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Wie plant man einen Weltrekord?

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Bereits am 21. März 2020 – als ich noch fest auf meine Radtour durch Europa gehofft hatte – stellte ich über die Online-Plattform von Guinness World Records den Rekordantrag für den längsten Triathlon der Welt. Ich wusste, dass es etwa drei Monate dauern konnte, bis ich die genauen Regularien erhalten würde. Und die Radtour oder aber eben das Alternativprogramm sollte ja schon in weniger als dreieinhalb Monaten starten. Also hieß es erst mal abwarten und weiter trainieren.

Der Lockdown, der am 22. März offiziell in Kraft trat, war keine Überraschung, doch die Reisewarnungen für das Ausland und die Schließung der Grenzen waren ja erst mal nur zeitlich begrenzt. Anfang Mai fing ich an, mich um die Optionen für die Strecken des Triathlon-Rekordes zu kümmern, insbesondere um das Schwimmen. Ich telefonierte mit der Bürgermeisterin von Bruchköbel, um die mögliche Nutzung des Freibades zu besprechen. Außerdem schrieb ich den Betreibern einiger hessischer Badeseen, auch wegen einer möglichen Nutzung des Langener Waldsees. Letztlich fielen diese Ansätze aus den unterschiedlichsten Gründen buchstäblich ins Wasser, doch die Bemühungen markierten den Startpunkt der organisatorischen Vorbereitung für mein Triathlon-Projekt.

Mitte Mai stand dann endgültig fest, dass ich meine Europa-Radreise nicht antreten konnte. Es war zu unwahrscheinlich, dass die Reisewarnungen in absehbarer Zeit aufgehoben werden würden. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Triathlon-Projekt für mich lediglich eine Not-Option – doch nun wurde es ernst. Ich wollte einfach mein Training nicht verschenken und alles dieser Pandemie opfern. Dass die Entscheidung für den Triathlon-Rekord eher eine glückliche Fügung war, sollte sich erst später herausstellen. Ab jetzt hieß es nicht nur, Laufen und Schwimmen zu trainieren, sondern ebenso die gesamte Organisation zu planen – und auch die genauen Rekordregeln kannte ich bislang noch nicht…

Also kümmerte ich mich zunächst um die Aspekte, die bereits feststanden. Ich bestellte die Trikots und ein Plakat mit dem Rekordtitel. Zudem buchte ich ein Livetracking von FollowMyChallenge. Ich erhielt den Livetracker mit der Post und musste diesen nur regelmäßig aufladen. Den Rest übernahm der Anbieter. Mit dem Livetracker war meine Position beim Radfahren und Laufen jederzeit im Internet abrufbar, und über eine Review-Funktion konnte man den Rekordverlauf genau verfolgen. Damit war zum einen eine Unterstützung durch Freunde und Bekannte einfacher, und zum anderen war die Beweisführung transparent und damit für jeden nachvollziehbar, dass ich mich an die Regeln und Strecken hielt.

Mit der Schwimmstrecke hatte ich dann sehr viel Glück, denn meine Freunde Franzi und Jörg waren gerade dabei, ihr neues Ferienhaus direkt am See in Biblis einzurichten. Die beiden boten mir an, dass ich bei ihnen im See schwimmen konnte. Da dieser kein öffentliches Badegewässer ist, gab es keine Corona-Beschränkungen zu befürchten, und mit dem Ferienhaus war zudem die wichtigste Infrastruktur direkt am Seeufer gegeben. Das war wirklich perfekt und diese Unterstützung eine tolle Erleichterung.

Erst am 15. Juni erhielt ich die Rekord-Regularien von Guinness World Records und erlebte einige unangenehme Überraschungen. Die schwerwiegendste Überraschung war, dass die Aufteilung der Triathlon-Disziplinen nicht – wie im Ultratriathlon üblich – anhand der Langdistanz gemessen werden sollte, sondern an der Olympischen Triathlondistanz. Das bedeutete, dass der Schwimmanteil etwa drei Prozent betragen musste und ich statt 126 Kilometer nun 200 Kilometer schwimmen musste, um diese Vorgabe zu erfüllen. Das war für mich ein ziemlicher Schock, weil das Schwimmen aufgrund des mangelnden Trainings natürlich meine schwächste Disziplin war. Somit wurden aus drei bis vier Tagen mindestens sieben Tage, die ich für das Schwimmen – das zwingend im offenen Gewässer durchzuführen war – einplanen musste. Aber das war nicht die einzige Überraschung. Ich musste auch eine verbindliche Route für die Rad- und die Laufstrecke festlegen. Diese Route durfte ich nicht verlassen, und sie musste zudem von einem qualifizierten Vermessungsbüro ganz genau abgemessen werden. Bei der Schwimmstrecke war eine der Vorgaben, dass ich nicht von Seeufer zu Seeufer schwimmen durfte, sondern auf einer Schwimmrunde Bojen setzen musste. Den Schwimmanteil der Gesamtstrecke akzeptierte ich nach einem kurzen Schockmoment sehr schnell, aber die Vermessung konnte zum echten Problem werden. Ich machte mich sofort an die Arbeit und telefonierte, was das Zeug hielt. Noch am gleichen Tag erhielt ich die Zusage vom Vermessungsbüro Hummel in Lampertheim nahe Biblis, dass mich die Firma beim Ausmessen der Bojen unterstützen und dies auch nicht in Rechnung stellen würde. Unendlich erleichtert bedankte ich mich überschwänglich. Ein Problem weniger. Waren da aber noch die etwa 100 Kilometer lange Radstrecke und die 20 Kilometer Laufstrecke, die ja auch noch vermessen werden mussten, was wesentlich aufwändiger werden dürfte.

Nach sehr vielen erfolglosen Anläufen erhielt ich am 17. Juni von einem Vermessungsbüro aus Bruchköbel den Tipp, es bei der Firma TPI Vermessungsgesellschaft aus Langen zu versuchen, da diese über sehr viel Expertise und hochwertige Vermessungsgeräte verfügte. Unverzüglich rief und schrieb ich den Geschäftsführer an, und tatsächlich war das der entscheidende Durchbruch. Herr Och, der Geschäftsführer von TPI, sagte mir ziemlich spontan die unentgeltliche Vermessung zu. Er selbst ist leidenschaftlicher Sportler und Basketballer und war von meiner bevorstehenden Mammutaufgabe sofort fasziniert. Nur wenige Tage später vereinbarten wir einen Termin, um die genauen Anforderungen und Details zu besprechen. Auch im Nachhinein war dies einer der zentralen Momente in der Organisation des Rekordversuchs, denn in so kurzer Zeit eine so lange Strecke qualifiziert zu vermessen, ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.

Jetzt musste ich noch schnell die Strecken verbindlich festlegen, denn hier hatte ich mir eigentlich auch mehr Flexibilität erhofft. Die Vorgabe von Guinness World Records, dass die gefahrene Runde keine Überschneidungen haben und auch keine Wendepunkte enthalten dürfe, machte es nicht einfacher. Also schwang ich mich direkt aufs Rennrad und fuhr meine angedachte Radrunde ab. Am nächsten Morgen ging es mit dem Mountainbike durch Bruchköbel, um die Laufstrecke auszutesten und über einen GPS-Track aufzuzeichnen. Am 22. Juni begann die Vermessung von Rad- und Laufstrecke durch die Firma TPI. Von diesem Zeitpunkt an stand vor meiner Haustür in großen leuchtenden Buchstaben „Start“ auf der Straße.


Nach der Streckenvermessung stand „Start“ vor meinem Haus.

Am Montag, dem 29. Juni, waren es noch drei Tage bis zum Start. Jetzt setzte ich die Bojen, und die Schwimmstrecke wurde vermessen. Die Distanz zwischen den äußeren Bojen betrug genau 183 Meter 73 Zentimeter und 5 Millimeter. Somit war eine Schwimmrunde auf der Ideallinie mindestens 367 Meter und 47 Zentimeter lang. Jetzt fehlten mir nur noch die Vermessungsberichte in schriftlicher Form, so dass ich diese bis spätestens Mittwoch – also zwei Tage später – auf der Plattform von Guinness World Records hochladen konnte.

Am Mittwoch, dem Tag vor dem Start des Triathlons, musste ich mein Rad aus der Werkstatt holen und die Vermessungsberichte hochladen. Die zahlreichen Vordrucke zur detaillierten Dokumentation des Triathlons, die notwendigen Kopien und mehrere Ausdrucke der Wettkampfregeln füllten fast einen ganzen Ordner. Auch das Kamera-Equipment für die Video- und Fotodokumentation musste nochmal geprüft werden, bevor alles im Auto verstaut wurde und die Fahrt an den See beginnen konnte. Spätestens jetzt war mir klar, wie toll eine organisierte Veranstaltung ist, bei der man sein Startgeld bezahlt und sich dann nur noch um sich selbst kümmern muss. Die Leistungen der Veranstalter sieht man als Athlet oftmals nicht, und die allermeisten unterschätzen die anstehenden Organisationsaufgaben und den damit verbundenen Aufwand wahrscheinlich deutlich.


Die Vermessung der Schwimmstrecke.

Danach machten wir uns auf den Weg zum Badesee in Biblis. Kaum angekommen, räumten wir das Auto aus, verstauten das Rad im Lagerraum des Ferienhauses und legten das Equipment für den nächsten Morgen bereit. Die Kamera und das Stativ für die vollständige lückenlose Videodokumentation der kommenden Tage baute ich bereits am Nachmittag auf, damit beim Start alles einsatzbereit war. Erst dann, als die wichtigsten Punkte erledigt waren, stieg so langsam die Nervosität in mir auf.

Die letzten Tage und Stunden waren sehr stressig gewesen, dadurch hatte ich so gut wie keine Zeit gehabt, mich mit mir selbst und meinen Gefühlen zu befassen. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt sicherzustellen, dass ich alle organisatorischen Vorgaben und die notwendigen Vorbereitungen erfüllt hatte. Doch jetzt, als schließlich Ruhe einkehrte, war ich mir auf einmal ziemlich unsicher, ob das alles eine so gute Idee war und ob ich mit dem Druck, der ab jetzt auf mir lastete, umgehen könnte. Auch hatte ich mich wenig bis gar nicht mit meinen eigenen Erwartungen an den Weltrekordversuch auseinandergesetzt. Die Idee zum Rekord war nicht das Ergebnis langer Planungen, und mir war klar, dass ein Scheitern durchaus im Bereich des Möglichen lag – spätestens, seit mir einige Bekannte und Freunde gesagt hatten, dass sie sich nicht vorstellen könnten, dass ich das schaffen würde. Erst recht nicht mit so wenig Vorbereitung beim Schwimmen und Laufen. Das zeigte mir gleichzeitig aber auch, dass es im Prinzip keinen großen Erfolgsdruck von außen gab – zumindest nicht aus meinem Umfeld. Für mich und meine Gefühlswelt war das Scheitern ohnehin kein Thema. Ich glaubte aus tiefster Überzeugung daran, dass ich alle drei Disziplinen und Distanzen absolvieren konnte – und auch erfolgreich absolvieren würde. Für den Fall, dass etwas unplanmäßig verlaufen oder ich die ehrgeizig gesetzten Distanzen nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erreichen sollte, standen mir acht Tage Puffer zur Verfügung. Und da die Rekordrichtlinien überhaupt kein Zeitlimit vorgaben, wäre auch ein Weiterführen des Rekords parallel zur Arbeit eine Not-Option gewesen. So war ich mir ziemlich sicher, dass ich die Kraft besitzen würde, den gesamten Triathlon – wenn auch langsam – zu finishen.

Sorgen und Ängste bereiteten mir in Bezug auf das Rekordprojekt all die Dinge, die ich nicht beeinflussen konnte. In der Wirtschaftssprache würde man dazu externe Schocks sagen. Ich könnte jederzeit einen Unfall haben oder mich schwer verletzen. Solche Vorstellungen machten mir Angst oder bereiteten mir zumindest Sorge. Aber da ich diese Dinge nicht wirklich steuern konnte, lohnte es sich nicht, viel darüber nachzudenken. Ich hielt all diese externen Risiken für eher unwahrscheinlich und glaubte fest an mich.

Viel schwerer als die negativen Gedanken wog die Vorfreude auf dieses außergewöhnliche Sportprojekt. Das wahrscheinlich größte und intensivste sportliche Ereignis meines Lebens. Mein erster Weltrekord. Der längste jemals absolvierte Triathlon. Schon allein am Start zu stehen und es zu versuchen, war ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

Mit einem aufgeregten Kribbeln in der Magengegend bestellte ich für mein Team, bestehend aus Jörg und Franzi, Ilsa und meinen Kindern, meiner Mutter und Nils, der als Fotograf mitkam, eine Runde Pizza. Wir quatschten noch eine ganze Weile, wodurch ich glücklicherweise von meiner Nervosität abgelenkt wurde. Doch immer wieder ging mein Blick hinaus auf den See. Es fühlte sich surreal an, dass ich, jetzt noch warm angezogen, hier gemütlich saß und schon vom nächsten Tag an für mehrere Wochen quasi pausenlos im Wettkampfmodus sein würde. Im Endeffekt war es – glaube ich – ganz gut, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau wusste, was da alles auf mich zukommen sollte.

Vieles scheint unmöglich, bis du es schaffst!

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