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300 Jahre Bauernstolz
ОглавлениеSchon einmal hatte ich über einen Bauern mit katastrophaler Tierhaltung geschrieben. Damals fühlte ich mich in die Schützengräben von Verdun versetzt. Heute ist der Besuch bei eben diesem Bauern erneut Anlass für eine kleine Anekdote.
Wie schon mal erwähnt, muß jeder Rinderbestand ein Mal im Jahr untersucht werden. Dazu werden allen Rindern Blutproben entnommen. Heutzutage ist das nicht mehr so ein Problem. Die Blutprobe wird aus der Schwanzvene entnommen. Es geht schnell und problemlos. Es muß keine Vene gestaut werden. Nur der Schwanz des Rindes wird senkrecht nach oben gestreckt und schon kann die Vene punktiert werden. Es gibt nur zwei Risken erstens steht der Tierarzt direkt hinter den Hinterbeinen. Diese können bei Rindern sehr schnelle und exakt gezielte Schläge austeilen. Daher trage ich immer eine dicke Lederschürze als Prophylaxe. Das zweite Risiko ist der mit Kot beschmierte Schwanz. Mit anderen Worten, nach wenigen Tieren ist man von oben bis unten mit einer grünlich bis braunen Masse dekoriert. Bevor die Methode der Blutprobenentnahme aus dem Schwanz aufkam, wurden die Blutproben aus der Halsvene entnommen. Diese Methode erforderte mehrere Hilfspersonen um Kopf und Staustrick zu halten. Es war nicht so schmutzig, aber gefährlich nah an den Hörnern und man musste eine gebückte Haltung einnehmen. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ich am Kopf der Färse stehend die Vene punktierte. Plötzlich verspürte ich einen leichten Druck auf der Brust. So als wolle jemand mir nachdrücklich sagen, dass ich zur Seite gehen soll. Als ich wieder zu mir kam, lag ich etwa fünf Meter weg an der Stallwand und blickte in die verdutzten Gesichter vom Bauern und meiner Helferin. Mir tat nur der Rücken weh, von dem Aufprall an der Stallwand. Aber das nur zur Einstimmung auf die Gefahren der tierärztlichen Tätigkeit.
Wir müssen also wieder ins Ungewisse. Ich bin immer froh, wenn solche Aktionen ohne Verletzungen überstanden sind. Dieser beschriebene Bauer hat in seinem Haus, ein uraltes Bauernhaus auf einem Vierseitenhof, eine endlose Bildergalerie seiner Vorfahren. Diese waren alle Bauern und er weiß zu jedem Bild eine heroische Geschichte zu erzählen. Ich glaube, diese würden sich abwenden, wenn sie dieses Chaos und die abgemagerten, moribunden Rinder sähen. Vorbei an dieser Ahnengalerie gehen wir durchs Haus auf den Hof. Eine schlammige stinkende Fläche empfängt uns. Die Gummistiefel reichen kaum aus. In dem Schlamm stehen unzählige schrottreife Autos, Kleinlaster und allerlei landwirtschaftliche Maschinen. Von den meisten ist ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr zu erahnen. Der Weg führt uns durch eine baufällige Scheune, oder was davon übrig ist. Nun erblicken wir wieder die Schützgräben. Jedenfalls sind die Fahrspuren der Traktoren ähnlich tief. Dazwischen waten die Rinder bis zum Bauch durch das Gemisch aus Kot, Sand und Futterresten. Dort sollen wir die Blutproben nehmen. Ich glaube nicht, dass es am Ende des Tages noch einen einzigen sauberen Fleck an mir und meiner Helferin geben wird. Eigentlich sollte heute meine neue Assistentin mitkommen. Aber man hat ihr über Nacht die Spiegel vom Auto gestohlen und so bleibt ihr dieser Anblick erspart. Vielleicht ist es auch gut so. Womöglich würde sie sonst sofort kündigen. Bei all diesen Gedanken übersehe ich fast, daß in diesem Sumpf eine tote Kuh liegt. Sie bleibt auch da liegen, als wir fertig sind. Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Es kann nicht mehr schlimmer werden. Die meisten Tiere haben keine Ohrnummern und sehen schrecklich aus. Endlich ist alles geschafft. Wir wenden uns ab von dem Elend. An Waschen ist nicht zu denken. Ich will nur einflechten, dass es die ganze Zeit über regnete und Temperaturen um Null Grad herrschten. Also steigen wir so wie wir sind ins Auto und freuen uns auf eine warme Dusche und das wir unverletzt davon gekommen sind. Die Einladung zum Essen lehnen wir dankend ab. Es wird sich noch zeigen, wie weitsichtig diese Absage war.
Fünf Tage später ereilt uns ein Anruf aus eben diesem Stall. Eine Kuh ist seit dem Tag der Probennahme in der Geburt und es geht nicht voran. Die Nachbarn hätten ihm mitgeteilt, dass die Kuh im Graben liegt und hinten ein Kalb raus guckt. Welch ein aufmunternder Vorbericht. Mein fleißiger Assistent fährt an die Front. Als er zurück ist, berichtet er folgendes: Die Kuh lag in dem kniehohen Morast. Das ungeborene Kalb war schon lange tot und aufgedunsen. Erwartungsgemäß war die Genesungsaussicht der werdenden Mutter schlecht. Mit Mühe gelang es meinem Assistenten den toten Fetus aus dem sterbenden Tier zu gebären. Aus der Gebärmutter entleerte sich ein großer Schwall übel riechender trüber Flüssigkeit. Nun wollte sich der mutige Tierarzt der Behandlung des armen Muttertieres widmen, um wenigstens einen Erfolg zu haben. Und da hört er: Bitte keine Medikamente, wir wollen die Kuh schlachten und zu Weihnachten essen. Nun kann er den Brechreiz nicht mehr unterdrücken und muß sich übergeben. Sofort muß ich an die Einladung zum Essen denken und was uns erspart geblieben war. Und dann denke ich, ob der Bauer noch nichts von einer Fleischbeschau gehört hat.
Wir besprechen in der Praxis das Erlebte. Ich entschließe mich, das Veterinäramt zu kontaktieren. Schließlich ist es unsere Aufgabe als Tierarzt Leiden von den Tieren abzuwenden.
Wer nun denkt, die Sache wäre erledigt, der irrt gewaltig. Zwei Tage später kam ein erneuter Anruf, dass es der Kuh so schlecht geht. Der Fleischer kann erst in einer Woche. Außerdem ist erst der 14. 12. und bis Weihnachten ist noch lange. Die wollen wirklich dieses kranke Tier essen. Entweder sie haben eine sehr starke Magensäure oder sie sind schon resistent gegen Fäulniskeime. Die ständigen Diskussionen über Gammelfleisch werden so ad absurdem geführt.
Mein Assistent fährt nun zum zweiten Mal zu dieser bedauernswerten Kuh. Was er dort soll, ist fraglich. Fast alle Medikamente haben eine Sperrfrist. D.h. es muß eine gewisse Zeit zwischen der Applikation der Arzneien und dem menschlichen Verzehr eingehalten werden. Das gilt sowohl für Milch als auch für Fleisch.
Gespannt warte ich auf den Bericht über erneute Katastrophen. Die Kuh lag allein auf der matschigen Koppel und der Bauer stand daneben. Zum Festhalten hatte er nur eine Paketstrippe. Die Kuh war so sehr widerspenstig, dass die Behandlung nicht möglich war. Nun verschwand der Bauer für eine Stunde um einen geeigneten Strick oder ähnliches zu holen. Dann konnte der Kuh ein orales Stärkungsmittel eingegeben werden. Wir wollen hoffen, dass der Schlächter diesem Spuk bald ein Ende bereiten kann.