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Die Nachricht – Afrika, Dorf Bawesi
ОглавлениеDie drei Afrikaner gaben ein friedlich geschäftiges Bild ab. Rijad Eberegbulam Bawesi, Pflanzenzüchter im Dorf Bawesi im mittleren Afrika, Uzuri Yaya Bawesi, Jasiris Schwester, und Toma Bawesi, der aus Prinzip keinen Zweitnamen trug, saßen auf Eberegbulams Terrasse am See. Es war heiß, die Nachmittagssonne brannte. Sie waren das gewohnt. Unter einem Sonnendach aus Schilf sortierten sie an einem großen Tisch Stecklinge.
„Leg die kleinen hier nach links, die mit den runden Enden, und die anderen, etwas größeren, die aussehen wie aufgeplatzt, dorthin“, mahnte Toma mit heiserer Stimme. Uzuri tat wie geheißen, aber es kam ihr immer noch sinnlos vor, wie ein Kinderspiel, um sich die Zeit zu vertreiben.
„Das ist doch idiotisch. Pflanzen säen, auskeimen lassen, wieder herausreißen und sie dann nach Europa schicken.“ Verständnislos schüttelte sie immer wieder ihren Kopf. „Was ist der Unterschied? Samen sind doch viel haltbarer. Irgendetwas stimmt nicht mit Euren Europäern.“
Eine Weile sprach niemand. Bis Rijad Eberegbulam in einer Art Singsang antwortete. „Ja, sie sind seltsam, die Europäer. Sie haben für alles Gesetze. Für die Liebe, für die Farbe deines Urins und dafür, welche Pflanzen wachsen dürfen. Sie sind gesetzsüchtig. Das Einzige, was sie nicht regulieren, ist das Nachwachsen von Gesetzen. Und vor lauter Gesetzen gehen ihre Pflanzen kaputt. Sie schmecken nicht, sie halten von alleine nichts aus, sie sind billig.“
Er verstummte, hob aber wenig später in anderem Ton wieder an und wandte sich direkt an Uzuri: „Aber sie erfüllen die Gesetze. Fremde Samen sind verboten, fremde Pollen sind gefährlich. Also hat Jasiri eine Farm gegründet, auf der er statt Samen unsere Setzlinge anbaut. Es ist verrückt, aber es ist nun mal so.“ Gut gelaunt sortierte Eberegbulam weiter. Jasiri und er machten das inzwischen im großen Stil. Sie wurden immer besser darin, Setzlinge so zu züchten und zu bearbeiten, dass sie haltbar waren und in Europa später fast keine Pollen verstreuten.
„Hier, die sind alle neu“, versonnen zeigte Toma auf eine Reihe schrumpeliger, sehr kleiner Setzlinge und fing an aufzuzählen: „Das sind Tomaten, das sind Kürbisse, das dort hinten ist Paprika ...“
„Und Toma ist unser Genie. Unser Erfinder. In seinen Händen machen die Pflanzen genau, was er will. Neue Setzlinge, neue Methoden. Jasiri wird staunen.“
„Ich könnte ja mal über Euch schreiben: ‚Geschäft mit Europa wächst wieder – Afrikas Züchter versenden ausgekeimte Samen als Kassenschlager‘ oder so.“ Uzuri sprach das mehr so vor sich hin. Eigentlich war sie Tänzerin und Tanzlehrerin, mit viel Fleiß hatte sie sich aber eine zweite Existenz aufgebaut. Sie schrieb nun auch für eine überregionale Zeitung und wurde dabei immer besser. Inzwischen konnte sie sich ihre Themen aussuchen.
„Bloß nicht. Jasiri würde Dir den Kopf abreißen. Viel zu gefährlich.“
„Bestimmt nicht. Nicht er und nicht mir.“ Sich stolz zurücklehnend, lachte sie ihn breit an. „Aber wann kommt er nun endlich?“ Uzuri war eigentlich nur gekommen, um Jasiri zu sehen, ihren großen Bruder, der als junger Anwalt vor Jahren nach Europa gegangen war, um dort das Rechtssystem zu studieren. Der dort geblieben war und seither nur ab und zu zurückkam, um mit Eberegbulam über Pflanzen zu sprechen.
„Ich erwarte ihn heute, mehr weiß ich auch nicht.“
„Er war beim letzten Mal anders als sonst.“ Uzuri wurde auf einmal ernst.
„Wie meinst Du ‚anders‘?“
„Irgendwie bedrückt, als wenn er etwas Schlimmes erlebt hätte. Normalerweise strahlt er dich an und sagt dir, was du alles verändern könntest. Und du denkst dir, er hat Recht, weißt aber, dass du es nicht hinbekommst. Er bekommt es aber hin.
Aber letztes Mal war er anders. Als ob ihn etwas bedroht. Er war vorsichtig. Das gab es bisher nie.“
„Ich weiß nicht, was Du meinst. Wir haben beim letzten Mal größere Pläne gemacht als je zuvor. Das Ergebnis liegt hier auf dem Tisch. Das ist nicht vorsichtig, das ist hemmungslos!“ Eberegbulam war sichtbar stolz. Und ungeduldig.
„Hoffentlich hast Du recht.“ In einer geschmeidigen Drehbewegung stand Uzuri auf und nahm ihre Tasche. „Ich muss jetzt los. Ich will noch zu meiner Tochter, bevor sie im Kinderhaus essen.“ Sie warf ihre Handtasche über die Schulter. „Nachher hat sie keinen Kopf mehr für mich, wenn alle spielen bis zum Umfallen. Außerdem muss ich zum Tanzen. Sag Jasiri, ich würde mich freuen, ihn zu sehen, wenn er kommt.“
„Ist gut, Uzuri, wir warten hier.“
Aber so viel er auch wartete, es rührte sich nichts. Bald würde es dunkel sein. Die Sonne bewegte sich senkrecht auf den See zu. Die Zeit verging.
Eine Stunde später ging Rijad Eberegbulam unruhig auf der Terrasse des Haupthauses auf und ab, starrte in den inzwischen roten Himmel. Die Stecklinge waren längst sortiert ausgelegt, alles war vorbereitet. Aber es gab nicht einmal eine Nachricht, dass Jasiri überhaupt in Afrika angekommen sei. Und erst recht war kein landendes Transportflugzeug in Sicht, nur die Touristenflieger. Ecojets in jeder Größe, die mit ihren unglaublichen Flügeln langsam und leise über dem See einschwebten.
„Der kommt nicht mehr. Sie fliegen nicht, wenn es dunkel ist“, tönte es unter dem Dach hervor. Toma spielte mit den Stecklingen herum, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen, benutzte immer zwei als Tor, in das er einen dritten mit dem Finger hineinschnippte.
„Lass das, wir brauchen die noch.“
„Ich sag doch, er kommt nicht mehr, normalerweise meldet er sich ja schon, wenn er in Sizilien ist.“
„Vielleicht ist sein Kommunikator kaputt.“ Noch einmal versuchte Eberegbulam, ihn anzurufen, aber keine der Nummern funktionierte. Viel hieß das aber nicht, denn das Geschäft brachte es mit sich, dass die Leute immer wieder ihre Nummern wechselten.
Inzwischen war der Himmel tiefrot und bildete mit dem See ein malerisches Paar. Im nachlassenden Kontrast der Dämmerung sah er, wie sich vom Dorf her ein Fahrzeug schnell näherte. War er das doch? War er diesmal anders angereist? Das Auto kam näher und bog zu ihnen ab. Es war das Auto des Dorfratsvorsitzenden Idrissa Yerodin. Der ließ sich hier sonst nie blicken. Er stellt sich an die Brüstung der Terrasse und blickte herunter, sah, wie der Dorfratsvorsitzende ausstieg, kurz hochblickte und Richtung Treppe ging, die hinten herum zur Terrasse führte. Eberegbulam wartete, wo er war, und ging ihm erst entgegen, als er auf der Terrasse ankam. Er grüßte ihn ernst mit Handschlag, blieb kerzengerade vor ihm stehen und sah ihm in die Augen.
„Wir haben eine Nachricht aus Europa erhalten. Von der Europäischen Polizei. Sie sagen, Jasiri Tyrese ist tot.“
Er begriff nicht. „Wie, tot …?“
„Ja, sie sagen, er ist tot. Mehr haben sie nicht gemeldet. Nur, dass sie ihn sofort nach Afrika überführen. Sie wollten wissen, wohin sie ihn schicken sollen.“ Eine Stille hielt beide fest, bis Idrissa sie in nachdenklichem Ton brach: „Die Nachricht ist seltsam. Sie wirkt falsch, aber sie ist eindeutig. Ich dachte, ich komme als Erstes zu Dir. Ihr hattet ja in den letzten Jahren den engsten Kontakt.“ Der ernste Blick wurde noch ernster. „Mit dem restlichen Dorf war er wohl weniger verbunden, bis auf seine Schwester, aber die finde ich nicht.“
Rijad Eberegbulam fing an, mit den Armen zu schwingen und im Kreis zu gehen. Das tat er immer, wenn er sich aufregte.
„Uzuri ist im Kinderhaus. Und ich warte hier auf Jasiri. Wir haben ein neues Verfahren. Toma hat lange dran gearbeitet.“ Aufgekratzt drehte er sich zu Toma um: „Wir können nun viel mehr Arten liefern, nicht wahr Toma?“
„Ich sagte doch, er kommt nicht mehr.“ Toma schnippte weiter die Stecklinge.
„Lass das!“, fauchte Eberegbulam ihn an und wandte sich wieder zum Dorfratsvorsitzenden, der ihnen zusah und das Gespräch suchte.
„Es tut mir leid, Ihr wart Partner, richtig?“
„Ja … Wir haben große Pläne. Oder hatten. Und wir werden immer besser. Aber ich habe keine Ahnung, was ich ohne ihn machen soll.“ Er wurde lauter: „Die ganze Organisation, die Farm am Wiener See … ich kenne die gar nicht. Ich weiß nicht einmal, wen ich fragen soll, ob das überhaupt stimmt, was Du da sagst.“ Er schüttelte den Kopf, ging weiter auf und ab. Mit blitzenden Augen blickte er plötzlich Idrissa Yerodin an: „Du sagst, die Nachricht wirkt falsch. Da stimmt etwas nicht.“
Der Dorfratsvorsitzende hörte ihm halb zu, stand an der Brüstung und blickte über den See.
„Wieso kommen die jetzt zu uns? Er ist doch schon seit Jahren in Europa.“
„Soviel ich weiß, lebt er in Europa im Untergrund. Die Polizei verfolgt ihn, um ihre Pflanzenpatente zu schützen, das ist nicht ungefährlich … wie Du siehst.“ Rijad Eberegbulam ging weiter armeschwingend auf und ab.
"Was wollt Ihr in Europa? Ich verstehe Euch nicht. Ist Afrika nicht groß genug für Euch?"
Eberegbulams Arme schwangen schwächer, er blieb stehen und stand nun neben dem Dorfratsvorsitzenden und blickte wie dieser auf den See. Seine Stimme wurde ruhig.
"Jasiri sagt, diese Arbeit sei wichtig, und er meint das wirklich ernst. Ich habe ihn nie glücklicher erlebt, als in den letzten Jahren, als es richtig losging. Ich mache einfach mit. Es hat ja bis jetzt auch alles funktioniert."
"Bis jetzt.“
Nebeneinander stehend, starrten sie auf den See.
Sie waren unterschiedlicher Meinung.
Aber was jetzt passiert war, konnte alles ändern.