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2. Eigenart: Wiedergewinnung der Bergpredigt für die evangelische Kirche

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1935 schreibt Bonhoeffer an seinen Lehrer und Freund Reinhold Niebuhr vom New Yorker Union Theological Seminary: „Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo aufgrund einer bis zu einem gewissen Grad wiederhergestellten reformatorischen Theologie [vgl. das solus Christus, das allein Christus, der Barmer Theologischen Erklärung] die Bergpredigt – und zwar in einem andern als dem reformatorischen Verständnis – wieder in Erinnerung zu bringen ist.“25 Bonhoeffer versucht durch seine „Nachfolge“ über die reformatorische Theologie hinaus den Anschluss an das Urchristentum zu gewinnen. Dadurch will er das viel beklagte Erfahrungsdefizit des Protestantismus, seinen Mangel an Konkretion des Glaubens, überwinden. Nicht ohne Grund sind im Neuen Testament den Paulusbriefen die Evangelien einschließlich der Apostelgeschichte vorgeschaltet. Rechtfertigungsbotschaft und Bergpredigt sind wechselseitig aufeinander zu beziehen. In der „Nachfolge“ findet Bonhoeffer dafür die klassisch gewordene Formulierung: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“26

Von diesem Ansatz her kommt es in der „Nachfolge“ zu einer Korrektur der traditionellen protestantischen Verkündigung von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden. Bonhoeffer wirft der klassischen reformatorischen Theologie vor, dass sie weithin bloß „billige Gnade“ verkündigt. Sie habe außer Acht gelassen, dass Glaube und Nachfolge, d. h. Glaube und Gehorsam, untrennbar zusammengehören. Das Buch setzt ein mit den berühmten Sätzen: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade. […] Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. […] Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders.“27

Die Bergpredigt zeigt für Bonhoeffer beispielhaft, wie die teure Gnade verkündigt werden muss. An der Bergpredigt will er lernen, wie diese Verkündigung heute aussehen müsste. „Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft. Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet. Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt […].“28 Bonhoeffer setzt alle Energie daran, die Flucht in eine vorschnelle spirituelle Auslegung der Bergpredigt und damit in die unverbindliche religiöse Innerlichkeit unmöglich zu machen. Darum Bonhoeffers Drängen auf „einfältigen Gehorsam“, auf wörtliche Auslegung.

Dafür gibt er ein anschauliches Beispiel: „Wie ist solche Verkehrung möglich? Was ist geschehen, dass das Wort Jesu sich dieses Spiel gefallen lassen muss? Dass es so dem Spott der Welt ausgeliefert wird? Wo immer sonst in der Welt Befehle ausgegeben werden, sind die Verhältnisse klar. Ein Vater sagt zu seinem Kind: Geh ins Bett!, so weiß das Kind wohl, woran es ist. Ein pseudotheologisch dressiertes Kind aber müsste nun folgendermaßen argumentieren: Der Vater sagt: Geh ins Bett. Er meint, du bist müde; er will nicht, dass ich müde bin. Ich kann über meine Müdigkeit auch hinwegkommen, indem ich spielen gehe. Also, der Vater sagt zwar: Geh ins Bett!, er meint aber eigentlich: Geh spielen. Mit einer solchen Argumentation würde das Kind beim Vater, würde der Bürger bei der Obrigkeit auf eine sehr unmissverständliche Sprache stoßen, nämlich auf Strafe. Nur dem Befehl Jesu gegenüber soll das anders sein. Hier soll einfältiges Gehorchen verkehrt, ja Ungehorsam sein. Wie ist das möglich?“29

Durch die Erkenntnis der teuren Gnade, die die Nachfolge Christi untrennbar mit einschließt, wird deutlich, dass die christliche Gemeinde für das Leben des einzelnen Christen unverzichtbar ist. An Gott glauben kann man vielleicht für sich allein im stillen Kämmerlein. Nachfolge jedoch ist nur möglich in der Gemeinschaft mit Brüdern und Schwestern. Die „Nachfolge“ führt zur Wiederentdeckung des gemeindlichen, ja des kirchlichen Horizonts von Christsein.

Nachfolge

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