhoeffer zieht im Hinblick auf die Nachfolge drei Konsequenzen aus der Erkenntnis der Mittlerschaft Jesu Christi. Die erste Konsequenz besteht darin, dass die Nachfolge den Menschen einsam macht: Christus löst den Menschen aus seiner Unmittelbarkeit zur Welt und stellt ihn in die Unmittelbarkeit zu sich selbst.43 D. h., es kommt zum Bruch zwischen demjenigen, der Jesus Christus nachfolgt, und der Welt. Die Folge ist, dass es für ihn keine „gottgegebenen Wirklichkeiten“ mehr gibt. „Was mir nicht durch Christus, den menschgewordenen, gegeben wird, ist mir nicht von Gott gegeben.“44 Die Aktualität einer solchen Aussage im Dritten Reich kann man auch heute noch unschwer nachvollziehen. Selbst lutherische Theologen priesen damals die Zugehörigkeit zur arischen Herrenrasse und das Erscheinen des Führers Adolf Hitler als „gottgegebene Wirklichkeiten“. Bonhoeffers Gedanke der Mittlerschaft Jesu Christi bildete angesichts dieser theologischen Irrwege ein nicht zu unterschätzendes kritisches Potenzial.
Die Rede von Christi Mittlerschaft hat zweitens für das menschliche Miteinander Folgen. Bonhoeffer stellt lapidar fest: „[…] es gibt keine seelischen Unmittelbarkeiten. Christus steht dazwischen. Nur durch ihn hindurch geht der Weg zum Nächsten. Darum ist die Fürbitte der verheißungsvollste Weg zum Anderen, und das gemeinsame Gebet im Namen Christi die echteste Gemeinschaft.“45 Was heißt das konkret? Die Erkenntnis der Mittlerschaft Christi schützt in Beziehungen zwischen Menschen den einen vor den Übergriffen des anderen. Z. B. werden alle Versuche, den Nächsten nach dem eigenen Bild umzugestalten, als Überhebung entlarvt. Der Nächste ist allein Bild Jesu Christi. Er bleibt mein Gegenüber, seine Würde ist für mich unantastbar. Indem Christus zwischen uns tritt, entsteht ein Spielraum der Freiheit.
Die Mittlerschaft Jesu Christi hat schließlich drittens folgende Konsequenz: Indem ich in die Nachfolge Jesu Christi trete, werde ich nicht nur von allen Unmittelbarkeiten zu anderen Menschen gelöst und damit zu einem Einzelnen. Die Mittlerschaft Christi ist gleichzeitig die Ursache zu einer neuen Gemeinschaft. Indem Christus mich aus den natürlichen Beziehungen herauslöst, führt er mich in die Gemeinschaft mit den anderen, die ihm nachfolgen. „Jeder tritt allein in die Nachfolge, aber keiner bleibt allein in der Nachfolge.“46 Bonhoeffer begründet dies biblisch mit Mk 10,28-31: „Da sagte Petrus zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, so er verlässt Haus oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfange: jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ Die Vikare des Bonhoefferschen Predigerseminars erlebten die Erfüllung dieser Verheißung ganz buchstäblich. Vikare wie Wolf-Dieter Zimmermann hatten sich von den kirchlichen und gesellschaftlichen Überzeugungen ihrer Elternhäuser radikal distanziert. In Finkenwalde wuchs ihnen eine neue Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern zu. Die von Bonhoeffer in der „Nachfolge“ vorgetragenen Überlegungen blieben somit keine blasse Theorie, sondern waren gesättigt von schweren und zugleich beglückend konkreten Erfahrungen.