Читать книгу Eisnächte - Ditte Birkemose - Страница 10

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Langsam drang das Geräusch zu mir durch. Meine Augenlider zitterten, ich riss die Augen auf und schaute mich verwirrt um.

Das Telefon! Mit einem leisen Fluch kämpfte ich mich aus dem Bett hoch, taumelte die Leiter hinunter und schnappte mir den Störenfried, der auf dem Tisch gelegen hatte.

Es war David Ballum. Ich unterdrückte ein Gähnen und dachte, diesmal habe er mich im Bett erwischt.

»Hab ich dich geweckt?«

»Überhaupt nicht.« Ich räusperte mich und versuchte, meine Morgenstimme unter Kontrolle zu bringen.

»Ich gehe davon aus, dass Julie noch immer nicht wieder aufgetaucht ist?«

»Sie ist wie vom Erdboden verschluckt ...«

Am anderen Ende der Leitung war es still.

»Ich habe mit Kollegen von der Zeitung gesprochen«, sagte er dann langsam.

Ich presste das Telefon gegen meine Schulter und goss Wasser in die Kaffeemaschine. »Das wollte ich heute machen«, erwiderte ich. »Ist was dabei herausgekommen?«

»Eigentlich nicht. Aber ein Fotograf, Preben heißt er, wunderte sich darüber, dass er nichts von ihr gehört hat, denn sie hat sich sein altes Mobiltelefon ausgeliehen.«

»Warum das?«

»Ja, gute Frage. Wenn Preben das richtig verstanden hat, dann konnte sie ihr eigenes nicht benutzen.«

»War damit etwas nicht in Ordnung?«

»Vielleicht.«

»Das klingt aber doch ein wenig seltsam.« Ich runzelte die Stirn. »Weiß er noch, wann das war?«

»Leider nicht. Aber jedenfalls hat sie mich damit in Griechenland angerufen, er hat nämlich seine alte Nummer erkannt.«

»Wäre es möglich, dass ihrs gestohlen worden ist oder sie es vielleicht irgendwo vergessen hatte?«

»Da können wir beide nur raten«, antwortete er, und ich konnte hören, dass er sich eine Zigarette anzündete. »Aber es ist sehr lange her, dass überhaupt irgendwer sie gesehen hat, und so langsam finde ich das doch beunruhigend. Vor allem, weil ...«

»Ja?«

»Eins macht mir Gedanken«, er zögerte, »und ich hoffe nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt, aber ...« Er schwieg eine Weile. »Es ist eine längere Geschichte«, fügte er dann ernst hinzu. »Können wir uns nicht treffen?«

»Natürlich.« Ich fröstelte und schaute auf die Uhr, es war halb acht. »Ich kann um zehn bei dir sein. Wäre das okay?«

»Auf deiner Karte steht zwar nur eine Mailadresse, aber wenn du mir sagst, wo du wohnst, kann ich auch zu dir kommen.«

Ich lächelte müde und schaute mich um. »Nein, nein«, sagte ich eilig. »Es ist schon besser, wenn ...«

»Hast du noch immer die Schüssel zu Julies Wohnung?«, fiel er mir ins Wort. »Du warst doch da oben, wenn ich das richtig verstanden habe ...«

»Ja.«

»Können wir uns nicht einfach dort treffen?«

»Schon ...« Ich zögerte, runzelte die Stirn und wusste nicht so recht, was ich von diesem Vorschlag halten sollte. »Aber wir können uns auch in einem Café in der Nähe verabreden«, schlug ich vor. Und wir einigten uns auf das Café Bar Dutski.

Ich legte nachdenklich mein Handy weg, nahm eine Tasse aus dem Schrank und schenkte mir Kaffee ein. Marie erhob sich auf ihrer Decke und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz. Jetzt war das Käsebrot an der Reihe. »Ja, ja, geht gleich los«, murmelte ich und öffnete den Kühlschrank.

Ein Sonnenstrahl bahnte sich einen Weg durch die Wolken, und langsam ließ der Regen nach.

Ich schaute mich suchend um und seufzte resigniert. Es war fast unmöglich, einen Parkplatz zu finden. Ich hatte mir Harrys Wagen geliehen und ärgerte mich, weil ich nicht den Bus genommen hatte. Aber ich hatte an diesem Nachmittag einen Termin beim Zahnarzt, und es war so angenehm, nicht auf die allzu unzuverlässigen öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Letztendlich hatte ich Glück und konnte in einer Seitenstraße halten. Ich schloss den Wagen ab und lief über den regennassen Bürgersteig.

Vor dem Café stand eine Unmenge von Kinderwagen, und drinnen gab sich eine Müttergruppe ein Stelldichein. Sie saßen ganz vorn im Lokal, hatten Tische zusammengeschoben, und sie aßen, tranken Kaffee, stillten und plapperten. Auf den Tischen standen Brunchteller, Babybreigläschen und Nuckelflaschen.

Atemlos bahnte ich mir einen Weg und entdeckte David Ballum an einem Tisch bei der Bar. Er knöpfte gerade seine Jacke auf.

»Hallo ...« Ich blies mir eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich hatte schon Angst, du müsstest warten«, sagte ich. »Hat ewig gedauert, bis ich einen Parkplatz gefunden habe.«

»Nein, nein.« Er grinste. »Meine Mutter rief an, als ich gerade gehen wollte, deshalb bin ich eben erst gekommen.«

»Ach, na dann ...« Ich fing seinen Blick auf und musste einfach kichern.

Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich hätte gern eine Tasse Kaffee. Und du?«

»Ja, sehr gerne.« Ich wühlte in meiner Tasche und zog mein Portemonnaie heraus.

Er lege mir die Hand auf den Arm. »Ich geb einen aus«, erklärte er und ging zum Tresen, ehe ich widersprechen konnte.

Ich ließ mein Portemonnaie wieder in die Tasche gleiten und hängte meine Jacke über die Stuhllehne, dann ging ich zum Postkartengestell und suchte sorgsam die lustigste und bunteste für Ursula und Sigge aus, die alles Mögliche sammelten, eben auch Postkarten.

»Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann nimmst du Milch.« David stellte einen Caffè Latte vor mich hin. »Stimmt das nicht?«

»Doch.« Ich lächelte überrascht.

Er zog einen Stuhl zu sich heran. »Mir ist er schwarz lieber«, sagte er.

Ich betrachtete ihn. Er trug Jeans und ein weißes Hemd, das seine sonnengebräunte Haut betonte. »Wo in Griechenland warst du eigentlich?«, fragte ich und war mit den Gedanken woanders.

»Auf Kreta.« Er blies in seinen Kaffee. »In einer kleinen Stadt namens Kalivis. Ist nicht so überlaufen ...«

Wir schwiegen. Es war ein angespanntes Schweigen. Ich platzte fast vor Neugier darauf, worüber er mit mir sprechen wollte, aber aus irgendeinem Grund wusste ich nicht so recht, wie ich dieses Thema anschneiden sollte. Als wir noch einige mehr oder weniger gleichgültige Bemerkungen gewechselt hatten, packte ich den Stier bei den Hörnern.

»Du wolltest über irgendetwas mit mir sprechen«, begann ich. »Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es etwas, das dir Gedanken macht ...«

Er nickte, nahm die Brille ab und putzte sie mit einem Hemdzipfel. »Gestern Abend war Julie online ...«

»Was?« Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Online?«

»Ja.« Er kniff die Augen zusammen. »Manchmal chatten wir auf Facebook, vor allem über die Arbeit und so, und gestern Abend war sie plötzlich da. Um Viertel nach zehn. Oder wer auch immer das nun war, jedenfalls war jemand als Julie online.«

»Das klingt ja seltsam.«

»Und als ich ihr eine Nachricht geschickt habe, hat sie sich sofort ausgeloggt.«

Ich starrte ihn an. »Das Normale wäre doch gewesen, zu antworten. Macht sie das sonst nicht?«

»Das schon ...«

Ich erriet seine Gedanken. »Aber ... wenn sie es nun nicht war? Das ist doch nicht möglich, oder doch?«

»Irgendwer kann ihr Passwort oder überhaupt ihre persönlichen Daten geknackt haben.«

»Ach ...« Einige Zeit lang schwiegen wir beide wieder.

»Wie du weißt, waren Julie und ich vor einem Jahr in Grönland.« Er setzte sich gerade.

»Ja, das haben ihre Eltern erwähnt. Ihr wolltet diese Sache mit den CIA-Flugzeugen untersuchen?«

»Wie viel weißt du eigentlich darüber?«

»Nur, was in den Zeitungen stand.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und ich muss zugeben, dass ich nicht gerade gut informiert bin. Aber offenbar haben CIA-Flugzeuge insgeheim Terroristen transportiert und ...«

»Keine Terroristen«, fiel David mir ins Wort. »Leute, die unter Terrorverdacht standen. Und das ist etwas ganz anderes ...«

»Natürlich.«

»Es sind Menschen, die gegen alle Gesetze festgehalten werden«, erklärte er gelassen. »Die Flugzeuge sind in geheimer Mission unterwegs, und diese Mission hat mit dem Gefangenenprogramm der CIA zu tun. In der Regel benutzen sie den Flughafen von Narsarsuaq, aber im vergangenen Jahr sind auch in Qaanaaq geheimnisvolle Flugzeuge gelandet.«

Ich nickte interessiert.

»Ich habe eine Quelle ...« Er verstummte plötzlich, und ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Genauer gesagt, die hatte ich, aber darauf komme ich noch zurück. Jedenfalls waren Julie und ich da oben und hofften auf ein Interview mit einem dieser Piloten. Normalerweise operieren die Besatzungsmitglieder unter falschem Namen.«

Wir hörten Kinderweinen und Stühlescharren. Offenbar war die Müttergruppe im Aufbruch begriffen.

»Wenn man ein wenig in der Geschichte bohrt, dann stellt es sich heraus, dass sie alle mit der CIA zu tun haben«, fügte er dann hinzu und kniff wieder die Augen zusammen.

Mit dem Gefühl, dass der Fall auf einmal seinen Charakter geändert hatte und viel komplizierter geworden war, ließ ich mich im Sessel zurücksinken und sah ihn an. Er war in Gedanken versunken und schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr: »Meine Quelle, Rebekka, hat beim grönländischen Zoll gearbeitet, und dort wurde lange versucht, die Erlaubnis zu erwirken, ausländische Flugzeuge zu überprüfen, aber das scheint nicht so leicht zu sein.« Der Ausdruck in seinen Augen verdüsterte sich.

»Hat sie den Kontakt zu diesem Piloten vermittelt?« Ich blickte ihn fragend an.

»Dir ist hoffentlich klar, dass unser Gespräch hier vertraulich ist?«, meinte er nach einer Weile.

»Ja«, antwortete ich ein wenig verärgert. »Das liegt doch auf der Hand.«

»Ja, Rebekka hatte gewisse Beziehungen, und sie hat diesen Kontakt vermittelt. Julie und ich hatten alles bis ins kleinste Detail vorbereitet, und es verlief im Geheimen, denn es war gar nicht leicht ...« Er schob die Brille mit dem Zeigefinger höher. »Ich wollte so viele Fragen beantwortet haben, aber die Sache war dann doch ein Reinfall.«

Ich hob die Augenbrauen. »Wieso das?«

»Der Typ hatte offenbar kalte Füße bekommen, das glaubten wir wenigstens. Er hat sich niemals blicken lassen.« David starrte nachdenklich vor sich hin. »Aber vielleicht ist es auch so, dass Rebekka schon zu diesem Zeitpunkt entlarvt worden war.«

Mir kam eine Ahnung, worauf er hinauswollte. »Was ist mit ihr passiert?«, fragte ich leise.

Die Sekunden wurden lang, während ich auf seine Antwort wartete.

Die Mittagszeit rückte näher, und nach und nach füllte sich das Café. Vor allem mit jungen Männern in Anzügen und Retroschuhen mit langen viereckigen Spitzen. Und vom Tresen her war das Klirren von Glas und das Klappern von Besteck zu hören.

David setzte sich anders hin und schaute aus dem Fenster. »Sie ist tot.«

»Tot? Wie das?«

»Sie schlief und ihr Haus brannte.« Seine Stimme klang müde. Er nahm die Brille ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Die Polizei vermutet Brandstiftung, aber der Fall ist noch immer nicht aufgeklärt. Ich habe ja so meine Zweifel ...«

Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die Lippen, während sich in mir ein Gefühl von Unwirklichkeit ausbreitete.

Er sah mir in die Augen. »Das war am Freitag, dem elften Juli.«

Mir ging nicht sofort auf, worauf er hinauswollte. Dann wurde mir das Herz schwer. »Also am Tag vor Julies Anruf ...«

»Ja, sie hat mich am Samstagnachmittag von Prebens Mobiltelefon aus angerufen.« Er wühlte in seinem Rucksack, zog sein Telefon heraus und klappte es auf. »Übrigens habe ich ihre Mitteilung nicht gelöscht.« Er reichte mir das Telefon.

Ihre Stimme klang anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Tiefer und kompetenter. »Hallo, David, hier ist Julie. Kannst du mich unter dieser Nummer hier anrufen, wenn du meine Mitteilung abgehört hast? Ist eine neue Nummer. Es ist Samstag, Viertel vor drei. Und es ist wichtig. Bis dann.«

Es war seltsam, sie zu hören. In den vergangenen zwei Wochen hatte ich jeden Tag an sie gedacht, und jetzt erklang ihre Stimme plötzlich in meinem Ohr. So nah. Als könnte ich einfach die Hand ausstrecken und sie berühren ...

Ich schluckte und legte das Telefon auf den Tisch. »Wann hast du das erfahren?«, fragte ich mit heiserer Stimme und musste mich räuspern.

»Denkst du an Rebekka?«

Ich nickte.

Ich konnte seine Miene jetzt nicht mehr deuten.

»Vorgestern ...«

Ich nickte erneut und musterte ihn mit dem Gefühl, dass er etwas verbarg. Wer war er eigentlich, und konnte ich mich auf ihn verlassen?

»Jetzt brauche ich wirklich eine Zigarette.« Er schnitt eine Grimasse.

»Natürlich.« Ich schaute verstohlen auf die Uhr. »Aber wir wollen sicher auch ...«

»Was hältst du davon, kurz in Julies Wohnung vorbeizuschauen?«

Ich zögerte. Er machte diesen Vorschlag zum zweiten Mal, und ich war auf der Hut. Was war denn in der Wohnung so interessant? Es war einleuchtend, dass er hoffte, irgendetwas zu finden, aber was? Und konnte ich wirklich sicher sein, dass wir in diesem Fall gemeinsame Interessen hatten?

»Du kannst dich auf mich verlassen«, versprach er, als habe er meine Gedanken gelesen.

Ich sah auf, fing seinen Blick ein und hielt ihn fest. »Ich habe das Gefühl, dass du mir etwas verheimlichst«, sagte ich offen.

»Das weiß ich.« Er lächelte verlegen. »Seit du gefragt hast, seit wann ich das mit Rebekka weiß.«

Du meine Güte, dachte ich überrascht.

»Aber ...« Er beugte sich über den Tisch vor. »Du musst dir klarmachen, dass ich Rücksicht auf meine Quellen nehmen muss.«

Ich überlegte kurz. Ehe David wieder auf den Plan getreten war, hatte ich mit leeren Händen dagestanden, also konnte ich nur gewinnen, oder was?

»Na gut«, war ich schließlich einverstanden.

»Ihr Laptop ist verschwunden«, stellte er fest und blickte sich um.

»Das war er die ganze Zeit schon.«

»Hm.«

»Vielleicht hat sie ihn mitgenommen.«

»Vielleicht ...«

Unsere Blicke trafen sich, und wir dachten sicher beide das Gleiche. Wer hatte sich am Vorabend unter Julies Profil bei Facebook eingeloggt?

Nach einer raschen Runde durch das Wohnzimmer standen wir jetzt in ihrem Arbeitszimmer, und David sah sorgfältig allerlei Papiere auf dem Arbeitstisch durch. Er öffnete einen blauen Ordner und zog einige Unterlagen hervor.

Ich hörte abermals den Anrufbeantworter ab. Es gab vier neue Anrufe, aber niemand hatte eine Nachricht hinterlassen.

Seufzend legte ich auf, betrachtete die Zeitungsausschnitte und Notizen an der Pinnwand, fand aber noch immer nichts, was mich auch nur einen Schritt weitergebracht hätte.

»Wonach suchen wir eigentlich?«, wollte ich resigniert wissen.

»Das wissen wir, wenn wir es gefunden haben«, sagte David, ohne von den Papieren aufzublicken.

»Was du nicht sagst.« Ich schaute ihn kurz an und lächelte.

»Eigentlich wundert es mich, dass hier keine Kamera liegt.«

»Ich vermute, die hat sie ebenfalls mitgenommen.«

Er beugte sich vor, schaute in den Schank und ließ die Hand suchend durch die obersten Fächer gleiten. »Sie hat mehr als nur eine.«

»Natürlich ...« Ich spitzte die Lippen, griff zu Science, einer Zeitschrift aus den USA, die auf einer Ecke der Kommode lag, und blätterte ziellos darin herum, bis mein Blick bei einem Artikel hängen blieb. Ich stutzte, runzelte die Stirn. Der Autor hieß Arthur Reddington.

»Du?«

»Ja?« David, der gerade eine Schublade durchsuchte, hob den Kopf.

»Schau mal her.« Ich zeigte auf den Artikel.

Er warf einen Blick darauf und sah mich dann fragend an.

»Sieh dir mal den Namen des Autors an. Er heißt Reddington, und das hat Julie auch auf ihren Notizblock geschrieben. Reddington.«

»Ja, verdammt«, murmelte er und wühlte weiter in der Schublade.

»Glaubst du, das kann derselbe sein?«

»Vielleicht.« Er zuckte mit den Schultern und wirkte überhaupt nicht interessiert.

Ich überflog den Artikel. Er war auf Englisch, und es wimmelte nur so von Fremdwörtern, deshalb beschloss ich, ihn erst zu Hause zu lesen, und steckte die Zeitschrift in meine Handtasche.

»Ich glaube, hier gibt es nicht mehr zu holen.« David schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie aber nicht an. »Verdammt.«

»Ja.«

»Was machst du jetzt?«

»Ich fahre nachher zum Zahnarzt. Morgen will ich dann mit einigen von ihren Kollegen sprechen, und ja, ich weiß ja, dass du das schon getan hast, aber dennoch ...«

»Natürlich musst du das tun. Vielleicht kannst du ja doch etwas in Erfahrung bringen.«

»Man darf schließlich hoffen.« Ich wühlte in meiner Tasche nach einem Nikotinkaugummi. »Du weißt doch, ein blindes Huhn findet auch mal und so weiter ...«

»Ich wüsste ja gern, was dieser Knabe vorhatte.« David fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.

»Der Knabe?«

»Ja, blonde Haare, Schnurrbart und Ende dreißig.« Er grinste mich an. »Jedenfalls laut der detaillierten Beschreibung einer Nachbarin.«

»Ach, der ...«

David kniff die Augen zusammen. »Ja, der. Ich bin sicher, dass hier etwas entfernt worden ist. Ich meine, hier ist doch alles chemisch rein ...« Er breitete die Arme aus. »Jedenfalls müsste zumindest eine Kamera da sein.«

Ich nickte bedächtig.

»Interessant wäre auch zu erfahren, wieso er überhaupt einen Schlüssel hatte.«

Er machte ein ernstes Gesicht, und wir sahen einander an. Beide verschwiegen wir unsere Gedanken.

Nach dem Zahnarztbesuch fuhr ich zum Nærum Camping. Unterwegs versuchte ich, die vielen Gedanken zu ordnen, die mir durch den Kopf jagten. Auf irgendeine Weise war alles einfach überwältigend, und als ich die Sache ein wenig auf Distanz bekam, setzten die bohrenden Zweifel ein.

David war Journalist und daran gewöhnt, sich im Zentrum der Ereignisse aufzuhalten, vielleicht sah er deshalb Gespenster. Es musste durchaus keinen Zusammenhang zwischen Rebekkas Tod und Julies Verschwinden geben. Ansonsten war ja auch noch nicht geklärt, ob überhaupt von Mord die Rede war, vielleicht war Rebekka durch einen Unfall ums Leben gekommen. Das war durchaus nicht unvorstellbar. Trotzdem blieb ein Riesenproblem: Wo zum Teufel steckte Julie? War ihr etwas passiert, oder was?

Meine Hände umklammerten das Lenkrad, und ich starrte verbittert vor mich hin. Ich hatte das Gefühl, mit der Stirn gegen eine Mauer zu laufen und zurückgeschleudert zu werden. Zurück zu Davids Theorie über den möglichen Zusammenhang.

Eisnächte

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