Читать книгу Eisnächte - Ditte Birkemose - Страница 9

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Am nächsten Morgen war ich deprimiert, als ich die Augen aufschlug, und das ganz ohne Grund. Und doch ... seufzend kletterte ich die Leiter hinunter, setzte Kaffeewasser auf und schaute mich um. Großer Gott im Nachthemd! Hier lebte ich in meinen zehn Quadratmetern und versuchte, höchst idiotisch, guten Mutes zu bleiben. Aber das war wirklich schwer. Und manchmal wurde es einfach zu viel. Viel zu viel. Ich schniefte und schlug die Hände vors Gesicht.

Dann spürte ich an meinem Bein eine warme weiche Zunge. Marie schaute mich an und wedelte mit dem Schwanz, sie freute sich auf ihr Käsebrot. »Meine Liebe, was willst du noch mehr«, murmelte ich und öffnete den Kühlschrank.

»Nokken.« Harry zog mit einem hohlen Geräusch den Daumen aus dem Flaschenhals.

Ich sah ihn verwirrt an. »Nokken?«

»Ja, ich bin gestern da vorbeigefahren, und es sieht wirklich gemütlich aus.« Er trank einen Schluck Bier. »Es gibt Wohnwagen und Schrebergärten mit Lauben. Es ist viel hübscher als Christiana, und ich glaube wirklich, es wäre was für dich.«

»Warum sagst du das?«

»Sage ich was?«

»Dass es was für mich wäre?«

»Weil ich das glaube«, antwortete er unschuldig. »Vielleicht solltest du dir so ein kleines gelbes Holzhaus mit Kletterrosen zulegen ...«

»Meinst du?« Ich senkte den Kopf, zupfte am Etikett meiner Bierflasche herum und dachte, er hatte mich offenbar durchschaut, diese Schlange. Dann ließ ich meinen Blick umherwandern und kicherte. Das war vielleicht ja gar nicht so schwer ...

Wir saßen vor meinem Wohnmobil, und im Gras verteilt waren fast alle meine wenigen Habseligkeiten, die ich rausgeworfen hatte, in dem verzweifelten Versuch, aufzuräumen und Ordnung zu schaffen.

»Wie kommt man da eigentlich rein?«

»Bei Nokken?«

Ich nickte.

»Keine Ahnung«, sagte er und machte eine vage Handbewegung. »Ich mache mich mal schlau ...«

Ein Wagen mit Dachgepäckträger fuhr langsam vorbei, wir schauten hinterher. Dann stand ich auf und sammelte die leeren Bierflaschen ein. Wind kam auf, und am Horizont hingen dunkle Wolken. »Also«, ich schüttelte mich und streifte die Ärmel meines Pullovers herunter, »ich muss wohl weitermachen im Programm.« Ich seufzte und ließ meinen Blick vom Koffer mit den Wintersachen zu dem Fahrradkorb voller Bücher wandern.

»Danke für das Bier.« Harry schnitt eine Grimasse und stöhnte.

Ich sagte nichts. Seit einiger Zeit wurde er von Rückenschmerzen gequält, und ich hatte vergeblich versucht, ihn zu einem Besuch bei einem Chiropraktiker zu bewegen.

Verdammt! Ich bremste, setzte zurück und las noch einmal das Straßenschild. Doch, es war wirklich Gyvelvænget. Ich wendete, fuhr im Schneckentempo die Straße lang und schaute in die Gärten, bis ich bei einer großen weißen Patriziervilla mit schwarzem Klinkerdach ankam. Auf der Mauer stand Nr. 15, hier musste es also sein. Ich stellte den Motor aus und schaute auf die Uhr. Dann steckte ich mein Handy in die Tasche und stieg aus.

Aus einem schweren grauen Himmel regnete es in Strömen, und auf dem Bürgersteig hatten sich große Pfützen gebildet.

Ich öffnete das schmiedeeiserne Tor und lief über den Gartenweg.

Es war halb fünf Uhr nachmittags. Ich hatte mir Harrys Auto geliehen und befand mich in Vandløse, wo Mette Lundtoft wohnte. Die beiden Frauen kannten sich seit der Grundschule, und Julies Eltern, von denen ich die Adresse hatte, hatten gesagt, sie träfen sich noch immer regelmäßig.

Mette entpuppte sich als sehr große, sehr schlanke und sehr freundliche Frau, die meine vielen Fragen bereitwillig beantwortete. Als Erstes fielen mir ihre dunklen Haare auf, die sie zu einer superkurzen, ein wenig militanten und nicht zuletzt praktischen Frisur geschnitten hatte, die ihre femininen Züge auf seltsame Weise betonte. Ihre graugrünen Augen hatten einen besorgten Ausdruck, und es war deutlich, dass Julie ihr wichtig war.

Während sie erzählte, trug ich mit ärgerlichem Seufzen noch ein Minus in mein Notizbuch zu den beiden unbekannten Faktoren, Karen D. und Reddington, ein. Leider hatte Mette nicht die geringste Ahnung, wer sie sein könnten. Ich nippte an meinem Fliederbeersaft, hörte ihr zu und dachte, dass das hier bisher nicht gerade ermutigend sei.

Der Kleine, ein Knabe von anderthalb mit roten Wangen, heulte los, und Mettes Worte versickerten. Sie schaute mich an, wie um Entschuldigung zu bitten, und nahm ihn auf den Arm.

»Emma«, rief sie. »Komm doch mal eben ...«

Ich streichelte die Wange des Kleinen. »Schau mal, wie schön«, sagte ich beschwörend und hielt ihm mein Armband hin. Aber das gefiel ihm nicht. Er brach abermals in durchdringendes Geheul aus und drehte den Kopf weg.

Jetzt erschien in der Tür zur Wohnküche, in der Mette und ich versuchten, ein Gespräch zu führen, ein schmales, dunkelhaariges Mädchen mit Pferdeschwanz.

»Würdest du bitte ein bisschen mit Axel spielen?« Mette stand auf. »Nur einen Moment, während ich mit der Dame rede ...« Sie setzte den Kleinen auf eine auf dem Boden liegende Steppdecke und steckte ihm einen Schnuller in den Mund. Aber auch dieser Versuch war zum Scheitern verurteilt. Er spuckte den Schnuller aus und fing wieder herzzerreißend zu weinen an.

»Also ...« Mette sah sich ratlos um

»Gib ihm einen Topf und einen Deckel«, schlug das Mädchen vor. »Das hat Vater gestern gemacht.«

Mette suchte im Küchenschrank, riss einen Topf heraus und nahm aus einer Schublade einen Löffel.

Endlich verstummte das Weinen. Der Kleine packte den Löffel, schlug damit auf den Boden, jubelte und lachte zufrieden.

Mette ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. »Wo waren wir doch noch gleich?«, fragte sie und fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen Haare.

»Du hast erzählt, dass du zuletzt mit Julie im Café Europa gefrühstückt hast«, sagte ich.

»Ach ja.« Sie nickte. »Das war am Freitag vor Mittsommer ...«

Ich warf einen Blick in den Kalender. »Freitag, der zwanzigste Juni?«

»Ja.«

»Und wie ging es ihr da?«

»Es klingt vielleicht seltsam, aber ...« Mette runzelte die Stirn. »Auf irgendeine Weise wirkte sie verwirrt oder nervös, wenn du verstehst.«

Ich blickte sie voller Interesse an. »Kannst du das genauer erklären?«

»Also ...« Mette schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. »Nichts richtig Konkretes, aber sie wechselte die ganze Zeit das Thema, und plötzlich fragte sie nach Aisha, die gerade umgezogen war. Sie wollte ihre neue Adresse ...«

»Und wer ist Aisha?«

»Eine Freundin, noch aus Schulzeiten, aber ...« Mette hielt für einen Moment inne. »Weißt du, dass Julie kürzlich eine Abtreibung hatte?«, fragte sie dann.

»Ja.«

Sie holte tief Luft. »Der Typ ist einfach ein Arsch.«

»Meinst du diesen Jazzmusiker, Carel?«

Sie nickte. »Natürlich hat eine alleinstehende Mutter es nicht leicht, da kann ich sie durchaus verstehen, aber ...«

»Hätte sie das Kind gern behalten?«

»Ja, jedenfalls am Anfang ... Aber er wollte nicht.« Mette presste die Lippen aufeinander.

»Du kannst ihn nicht leiden?«

»Ich bin ihm ja nie begegnet, aber es ist klar, dass er Julie nicht besonders gut behandelt.« Sie schnaubte verärgert. »Außerdem ist er verheiratet ...«

Das war mir nun ganz neu, und ich sah sie überrascht an. »Hast du seine Adresse?«

»Nein, ich weiß nur, dass er Carel heißt.«

»Wenn ich Julies Eltern richtig verstanden habe, dann hatte er nach Dänemark kommen wollen. Er war zur Geburtstagsfeier ihres Vaters eingeladen.«

»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.« Sie lachte trocken. »Der lässt sich doch niemals scheiden, egal, was er verspricht. Aber inzwischen sind Julie ja auch ihre Zweifel gekommen ...« Abermals wurde sie von einem durchdringenden Heulen unterbrochen. »Was ist denn jetzt wieder los?«, rief sie genervt.

»Er will die ganze Zeit die Puppe Anne haben«, erklärte die Kleine. »Und die kriegt er nicht, er reißt ja nur an ihren Haaren ...«

»Hast du denn keine andere Puppe, die du ihm geben kannst?«

»Nein. Aber ich kann den Teddy holen ...«

Es regnete jetzt nicht mehr. Mit dem unangenehmen Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben, lief ich im Zickzack zwischen den Pfützen zum Auto. Ich steckte mir ein Stück Nikotinkaugummi in den Mund und dachte, dass ich nun immerhin ein anderes Bild von diesem Jazzmusiker in Amsterdam bekommen hatte. Aber brachte mich das in meinem Fall weiter? Nicht einen Meter.

Aber dennoch. Auf irgendeine Weise war ich Julie näher gekommen und sah sie so langsam als Mensch. Als Frau. Vielleicht wegen ihrer Beziehung zu Carel und nicht zuletzt wegen seiner Einstellung zur Schwangerschaft. Damit kannte ich mich aus. Ich wusste, was es bedeutet, ein Kind zu erwarten, wenn der Mann absolut nicht will. O ja! Zum Glück hatte ich ausnahmsweise einmal auf meiner Sicht der Dinge beharrt, aber es hatte Wermutstropfen in der Freude gegeben und die Beziehung war zerbrochen. Bei der Geburt hatte er mir einen Strauß blauen Flieder gebracht, aber ich hatte keine Lust mehr auf ihn. Für mich hing offenbar alles zusammen. Ein Mann, der mehr als bereit war, seine Spermien in mich zu ergießen, der aber nicht willens war, die Konsequenzen zu tragen, war in meinen Augen nicht mehr attraktiv. Jedenfalls starb die Erotik.

Heute bin ich glücklich über meinen Entschluss von damals. Das Kind war Benjamin.

Als ich mich gerade hinters Lenkrad gesetzt hatte, klingelte mein Telefon. Es war Kirsten, die mit zaghafter Stimme fragte, ob ich Zeit für ein Treffen hätte.

»Ist etwas passiert?«, wollte ich wissen und rechnete mit einfach allem.

Sie zögerte. »Eigentlich nicht. Aber ich möchte Ihnen etwas erzählen ...« Im Hintergrund war irgendein Lärm, und sie verstummte abrupt.

Ich schaute auf die Uhr. »Ich bin gerade in Vanløse, aber ich kann in zehn Minuten bei Ihnen sein, falls ...«

»Sagen wir einfach, wir treffen uns in einer halben Stunde im Café Luna?«

Der Duft von Kaffee und Zimt schlug mir entgegen, als ich die Tür öffnete und das Café betrat. Es ging auf die Essenszeit und die ersten Fernsehnachrichten zu, und abgesehen von Kirsten, die an einem Tisch beim Fenster saß und winkte, waren nur wenige Menschen im Lokal.

»Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.« Sie war aufgesprungen und stand jetzt mit dem Portemonnaie in der Hand vor mir. »Was möchten Sie trinken? Ein Glas Wein?«

Für einen Moment klang das verlockend, aber dann überlegte ich es mir anders. »Nein, danke, ich brauche dringender eine Tasse Kaffee«, sagte ich und setzte mich.

Die Cappuccinomaschine fauchte, irgendwer lachte, und ganz hinten im Lokal ertönte eine lärmende Mobiltelefonfanfare. Ich ließ mich im Sessel zurücksinken und streifte die Schuhe ab. Beim Aussteigen war ich in eine Pfütze getreten, und meine Strümpfe waren ziemlich nass geworden.

Kirsten kam zurück und stellte eine Tasse vor mich hin. »Wie schön, dass Sie ... dass du kommen konntest«, wiederholte sie, und ich dachte, das sei ja im Grunde im Preis inbegriffen, sagte aber nichts.

Der Schatten eines Lächelns huschte ihr übers Gesicht. Sie nippte an ihrem Wein. Für einen Moment schloss sie die Augen. Auf eine seltsame Weise wirkte sie bleich hinter ihrer Sonnenbräune, und aus irgendeinem Grund mochte sie meinem Blick nicht standhalten.

»Ich weiß kaum, wie ich es sagen soll«, begann sie leise. Sie senkte den Kopf, schwieg dann wieder und zeichnete mit dem Zeigefinger ein unsichtbares Muster auf den Tisch. »Ich habe dich belogen«, fügte sie endlich flüsternd hinzu.

Die Cafétür wurde aufgerissen, ein frischer Luftzug wirbelte durch das Lokal, und ein junger Mann mit Borsalino und schwarzer Jacke kam herein. Er begrüßte die Frau hinter dem Tresen mit lauter Stimme.

»Worüber hast du gelogen?«, fragte ich gelassen.

Sie machte eine Bewegung. Das Puppengesicht bekam Risse, und mir gegenüber saß eine zutiefst unglückliche Frau.

»Ich ... ich habe Julie an dem Sonntag nicht getroffen, es war nur ...« Ihre Stimme gab nach. »Das habe ich lediglich behauptet.« Sie saugte die Unterlippe in den Mund, und für einen Augenblick glaubte ich, sie würde in Tränen ausbrechen. Aber dann riss sie sich zusammen. »Ich habe jemand anderen getroffen.«

Ich runzelte die Stirn. »Jemand anderen?«

»Ja.« Sie sah mich unsicher an. »Einen anderen Mann.«

Endlich begriff ich, wovon sie da redete. »Aha.«

Wir schwiegen.

»Was denkst du?« Sie spielte nervös an ihrer Halskette herum.

Ich zögerte.

Sie beugte sich über den Tisch vor. »Du darfst mich jetzt nicht zu hart verurteilen.«

»Ich verurteile überhaupt nicht«, erwiderte ich und meinte es auch so. Sicher hatte sie ihre Gründe, sonst wäre es sicher nicht passiert. Dass ich dennoch total überrascht war, war etwas anderes. Ohne romantisch sein zu wollen, hatte ich den Eindruck gehabt, dass ihre Beziehung zu Bo sehr gut war. Aber natürlich konnte man nie wissen, was sich hinter den verschlossenen Türen einer Ehe abspielte, und im Grunde interessierte es mich auch nicht. Das Einzige, was mir jetzt wichtig war, war Julie.

Kirsten griff nach ihrem Glas und trank erneut einen Schluck Wein. Ich sah, dass ihr Nagellack abzublättern begann.

»Bo glaubt, dass ich mich mit Julie getroffen habe«, erklärte sie.

Ich nickte. Inzwischen hatte ich den Zusammenhang durchschaut.

»Eigentlich dachte ich, er hätte es vergessen, aber ...« Sie biss sich auf die Lippe. »Es war wirklich ein Schock, als er es neulich erwähnt hat, aber da konnte ich doch nichts anderes machen? Ich meine ...« Sie verstummte und drehte ihr Glas immer wieder.

»Weißt du noch, wann du wirklich das letzte Mal etwas von Julie gehört hast?«

Sie überlegte eine Weile. »Nein«, sagte sie endlich. »Sie hat eines Tages angerufen, aber ich weiß nicht mehr, wann das war. Nur, dass es lange her ist.« Ihre Lippen zitterten, und ein Hauch von Angst trat in ihre Augen. »Sehr lange her ...«

Ich seufzte. Herrgott, dachte ich und legte meine Hand auf ihre. Allem Anschein nach war David Ballum der Letzte, der von Julie gehört hatte. Sie hatte am Samstag, dem 12. Juli, versucht ihn anzurufen. Seither war sie wie vom Erdboden verschluckt ...

Als Kirsten und ich uns vor dem Café voneinander verabschiedet hatten und ich gerade gehen wollte, konnte ich ihr ansehen, dass sie mir noch etwas sagen wollte. Unschlüssig blieb sie stehen und hielt meinen Blick fest.

»Also«, sagte sie dann und schnitt eine Grimasse. »Ich weiß ja, dass ich das vielleicht nicht zu sagen brauche, aber ...« Sie holte tief Luft.

Ich blickte sie abwartend an.

Sie packte meinen Arm. »Du musst mir versprechen, dir Bo gegenüber nichts anmerken zu lassen«, bat sie und verhaspelte sich dabei immer wieder.

»Natürlich«, antwortete ich und verspürte tausend Jahre Müdigkeit.

Auf dem Campingplatz herrschte Abendstimmung. Überall standen Menschen herum und plauderten, und in der Dämmerung ahnte man hier und da Gestalten in Bademantel, die mit dem Kulturbeutel unter dem Arm auf dem Weg zum Waschhaus waren. Vor einem der wenigen noch verbliebenen Zelte spielten Kinder Ball, und im schwachen Lichtschein eines Wohnwagens machte ein Mann im Trainingsanzug Dehnübungen. Er hob die Hand und grüßte zwei Frauen, die gerade vorübergingen. Die eine trug ein Kind auf dem Arm und ein Handtuch über der Schulter, die andere eine Wanne mit schmutzigem Geschirr.

Harry saß vor dem Fernseher und schaute Fußball, während er ein Bauernfrühstück verzehrte. Er war weit weg und antwortete nur einsilbig.

»Danke fürs Leihen«, sagte ich und legte die Wagenschlüssel auf den Tisch.

Er nickte, brummte irgendwas und griff nach der Flasche mit der Worcestersoße.

»Wie geht’s denn sonst?« Ich starrte hungrig seinen Teller an, und mein Magen fing an zu knurren.

»Sehr gut«, antwortete er, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »Marie war draußen und hat Futter bekommen.«

Ich nickte und griff nach meiner Tasche. »Na, dann geh ich mal rüber.«

Endlich riss er sich los. »Du solltest dich ein bisschen mehr für Fußball interessieren«, meinte er und sah mich an.

»Dazu ist das Leben zu kurz.«

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Was du so redest!« Er zwinkerte mir fröhlich zu. »Kommst du dann morgen und erstattest Bericht?«

Ich lachte. »Da gibt’s zwar nicht sonderlich viel zu erzählen, aber von mir aus.«

Es tropfte von den regennassen Bäumen. Ich saß in meiner bescheidenen Behausung am Tisch, lauschte in die Nacht hinaus, trank Tee und aß Brote. Marie lag zu meinen Füßen und schlief tief. Ich legte ein Stück Rote Bete auf meine Leberwurst und blätterte zerstreut in meiner Lieblingslektüre »Unsere Küche in der Provence«. Ein Kochbuch voller einladender Fotos aus rustikalen Küchen und mit jeder Menge köstlichem Essen. Ich las mehr als gern darin. Angesichts meiner Wohnumstände war es wohl ein bizarres Vergnügen, das ich mir da vor einiger Zeit zugelegt hatte.

Die brennenden Kerzen sorgten für eine ganz besonders intime Behaglichkeit. Ich wackelte mit den Zehen und bereitete in Gedanken einen jungen Hahn in Knoblauch zu, als Julie in meinen Gedanken auftauchte und sofort meine gesamte Aufmerksamkeit von der französischen Bauernküche wegriss. Das Buch wurde beiseitegeschoben, und ich starrte nachdenklich in die Nacht hinaus. Warum hatte niemand von ihr gehört? Was war da passiert?

Eine Stunde später kletterte ich die Leiter zum Schlafraum hoch, aber ich konnte noch lange nicht einschlafen. Ich drehte mich immer wieder im Bett um, war nervös und voller banger Ahnungen. Draußen war jetzt Wind aufgekommen, ich lauschte dem Rauschen der Bäume und einem Ast, der in regelmäßigen Abständen auf das Dach meines Wohnmobils schlug.

Eisnächte

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