Читать книгу Eisnächte - Ditte Birkemose - Страница 4

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In dem Moment, in dem die Verstorbene aus der Kirche getragen wurde, setzte das Seelenläuten ein, und es dauerte an, bis der Sarg in der Erde war. Die Tote schaute nach Osten, und nun ertönten die drei mal drei Glockenschläge.

Von der Erde bist du gekommen

zur Erde wirst du zurückkehren

aus der Erde wirst du auferstehen.

Kamma.

Dunkle Wolken trieben über den Himmel, ab und zu brach ein Sonnenstrahl hindurch. Der Kies knirschte unter meinen Füßen. Mit einem Gefühl von Unwirklichkeit verließ ich langsam den Friedhof und dachte dabei an sie. An Kamma.

Sie war zweiundsiebzig gewesen, als wir uns vor fast zehn Jahren in dem Krankenhaus kennengelernt hatten, in dem wir beide behandelt wurden. Miriam, meine Ärztin, hatte einen Knoten in meinem Unterleib entdeckt. Ich war damals ganze Krankenschwester und halbe Theologin und hatte beides satt. Kamma war die Gebärmutter entfernt worden, und die Ärzte hatten ihr von Hormonpräparaten abgeraten. »Kann mein Sexualleben darunter leiden, verliere ich jetzt vielleicht die Lust?«, fragte sie bei der Visite. Und der Arzt antwortete behutsam, das könne man noch nicht sagen, sie müsse einfach abwarten. »Ja, ja«, seufzte Kamma, die damals einen Liebhaber hatte, der fünfzig und Philosoph war. »Dann muss ich mich eben mit der Philosophie begnügen.«

Ich lächelte und sah sie vor mir. Kamma war ein liebenswürdiger Mensch gewesen, eine suchende Seele mit dem Lebenshunger einer viel jüngeren Frau. Und nicht zuletzt war sie wohlhabend gewesen, also hatte sie ihren Lebenshunger stillen können. Als sie damals ins Krankenhaus musste, war ihr Mann seit neun Jahren tot, und sie hatte »endlich Lebensfreude gefunden«, wie sie es ausdrückte.

Die Erinnerungen zogen an mir vorbei, und mir fiel ein, dass Kammas guter Freund Carl, der seinerzeit als Chauffeur ihres Mannes gearbeitet hatte, sie oft im Krankenhaus besuchte. In der Regel brachte er einen Korb mit Wein und allerlei Leckerbissen mit, und dann brach in dem Sechsbettzimmer der große Jubel aus. Abends saßen wir in unseren scheußlichen Morgenröcken da und berauschten uns an Schokolade, frechen Witzen und Wein. An einem solchen Abend hatte Kamma plötzlich vorgeschlagen, ich sollte mich als Privatdetektivin etablieren, wie ich es schon oft erwähnt hatte, in leerstehenden Räumen in ihrem Bürohaus in der Smallegade in Frederiksberg. »Über den Preis werden wir uns schon einig«, zwitscherte sie. »Wenn du mir von den spannenden Fällen erzählst, dann kriegst du die Bude für ’nen Apfel und ’n Ei.«

Und so kam es dann auch. Sowie ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, machte ich mich an die Einrichtung meines Büros. Nach zwei hektischen Wochen konnte ich das Schild an der Tür anbringen: Kit Sorel, Privatdetektivin, Mitglied im Verband Dänischer Detekteien.

Die Jahre waren vergangen, viel war geschehen, aber Kamma und ich blieben in Verbindung. In vieler Hinsicht war sie für mich wie eine Mutter gewesen. Deshalb hatte es mich wie ein Schock getroffen, als Carl anrief und von ihrem Tod berichtete. Er hatte sie gefunden, als er ihr im Garten aushelfen sollte. Sie saß im Schlafzimmer ihrer pompösen Villa am Femte Juni Plads, in einem Rüschennachthemd, hatte ihre geliebte Waldkatze Aida auf dem Schoß und war friedlich eingeschlafen.

Ich holte tief Luft und überquerte die Straße. Mein Blick war von Tränen verschleiert, und ich sagte mir, dass beim Tod nur der Körper verschwand, der Geist war ja niemals sichtbar gewesen. Kamma würde immer in meinen Gedanken sein ...

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