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ОглавлениеMax Schulte
Vielleicht ein paar Sätze zu Max Schulte.
Vor der Versetzung zum MUK Berlin und nach meinem Jurastudium war ich aufgrund meiner herausragenden Leistungen und Talente einer Sonderkommission zugeteilt worden, die sich mit Verbrechen und Korruption auf den allerhöchsten Ebenen befassen sollte. Es gab nur eine Handvoll von uns, die allesamt direkt dem Oberstaatsanwalt unterstellt waren. Es war der absolute Traumberuf. Mehr ging nicht. Außer vielleicht Diplomat in den Vereinigten Staaten oder in Paris. Für mich war es der reinste und meiner damaligen Überzeugung beste Weg, dem Sozialstaat, wie ich ihn mir vorstellte und wie ich ihn begriff, zu dienen. Es dauerte Jahre, bis mir klar wurde, dass wir nichts, aber auch wirklich gar nichts bewirkten, bewahrten, veränderten oder auch nur annähernd beschützten, was mir zu Beginn vorgegaukelt worden war. Wir waren Marionetten. Wir waren Vorführpüppchen, alle hochqualifiziert, bestens ausgebildet, aber eben nur teure Alibis, die von denen ganz oben benutzt wurden, um die unten zu beruhigen. Um ihnen zu zeigen: „Seht her, wir lassen uns kontrollieren und ihr werdet nichts finden.“ Aber es war alles nur Schein. Kein Sein. Wir verrichteten unsere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen. Und sie ließen uns immer wieder suchen und ermitteln, und auch manchmal agieren. Aber nie, niemals kam es so weit, dass wir tatsächlich einen von da oben dran bekamen. Letztlich schritt jemand ein und es wurde revidiert und korrigiert, was das Zeug hielt. Selbst der Oberstaatsanwalt war nur eine Marionette, gesteuert von einem kleinen Kreis von machtvollen eingeweihten Männern, die alle Fäden in den Händen hielten.
Eines Tages bekam ich einen Fall auf den Tisch, in dem ein junger Grenzsoldat einen Zivillisten bei einer Routinekontrolle an einem Grenzübergang erschoss. Der Fall landete auf unserem Tisch, weil der mutmaßliche Täter, Max Schulte, der Sohn eines verdammt hochrangigen Militärsoldaten war. Und wenn ich hoch meine, meine ich, höher geht kaum mehr. Bei unseren Ermittlungen stellte sich heraus, dass es keinerlei Hinweise auf die Notwendigkeit zur Verwendung einer Schusswaffe gab. Wir deckten alle Schwachstellen seiner Aussagen auf, zerpflückten sie wie Pergamentpapier in der Luft und verbrannten sie, bevor sie am Boden aufkamen. Alles, was Max Schulte zu seiner Tat sagte, war erstunken und erlogen. Er hatte sich nicht einmal große Mühe gemacht, sich auch nur etwas halbwegs Intelligentes auszudenken, was ihm eventuell den Kopf retten konnte. Er war sich seiner selbst von Beginn an sicher gewesen. Viele Male zuvor war er bereits wegen verschiedenster Vergehen beobachtet und angezeigt worden. Nötigung, sexuelle Nötigung, Korruption etc. und nie kam er vor Gericht deswegen. Doch dieses Mal legten wir dem Oberstaatsanwalt eine zu einhundert Prozent dezidierte und unzerrüttbare Ermittlungsakte vor, die Schulte nicht den kleinsten Spalt für einen Durchflutscher bot. Es war perfekt. Es gab keinen Ausweg, keine Alternative zu einem Schuldspruch. Bis der Staatsanwalt im Prozess all unsere schönen Ermittlungsergebnisse dafür nutzte, um Max Schulte eine lückenfreie Rechtfertigung für die Nutzung der Schusswaffe zu basteln. Als Schulte daraufhin freigesprochen wurde und er mit einem schrägen Grinsen im Gesicht den Gerichtssaal verließ, tickte es bei mir aus und ich wollte dem verdammten Dreckskerl nur noch so lange seine verdammte Fresse polieren, bis ihm sein dämliches Grinsen auf ewig in seinem dämlichen Gesicht eingemeißelt blieb. Doch ich kam gar nicht an ihn heran. Laut fluchend wollte ich mich auf ihn stürzen, doch die anwesenden Bullen im Saal hielten mich fest, bevor ich auch nur halbwegs in Schlagdistanz zu ihm war. Nach diesem Vorfall beschlossen der Oberstaatsanwalt und ich, dass es für alle Beteiligten das Beste war, wenn ich mir zuerst einmal eine Auszeit nahm, um dann neu orientiert beim MUK zu beginnen.