Читать книгу Und immer geschieht das Gegenteil - Dominik Rüchardt - Страница 4

Entscheidungen

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[Ich bin] ein Teil von jener Kraft,

Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. ...

Ich bin der Geist, der stets verneint!

Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,

Ist wert, dass es zugrunde geht;

Drum besser wär's, dass nichts entstünde.

So ist denn alles, was ihr Sünde,

Zerstörung, kurz das Böse nennt,

Mein eigentliches Element.


(Goethe, 1808)



Während Faust, ein Fach nach dem anderen studierend, immer noch die Wahrheit sucht und an Gott und der Welt verzweifelt, spiegelt Mephisto ihm das Leben. Dem Verzweifelnden stellt er den Zweifel als befreiendes Prinzip entgegen und den Verfall als die Wahrheit. Auch wenn er es Sünde oder ‚das Böse‘ nennt, ist es zweifellos der interessantere Weg, den Faust schließlich einschlägt, bis er bemerkt, dass er ihm nicht gewachsen ist.

Das Problem des Faust ist, dass er sich entscheiden muss. Mephisto zwingt ihn dazu mit dem Handel, den er ihm vorschlägt. Und das Entscheiden, das ist das eigentliche Problem.


Wir werden in unserem Leben andauernd konfrontiert mit Möglichkeiten. Das Entscheiden ist manchmal schwierig und lästig. Ein Leben zu führen, ohne Entscheidungen fällen zu müssen, mag wie ein Paradies erscheinen. Und tatsächlich zielt die biblische Idee des Paradieses darauf ab.

Als Eva und Adam den Apfel aßen, überkam sie Erkenntnis. Mit einem Mal konnten sie Gut und Böse unterscheiden. Das war mächtig und verführerisch und wurde völlig unerwartet sehr schnell zum Problem. Denn mit dieser Gabe emanzipierten sie sich von ihrem Schöpfer und sie mussten anfangen, selbst Entscheidungen zu fällen. In kürzester Zeit erkannten sie, wie sehr sie das belastete. Der Zweifel zog ein, Scham überkam sie und sie fingen an, sich zu schützen. Damit ging dann das ganze biblische Gemetzel los.

Was sonst vorher das Paradies ausmachte, steht nicht geschrieben. Außer, dass sie keine Scham kannten. Gefühlt war es das pure, sinnfreie Sein. Ziemlich sicher ist, dass sie der körperlichen Liebe nachgingen, der Auftrag der Fruchtbarkeit spricht ebenso dafür wie die Formulierung, dass Gott Adam Eva als Frau zuführte. Was also im Paradies so alles geschah, ohne jede Scham, mag sich jeder selbst vorstellen.

Die Geschichte von Adam und Eva enthält noch viel mehr tiefgründige Erkenntnis. Offenkundig hatte Gott zunächst eine Art Puppenhaus im Sinn. Eine geschlossene, heile, konfliktfreie Welt. Warum er den Baum der Erkenntnis mit hineinsetzte, ist nirgendwo erklärt. Es ist zu vermuten, er fand, die Puppenwelt sei ohne ein solches Risiko belanglos. Um sich jedoch abzusichern, sprach er das erste Verbot aus: Die beiden durften nicht vom Apfelbaum essen. Das war widernatürlich. Das Verbot, das Gott gesetzt hatte, war ein reiner Machtanspruch. <Ich, Gott, schaffe Euch etwas an und Ihr habt nicht zu fragen, warum, sondern Euch einfach daran zu halten.>

Eine Frechheit. Eva hatte völlig Recht, sich zu widersetzen. Und dann kam alles ganz anders, als Gott es sich mit den Menschen vorgestellt hatte. Das Leben begann. Das sich Herumschlagen mit der Erkenntnis und ihren Lasten. Die Hybris, das Zweifeln, das Entwickeln von Ideen und das Anfeinden von Ideen. Die Puppenhausidylle verwandelte sich in ewiges Probieren, in Liebe und Gewalt, Hoffnung und Verderben.

Aus dem geschlossenen Raum des Paradieses wurde ein offenes Universum, in dem stets alles anders kommt, als erwartet. Warum es so ist, das scheinbar jede Handlung zum Gegenteil dessen führt, was sie bewirken sollte, das erklärt die Gegenteilstheorie - und dass das gar nicht so schlimm ist, davon handelt dieses Buch.



Und immer geschieht das Gegenteil

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