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Bedrohung – Biofarm am Wiener See
ОглавлениеIm Verwaltungsbüro der Biofarm wurde es immer stickiger. Fliegen summten in der heißen Luft, die ein müder Ventilator mit trägem Flattern im Raum verteilte, ihre solarbetriebene Klimaanlage.
Kemal Deixner und Mirco Nemec waren dabei herauszufinden, was zu tun sei, um den Betrieb der Farm sicherzustellen. Nun, wo Jasiri angeblich plötzlich ausfiel. Sie waren deutlich im Verzug mit dem Nachschub, also den Setzlingen für die kommende Saison. Und da sie im Moment weder die Nachricht noch die offenen Fragen zur Zukunft der Farm verbreiten wollten, hielten sie Türen und Fenster geschlossen, was sonst nicht ihre Art war.
Mirco Nemec hatte bereits seine dünne Sportjacke ausgezogen, die er sonst immer trug, und saß im Unterhemd da. Mit seiner kompakten Statur und seinem runden, von wenigen blonden Haaren umkränzten Kopf wirkte er schmuddelig. Aber er war schnell, und misstrauisch. Das war in seinem Job hilfreich. Kemal Deixner war das Gegenteil von Nemec. Sein kleiner Kopf mit den dunklen Knopfaugen saß halslos auf einem mächtigen Oberkörper, von dem ebenso große Arme wie Beine abgingen. Sein schiefer Mund wirkte, als pule er ständig an einer Fischschuppe herum. Neben Nemec wirkte er gutmütig und träge, was aber täuschte. Kemal hatte sein eigenes Reich im Stadtbüro der Farm, das er genau überblickte.
Nemec saß über den Bestandstabellen und verglich diese mit dem Jahresplan, während Deixner ihre Liefervereinbarungen und die Eingangsplanungen mitgebracht hatte.
„Im Moment stehen wir noch gut da“, erklärte Nemec schließlich und streckte sich. „Die Lager sind immer noch voll und bis zum Sommerende erwarten wir gute Erträge. Allerdings müssten spätestens Ende August die Winterpflanzen in den Treibhäusern sein und im September die Vorbereitungen für das kommende Jahr starten.“
„Das passt zu meiner Berechnung“, bestätigte Kemal Deixner, während er sich mit seiner riesigen Hand am Kopf kratzte und seinen Zettel anstarrte. „Die Lieferungen an diplomatische Einrichtungen, Restaurants und Läden sind bis zum Spätherbst sicher, der Rest geht über den Hofladen. Das Programm mit den Anbaukästen können wir von mir aus gerne verschieben.“
Er legte den Zettel zur Seite.
„Die sind mir sowieso unheimlich. Die ganzen jungen Frauen aus der Stadt. Sie belagern in letzter Zeit ständig mein Büro, wann sie endlich die Kästen für ihre Balkone bekommen. Die gehen mir auf die Nerven. Alles viel zu öffentlich. Ich habe Jasiri schon gewarnt, das mit dem Kleinbauernverband ist unkontrollierbar, aber er hat mich nur ausgelacht.“
„Dann könnten wir die Setzlinge für die Anbaukästen stattdessen für die Winterpflanzen nehmen?“ Nemec setzte an, das zu notieren.
„Theoretisch ja, aber zu riskant.“ In der Tat. Die Setzlinge für die Anbaukästen konnten sich fortpflanzen. In der Stadt war das kein Problem, aber hier oder in den Treibhäusern, umgeben von ESCO Land, könnte das gefährlich werden.
„Da hast Du recht.“ Nemec ließ den Stift wieder fallen. „Wenn uns da die Patentpolizei draufkommt, beschlagnahmen sie alles und verbieten den Betrieb, bis sie alle Felder überprüft haben. Und sie werden sich Zeit lassen.“ Ärgerlich schob er seine Zahlen zur Seite.
Kemal Deixner zuckte mit der Lippe, sein Fischschuppenzucken, das er immer machte, wenn er etwas nicht mochte. „Ich hab allerdings nie kapiert warum. Wir können den Genpflanzen doch eh nichts tun.“
„Warum, kann ich Dir sagen. Das ist das Qualitätsschutzgesetz.“ Nemec kippelte am Stuhl bis er fast umfiel, diese Frage hatte er schon hundertmal hin und hergewendet. „Da geht es um Sachen wie das genetische Tor. Die würden so lange suchen, bis sie einen Samen finden, der auf die Industrieäcker fliegen kann. Das sind ja hochempfindliche Anlagen, supersteril und mit einem Giftcocktail genau abgestimmt. Wenn da fremde Samen einfliegen, können die Unkraut erzeugen, dem das Gift nichts macht, und schon haben die auf ihren Feldern Pflanzen mit drin, die da nicht hingehören. Dann stimmen die Zertifikate nicht mehr und sie können das Zeug nicht mehr verkaufen. Und im für die schlimmsten Fall könnten wir wegen des Patentschutzgesetzes außerdem Anspruch auf einen Teil ihrer Ernte erheben, weil sie Sachen verkaufen, in denen das Erbgut unserer Pflanzen steckt.“
„Ist das denn wirklich so gefährlich für die?“
„In Wirklichkeit ist das Risiko nicht groß, aber die nutzen das aus. Um uns zu bekämpfen. In Echt sind wir für die nur deshalb eine Gefahr, weil immer mehr Menschen den Industriefraß nicht mehr essen wollen. Wir zeigen, dass es auch anders geht. Und wenn nun irgendwann die Klagen wegen Allergien und so losgehen, dann wird es möglicherweise richtig teuer für ESCO. Deshalb wollen sie uns eigentlich erledigen und hetzen uns, wann immer möglich, die Patentpolizei auf den Hals.“ Nemec hörte auf zu kippeln und ließ sich nach vorne fallen. Den Rest kannte Kemal. So lange ESCO nur vermuten konnte, was hier passierte, und sie ihnen keinen Grund gaben, sie wegen des Patentschutzgesetzes oder des Qualitätsschutzgesetzes anzuzeigen, waren denen die Hände gebunden. Das blöde war nur, dass die Importe aus Afrika ebenfalls unter das Patentschutzgesetz fielen. Deshalb mussten sie schmuggeln.
Er schaute konzentriert auf den Tisch und fing eine Fliege mit der bloßen Hand.
„Wusstest Du eigentlich, dass die Patentpolizei früher Zoll hieß und extra gegen Schmuggel unterhalten wurde? Erst mit den Freihandelsabkommen, als der Zoll abgeschafft wurde, haben die ihre ganze Organisation ausschließlich auf Patente konzentriert. Na ja, für die Industrie war das ein echtes Geschenk, die haben nun eine kostenlose Privatarmee, die fleißig nach Gründen für ihr Dasein sucht.“ Vorsichtig öffnete er die Faust und die Fliege flog, leicht benommen, davon.
„Ja, ich habe das auch gelesen“, knurrte Deixner. „Aber auch wenn die nicht mehr so auf Schmuggel achten, geht da unser Problem los. Jasiri hat das alles alleine gemacht. Ich habe keine Ahnung, wie wir die nächste Lieferung organisieren können.“
„Wie, Du hast keine Ahnung, was heißt das?“
„Ich kenne nur die Abholorte für die Lieferungen, die Jasiri aus Afrika beauftragt hatte. Ich sagte ihm vorher, was wir brauchen, er reiste los und organisierte alles. Er machte keine Aufzeichnungen und es gab keine Kontaktadressen. Gar nichts. Das hat er aus Sicherheitsgründen immer so gehalten. Als Einzige könnte vielleicht Eva etwas wissen.“
„Eva sitzt den ganzen Tag unter dem Baum auf der Kuppe und schweigt.“
„Ich fürchte, wir werden sie trotzdem fragen müssen. Aber lass uns vorher noch einmal alles durchgehen.“
„Wir haben hier noch dieses Schreiben von der Regionalverwaltung“, er zeigt Deixner seinen Kommunikator.
„Sie wollen wissen, wer den Verein leitet, der die Farm trägt. Es ist eine informelle Anfrage. Offenbar hat die Afrikanische Botschaft angefragt, da der Verein ja afrikanisch ist. Deshalb haben wir ja überhaupt die Genehmigung zum kommerziellen Anbau.“
Deixner starrte das Schreiben verdattert an. Doch bevor er etwas sagen konnte, wiegelte der Verwalter schon ab:
„Ich denke, das ist nicht so schlimm. Das wird, sobald es offiziell wird, in den Löchern der Anonymisierung versinken. Ich würde sagen, wir machen, was wir immer tun, nämlich erst einmal gar nichts.“
„Schon komisch, dass die gerade jetzt kommen. Das bedeutet etwas. Weißt du, ob die Afrikaner uns eigentlich mögen?“ Deixner hatte sich das nie gefragt.
„Nun ja, soviel ich weiß, sind die Afrikaner uns Europäern gegenüber schon ziemlich misstrauisch. Das war auch ein Grund, warum Jasiri immer alleine oder zusammen mit anderen Afrikanern fuhr.“
„Wenn die uns die Genehmigung entziehen, sind wir auch weg.“ Er hielt inne. „Aber wem gehört denn jetzt die Farm überhaupt, falls Jasiri tatsächlich tot ist?“
„Keine Ahnung, sie ist als Verein nach afrikanischem Recht gegründet, Jasiri hat das auch alles alleine gemacht. Die Unterorganisationen für die Miete der Ländereien, die Anstellung der Mitarbeiter, die Schule und den Vertrieb sind hiesige Gesellschaften, die aber alle dem Verein unterstehen.“
„Wir müssen das mit Eva besprechen, alles andere ist zwecklos.“
Nemec schaute Deixner von der Seite an: „Wollen wir sie holen? Sie sitzt auf dem Hügel und sagt kein Wort.“
„Lass uns warten, bis sie zurückkommt.“