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PROLOG

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Reid Lawson war erschöpft, nervös und stand unter starkem Schmerz.

Vor allem jedoch war er verwirrt.

Vor nur weniger als vierundzwanzig Stunden hatte er seine zwei jugendlichen Töchter erfolgreich aus der Macht slowakischer Menschenhändler befreit. Dabei hatte er zwei Frachtzüge angehalten, unbeabsichtigt einen sehr teuren Prototyp-Helikopter zerstört, achtzehn Männer getötet und mehr als ein weiteres Dutzend schwer verletzt.

Waren es achtzehn? Er hatte den Überblick verloren.

Jetzt befand er sich durch Handschellen an einen Stahltisch gefesselt in einer kleinen, fensterlosen Arrestzelle und erwartete Neuigkeiten über sein Schicksal.

Die CIA hatte ihn gewarnt. Die Deputy Direktoren hatten ihm gesagt, was geschähe, sollte er ihre Anweisungen ignorieren und eigenmächtig handeln. Verzweifelt wollten sie einen weiteren Amoklauf, wie jenen, der zwei Jahre zuvor stattgefunden hatte, vermeiden. So hatten sie es genannt - einen „Amoklauf”. Einen gewaltsamen, blutigen Riss durch Europa und den Nahen Osten. Dieses Mal war es Osteuropa, durch Kroatien, die Slowakei und Polen.

Sie hatten ihn gewarnt, ihm damit gedroht, was geschähe. Doch Reid sah keinen anderen Ausweg. Es ging um seine Töchter, seine kleinen Mädchen. Jetzt waren sie in Sicherheit und Reid hatte sich damit abgefunden, das zu akzeptieren, was ihn jetzt erwartete.

Von der Aktivität der letzten paar Tage und extremem Schlafentzug abgesehen hatte man ihm Schmerzmittel gegeben, nachdem seine Wunden behandelt wurden. Während seines Kampfes mit Reid hatte er eine oberflächliche Stichwunde im Bauch erlitten, starke Quetschungen, einige oberflächliche Schnitte und Abschürfungen, eine klaffende Wunde am Bizeps, wo ihn eine Kugel gestreift hatte und sich außerdem eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen. Nichts davon war ernst genug, um nicht verhaftet zu werden.

Ihm wurde sein Ziel nicht gesagt. Ihm wurde überhaupt nichts gesagt, während drei CIA Agenten, von denen er keinen wiedererkannte, ihn still aus dem polnischen Krankenhaus zu einem Flugplatz und in ein Flugzeug führten. Er war allerdings etwas erstaunt, als er am internationalen Flughafen von Dulles in Virginia ankam, und nicht wie erwartet in dem geheimen CIA Gefängnis Hölle-Sechs in Marokko.

Ein Polizeiwagen hatte ihn vom Flughafen zum Hauptquartier der Agentur gebracht, dem George Bush Center für Geheimdienst in der Gemeinde Langley in Virginia. Von dort aus wurde er in das stählerne Arrestzimmer im Erdgeschoss gebracht und an einen Tisch gefesselt, der in den Boden verschraubt war. Niemand gab ihm eine Erklärung hierfür.

Reid gefiel es nicht, wie er sich aufgrund der Schmerzmittel fühlte. Sein Gehirn war nicht ganz aufmerksam. Doch er konnte nicht schlafen, noch nicht. Ganz besonders nicht in der unbequemen Position, in der er sich an dem Stahltisch befand. Die Kette der Handschellen war durch eine Metallschlaufe gezogen und lag eng um beide seiner Handgelenke.

Er saß schon seit fünfundvierzig Minuten in dem Zimmer, wunderte sich, was zum Teufel da vor sich ging und warum er noch nicht in ein Loch in der Erde gesteckt worden war, als die Tür plötzlich aufschwang.

Reid stand sofort soweit auf, wie es ihm, gefesselt an den Tisch, möglich war. „Wie geht es meinen Mädchen?” fragte er schnell.

„Denen geht’s gut”, antwortete Deputy Direktor Shawn Cartwright. „Setz dich.” Cartwright war Reids Chef - vielmehr war er es gewesen, bis Reid losgesagt wurde, weil er eigenmächtig loszog, um seine Töchter zu finden. Cartwright war Mitte Vierzig, relativ jung für einen CIA Direktor, doch sein dickes, dunkles Haar ergraute an den Schläfen. Sicherlich war es nur ein Zufall, dass dies zum gleichen Zeitpunkt geschah, an dem Kent Steele von den Toten auferstanden war.

Reid setzte sich langsam wieder, während Cartwright den Stuhl ihm gegenüber nahm und sich räusperte. „Agent Strickland blieb bei deinen Töchtern, bis Sara aus dem Krankenhaus entlassen wurde.”, erklärte der Direktor. „Die Drei sind jetzt in einem Flugzeug und befinden sich in diesem Moment auf dem Weg nach Hause.”

Reid stieß einen kurzen Seufzer der Erleichterung aus - einen sehr kurzen, denn er wusste, dass es jetzt an ihn ging.

Die Tür öffnete sich erneut und Wut schwoll spontan in Reids Brust an, als Deputy Direktor Ashleigh Riker in das kleine Zimmer kam. Sie trug einen grauen Bleistiftrock und den dazu passenden Blazer. Riker war die Vorgesetzte der Spezialeinsatzgruppe, einer Untergruppierung von Cartwrights Division für Spezialaktivitäten, die sich um verdeckte internationale Einsätze kümmerte.

„Was macht die hier?” fragte Reid spitz. Sein Tonfall war alles andere als freundlich. Riker war seiner Meinung nach nicht vertrauenswürdig.

Sie setzte sich neben Cartwright und lächelte freundlich. „Ich, Herr Steele, habe die außerordentliche Freude, Ihnen mitzuteilen, wohin Sie jetzt kommen.”

Ein Knoten des Grauens formte sich in seinem Magen. Natürlich bereitete es Riker Freude, ihm seine Strafe auszuteilen. Ihre Verachtung für Agent Null und seine Taktiken war kaum zu übersehen. Reid erinnerte sich daran, dass er seine Mädchen in Sicherheit gebracht hatte und wusste, dass dies auf ihn zukam.

Doch das machte es nicht leichter. „In Ordnung”, sagte er ruhig. „Sagen Sie es mir. Wohin werde ich geschickt.?”

„Nach Hause”, antwortete Riker kurz.

Reids Blick huschte von Riker zu Cartwright und wieder zurück. Er war sich nicht sicher, dass er richtig gehört hatte. „Wie bitte?”

„Nach Hause. Sie gehen nach Hause, Kent.” Sie schob etwas über den Tisch. Ein kleiner, silberner Schlüssel rutschte über die polierte Oberfläche, direkt vor ihn.

Es war der Schlüssel zu den Handschellen. Doch er ergriff ihn nicht. „Warum?”

„Das kann ich leider nicht sagen”, antwortete Riker schulterzuckend. „Die Entscheidung wurde von höheren Rängen getroffen.”

Reid schnaubte. Er war erleichtert, um es gelinde auszudrücken, dass er nicht in ein elendes Loch wie H-6 geworfen würde, doch irgendwas schien hier nicht zu stimmen. Sie hatten ihm gedroht, ihn abgeleugnet und sogar zwei weitere Einsatzagenten hinter ihm hergeschickt... nur um ihn wieder freizulassen? Warum?

Die Schmerzmittel, die man ihm gegeben hatte, betäubten seine Gedanken. Sein Gehirn konnte nicht verarbeiten, was an dieser Entscheidung, die man ihm mitteilte, nicht stimmte. „Ich verstehe nicht...”

„Du warst die letzten fünf Tage nicht da”, unterbrach ihn Cartwright. „Du führtest Interviews durch, recherchiertest für ein Geschichtsbuch, das du herausgibst. Wir haben Namen und Kontaktinformation für mehrere Leute, die diese Geschichte bezeugen können.”

„Der Mann, der die Gräueltaten in Osteuropa begangen hat, wurde von Agent Strickland in Grodkow konfrontiert”, fuhr Riker fort. „Es stellte sich heraus, dass es sich um einen russischen Auswanderer handelte, der sich als Amerikaner ausgab, um eine internationale Krise zwischen uns und den Ostblocknationen auszulösen. Er zielte auf einen CIA Agenten und wurde erschossen.”

Reid blinzelte in Anbetracht der vielen falschen Informationen. Er wusste, was dies war. Sie gaben ihm eine Deckungsgeschichte, dieselbe, die man auch den Regierungen und Strafverfolgungsbehörden rund um die Welt gäbe.

Doch es konnte nicht so einfach sein. Irgendetwas stimmte nicht - angefangen mit Rikers seltsamen Lächeln. „Ich wurde losgesagt”, antwortete er. „Mir wurde gedroht. Ich wurde ignoriert. Ich glaube, ihr seid mir so was wie eine Erklärung schuldig.”

„Agent Null...” begann Riker. Dann kicherte sie ein wenig. „Entschuldigung, das ist eine alte Angewohnheit. Sie sind kein Agent, nicht mehr. Kent, wir haben diese Entscheidung nicht getroffen. Wie schon gesagt, sie kommt von weiter oben. Doch die Wahrheit ist, wenn wir uns das Ergebnis und nicht die Einzelteile ansehen, dass Sie einen internationalen Ring von Menschenhändlern außer Gefecht gesetzt haben, der die CIA und Interpol schon seit sechs Jahren plagt.”

„Du hast Rais umgebracht und damit vermutlich auch das letzte Amun-Mitglied”, fügte Cartwright hinzu.

„Ja, Sie haben Menschen getötet”, fuhr Riker fort. „Doch es hat sich bestätigt, dass jeder von ihnen ein Krimineller war - einige waren die Schlimmsten der Schlimmen. Mörder, Vergewaltiger, Pädophile. So sehr ich es auch hasse, es zuzugeben, ich muss der Entscheidung, dass Sie mehr Gutes als Schlechtes angerichtet haben, zustimmen.”

Reid nickte langsam - nicht, weil er der Logik zustimmte, sondern weil er sich dessen bewusst wurde, dass es für den Moment am besten war, aufzuhören, mit ihnen zu streiten, die Begnadigung zu akzeptieren und später zu versuchen, das alles zu verstehen.

Doch er hatte immer noch Fragen. „Was meint ihr damit, dass ich kein Agent mehr bin?”

Riker und Cartwright tauschten einen Blick aus. „Du wurdest versetzt”, erklärte ihm Cartwright. „Falls du den Job annimmst.”

„Die Division für nationale Ressourcen”, klang Riker ein, „das ist die inländische Abteilung der CIA. Sie gehört weiterhin zur Agentur, doch benötigt keine Einsätze. Sie müssen das Land oder Ihre Mädchen nie wieder verlassen. Sie heuersn Assets an. Kümmern sich um Nachbesprechungen. Treffen Diplomaten.”

„Warum?” fragte Reid.

„Einfach gesagt - wir wollen dich nicht verlieren”, erklärte ihm Cartwright. „Wir hätten dich lieber weiter bei uns in einer anderen Funktion, als dich ganz zu verlieren.”

„Wie steht’s mit Agent Watson?” fragte Reid. Watson hatte ihm geholfen, seine Mädchen zu finden. Er hatte ihm Ausrüstung zukommen lassen und Reid außer Landes gebracht, als dies notwendig war. Dabei hatte man Watson entdeckt und ihn festgenommen.

„Watson ist für acht Wochen wegen seiner Schulter krankgeschrieben”, sagte Riker. „Ich denke, er wird zurückkommen, sobald sie geheilt ist.”

Reid zog eine Augenbraue hoch. „Und Maria?” Sie hatte ihm auch geholfen - obwohl die CIA sie damit beauftragt hatte, Agent Null festzunehmen.

„Johansson befindet sich in den USA”, antwortete Cartwright. „Sie nimmt sich ein paar Tage Auszeit, bevor sie einen neuen Auftrag erhält. Doch sie kehrt in den Einsatz zurück.”

Reid musste ein sichtbares Kopfschütteln unterdrücken. Irgendwas stimmte hier ganz sicher nicht. Nicht nur er wurde begnadigt, sondern alle, die mit seinem letzten Amoklauf verbunden waren. Doch er hatte ebenfalls das Gefühl, das ihm riet, dass dies nicht der richtige Ort und Zeitpunkt war, um sich darüber zu streiten, nach Hause zu gehen.

Dazu bliebe später noch Zeit, wenn sein Gehirn nicht durch Schlafentzug und Schmerzmittel vernebelt wäre.

„Also... wie steht es nun?” fragte er. „Ich kann gehen?”

„Sie sind frei.” Riker lächelte erneut. Ihm gefiel der Ausdruck auf ihrem Gesicht überhaupt nicht.

Cartwright schaute auf seine Uhr. „Deine Töchter sollten in etwa zwei Stunden in Dulles ankommen. Draußen wartet ein Auto auf dich, falls du es möchtest. Du kannst dich frischmachen, umziehen und rechtzeitig dort ankommen, um sie zu begrüßen.”

Die zwei Deputy Direktoren standen auf und gingen zur Tür.

„Schön, dich wieder zurückzuhaben, Null.” Cartwright blinzelte ihm zu, bevor er den Raum verließ.

Als er allein im Zimmer war, blickte Reid auf den silbernen Schlüssel der Handschellen hinab, der vor ihm lag. Er sah zu den Kameras hinauf, die in den Ecken des Raumes angebracht waren.

Er ginge nach Hause - doch irgendwas fühlte sich gar nicht richtig dabei an.

*

Reid eilte auf das Parkhaus in Langley zu, befreit von den Handschellen und dem Arrestzimmer - befreit davon, Einsatzagent zu sein. Befreit von der Angst vor Auswirkungen gegen jene, die er liebte. Befreit von einem Dreckloch im Boden in H-6.

Eine verblüffende Idee überkam ihn, während er durch die Tore hinaus auf die Straße fuhr. Sie hätten ihn einfach in die Hölle-Sechs stecken können. Sie hätten ihm wenigstens damit drohen können, die schwarze Wolke der Angst, seine Familie nie wiederzusehen, über seinen Kopf verhängen können. Doch sie hatten es nicht getan.

Weil ich ansonsten jeden Grund gehabt hätte, darüber zu sprechen, argumentierte Reid. Es gäbe einen Grund für mich, alles auszuplaudern, wenn ich gedacht hätte, dass ich den Rest meines Lebens in einem Loch verbrächte.

Es spürte sich zwar wie Wochen an, doch nur vier Tage zuvor war eine fragmentierte Erinnerung zu ihm zurückgekommen. Vor dem Gedächtnishemmer hatte Kent Steele Information über einen vorgeplanten Krieg gesammelt, den die US-Regierung konzipierte. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen, doch er hatte Maria offenbart, dass er sich an etwas erinnert hatte, dass eine Menge Probleme für eine Menge Leute bedeuten könnte.

Ihr Rat war einfach und direkt: Du kannst niemandem außer dir selbst vertrauen.

Er hatte es nicht zuvor gesehen, in dem Arrestzimmer, in dem sein Schicksal in Frage stand und die Schmerzmittel sein Gehirn vernebelten. Doch er sah es jetzt. Die Agentur wusste, dass er etwas wusste, doch sie wussten nicht, wie viel er wusste - oder an wie viel er sich erinnern würde. Er war sich nicht mal selbst sicher, wie viel er wirklich wusste.

Er schüttelte den Gedanken aus seinem Kopf. Jetzt, da die zweifelhaften Fragen über seine Zukunft gelöst waren, floss all die Anspannung aus seinen Schultern und er fühlte sich erschöpft und voller Schmerzen. Unter diesen Gefühlen braute sich eine sprudelnde Freude bei dem Gedanken, seine Mädchen wiederzusehen.

Es blieben ihm zwei Stunden, bevor ihr Flugzeug landete. Zwei Stunden waren mehr als genug, um nach Hause zu fahren, sich zu duschen, umzuziehen und sie dann zu treffen. Doch er entschied sich dazu, darauf zu verzichten und fuhr stattdessen direkt zum Flughafen.

Er wollte einfach nicht alleine in das leere Haus fahren.

Stattdessen stellte er das Auto auf dem Kurzzeitparkplatz von Dulles ab und betrat das Gebäude durch die Ankunft. Er kaufte sich einen Kaffee am Zeitungsstand und setzte sich in einen Plastikstuhl, nippte langsam daran, während ihm tausend Gedanken durch den Kopf gingen. Keiner davon blieb lange genug, um als bewusster Eindruck registriert zu werden, doch jeder einzelne flog vorbei, bevor er wieder zurückschwirrte, wie in einem Wirbelsturm.

Er musste Maria anrufen, entschloss er. Er musste ihre Stimme hören. Sie wüsste, was zu sagen war und selbst wenn nicht, dann gab es trotzdem immer etwas bei jedem Gespräch mit ihr, dass sein marodes Gehirn zu heilen schien. Reid hatte kein Handy, doch zum Glück gab es Telefonzellen, eine wachsende Seltenheit, im Flughafen. Dann hatte er kein Wechselgeld für die Maschine, weshalb er zuerst eine Null wählte und anschließend die Nummer, die er auswendig kannte.

Niemand ging dran. Es klingelte vier Mal, bevor der Anrufbeantworter sich meldete. Er hinterließ keine Nachricht. Er war sich nicht sicher, was er sagen sollte.

Schließlich kam endlich das Flugzeug an und eine Reihe eilender Passagiere schritt den langen Gang entlang, durch die Gates und die Sicherheitskontrolle, entweder in die Arme wartender Angehöriger oder hastig auf das Gepäckkarussell zu.

Strickland sah ihn zuerst. Agent Todd Strickland war jung, siebenundzwanzig, mit einem militärischen Haarschnitt und einem dicken Nacken. Sein Gang hatte einen Hauch von Stolz, der ihn gleichzeitig ansprechbar und autoritär erschienen ließ. Strickland schien überhaupt nicht überrascht darüber, Reid zu sehen. Die CIA hatte ihn zweifellos darüber informiert, dass man Kent Steele freigelassen hatte. Er nickte Reid nur einmal zu, während er die zwei jugendlichen Mädchen den langen Gang entlangführte.

Es schien, als hätte Strickland keiner seiner zwei Töchter gesagt, das er bei ihrer Ankunft da wäre, und Reid war ihm dankbar dafür. Maya entdeckte ihn als Nächstes und obwohl ihre Beine sich weiter bewegten, fiel ihr Unterkiefer vor Überraschung schlaff hinunter. Sara blinzelte zwei Mal, bevor ihre Lippen sich zu einem erfreuten, breiten Lächeln verzogen. Ihr Arm, der sich in Gips und einer Schlinge befand - sie hatte ihn gebrochen, nachdem sie aus einem fahrenden Zug gesprungen war - hielt sie nicht davon ab, auf ihn zuzurennen. „Papa!”

Reid ging auf ein Knie und fing sie in einer festen Umarmung auf. Maya eilte ihrer jüngeren Schwester hinterher und die drei umarmten sich für eine lange Weile.

„Wie?” flüsterte Maya heiser in sein Ohr. Beide Mädchen hatten ausreichend Grund, um zu glauben, dass sie ihren Vater für womöglich lange Zeit nicht wiedersähen.

„Wir reden später”, versprach Reid. Er löste seine Umarmung und stand auf, um sich Strickland zuzuwenden. „Danke, dass du sie sicher heimgebracht hast.”

Strickland nickte und schüttelte Reids Hand. „Ich halte nur mein Wort.” In Osteuropa war es zu einer Art von seltsamem, gegenseitigen Verständnis zwischen Reid und Strickland gekommen. Dabei hatte der jüngere Agent ihm versprochen, auf die beiden Mädchen aufzupassen, egal, ob Reid da wäre oder nicht. „Ich mach mich dann mal auf den Weg”, sagte er zu ihnen. „Seid lieb, ihr zwei.” Er grinste die Mädchen an und schritt von der kleinen Familie weg.

Die Fahrt nach Hause war kurz, dauerte nur eine halbe Stunde, und aufgrund von Saras untypischem Gerede erschien sie noch kürzer. Sie erzählte ihm, wie gut Agent Strickland sie behandelt hatte und wie die Ärzte in Polen sie selbst die Farbe ihres Gipses auswählen ließen, doch dass sie sich dennoch für das normale Beige entschieden hatte, damit sie ihn selbst mit Buntstiften anmalen konnte. Maya saß seltsam still auf dem Beifahrersitz. Hin und wieder blickte sie über die Schulter auf ihre kleine Schwester und lächelte kurz.

Als sie zu Hause in Alexandria ankamen, schien es als sei die Eingangstür ein Staubsauger für jeden fröhlichen oder erfreulichen Gedanken. Die Stimmung änderte sich im Handumdrehen. Das letzte Mal, als sie die Eingangshalle betraten, lag ein toter Mann direkt vor der Küche. Dave Thompson, ihr Nachbar, war ein pensionierter CIA Agent, der von dem Attentäter ermordet wurde, der anschließend Maya und Sara entführte.

Niemand sprach, als Reid die Tür schloss und den Code eingab, der die Alarmanlage aktivierte. Die Mädchen schienen zu zögern, überhaupt einen weiteren Schritt in das Haus zu wagen.

„Es ist in Ordnung”, sagte er ihnen leise, und obwohl er selbst kaum daran glaubte, ging er voran zur Küche, um ihnen zu beweisen, dass sie keine Angst haben müssten. Das Team der Tatort-Reinigung hatte gründlich gearbeitet, doch der starke Geruch von Salmiakgeist und die blitzblanken Fugen zwischen den Fliesen wiesen immer noch darauf hin, dass jemand hier gewesen war, das Blut aufgewischt und jegliche Spur von dem Mord, der hier stattgefunden hatte, entfernt hatte.

„Hat jemand Hunger?” fragte Reid und versuchte dabei, so sorglos zu erscheinen, dass er laut und theatralisch klang.

„Nein”, antwortete Maya leise. Sara schüttelte ihren Kopf.

„OK.” Man konnte die bedeutungsvolle Stille, die folgte, spüren, als sei sie ein unsichtbarer Ballon, der sich aufblies, um eine riesige Distanz zwischen ihnen zu schaffen. „Na dann”, sagte Reid letztendlich und hoffte, ihn zu zerbersten, „ich weiß ja nicht, wie es mit euch beiden steht, aber ich bin erschöpft. Ich glaube, wir sollten alle etwas zur Ruhe kommen.”

Die Mädchen nickten erneut. Reid küsste Sara auf den Kopf und sie schlurfte zurück in die Eingangshalle - er bemerkte, dass sie dabei näher an einer Wand entlangging, obwohl ihr nichts im Weg stand - und die Treppen hinauf.

Maya wartete, sagte nichts, doch horchte aufmerksam, bis die Schritte auf der Treppe den Teppichboden am oberen Ende erreicht hatten. Sie zog sich die Schuhe aus und fragte dann plötzlich: „Ist er tot?”

Reid blinzelte zwei Mal. „Ist wer tot?”

Maya blickte nicht auf. „Der Mann, der uns entführt hat. Derjenige, der Herrn Thompson ermordet hat. Rais.”

„Ja”, antwortete Reid leise.

„Hast du ihn getötet?” Ihr Blick war hart, aber nicht wütend. Sie wollte die Wahrheit wissen, keine weitere Deckungsgeschichte oder Lüge hören.

„Ja”, gab er nach einem langen Moment zu.

„Gut”, flüsterte sie zurück.

„Hat er euch seinen Namen verraten?” fragte Reid.

Maya nickte und sah ihn dann entschlossen an. „Da war noch ein weiterer Name, von dem er wollte, dass ich ihn weiß. Kent Steele.”

Reid schloss seine Augen und seufzte. Irgendwie schaffte Rais es immer noch, ihn weiter zu plagen, selbst über den Tod hinaus. „Damit bin ich jetzt fertig.”

„Versprichst du das?” Sie zog beide Augenbrauen hoch und hoffte, dass er ehrlich war.

„Ja. Ich verspreche es.”

Maya nickte. Reid wusste nur zu gut, dass es noch nicht zu Ende war. Sie war viel zu intelligent und wissbegierig, um die Dinge dabei zu belassen. Doch für den Augenblick schienen seine Antworten sie zu befriedigen, und sie ging die Treppe hoch.

Er hasste es, seine Töchter zu belügen. Er hasste es noch mehr, sich selbst zu belügen. Seine Einsatzarbeit war noch nicht vorbei - vielleicht die bezahlten Einsätze, doch er musste noch eine Menge tun, wenn er der Verschwörung auf den Grund gehen wollte, die er gerade erst begonnen hatte, aufzudecken. Er hatte keine Wahl, solange er etwas wusste, war er weiterhin in Gefahr. Seine Mädchen könnten sich immer noch in Gefahr befinden.

Er wünschte sich für einen Moment, nichts davon zu wissen, dass er alles vergessen könnte, was er über die Agentur wusste, über Verschwörungen, und einfach nur ein College Professor und Vater für seine Töchter sein könnte.

Doch das kannst du nicht. Also musst du das Gegenteil tun.

Er brauchte nicht weniger Erinnerungen. Er hatte dies schon ausprobiert und es hatte nicht sehr gut funktioniert. Er brauchte mehr Erinnerungen. Je mehr er sich an das erinnern könnte, was er vor zwei Jahren wusste, desto weniger müsste er arbeiten, um die Wahrheit aufzudecken. Vielleicht müsste er sich nicht mehr lange sorgen.

Während er da in der Küche stand, nur ein paar Meter von dem Flecken entfernt, an dem Thompson ermordet wurde, traf Reid seine Entscheidung. Er würde den alten Brief von Alan Reidigger finden - und damit auch den Namen des schweizer Neurologen, der den Gedächtnishemmer in seinen Kopf implantiert hatte.

Eine Falle für Null

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