Читать книгу Vieles scheint unmöglich, bis du es schaffst! - Dirk Leonhardt - Страница 11
Vom Rad-Abenteuer zum längsten Triathlon der Welt
ОглавлениеDa ich nicht bei einem organisierten Wettkampf an den Start gehen wollte, gab es drei wichtige Themen, die Teil der Vorbereitung meines Sportprojektes waren: die Organisation des Vorhabens sowie das mentale und das körperliche Training.
Das Wichtigste bei der Vorbereitung eines großen Projektes ist, sich über das Ziel völlig im Klaren zu sein. Seit Oktober 2019 plante ich also für den Sommer 2020 eine Radreise vom Nord- zum Südpunkt Europas. Das klang nach Abenteuer. Und ich wollte endlich mal wieder ein sportliches Abenteuer erleben. Eine Tour, die ich in dieser Art vorher noch nie geschafft hatte. Dieses Ziel festigte ich als erstes mental, indem ich mir eine Vision aufbaute. Ich stellte mir vor, wie es wohl sein wird, wenn ich am Nordkap stehe und voller Aufregung auf mein Rad steige. Ich schaute mir Bilder und Videos der Umgebung an und visualisierte, wie es ist, durch die Wildnis Finnlands zu radeln. Ich dachte mit Freude daran, wie ich durch die Straßen Sankt Petersburgs fahre und verbrachte Stunden am PC damit, die Route durch Osteuropa zu optimieren. Die Idee, eine Europareise aus eigener Kraft zu bewältigen, faszinierte mich immer weiter. So entstand Stück für Stück die Vision eines ultimativen Abenteuers.
Im Januar startete ich mit dem sportlichen Training. So oft es ging, fuhr ich mit dem Rad zur Arbeit, was jeweils 50 Kilometer waren – 25 Kilometer hin, 25 Kilometer am Abend wieder zurück. Mitte Februar stand dann meine erste große Trainingstour auf dem Programm: Ich fuhr mit dem Rad von meiner Haustür in Bruchköbel bis nach Leipzig. Nach knapp 355 Kilometern und etwa 3.000 Höhenmetern kam ich nach 15 Stunden und 26 Minuten mitten in der Nacht in meinem Hostel an. Bereits für den nächsten Morgen war die Rückfahrt geplant, doch das Wetter war ziemlich miserabel, und der starke Wind wehte mir ständig Regen ins Gesicht. So entschied ich mich nach 90 Kilometern, doch den Zug für den Heimweg zu nutzen und fand in Apolda den nächstgelegenen Bahnhof. Mit vor Kälte klappernden Zähnen musste ich mir eingestehen, dass der Wettergott diese Schlacht gewonnen und mich erfolgreich zermürbt hatte. Andererseits war ich stolz, dass ich so vernünftig gewesen war, aufzugeben, um keine schwere Erkältung zu riskieren. Und zu guter Letzt: Eine Fahrt mit der Deutschen Bahn samt Fahrrad kann auch mal schnell zu einem Abenteuer werden...
Ein Wochenende zu zweit: Mein Rad und ich in Leipzig.
Ende Februar absolvierte ich dann zur Abwechslung auch mal einen 5-Kilometer-Trainingslauf, einfach nur, um neben dem Radfahren auch mal etwas Laufen zu trainieren. Anfang März stand dann das nächste Bikepacking an: Ich fuhr über Frankfurt ins französische Nancy. Das waren 336 Kilometer und über 2.800 Höhenmeter. Unterwegs hatte ich mit mehreren technischen Defekten zu kämpfen und musste mir sogar einen neuen Fahrradmantel kaufen. In Nancy angekommen, checkte ich wieder für einige Stunden in ein Hotel ein und fuhr am nächsten Morgen direkt zurück. Die Streckenwahl zunächst nach Leipzig und dann nach Nancy war natürlich nicht zufällig getroffen, sondern entsprach der Route, die ich im Juli fahren wollte, wenn ich auf der Radtour vom Nordkap auch durch Deutschland und Frankreich kam.
Am Montag nach meiner Tour nach Nancy wurde das Elsass zum Risikogebiet erklärt. Radtouren ins Ausland waren damit also nicht mehr drin, und ich musste mich mit Touren innerhalb Deutschlands begnügen. Doch auch wenn es bis zum ersten Lockdown in Deutschland noch einige Tage dauern sollte, war schon jetzt klar, dass die Corona-Pandemie meine geplante Europa-Radtour gefährden könnte. Die Politiker dachten nur von Woche zu Woche, und es bestand noch immer die Hoffnung, dass der Sommerurlaub wie gewohnt stattfinden könnte. Nichtsdestotrotz wurde mein mulmiges Gefühl immer stärker. Ich begann schweren Herzens damit, mir Alternativen zu überlegen. Rein für den Fall, dass…
Der Umgang mit Rückschlägen und mentalen Herausforderungen war ohnehin Teil meiner Vorbereitungen. Ein Ausdauerwettkampf wird im Kopf entschieden. Das war mir von Beginn an klar. Dabei setzte ich neben der Visualisierung von Erfolgsmomenten ein weiteres Instrument ein: Das Durchspielen von extremen Szenarien, also was mir unterwegs alles passieren könnte. So erarbeitete ich Lösungsmöglichkeiten für den Fall, dass ich einen irreparablen Defekt am Fahrrad oder einen schweren Verkehrsunfall hätte. Ich dachte ebenso darüber nach, wie ich mich verhalten würde, wenn ich während der Radtour plötzlich die Information erhielt, dass meine Oma schwer erkrankt ins Krankenhaus eingeliefert werden müsste. Durch die Vorstellung dieser Schreckensszenarien wird einem später sehr viel einfacher bewusst, wie trivial andere Probleme, wie zum Beispiel ein platter Reifen, sind. Die immer neuen Nachrichten über die Corona-Pandemie passten da gut ins Bild, denn nun war ich gezwungen, auch darüber nachzudenken, was ich machen würde, wenn ich meine Radreise mit zahlreichen Grenzübertritten nicht durchführen könnte. So öffnete ich die imaginäre Schublade mit den „Interessanten Dingen, über die man später mal nachdenken kann“ und stieß dabei auf meine Idee zum längsten Triathlon der Welt. Ich rechnete den möglichen Zeitbedarf aus und stellte fest, dass meine Urlaubstage auch dafür ausreichen könnten. Doch noch war die Radtour für mich deutlich attraktiver und versprach, das schönere Abenteuer zu werden. Außerdem wäre eine lange Triathlon-Reise innerhalb Deutschlands ja auch nicht mit den Corona-Restriktionen vereinbar. Denn daran, im Kreis um meinen Wohnort zu fahren und zu laufen, dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Das mentale Training konnte ich auch beim sportlichen Training umsetzen, und so fuhr ich dann eben den 94 Kilometer langen Vulkanradweg hoch und runter. Als Optimist stand für mich nämlich immer noch fest, dass ich im Juli eine Radtour machen würde. Als Corona-kompatibles und familienfreundliches Mentaltraining nahm ich mir Mitte April dann eine besondere Herausforderung vor: Ich wollte nach Feierabend ein 12-Stunden-Radtraining absolvieren und suchte mir dafür das Industriegebiet im benachbarten Erlensee aus. Hier konnte ich in Ruhe auf durchgängig beleuchteter Strecke meine Runden drehen. Um 18 Uhr ging es los, und bis zum nächsten Morgen um 6 Uhr fuhr ich unzählige Runden zu je 1,8 Kilometern. Am Ende der 12 Stunden hatte ich genau 250 Kilometer geschafft und startete in den nächsten Homeoffice-Tag. So gewöhnte ich mich an wenig Schlaf und strapazierte meine Motivation.
Aber auch der Spaß durfte nicht zu kurz kommen, und so entdecke ich in dieser Zeit mein Mountainbike wieder, auf dem ich die Trails in der Umgebung erkundete. Rund eine Woche nach meiner 12-Stunden-Nachttour startete ich beim Frankfurter Greffelründsche – einer von Ken Kölzer organisierten Veranstaltung, die auf 303 Kilometern quer durch Frankfurt führt, in unzähligen Kurven und Schleifen. Und obwohl das Rennen nur virtuell ausgetragen wurde, musste die vorgegebene Route doch zwingend eingehalten werden. Es ging bergauf und bergab, auf unterschiedlichsten Untergründen und durch die verschiedensten Ecken Frankfurts. In einer Kurve stürzte ich sogar, kam aber mit ein paar Kratzern und leichten Prellungen davon. Am Ende des Events fuhr ich noch von Frankfurt bis nach Bruchköbel zurück, so dass ich am Ende bei etwa 350 Kilometern landete und erst nach vier Uhr nachts zu Hause ankam. Ende April absolvierte ich nochmal eine lange Trainingseinheit auf dem Rennrad und fuhr von Frankfurt nach Kaiserslautern und zurück. Ich schaffte die 300 Kilometer gespickt mit 1.500 Höhenmetern in 12 Stunden und damit in einer für mich sehr guten Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 25 km/h. Drei Tage danach lief ich auch mal wieder 10 Kilometer, wenn auch in langsamen 65 Minuten.
Mit dem Mountainbike ist man mitten in der Natur.
Je weiter die Zeit und auch die Pandemie voranschritten, desto mehr rückte die geplante Radtour ins Reich der Utopie. Anfang Mai war ich dann schließlich gezwungen, die Idee der Radtour für dieses Jahr endgültig ad acta zu legen. Die Reisewarnungen wurden immer wieder verlängert, und gerade für Russland war Reisefreiheit überhaupt nicht absehbar. Zu diesem Zeitpunkt war das eine sehr schwere Entscheidung, denn ich hatte mich seit vielen Monaten auf genau dieses Projekt gefreut und zielgerichtet vorbereitet. Emotional war ich von der erzwungenen Planänderung zunächst ziemlich überfordert. Ich war unendlich enttäuscht und hatte zumindest im ersten Moment das Gefühl, dass die ganzen Vorbereitungen der letzten Monate völlig umsonst gewesen waren. Die vielen Stunden, die ich in die Planung gesteckt hatte, vor allem in die Routenauswahl, waren komplett vergeudet. Ich hatte ein Wohnmobil gemietet, bereits die Anzahlung dafür geleistet und die Fähre gebucht. Und vor allen Dingen: Ich hatte mich schon so sehr auf diese Reise gefreut. Längst sah ich mich bereits vor der Weltkugel am Nordkap, auf den leeren Straßen Nordfinnlands, in Rovaniemi, dem Zuhause des Weihnachtsmanns, auf den Brücken von Sankt Petersburg, mit dem Rennrad durch Riga fahrend…
Doch es gab ja noch Plan B, der im Hintergrund Zeit hatte, etwas zu reifen. So schöpfte ich trotz all der Enttäuschung gleichzeitig auch neue Energie aus dem – zugegebenermaßen etwas überhasteten – Vorhaben eines Mega-Triathlons. Die Idee des längsten jemals absolvierten Nonstop-Triathlons war zu verrückt, als dass die Ausführung nur ein kleines Trostpflaster hätte sein können. Plan B war größer und genialer als der Ursprungsplan. Aber – und das war mir von Beginn an klar – er war auch um einiges riskanter, unberechenbarer und weitaus fordernder. Der Vorteil der Planänderung bestand darin, dass ich trotz der Corona-Pandemie nun ein neues Ziel hatte. Der Nachteil: Neben den Rad-Grundlagen musste ich jetzt natürlich mein Training um deutlich mehr Laufen und vor allem auch Schwimmen ergänzen. Dumm nur, dass die Schwimmbäder alle geschlossen und auch die Badeseen gesperrt waren. Es hätte wahrlich bessere Vorzeichen für einen so extremen Triathlon geben können.
Am Vatertag, dem 21. Mai 2020, war ich das erste Mal seit Ewigkeiten – nämlich seit dem Triple Ultratriathlon in Lensahn 2017 – wieder schwimmen. Im privaten Badesee in Biblis, in dem das Schwimmen glücklicherweise erlaubt war, legte ich 850 Meter in 21 Minuten zurück. Am nächsten Tag startete ich zu einer 24-Stunden-Radtour und fuhr dabei 485 Kilometer nonstop. Auf das verlängerte Wochenende zu Christi Himmelfahrt folgte direkt das Pfingstwochenende, an dem mir auch wieder drei komplette Trainingstage zur Verfügung standen. Entsprechend nahm ich mir ein Triathlon-Pfingsten vor: samstags Radfahren, sonntags Laufen und montags schwimmen. Den Start machte eine 140 Kilometer lange MTB-Tour mit Freunden. Am Sonntag plante ich einen 100-Kilometer-Lauf. Mein Freund Nicki begleitete mich von Beginn an. Wir liefen um viertel vor sechs Uhr am Morgen los, um den Frankfurter Grüngürtel abzulaufen. Der größere Sinn dahinter war ein erster Härtetest für das Laufen, aber auch eine mentale Vorbereitung in Form eines Übertrainings. Denn, wenn ich es schaffte, 100 Kilometer zu laufen, dann sollten doch im Rahmen des Triathlon-Projektes auch zwei Marathons täglich möglich sein. Allerdings hatte ich bereits nach kurzer Zeit mit Knieschmerzen zu kämpfen, und es war trotz tollstem Wetter ein hartes Stück Arbeit, die 100 Kilometer in 15,5 Stunden zu vollenden. Am nächsten Tag schwamm ich 1.200 Meter am „Honisch Beach“, einem Badesee im bayerischen Niedernberg bei Aschaffenburg, da in Hessen noch alle Badeseen gesperrt waren. Nun waren es nur noch vier Wochen bis zum geplanten Schwimmstart des Triathlons. Daher nahm ich mir vor, eine Woche später einen Langdistanz-Triathlon zu absolvieren. Ich schwamm 3,8 Kilometer im bayerischen Badesee, spulte die 180 Radkilometer am Main ab und lief aufgrund mangelnder Motivation doch nur einen Halbmarathon – statt eines Marathons – zum Abschluss dieses Trainingstages.
Halbmarathon zum Abschluss des Trainingstriathlons.
Nun ging es langsam in die heiße Phase. Am 18. Juni fuhr ich zur Streckenerkundung noch eine längere Radeinheit. Am 21. Juni schwamm ich ein letztes Mal 3,8 Kilometer. Zwei Tage später hatte ich einen Beratungstermin im Frankfurter Laufshop und holte mir ein zusätzliches Paar Laufschuhe. Zu Hause angekommen, lief ich die Schuhe direkt noch mit einem sehr langsamen Nacht-Marathon ein. Damit war das Training abgeschlossen.