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Schwäne sind auch nur Menschen

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Wieder einmal bekomme ich an einem sonnigen Sonntag im Juli einen Anruf von der Feuerwehr. Solche Anrufe versprechen meist einen aufregenden aber abwechslungsreichen Einsatz. Leider sind diese Aktionen oft sehr langwierig. Der Mann am anderen Ende der Leitung ist fast dankbar, mich gefunden zu haben. Ich erfahre nun, dass auf einem Badesee in einer Nachbargemeinde ein Schwan den Köder eines Anglers mit samt dem Haken verschluckt hat. Das Ende der Angelsehne hängt noch aus dem Schnabel.“ Vielleicht können sie den Schwan einfangen und den Haken herausziehen“ War der gut gemeinte Rat des Anrufers. Na ja, so einfach wird es wohl nicht werden. Mit Ziehen kann ich nur noch größeren Schaden anrichten. Ich packe mir alles, was eventuell notwendig werden könnte, zusammen und fahre los. Der Badesee ist ein beliebtes Ausflugsziel in unserem Kreis. Die eine Seeseite wird als öffentliche Badewiese genutzt, während auf der anderen Angler und Spaziergänger ihre Entspannung suchen. Die Schwäne benutzen beide Seeseiten. Als ich eintreffe, steht dort ein Feuerwehrwagen um den sich fast alle Badegäste versammelt haben. Ich „liebe“ solche Menschenaufläufe. Ich bahne mir also einen Weg durch diese Menschentraube. Es wird ein zäher Kampf, da ich die Worte „Ich bin Arzt, lassen mich durch“, vermeide. Wir besprechen die Situation. Die Feuerwehr hat ein Schlauchboot. Ich bestücke mein Blasrohr mit einem Pfeil und steige in das Boot. Vorsichtshalber nehme ich einen großen Kescher mit. Ich hatte noch nie einen Schwan in Narkose gelegt und so gingen mir allerlei Gedanken im Kopf umher. Wie viel wiegt so ein Tier, wohin schießt man den Pfeil und wenn er dann einschläft, geht er dann unter? Wir jagen über den See. Es gibt viele Schwäne und so dauert es einige Zeit bis wir den, mit der Angelsehne aus dem Schnabel, ausgemacht haben. Es gelingt, den Schwan von den anderen abzusondern. Ich will ihn lieber in der Nähe vom Ufer betäuben, um ein Ertrinken zu vermeiden. Und tatsächlich geht das gestresste Tier sogar an Land. Mir gefällt das sehr gut. Aber einer der zuschauenden Angler treibt den Schwan wieder ins Wasser. Ich muss meinen Unmut unterdrücken. Denn gerade komme ich in eine gute Schußposition und glücklicher Weise treffe ich gleich beim ersten Mal. Der Schwan schläft ein und geht nicht unter. Somit war die erste Hürde genommen. Ich transportiere das schlafende Tier in die Praxis. Als erstes mache ich eine Röntgenaufnahme, um die Lage des Angelhakens zu bestimmen. Gut für den Schwan, der Haken sitzt genau in der Mitte des langen Halses. Da ich den Haken nur operativ aus dem Muskel der Speiseröhre ohne Schaden entfernen kann, muss der Patient in den OP. Nun wird die Narkose durch eine Narkosemaske vertieft. Die eigentliche OP ist nicht so schwer. Ich finde den Haken schnell. Dann beginnt die langwierige Prozedur des schichtenweisen Zunähens. Nun wird die Narkose abgeschaltet. Ich beschließe, meinen Patienten noch zwei Tage zur Beobachtung in der Praxis zu behalten. Der Schwan erholt sich auffallend schnell und frisst problemlos. So kann ich ihn wieder zu seinen Verwanden und dem See bringen. Ich wickle ihn in eine Decke und bringe ihn ans Ufer. Diesmal ist der Menschenauflauf nicht so groß. Als der Schwan auf das Wasser zuläuft, geschieht etwas völlig unerwartetes. Aus der Gruppe der auf dem See schwimmenden Schwäne kommt ein Tier genau auf uns zu. Im Wasser treffen beide Tiere aufeinander. Nun begann ein kaum zu beschreibendes Begrüßungsritual. Die beiden Tiere umarmten sich fast. So wie ein altes Ehepaar, das lange getrennt war. Dann schwammen sie beide nebeneinander zu den übrigen Schwänen. Für mich war das der beste Lohn meiner Arbeit.

Erna geht zu Fuss

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