Читать книгу Eisnächte - Ditte Birkemose - Страница 7

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Am nächsten Morgen ging ich zum Bahnhof von Nærum, der einen Steinwurf vom Campingplatz entfernt lag, und fuhr mit dem Bus nach Kopenhagen. Harry hatte die Schlüssel zu meinem Wohnmobil und würde wie so oft mit Marie losgehen, wenn ich erst spät nach Hause käme.

In der Luft hing ein kühler Hauch. Keine Federwolken trieben über den Himmel, und die Sonne versteckte sich und schaute dann wieder hervor. Ich knöpfte meine Jacke zu, atmete den Duft von Waldblumen, Pilzen und Rinde ein und dachte voller Wehmut, dass das der langsame Abschied des Sommers sei. Bald würde der Herbst seine schwere Decke über das Land breiten und die Natur in Lila, Purpur und Gelb hüllen. Eigentlich begriff ich nicht, wo die Zeit geblieben war. Meine Ferien mit Ursula und Sigge auf Bornholm lagen schon über einen Monat zurück, und doch kam es mir vor wie gestern. Die Erinnerung an Sigges eifriges Gesicht, als wir in der Rundkirche von Østerlar auf Entdeckung gingen, brachte mich zum Lächeln. Er war davon überzeugt, dass wir den Schatz der Tempelritter finden würden, und er war unermüdlich bei seiner Suche gewesen. Die kleine Ursula war ihm solidarisch gefolgt, hatte ihre Hand forschend über eine Unmenge von alten Mauern gleiten lassen und sorgfältig hinter jedem Grabstein auf den Friedhöfen gesucht, die wir besucht hatten. Aber ab und zu hatte sie mich mit einem vielsagenden Funkeln in den Augen angesehen.

»Wir müssen wieder herkommen, Oma«, meinte Sigge nach sieben sonnenreichen Tagen. »Du kannst doch davon ausgehen, dass es sich um ein Vermögen handelt.«

Das war ihm wirklich ernst, und ich versprach sofort, dass wir im nächsten Jahr wieder nach Bornholm fahren würden.

Julies Wohnung lag im Howitzvej in Frederiksberg, und als ich vor dem roten Klinkerhaus stand und meinen Blick zu den Fenstern im dritten Stock hochwandern ließ, überkam mich wieder diese wachsende Unruhe. Ich suchte in meiner Tasche und zog die Schlüssel hervor.

Die Haustür fiel mit einem leisen Klicken hinter mir ins Schloss, und der Verkehrslärm verschwand in der Ferne. Im Treppenhaus duftete es nach frischem Brot vom Bäcker nebenan, auf dem Boden vor dem Schwarzen Brett hatte ein fauler Zeitungsbote die Lokalzeitung und einen Stapel knallbunter Werbung hinterlassen, und aus einer Wohnung drang Opernmusik. Ich hörte ein wenig zu, fühlte mich fremd. Dann stieg ich zögernd die Treppe hinauf.

Die Wände waren in einem seltsamen Blauton gestrichen, und die Treppenstufen waren frisch lackiert. In einem Fenster, an dem ich vorbeikam, hatte ein Hausbewohner mit grünem Finger eine große Pelargonie in einem Tontopf aufgestellt.

Ich blieb stehen, fingerte am Schlüssel herum und sah den Aufkleber »Bitte keine Werbung«. Darunter stand auf einem Messingschild Julie Dam Sørensen in geschwungenen Buchstaben. Als ich nach der Klinke griff, wurde die Tür der Nachbarwohnung geöffnet und eine schmächtige grauhaarige Frau kam zum Vorschein. Sie trug ein weißes Seidentuch um den Hals, dazu eine rote Jacke, und sie hielt eine Tasche und eine Stofftüte mit einem Supermarktaufdruck in der Hand.

Ich lächelte ihr zu. Sie nickte, kniff die Augen zusammen und musterte mich neugierig.

»Sie sind vielleicht mit Julie verwandt?«, wollte sie wissen.

Nach blitzschnellem Überlegen entschied ich mich für die Wahrheit.

»Nein«, sagte ich. »Ihre Eltern haben sich an mich gewandt, weil sie nicht verstehen können, wo sie steckt. Sie haben mir den Wohnungsschlüssel gegeben.«

Sie hob die Augenbrauen und nickte. »Ach so.«

Zwei Sekunden lang, während ihre eisblauen Augen mich abschätzten, sagte keine von uns etwas.

»Ich hab mich ja auch schon gefragt ...«, begann sie, verstummte dann aber. Sie schien zu zögern. »Wenn Julie sonst für längere Zeit verreist, gieße ich immer ihre Blumen«, fuhr sie fort. »Aber diesmal hat sie kein Wort gesagt. Plötzlich war sie einfach weg, und ehrlich gesagt, verstehe ich das nicht. Sie erwartete doch Besuch und bat mich, einen Kalbsbraten für sie aufzubewahren, weil ihr Kühlschrank voll war. Ich habe erst nach zwei Tagen begriffen, dass sie nicht da war.« Sie runzelte die Stirn. »Aber ihr Freund muss doch wissen, wo sie steckt. Haben ihre Eltern nicht mit ihm gesprochen?«

»Ihr Freund?« Ich sah sie überrascht an. »Kennen Sie den?«

»Er war vor ein paar Wochen hier«, sagte sie und überlegte. »Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag, aber im Fernsehen war gerade Hammerslag, als ich ihn gehört habe.« Sie senkte die Stimme und trat einen Schritt näher. »Ja, ich gehe davon aus, dass das ihr Freund war.«

Ich sah ihren Blick, ahnte ein listiges Funkeln in den blauen Augen.

»Wieso glauben Sie das?«, hakte ich nach. »Hat er irgendetwas gesagt?«

»Nein, aber sonst hätte er doch keinen Schlüssel zu ihrer Wohnung gehabt.« Sie zog ihr Seidentuch gerade. »Oder?«

»Ihr Freund wohnt in Amsterdam«, erwähnte ich. »Aber er kann es trotzdem gewesen sein. Haben Sie mit ihm gesprochen?«

Sie schüttelte den Kopf und starrte vor sich hin. »Ich hab’s ja geahnt.« Sie hob die Schultern. »Er hatte etwas Verstohlenes«, sagte sie langsam und verzog den Mund.

Ich sah sie an. »Etwas Verstohlenes?«

»Ja, also ... sowie er mich entdeckt hatte, verschwand er in der Wohnung und knallte die Tür zu, damit ich ihn nicht sehen könnte. Das war jedenfalls mein Eindruck«, fügte sie hinzu.

»Haben Sie mitbekommen, wann er gegangen ist?«

»Leider nein«, erwiderte sie bedauernd. »Meine Tochter hatte gerade angerufen ...«

Ich musterte sie nachdenklich. Obwohl sie sich anfangs so angehört hatte, als halte sie den Unbekannten ganz selbstverständlich für Julies Freund, wurde deutlich, dass sie die ganze Zeit das Gefühl gehabt haben musste, dass etwas nicht stimmte. Mir ging es genauso. Aus irgendeinem Grund glaubte ich nicht eine Sekunde lang, dass es Carel gewesen sein könnte. Das hätte einfach keinen Sinn ergeben. Denn wenn Carel sich in Dänemark aufhielt, dann doch wohl, um Julie zu besuchen, und die war offenbar wie vom Erdboden verschluckt. Aber wer konnte dieser Mann dann sein?

»Können Sie ihn beschreiben?«, fragte ich.

»Ach, mal überlegen ...« Sie hob die Hand an den Mund und schaute nachdenklich vor sich hin.

Ich wartete.

»Eigentlich sah er ziemlich gut aus«, sagte sie schließlich. »Also gepflegt und so. Nicht wie ein Krimineller.«

Ich unterdrückte ein Lächeln.

»Er trug eine braune Wildlederjacke und ein weißes Hemd.«

»Und welche Haarfarbe hatte er?«

»Blond. Er hatte halblange blonde Haare und einen Schnurrbart, und ich würde ihn auf Ende dreißig schätzen.«

»Ja.« Ich nickte. »Und wann haben Sie Julie zuletzt gesehen? Können Sie sich noch erinnern?«

»Das ist lange her, über einen Monat, glaube ich. Jedenfalls weiß ich, dass es Mittwoch war, ich hatte meinen Bridge-Abend. Es war fast Mitternacht, die Gäste waren gerade gegangen, und da sah ich ihren kleinen gelben Fiat vorfahren.« Sie verstummte abrupt, denn weiter unten im Treppenhaus fiel eine Tür ins Schloss. Dann hörten wir eilige Schritte.

»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte sie plötzlich und sah mich fragend an. »Sind Sie von der Polizei oder so?«

Ich öffnete meine Tasche, nahm meine Karte heraus und reichte sie ihr. »Wenn Sie irgendetwas Ungewöhnliches sehen oder hören, dann rufen Sie mich bitte an.«

Sie schaute auf die Karte und nickte.

Auf der Fußmatte lagen zwei Postkarten, die eine aus Ägypten, die andere aus Berlin. Aber es waren in aller Eile hingekritzelte Feriengrüße ohne wirkliches Interesse. Als ich sie gelesen hatte, sah ich mich in der Diele um, wo allerlei Fotos an den Wänden hingen. Unter anderem gab es eine lange Reihe von Bildern eines dunkelhaarigen Mannes mit Vollbart. Auf mehreren davon spielte er Saxophon. Ich dachte mir, dass müsse ihr Liebhaber sein, der Jazzmusiker Carel, was ein Foto, das am Spiegel steckte, mir dann auch bestätigte. Hier stand er nämlich vor einer Kneipe und umarmte eine lächelnde Julie.

In der Küche roch es gar nicht gut. Über dem Wasserhahn hing ein vertrockneter Lappen, und neben dem Spülbecken standen Teller mit eingetrockneten Essensresten. Als Letztes hatte Julie offenbar eine Art Bauernfrühstück verzehrt, denn auf dem Herd stand eine Bratpfanne, die mit etwas gefüllt war, was ich für verschimmelte Kartoffeln hielt.

Die Wohnung war hell und schön eingerichtet, in einer Mischung aus alten und neuen Dingen. Boden und Türen waren abgebeizt und die Wände weiß, bis auf die hintere Querwand im Wohnzimmer, die in einem warmen Blauton gestrichen war. Ich ließ meinen Blick schweifen. Auch wenn es nicht unordentlich war, so war ich doch sicher, dass jemand die Wohnung durchsucht hatte. Dieser Jemand war diskret vorgegangen, aber es gab kleine und scheinbar unwichtige Dinge, die es mir verrieten. Eine halb offene Schublade, ein Stück Papier auf dem Boden, ein Sofakissen, das nicht an der richtigen Stelle lag. Und natürlich wanderten meine Gedanken immer wieder zu dem geheimnisvollen Fremden. Natürlich musste er es gewesen sein. Aber wonach konnte er wohl gesucht haben?

Seltsamerweise stand weder in Julies Arbeitszimmer noch irgendwo anders in der Wohnung ein Computer. Vielleicht benutzte sie einen Laptop, und vermutlich hatte sie den mitgenommen. Aber es war auch vorstellbar, dass jemand ihren Rechner entfernt hatte.

Ich hörte den Anrufbeantworter ab. Es gab insgesamt fünfzehn Mitteilungen, acht davon stammten von Kirsten, die mit immer verzweifelterer Stimme um Rückruf bat, drei stammten von einem Kollegen, Ulrik Ejby aus der Bildredaktion, zwei von einer gewissen Karen Jacobsen, die wissen wollte, ob Julie an einem Seminar zum Thema Fotojournalistik teilnehmen werde, und zwei von David, dem Mann, mit dem sie ihren Eltern zufolge in Grönland gewesen war. Er bat sie, sich sofort zu melden.

Überall auf ihrem Arbeitstisch lagen Bücher und Papiere herum, und mitten dazwischen entdeckte ich einen Stapel Tarotkarten. Auf den Notizblock, der neben dem Telefon lag, hatte sie einen Namen geschrieben, gefolgt von Ausrufezeichen. Reddington. Das klang nicht gerade dänisch, vielleicht handelte es sich um einen Engländer? Oder einen Amerikaner? Oder eine Stadt? Ich notierte diesen Namen, man konnte doch nie wissen, vielleicht war er wichtig. Dann sah ich die Schubladen durch, fand aber nichts Interessantes.

Ehe ich das Arbeitszimmer verließ, schaute ich mir die Pinnwand an, die mit allem Möglichen bestückt war, von Ansichtskarten aus den Ferien bis zu Konzertprogrammen. Unten in einer Ecke hing ein gelber Zettel mit der Aufschrift: Karen D. 2. Juli 11. Ich dachte, es könne natürlich ein Termin bei ihrer Zahnärztin sein, aber ich nahm ihn doch von der Pinnwand und steckte ihn in meine Tasche. Ich wollte ihre Eltern fragen, vielleicht wussten die, wer Karen D. war.

Als ich gerade zur Tür gehen wollte, hörte ich ein Geräusch, das mich erstarren ließ. Jemand machte sich an der Tür zu schaffen. Ich blieb ganz still stehen und lauschte mit angehaltenem Atem.

Dann klapperte der Briefschlitz und ein Umschlag fiel auf den Boden. Ich lächelte erleichtert und ging weiter zum Schlafzimmer.

Hier öffnete ich den Kleiderschrank und sah mir ihre Kleider an. Sie trug offenbar meistens Schwarz, und zwar Marke Masai oder Noa Noa, und ihr Parfüm hieß Coco Chanel Mademoiselle. Ich konnte annehmen, dass sie Sinn für Qualität hatte und trotzdem Umweltbewusstsein besaß, denn unten im Schrank fand ich sogenannte ökologische Fußbekleidung. Ein Paar rote Lederstiefel und zwei Paar schwarze Pumps von der Sorte El Natura Lista.

In der Diele nahm ich die Autoschlüssel vom Schlüsselbrett und lief dann durch die Straße, bis ich den gelben Fiat Cinquecento gefunden hatte. Doch nachdem ich ihn von A bis Z durchsucht hatte, musste ich mir eingestehen, dass er nichts Ungewöhnliches enthielt. Leider.

Es war kurz nach drei, als ich mich durch das Gewimmel von Menschen, Geschäften, trendigen Cafés und heruntergekommenen Bodegas im Gammel Kongevej bewegte. Vor dem Shawarma-Kiosk stolzierten einige zerrupfte Tauben umher und pickten an einem Stück Brot herum, weiter vorn stand ein älterer Mann mit speckiger schwarzer Jacke und spielte Harmonika. Ein magerer gelber Köter saß zu seinen Füßen und betrachtete die Vorüberkommenden aus gutmütigen Augen.

Ich blieb vor dem Tabak- und Weinladen stehen. An diesem Tag brauchte ich mir über mein Abendbrot keine Gedanken zu machen, Harry hatte mich zum Essen eingeladen, aber ich wollte ihm eine Flasche richtig guten Rotwein und eine Packung Zigarillos mitbringen. Als ich meine Einkäufe erledigt hatte, ging ich weiter zum Rådhusplads und nahm dort den Bus nach Nærum. Wie immer war der überfüllt, aber ich hatte Glück und konnte mir einen Platz neben einer jüngeren Frau ergattern, die auf der ganzen Fahrt ins Senden und Empfangen von SMS vertieft war.

Zu Hause rief ich sofort Julies Eltern an, um Bericht zu erstatten. Ich wollte außerdem fragen, ob sie jemanden namens Reddington kannten oder wussten, wer Karen D. sein könnte.

Aber dort meldete sich niemand. Nach einer Tasse Tee und einer raschen Dusche versuchte ich es noch einmal, ehe ich mit Marie spazieren ging und mich dann zu Harry begab, aber noch immer konnte ich niemanden erreichen.

»Bestimmt ist sie tot.« Harry bohrte die Gabel in seinen Rollbraten.

Ich verdrehte die Augen und schluckte eine Kartoffel hinunter. »Was?«

»Wenn sie zum Geburtstag ihres Vaters nicht aufgetaucht ist, ist sie sicher tot«, sagte er. »Das liegt doch auf der Hand.«

Ohne Namen zu nennen, hatte ich ihn in groben Zügen über den Fall informiert, und wie immer brachte er seine unverblümte Meinung vor. »Vielleicht hast du recht.« Ich nickte.

»Natürlich hab ich recht.« Er schaute mich triumphierend an. »Die Frage ist nur, wer es war.« Er schenkte Wein nach. »Aber nach meiner Überzeugung muss doch dieser Typ in den Niederlanden ein aussichtsreicher Kandidat sein.«

»Ich muss schon sagen.« Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. »Ja, aber dann ist der Fall doch geklärt.«

»Ja, ja, lach du nur, aber ...« Er legte eine Pause ein, spitzte die Lippen, wartete einen Moment und presste die Fingerspitzen aneinander. »Menschenhandel«, meinte er endlich mit tiefer Überzeugung.

»Ich glaube ja nicht direkt ...« Ich hustete und versteckte mein halbes Gesicht hinter meiner Serviette.

Er trank einen Schluck Wein. »Ich weiß, was du denkst«, sagte er und stellte das Glas weg. »Aber trotzdem machen die das so. Doch, doch ... « Er nickte, und es war deutlich, dass er sich jetzt warm redete. »In der Regel ist es irgendein charmanter Kerl, du weißt schon, so ein richtiger Don Johansen, der versucht, sie ins Ausland zu locken. Wenn das klappt, sind sie verraten und verkauft. Viele landen in irgendeinem arabischen Land, und dann kann man sich ja denken, was für ein Schicksal auf sie wartet. Entsetzlich.« Er schwieg für einen Moment. »Andererseits ... vielleicht ist sie zu alt. Was hast du noch gesagt? Fünfunddreißig?«

Ich nickte. Angesichts des Themas gab es keinen Grund zu lachen. »Aber hast du nicht gesagt, dass sie tot ist«, wandte ich dann gelassen ein. »Beides kann doch jedenfalls nicht zutreffen?«

Er sah mich überrascht an. »Da kannst du natürlich recht haben«, gab er widerstrebend zu. »Aber wie gesagt, ist sie wohl zu alt, also glaube ich, wir sollten dabei bleiben, dass sie tot ist.« Er nickte nachdenklich.

Wir schwiegen beide.

Harry hatte die Tür seines Wohnwagens offen stehen lassen, und eine frische Brise wehte ins Innere. Marie lag unter dem Tisch und schlief.

»Möchtest du mehr Fleisch?« Er hielt mir die Schüssel hin.

»Nein, danke.« Ich lächelte. »Hat aber köstlich geschmeckt.«

»Ich habe eine Wassermelone gekauft, ich dachte, die könnten wir zum Nachtisch essen.« Er erhob sich mühsam und schleppte sich zum Küchentisch.

Ich schaute ihm hinterher. Anfangs hatte ich ihn für einen übellaunigen Arsch gehalten. Wann immer wir uns begegnet waren, ob nun im Laden des Campingplatzes oder in der Wäscherei, immer hatte ich freundlich gelächelt, hatte zur Antwort aber nur ein widerwilliges Lächeln erhalten. Aber im Laufe der Zeit, als wir uns näher kennenlernten, konnte man wirklich behaupten, dass er aufgetaut war. Wenn er erst mal in Gang kam, redete er wie ein Wasserfall, und er hatte einfach zu allem eine Meinung. Nichts war zu klein, nichts war zu groß. Und ab und zu war er genial. Denn obwohl er stur und dickköpfig sein konnte, kam es auch vor, dass er mit traumwandlerischer Sicherheit den Nagel auf den Kopf traf.

»Sag mir einfach Bescheid, wenn du den Wagen leihen möchtest.« Er stellte die Schüssel mit der Wassermelone auf den Tisch.

»Das ist lieb von dir.« Ich lächelte ihn an. Wenn ich einen Auftrag hatte, nahm ich manchmal, je nach Lage der Dinge, das Wohnmobil oder den Bus, und ab und zu lieh ich mir Harrys Wagen.

»Das wäre ja noch schöner.« Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Schließlich bist du im Einsatz.«

Eisnächte

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