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Kapitel XII - Der dunkle Nomade

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Frank sah sich orientierungslos um.

Wo war er?

Wie war er hierhin gekommen?

Um ihn herum herrschte die totale Verwüstung. Geschmolzenes Glas glitzerte wie Miniaturgletscher auf welligem Asphalt. Die Luft schmeckte nach ätzenden Dämpfen, über allem lag der schwere Geruch von Rauch. Schwarze Hausruinen blickten aus Fenstern, die leeren Augenhöhlen glichen, auf ihn herab. Mit zitternden Beinen folgte er dem, was einst eine Straße gewesen musste.

Plötzlich blieb er stehen.

Er erkannte diesen Ort.

Das war die Aachener Straße.

Hier wollte er sich mit jemandem treffen. Jemandem, der sehr wichtig für ihn war. In seiner Erinnerung blitzte das Bild roter Haare auf, die im Sonnenuntergang wie flüssiges Feuer ein blasses Gesicht umflossen. Katzengrüne Augen, die ihn polierten Jadesteinen gleich anfunkelten.

Ein Name stieg zu diesem Bild in seinem Geist auf.

Sandra.

Hier wollte er Sandra treffen, wer immer das auch war.

»Tja, mein Freund«, erklang hinter ihm eine freundliche Stimme. »Scheinbar hat sie dich versetzt.«

Frank wollte herumwirbeln, aber es wurde nur ein unbeholfenes Wanken daraus. Ein Mann stand da. Groß und hager, in einen teuer aussehenden, dunklen Anzug gekleidet. Aus der Westentasche seines Anzugs hing eine Kette heraus.

Eine Taschenuhr?

Frank sah genauer hin. Eigentlich sah der Mann gar nicht wie ein Mann aus. Er hatte etwas weibliches an sich, das seine Stimme Lügen strafte.

»Und wenn ich es recht bedenke, kann ich es ihr auch nicht im Geringsten verübeln.«

Wie von Zauberhand erschien ein Spiegel in der Hand des merkwürdigen Mannes. Er ging auf Frank zu und hielt den Spiegel so vor sich, wie ein Geisterjäger ein Kreuz einem Vampir vor das bleiche Gesicht halten mochte. Mit einem Aufschrei torkelte Frank zurück.

Eine blutige Masse aus rohem Fleisch sah ihm aus dem Spiegel entgegen. Die Nase ein dunkles Loch in einem unruhigen, blasenübersäten Meer aus roter Masse, die Augen zwei eiskalt funkelnde Seen ohne Lider.

Ein Monstrum!

Aus ihm war ein Monstrum geworden!

Frank ließ sich weinend auf die Knie fallen, bedeckte sein Gesicht mit den Händen, wollte nichts mehr sehen, nichts mehr spüren.

»Du Dummerchen«, sagte der merkwürdige Mann mit einer Stimme, in der boshafte Belustigung mitschwang. »Du kannst gar keine Schmerzen verspüren. Merkst du das nicht?«

Frank horchte in sich hinein. Doch, da war Schmerz. Aber er war nicht körperlich. Er lag viel tiefer.

»Ah, siehst du? Jetzt nähern wir uns dem Kern der Sache.«

Eine Hand legte sich tröstend auf Franks Schulter. Er nahm seine Hände vom Gesicht und sah auf. Der Mann hielt ihm mit spitzen Fingern und angewidertem Gesicht ein dunkles Tuch hin.

»Bedecke damit dein Antlitz, mein Freund. Mach es wie die Nomaden der Wüste. Damit ersparst du deiner Umwelt ... nun ... es wäre schicklicher, wenn du verstehst, was ich meine.«

Frank nahm das Tuch und tat, was der Fremde von ihm erwartete. Er spürte tatsächlich nichts, als der Stoff sein wundes Fleisch berührte. Nur den Schmerz der Scham und des Verlustes, der in ihm bohrte und nagte. Was würde Sandra sagen, wenn sie ihn so sehen könnte?

»Spürst du außer diesem kindischen Schmerz, den ihr so poetisch Liebeskummer nennt, denn nicht noch etwas anderes? Da unten, da ganz tief in dir drin? Dort, wo ihr Menschen all das Dunkle gut verschlossen aufbewahrt, das ihr in dem Miteinander, das ihr so hochtrabend als Zivilisation bezeichnet, niemals offen zeigt? Diese natürliche Wut und die Gier nach Macht und Anerkennung, die ihr lieber vor eurem Nächsten versteckt haltet?«

Die Fragen prasselten dicken Hagelkörnern gleich auf Frank ein. Verdammt nochmal, das Denken fiel ihm so schwer! Warum konnte der Fremde ihn nicht einfach in Ruhe lassen. Einfach gehen, und ihn hier alleine und in Frieden sterben lassen?

»Weil du schon tot bist, du Narr.«

Frank erstarrte.

»Du bist tot, weil SIE sich ihrer Wut und ihrer Gier nicht verschlossen hat. SIE ist jetzt die Heldin, SIE ist jetzt die Anführerin derjenigen, für die DU dich geopfert hast. Sag mir, mein Freund, ist das gerecht?«

Frank erzitterte.

Nein, es war nicht gerecht!

»Ist es dir also egal, dass du jetzt einer von denen bist? Ein Zombie, eine hirnlose, triebgesteuerte Fressmaschine?«

Wut kochte in Frank hoch.

»Tja, dann muss ich dir leider sagen, dass du ein Ausgestoßener bist. Ein Wanderer zwischen den Welten. Die Untoten werden dich nicht akzeptieren, weil immer noch Leben in dir ist, und die Lebenden werden dich jagen, weil du für sie tot bist.«

Ein Laut des Schmerzes drang aus dem Tuch vor Franks Gesicht. Ein Schrei, der scheinbar endlos über die verwüstete Straße hallte. Als der letzte Ton seines Schreis in der Luft verblutete, nur noch ein haltloses Wimmern aus seinem Mund drang, hockte der Fremde in dem dunklen Anzug sich neben Frank. Er nahm ihn in den Arm, wie es nur ein guter Freund tun würde.

»Dann bleibt dir eigentlich keine große Wahl, findest du nicht?«

»Welche Wahl meinst du?«

Frank kam seine eigene Stimme fremd und Angst einflößend vor. Krächzend, tief, nicht von dieser Welt.

»Du kannst auf ewig ein einsamer Wanderer bleiben. Ständig auf der Flucht vor den Untoten und den Lebenden. Oder du entscheidest dich für eine Seite.«

Frank horchte in sich hinein. Sandra hatte ihn im Stich gelassen, ihn verraten, um sich selber zur Anführerin über die Kinder aufzuschwingen. Der Fremde klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Ja, so sehe ich das auch. Also bleibt ja nur eine Seite übrig.«

Frank sah verwundert auf, als vor ihm Schritte erklangen. Fünf Untote standen reglos vor ihm. Sie sahen nicht allzu verletzt aus. Als er sich umblickte, war von dem seltsamen Fremden nichts mehr zu sehen. Seine Stimme schien jedoch von überall zugleich zu kommen.

»Dies, mein Freund, ist erst der Anfang. Es ist der Grundstock für eine Streitmacht, die unter deinem Kommando steht. Gehe hin, jage und vernichte die letzten Überlebenden der Menschheit. Töte die letzten Sünder, die sich Gottes Gericht entzogen haben. Werde der dunkle Nomade, die Nemesis der Letzen. Dann, mein hasserfüllter Freund, wirst du endlich den Frieden und die Anerkennung finden, nach denen dich dürstet.«

Frank stand auf. Der Fremde hatte recht. Ihn dürstete nach Frieden und Anerkennung. Nach einem letzten Blick auf die Trümmer der Stadt drehte er sich um und marschierte los.

Und die Toten folgten ihm, dem dunklen Nomaden, der Nemesis der Letzten.

Ende des ersten Buches der Chronik von Eden

Chronik von Eden

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