Читать книгу Der strafprozessuale Zugriff auf Inhaltsdaten in der Cloud - Dirk Meinicke - Страница 25
2. Konsequenz: Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Eingriffsnorm
ОглавлениеAnhand der vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass einer analogen Anwendung strafprozessualer Eingriffsnormen unüberwindbare verfassungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es hat sich gezeigt, dass, jedenfalls im Bereich durchschnittlich eingriffsintensiver strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, allein der Gesetzgeber befugt ist, die Voraussetzungen – jedenfalls alle wesentlichen Voraussetzungen – festzulegen, unter denen ein Eingriff in eine spezifische verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition zulässig ist.238 Dies führt zur Forderung nach hinreichend bestimmten bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlagen, die einer Ausdehnung über den vom Gesetzgeber vorgegebenen Eingriffs- bzw. Regelungsbereich durch Analogiebildung oder Schaffung gewohnheitsrechtlicher Eingriffsgrundlagen hinaus nicht zugänglich sind. Das deckt sich inhaltlich mit den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgestellt239 und die es auf Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit übertragen hat. Bei diesen müssen demnach „der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden“.240 Für die folgende Untersuchung ist hiernach von folgenden Prämissen auszugehen:
Die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Eingriffsgrundlagen dürfen nur innerhalb ihres spezifischen Eingriffsbereichs angewendet werden. Hat der Gesetzgeber in einer Ermächtigungsnorm einen bestimmten Eingriff in ein bestimmtes Grundrecht geregelt und entsprechend die Eingriffsvoraussetzungen hierauf abgestimmt, kann dieselbe Norm nicht – auch nicht innerhalb des möglichen Wortsinnes – den Eingriff in eine andere grundrechtlich geschützte Rechtsposition begründen. Ausnahmen können höchstens dann bestehen, wenn eine sog. Minus-Maßnahme vorliegt, der mögliche Anwendungsbereich der Norm also nicht voll ausgeschöpft wird. Eine solche Erweiterung ist jedoch dann als unzulässig einzustufen, wenn sie sich gegenüber der Eingriffsermächtigung als aliud darstellen, da sonst wieder eine Umgehung besteht.241 Die Entscheidung darüber, ob dieser neuartige Eingriff unter den in der Norm genannten Voraussetzungen zulässig ist, obliegt allein dem Gesetzgeber.
171 Siehe hierzu nur Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 160f. sowie ders., in ders./Monitel/Schuhr (Hrsg.), S. 233f., jeweils m.w.N. 172 Zum Folgenden eingehend Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94 Rn. 1ff. m.w.N. 173 Vgl. zu Letzterem vor allem Landau NStZ 2007, 121ff.; allgemein zur Notwendigkeit der Abwägung von Rechten des Beschuldigten und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege siehe nur BVerfG NJW 2012, 907, 909 mit zahlreichen weiteren Nachw.; frühzeitig krit. gegenüber dem Topos der effektiven Strafrechtspflege Hassemer StV 1982, 275ff.; weiterführend zum Ganzen Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 166ff. m.w.N. 174 Siehe nur Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 125f. m.w.N. 175 Vgl. hierzu und zum Folgenden statt Aller BVerfGE 46, 214, 222ff.; aus jüngerer Zeit etwa BVerfGE 133, 168, 199 m.w.N. 176 BVerfGE 46, 214, 222. 177 BVerfGE 46, 214, 222f. 178 Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94, Rn. 2; eingehend BVerfGE 133, 168, 200f. mit ausführlichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 179 BVerfGE 57, 250, 274ff. Gercke, in: HK-StPO, vor §§ 94ff. Rn. 3. 180 Vgl. etwa BVerfGE 19, 342, 347. 181 EuGH, Rs. C-199/92P, Hüls, Slg 1999, I-4283 Rn 149; Rs. C-235/92P, Montecatini, Slg 1999, I-4539 Rn 175f. 182 So etwa die Formulierung in Art 48 Abs. 1 GRC. 183 Valerius, in: BeckOK-StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 31; van Vormizeele, in: Schwarze/Becker/Bär-Bouyssière-EU-Kommentar, Art. 48 GRC, Rn. 6. 184 Van Vormizeele, in: Schwarze/Becker/Bär-Bouyssière-EU-Kommentar, Art. 48 GRC, Rn 3. 185 EGMR NJW 2011, 1789f.; BVerfGE 74, 358, 371; BGH NJW 1975, 1829, 1831; van Vormizeele, in: Schwarze/Becker/Bär-Bouyssière-EU-Kommentar, Art. 48, GRC Rn. 3 186 Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94, Rn. 9 m.w.N. 187 BVerfGE 82, 106, 115; 188 Vgl. hierzu Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 128ff.; knapp auch bereits Meinicke, Zugriff, S. 33ff. 189 Grundlegend Amelung, Rechtsschutz, S. 15f.; Amelung, JZ 1987, 737, 745; ferner etwa Roxin/Schünemann u.a., Strafverfahrensrecht, § 29, Rn. 3; Böckenförde, Ermittlung, S. 113f.; Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor § 94, Rn. 1; weitere Nachw. bei Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 118. 190 Statt vieler Roxin/Schünemann u.a., Strafverfahrensrecht, § 2, Rn. 4. 191 Vgl. etwa BGH StV 2001, 214ff. 192 BVerfG NJW 2000, 3557ff. („Fall Theissen“). 193 Vgl. für einen solchen Fall etwa BVerfGE 42, 212ff. 194 Vgl. im Zusammenhang mit § 99 StPO BVerfGE 57, 250, 270ff. 195 Vgl. nur BGHSt 34, 39ff. (unzulässige Tonbandaufnahmen). 196 BVerfGE 100, 313, 364. 197 Siehe nur di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 60 m.w.N.. 198 Vgl. Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor §§ 94 Rn. 1ff. 199 Zuletzt BVerfG NJW 2016, 1781, 1784 m.w.N. aus der verfassungsgerichtlichen Rspr. 200 Siehe nur Bethge/Weber-Dürler, Grundrechtseingriff, S. 40; Wohlers, in: SK-StPO, vor § 94, Rn. 14 – jew. m.w.N.; Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 129; zur Entstehung der Lehre vom Gesetzesvorbehalt Rogall, ZStW 1991, 907, 913ff.; zur weitergehenden sog. Lehre vom Totalvorbehalt, nach der eine gesetzliche Grundlage für jegliches hoheitliches Handeln gefordert ist, siehe Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor §§ 94 Rn. 1 201 Vgl. die kurze Zusf. bei Böckenförde, Ermittlung, S. 123f. m.w.N; BVerfGE 133, 277, 336f. 202 Vgl. zur Gesamtdarstellung 203 Vgl. hierzu aus der Rechtsprechung des BVerfG BVerfGE 133, 277, 336f.; BVerfGE 110, 33, 53ff.; BVerfGE 120, 378, 407f., – alle m.w.N. 204 BVerfGE 133, 277, 336f. 205 St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 34, 165, 192f.; 40, 237, 249; 45, 400, 417f.; 61, 260, 275; zusf. hierzu Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rn. 33, nach dessen Einschätzung die „überkommene Formel der ‚Wesentlichkeitstheorie‘ [...] mehr eine heuristische Wegweisung als eine trennscharfe Grenze für den Gesetzesvorbehalt“ ist. 206 Vgl. hierzu BVerfGE 49, 89, 126f. 207 Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94, Rn. 17 m.w.N.; sehr deutlich Böckenförde, Ermittlung S. 120f. 208 BVerfGE 88, 103, 115ff. 209 Vgl. Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor § 94, Rn. 32 m.w.N. 210 Etwa BGH NStZ 1996, 450ff. für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers (zw.). 211 BVerfG NJW 1996 ,771ff. 212 BGSt 38, 214, 227. 213 Gerke, in: HK-StPO, vor §§ 94ff., Rn. 10. 214 Kudlich, JA 2000, 227; Graf, DRiZ 1999, 281. 215 BVerfG NStZ 2000, 489, 490. 216 Zum Ganzen: Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor § 94, Rn. 47. 217 Zum Ganzen schon Gusy, StV 1998, 526. 218 Vgl. zu beiden Modellen Kuhlen, in: FS-Otto, S. 89ff. m.w.N. 219 Ausführlich Bär, Zugriff, S. 88ff.; i. Erg. Ebenso und m.w.N. auch zur Gegenansicht Böckenförde, Ermittlung, S. 116ff.; ferner Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 139f.; ders., in: ders./Montiel/Schuhr (Hrsg.), S. 233, 239ff. 220 Zusf. und m.w.N. Krey, ZStW 1989, 838, 854; siehe außerdem Kudlich, in: ders./Montiel/Schuhr (Hrsg.), S. 233, 241f.; a.A. etwa Jahn, in: Kudlich/Montiel/Schuhr (Hrsg.), S. 223, 225ff.. insbesondere S. 230f. m.w.N. 221 BVerfGE 26, 186, 204; BVerfGE 45, 346, 351. 222 BVerfGE 20, 323, 331, BVerfGE 25, 269, 285. 223 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 103 Abs. 2 GG, Rn. 163ff. m.w.N. 224 BVerfGE 71, 108, 116; BVerfGE 92, 1, 19; BVerfGE 126, 170, 197. 225 BVerfGE 64, 389, 393; BVerfGE 126, 170,197. 226 BGH NStZ 2014, 392, Rn. 23. 227 Knappe Zusf. hierzu bei Kudlich, GA 2011, 193, 194f.; vertiefend ders., Missbrauchsverbot, S. 141ff. 228 BVerfGE 71, 108, 115; BVerfGE 82, 236, 269; BVerfGE 92, 1, 12; BVerfGE 126, 170, 197f. 229 Überzeugend zum Ganzen Wohlers, in: SK-StPO, vor § 94, Rn. 21ff., insb. Rn. 27; ferner Schäfer, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor § 94, Rn. 22f. – jew. m.w.N. 230 Deutlich Krey, ZStW 1989, 838, 854ff.; i. Erg. ebenso Wohlers, in: SK-StPO, § 161, Rn. 8 a.E. m.w.N. (Fn. 11); Bär, Handbuch, S. 18ff. 231 BGH NStZ 2001, 604, 606. 232 Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit strafprozessualer Eingriffsnormen eingehend und m.w.N. Wohlers, in: SK-StPO, vor § 94, Rn. 22ff. 233 Vgl. hierzu BVerfGE 92, 1, 12ff.; BVerfGE 126, 170, 195ff. 234 Kudlich, in: ders./Montiel/Schuhr (Hrsg.), S. 233, 246: Der Gesetzesvorbehalt gilt im Strafverfahrensrecht „in besonderem Maße“. 235 Wohlers, in: SK-StPO, vor § 94, Rn. 23. 236 BVerfGE 65, 1, 44ff. 237 Vgl. BVerfG NJW 2016, 1781, 1786. 238 Siehe auch Kudlich, in: ders./Montiel/Schuhr (Hrsg.), S. 233, 247f. 239 BVerfG NJW 1984, 419, 422. 240 BVerfG NJW 2004, 2213, 2215a. E; näher zur Bedeutung dieser Rechtsprechung im Zusammenhang mit Art. 10 GG Durner, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 10, Rn. 136ff. 241 Vgl. Menges, in: Löwe/Rosenberg-StPO, vor § 94, Rn. 32ff. m.w.N.