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III. Die »soziale Optimalität« des Marktgleichgewichts im idealtypischen ökonomischen Modell

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Wir hatten oben darauf hingewiesen, dass sich die Mikroökonomie (und damit auch die Umweltökonomie als Kind der Mikroökonomie) nicht auf die Beschreibung, Erklärung und Prognose menschlichen Verhaltens beschränkt (»positive Analyse«), sondern auch den Versuch einer Wertung unternimmt (»normative Analyse«).24 Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass der analysierende Ökonom seine eigenen Präferenzen über die relative Wünschbarkeit von Gütern und sozialen Zuständen zum Maßstab seiner Beurteilung macht. In diesem Sinne muss die ökonomische Analyse wertfrei sein. Beim normativen Ansatz geht es vielmehr darum, Vorstellungen über die Determinanten sozialer Wohlfahrt und die Natur ihrer Verknüpfung, die in der Gesellschaft selbst eine wesentliche Rolle spielen, aufzunehmen und zu operationalisieren. Eine Conditio sine qua non besteht dabei darin, dass das verwendete soziale Wohlfahrtskriterium expliziert wird. So kann der Versuch unternommen werden, von der Gesellschaft hervorgebrachte Allokationen (und Institutionen) an den eigenen Wertvorstellungen der Gesellschaft zu messen und damit Abweichungen aufzudecken, die auf irrtümlich begangene Steuerungsfehler hinweisen oder Anhaltspunkte dafür zu geben, dass gesellschaftliche Handlungsträger tatsächlich andere Ziele verfolgen, als sie vorgeben.

Insgesamt betrachtet ist die Ausbildung einer normativen Komponente notwendig, wenn die Ökonomie auch ein Instrument der kritischen Analyse gesellschaftlicher Zustände und politischer Entscheidungen sein soll. Der normative Ansatz ist keine Spezialität der Wirtschaftswissenschaft. Vielmehr wird eine Vorstellung von dem, was die soziale Wohlfahrt ausmacht, allgemein zur gesellschaftlichen Orientierung als unverzichtbar angesehen. In der öffentlichen Diskussion wird lediglich ein anderer Begriff, nämlich der des »Gemeinwohls«, verwendet. Es gibt wohl keine Gesellschaft, die versucht, ohne diesen Begriff auszukommen.

Andererseits muss jeder, der versucht hat, den Begriff der sozialen Wohlfahrt (des Gemeinwohls) zu operationalisieren und womöglich Bedingungen für ein soziales Optimum (Maximum der sozialen Wohlfahrt) zu identifizieren, einräumen, dass dieses Projekt unter schwerwiegenden grundsätzlichen Problemen und ungezählten Schwierigkeiten im Detail leidet. Hier muss man wohl sagen: Der Weg ist das Ziel.25

Wir wollen das umweltökonomische Anliegen dieses Buches effizient verfolgen und meiden daher den Irrgarten der Wohlfahrtstheorie. Dabei hilft eine einfache (und wohl deshalb in der Literatur sehr populäre) Konvention: Unter der gesellschaftlichen Wohlfahrt verstehen wir die Summe der Nutzen aller Gesellschaftsmitglieder. Die Nutzen können positiv oder negativ sein. Für negative Nutzen hat sich der Begriff »Kosten« eingebürgert.

Ein Zustand ist sozial optimal, wenn er die Differenz zwischen den über alle Gesellschaftsmitglieder aggregierten (positiven) Nutzen und Kosten maximiert. Das Gemeinte wird womöglich (noch!) deutlicher, wenn wir die vorstehend recht allgemein formulierte Frage nach der Definition eines sozial optimalen Zustandes auf das obige Beispiel der Produktion eines Gutes x verengen: Die sozial optimale Produktionsmenge ist dadurch definiert, dass die Differenz zwischen den aggregierten Nutzen und den aggregierten Kosten der Produktion maximal ist.

Natürlich ist mit diesem Konzept gleich die nächste (äußerst unbequeme) Frage aufgeworfen: Wie soll denn der Nutzen gemessen werden? Bei der in Rede stehenden Konvention wird als Näherungsgröße für den Nutzen, den ein Individuum aus dem Gut x zieht, die Zahlungsbereitschaft des Individuums für die Versorgung mit der betrachteten Gütermenge verwendet. Geht es um die Versorgung mit einer zusätzlichen (marginalen) Einheit, so dient entsprechend die marginale Zahlungsbereitschaft als Proxivariable. Nicht alle Individuen ziehen positiven Nutzen aus dem betreffenden Gut. Manche sind vielmehr mit Kosten belastet, insbesondere (im umweltökonomischen Kontext ist hinzuzufügen: aber nicht nur) die Produzenten. Die Zahlungsbereitschaft dafür, Kosten zu tragen, ist negativ. Die negative Zahlungsbereitschaft entspricht der Forderung, für die erlittene Nutzeneinbuße kompensiert zu werden. Geht es um eine (marginale) zusätzliche Einheit des Gutes, so sprechen wir von der marginalen Kompensationsforderung bzw. den Grenzkosten.26

Mit den hier kurz erläuterten Konventionen lautet also die Antwort auf die oben gestellte Frage: Die sozial optimale Produktionsmenge des Gutes x ist erreicht, wenn die Differenz aus der aggregierten Zahlungsbereitschaft für x und den aggregierten von der x-Produktion verursachten Kosten maximal ist.

Betrachten wir nun die marktliche Allokation bei vollständiger Konkurrenz und wenden uns zunächst den Konsumenten als »Nutznießern« der Produktion zu. Da die individuelle Nachfragekurve eines jeden Konsumenten, wie oben begründet, die marginale Zahlungsbereitschaft dieses Konsumenten widerspiegelt, ist die aggregierte Nachfragekurve auf dem Markt eine grafische Illustration des aggregierten »Grenznutzens« (im Sinne der marginalen Zahlungsbereitschaft), den die Konsumenten aus diesem Produkt ziehen. Die Fläche unter der Nachfragekurve repräsentiert daher den gesamten Nutzen der Konsumenten aus dem Gut x.

Wenden wir uns nun der Kostenseite des Marktgleichgewichts und damit den Produzenten als den »Leidtragenden« der Produktion zu. Im idealtypischen Modell, das hier (zunächst) betrachtet wird, spiegeln die Grenzkosten der Produzenten den korrekt bewerteten Ressourcenverzehr wider, der durch die Produktion einer zusätzlichen Einheit des Gutes x entsteht. Die Angebotskurve auf dem Markt repräsentiert daher letztlich die volkswirtschaftlichen Grenzkosten der Produktion des Gutes x. Die Fläche unter der Angebotskurve ist demnach (von den Fixkosten einmal abgesehen) als grafische Illustration der gesamten Kosten anzusehen, die mit der Produktion des Gutes x einhergehen.

Offensichtlich ist das Optimalitätskriterium der Maximierung der Nutzen-Kosten-Differenz dort erfüllt, wo die Differenz der Flächen unter der Nachfrage- und Angebotskurve maximal ist. Anders ausgedrückt, ist die optimale Menge dadurch definiert, dass »Grenznutzen« und Grenzkosten von x einander gleich sind. Dies ist aber gerade im Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve der Fall. Damit sind auch zwischen Angebots- und Nachfrageseite die relevanten Marginalgrößen (Grenzkosten und marginale Zahlungsbereitschaft) ausgeglichen. Wir sehen also, dass im idealtypischen Grundmodell der »vollständigen Konkurrenz« der Marktmechanismus im Gleichgewicht die gesellschaftlich optimale Menge des betrachteten Gutes zur Verfügung stellt.

Darüber hinaus können wir sehen, dass der Marktmechanismus den Konsum dieser insgesamt erzeugten sozial optimalen Menge sozial optimal auf die verschiedenen Konsumenten aufteilt und die Produktion der gesamten Menge in optimaler Weise den einzelnen Produzenten »zuweist«.27

Betrachten wir als Erstes die Nachfrageseite. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass das Gleichgewicht auf der Nachfrageseite dadurch charakterisiert ist, dass sich die marginalen Zahlungsbereitschaften der Konsumenten über die Anpassung der individuell nachgefragten Mengen an den Marktpreis angleichen. Untersuchen wir nun die Optimalität dieses Ergebnisses. Nehmen wir dafür an, die Aufteilung sei statt in der marktgleichgewichtigen Weise so vorgenommen, dass Haushalt kε Einheiten mehr, d. h. und Haushalt lε Einheiten weniger, d. h. erhalten. (Es gilt ) Dann läge (wegen des fallenden Verlaufs der Nachfragekurven) die marginale Zahlungsbereitschaft für das Gut x beim Haushalt k niedriger als beim Haushalt l. Es wäre nun denkbar, dass die beiden Haushalte diese Ausgangslage zum beiderseitigen Vorteil änderten. Sie könnten sich z. B. darauf einigen, dass k dem lε Einheiten des Gutes x zum Preis p* übertrüge. Haushalt k hätte sich durch diesen Tausch verbessert, weil seine marginale Zahlungsbereitschaft für jede Einheit zwischen und unter der dafür erhaltenen Gegenleistung pro Einheit, nämlich p*, läge. Auch Haushalt l würde durch den Tausch bessergestellt. Für ihn läge nämlich die Wertschätzung jeder Einheit zwischen und über dem dafür von ihm an k zu entrichtenden Preis p*. Da also von der zunächst angenommenen Ausgangslage eine Änderung möglich ist, die den Nutzen beider Beteiligten erhöht, kann die Ausgangssituation nicht sozial optimal gewesen sein. Schließlich ist die sozial optimale Aufteilung dadurch definiert, dass die Summe der (über die Zahlungsbereitschaft approximierten) Nutzen der beiden Parteien maximal ist. Der Leser mag sich selbst davon überzeugen, dass eine weitere Erhöhung des über die beiden Konsumenten aggregierten Nutzens nicht mehr möglich ist, sobald die marktgleichgewichtige Allokation , realisiert ist. Das Marktgleichgewicht ist also auf der Nachfrageseite im oben definierten Sinne optimal.

Ähnlich lässt sich für die Angebotsseite argumentieren: Nehmen wir einmal an, in der Ausgangslage werde die insgesamt angebotene Menge x* von den beiden Firmen i und j bereitgestellt, indem i eine Menge und j eine Menge produziert. Dann wären die Grenzkosten von j höher als die von i. Steigert von dieser Ausgangslage ausgehend die Firma i ihre Produktionsmenge auf und senkt die Firma j ihre Produktionsmenge auf , so bleibt die insgesamt produzierte Menge bei x*, die dafür aufgewendeten Gesamtkosten sinken jedoch. Die bei Firma i zusätzlich entstehenden Kosten (in der Abbildung die Fläche )28 sind nämlich geringer als der bei Firma j eintretende Kostenentlastungseffekt (in der Abbildung die Fläche ). Die volkswirtschaftlich eingesparten Kosten (Ressourcen) könnten nach dieser Effizienzsteigerung dazu eingesetzt werden, etwas Nützliches (also mit positiver Zahlungsbereitschaft belegtes) herzustellen. Die Ausgangskonstellation war demnach nicht sozial optimal. Der Leser mag sich selbst davon überzeugen, dass diese Bedingung jedoch von der marktgleichgewichtigen Konstellation erfüllt wird.

Die »soziale Optimalität« des Marktgleichgewichts im idealtypischen ökonomischen Modell wurde oben extrem vereinfacht dargestellt. Dies konnte (vergleichsweise) guten Gewissens geschehen: Die Erklärung sollte sich aus didaktischen Gründen auf diejenigen Elemente des Problems beschränken, die im hier gegebenen speziellen Erörterungszusammenhang (»Internalisierung externer Effekte«) unerlässlich sind. Dennoch ist wohl der Hinweis angebracht, dass eine tiefer schürfende Analyse ein wesentlich differenzierteres Bild vermitteln würde als der obige Text. Auf die Probleme des sozialen Wohlfahrtsbegriffs wurde eingangs schon kurz hingewiesen. Außerdem muss erwähnt werden, dass die obige Präsentation aus Vereinfachungsgründen auf die Verhältnisse in einem einzelnen Markt verengt war. Damit wurde das Instrument der Partialanalyse (genauer: der partiellen Gleichgewichtstheorie) eingesetzt. Eine differenziertere Behandlung müsste jedoch das Zusammenspiel der Vorgänge auf verschiedenen Märkten thematisieren (Totalanalyse (genauer: allgemeine Gleichgewichtstheorie)). Dem Versuch, ein vollständiges Marktsystem mit allen Interdependenzen abzubilden und sein Allokationsergebnis zu bewerten, kommt in der Volkswirtschaftslehre eine fundamentale Bedeutung zu. Die Bemühungen wurzeln schon in den Werken der Gründungsväter der Nationalökonomie z. B. in An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of the Nations, 1776, von Adam Smith. Sie wurden von Kenneth Arrow und Gerard Debreu perfektioniert, die für ihre Beiträge 1972 bzw. 1983 jeweils mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet wurden.29

Wir haben oben die soziale Optimalität eines idealtypischen Marktmodells mit einer modellgestützten Plausibilitätsüberlegung erörtert. Unter dem sozialen Optimum wurde dabei diejenige Allokation verstanden, welche die soziale Wohlfahrt maximiert. Die soziale Wohlfahrt ist dabei als Überschuss der aggregierten Zahlungsbereitschaft über die Kosten definiert worden.

Im Hauptstrom der folgenden Darstellung behalten wir diesen Begriff von sozialer Optimalität bei. Bisweilen ist es jedoch (insbesondere aus didaktischen Gründen, aber auch um der besseren Anbindung an die einschlägige Literatur willen) angezeigt, einen etwas anderen Begriff von sozialer Optimalität zu verwenden. Dieser ist in der wirtschaftstheoretischen Literatur ebenfalls gängig und wird als Pareto- Optimum bezeichnet. Das betreffende Kriterium für die soziale Beurteilung von Zuständen lautet: Ein gesellschaftlicher Zustand A ist einem anderen Zustand B vorzuziehen, wenn sich in A mindestens ein Mitglied der Gesellschaft besser und kein anderes Mitglied schlechter stellt als in B. Dabei wird die individuelle Befindlichkeit stets vom betreffenden Individuum selber eingeschätzt. Dieses Konzept der Operationalisierung des sozialen Wohlfahrtsbegriffs geht auf den italienischen Soziologen und Ökonomen Vilfredo Pareto (1848-1923) zurück und wird als Pareto-Kriterium bezeichnet. Nach dem Pareto-Kriterium ist ein Zustand sozial optimal (»pareto-optimal«), wenn von ihm ausgehend keine Änderung mehr möglich ist, die auch nur ein Mitglied der Gesellschaft besserstellen würde, ohne ein anderes schlechterzustellen.

Das Pareto-Kriterium hat gegenüber dem oben kurz erklärten Konzept der Maximierung der sozialen Wohlfahrt als Summe individueller Nutzen den großen Vorteil, dass es ohne ein kardinales Nutzenkonzept auskommt. Für die Anwendung des Pareto-Kriteriums müssen wir weder voraussetzen, der Nutzen eines einzelnen Individuums könne quantitativ bestimmt werden noch davon ausgehen, ein Nutzenvergleich zwischen verschiedenen Individuen sei möglich. Da kann an der ordinalen Nutzentheorie geschulten Wohlfahrtsökonomen schon ein Stein vom Herzen fallen.30 Der Vorteil des Pareto-Kriteriums mit schwächeren Annahmen auszukommen, hat jedoch seinen Preis:31

Anders als die Idee der Maximierung der aggregierten Nettonutzen der Gesellschaft leidet das Pareto-Kriterium darunter, dass es unendlich viele Zustände gibt, bei denen das Kriterium überhaupt nicht in der Lage ist, eine Ordnung nach deren sozialer Erwünschtheit aufzustellen. Es ist per definitionem nach dem Pareto-Kriterium nicht zu sagen, ob ein Zustand C oder ein Zustand D sozial vorgezogen wird, wenn in C ein Mitglied der Gesellschaft besser steht als in D, ein anderes aber schlechter. Außerdem gibt es unendlich viele Pareto-Optima. Es ist noch nicht einmal so, dass ein beliebig herausgegriffener pareto-optimaler Zustand nach dem Pareto-Kriterium stets einem beliebig herausgegriffenen nicht pareto-optimalen Zustand sozial überlegen ist.

Mit Blick auf das umweltökonomische Anliegen dieses Buches können wir diese wohlfahrtsökonomischen Aussagen hier nicht ausführlicher erläutern. Sie können sie bei Bedarf jedoch leicht nachvollziehen, wenn Sie in einem mikroökonomischen Lehrbuch den Text zur Edgeworth-Box aufsuchen.32 Pareto-optimale Zustände finden Sie in Hülle und Fülle auf der »Kontraktkurve«, die in dieser Box illustriert ist. Nicht pareto-optimale Zustände gibt es diesseits und jenseits dieser Kurve – und zwar ohne Ende.

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