Читать книгу Kehrtwende - Dirk Bierekoven - Страница 13
ОглавлениеGerechtigkeit ist Vergeltung
Dieses Mal hatte er sich nicht mehr übergeben müssen.
Dieses Mal nicht.
Dieses Mal war alles viel einfacher gewesen.
Er kniete noch über seinem Opfer. Das Messer in seiner linken und aufgestützt auf seiner rechten Hand. Er beobachtete, wie das Blut von dem Messer auf die Überreste dessen, was einmal ein Gesicht war, herabtropfte, und wartete, dass ihm übel wurde. Doch das tat es nicht. So schnell gewöhnt man sich also an Grauenhaftes, dachte er. Er war ruhiger gewesen dieses Mal. Besonnener in seiner Vorbereitung, effizienter und klarer in seinem Handeln. Nicht mehr nur blind getrieben von Schmerz und Rachegelüsten. Seine wahre Rache hatte er im Grunde bereits vollbracht. Dies war nur weitere Gerechtigkeit. Seine Gerechtigkeit.
Und ein passendes Strafmaß für seine Tat, das außerhalb eines Strafmaßes dieser künstlich geschaffenen Gesellschaft und ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit lag. Hier waren moralische Interpretationen von Höheren gefragt. Hier war Nietzsche gefragt. Und Nietzsche antwortete:
Gerechtigkeit ist Vergeltung und Austausch.
Und wer Tod bringt, verdient nur eine Strafe zum Austausch, den Tod.
Er sah auf das zerschundene Gesicht hinab. Auf die tiefen Wunden, aus denen das Blut eben noch gesickert war und die jetzt wie kleine, erschrockene Kindermünder aussahen. Er drehte den Kopf seines Opfers, um die Augen betrachten zu können. Er wollte sehen, ob der Schrecken in ihnen haften geblieben war. Doch es lief nur eine weiß-rote Matsche aus den tiefen Höhlen heraus. Er war erstaunt über seine eigene Kaltblütigkeit. Nichts regte sich in ihm. Er blieb neben seinem Opfer knien, schaute auf es hinab und versuchte, sich gewahr zu werden, was seine nächsten Schritte sein würden. Er sah sich um, ob er immer noch alleine war. Er suchte nach Spuren, die er zu beseitigen hatte. Er öffnete die Hände des Toten und schaute, ob er etwas festhielt, das von ihm war, fand aber nichts. Er legte seine Hand in die geöffnete des Toten. Es fühlte sich fremd an. Der Tod war zu spüren. Nichts fühlte sich vergleichbar an. Er fuhr mit seiner flachen Hand über die erschlaffte des Toten, um sicherzugehen, dass nichts haften geblieben war. Er sah sich die Fingernägel an, nahm sein Messer und reinigte sie. Stand auf, sah an sich herunter, ob an seiner Kleidung etwas fehlte, fand aber alles an seinem Platz. Er schritt den Weg zurück über den Rasen bis zu der Stelle an der Häuserecke, wo er gestanden und gewartet hatte, suchte dort nach Fußspuren und fand einige. Er lief zum anliegenden Haus, öffnete die Mülltonne, nahm vier Holzstücke heraus und kratzte mit diesen den Rasen an der Häuserecke auf. Dann ging er wieder zur Mülltonne zurück, nahm reichlich Unrat heraus und verstreute ihn auf der Leiche und um sie herum. Das wiederholte er dreimal, bis er glaubte, dass es ausreichend war, um seinen Geruch zu übertünchen. Er steckte die Holzstücke und sein Messer in seine Taschen und lief die Straße hinunter, fort in die Dunkelheit. Er wusste, dass ihn niemand aufhalten würde. Er tat das Richtige und niemand würde das bezweifeln können. Das Schicksal war auf seiner Seite. Es musste einfach auf seiner Seite sein, auf der Seite der Gerechtigkeit.