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M O T I V S U C H E Schneeflocken, Hinterhöfe und eine Karikatur

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Wie schon so oft erkundete Heinrich Zille wieder einmal die Schattenseite Berlins. In der Hand eine Eastman Detective Camera. Wahrscheinlich war es ein eifriger Leser von Spionageromanen gewesen, der ihnen zu ihrer kuriosen Bezeichnung verholfen hatte. Diese neuen Apparate waren leichter und statt der umständlichen Platten arbeiteten sie als erste mit Rollfilmen. Zille konnte nicht leben von seinen Karikaturen, sein Geld verdiente er bei der Photographischen Gesellschaft am Dönhoffplatz.

Normalerweise waren Fotografen ständig auf der Suche nach dem Bild, knipsten kitschige Sonnenuntergänge – in Schwarzweiß allerdings nicht eben befriedigend – oder ordentliche Familien beim Sonntagsspaziergang, lichteten stramme Jünglinge bei der Leibesertüchtigung in freier Natur ab oder bannten Paraden, Springbrunnen und ganze Berge auf ihre Glasplatten. Auch der Amerikaner Wilson A. Bentley war stets auf der Suche nach dem perfekten Sujet gewesen und hatte im Januar 1885 als Erster eine Schneeflocke fotografiert.

Zille gehörte nicht zu diesen Motivjägern. Er brauchte nur im Schatten der Stadt spazierenzugehen, im Dickicht der Hinterhöfe wurde er stets fündig. Zille war Stunden unterwegs gewesen. Gegen Abend zog es ihn in den Nussbaum. Die Gaststube war gerammelt voll. Die Wirtin stand hinter dem Tresen wie jeden Abend, lamentierte und gab Anweisungen wie eine Dompteuse, die Ziegen und Schafen ein Kunststück beibringen wollte. Zille bestellte ein Schultheiss. In der Flasche.

»Wo is de Luise?«, fragte er, als ihm Minna das Bier an den Tisch brachte.

»Weg.«

»Wat heeßt hier weg?«

»Weg halt. Keenen Dunst, wo se jetzt is. Konnt nich länger arbeit’n mit em dicken Bauch.«

Zille wollte etwas sagen, schüttelte aber dann nur den Kopf. Nein, nach Motiven musste man wirklich nie suchen. Sie waren überall.

Er kam später nach Hause, als er wollte, doch er war nicht müde. Er ging in die Küche und setzte sich an den Tisch, der aus dem veritablen Chaos aufragte wie eine Insel aus einem tobenden Ozean. Er zog eines seiner Skizzenbücher aus der Truhe neben der Kochstelle und begann im schwachen Schein der Lampe zu zeichnen. Strich für Strich ließ er den Stift über den weißen Grund gleiten. Er zeichnete eine schwangere Frau, das Haar strähnig und die ausgelatschten Schuhe zwei Nummern zu groß. Das Fräulein starrte in ein Schaufenster, in dem sich die Auslagen in bestem Licht präsentierten. Wunderschöne Kleider, und noch wunderschönere Hüte, und allerwunderschönste Pelze, und erst die Schuhe. Wunderwunderschönste Schuhe mit Knopfleisten, von denen die arme Frau nur träumen konnte. Nach und nach vervollständigte sich das Bild. Zille war zufrieden. Etwas Farbe noch und der Text. Seine Zeichnungen hatten immer Text. Die Worte sprudelten aus dem Mund der Schwangeren, die ein angeregtes Gespräch mit der Schaufensterscheibe führte: »Da sajen se imma, Berlin is ’ne Weltstadt, in der du allet koofen kannst, wat de dir nur so vorstellen tust. Aber ick hab nu wirklich überall in de Auslajen von de Jeschäfte rinjeschaut. Nirjendwo verkoofen se ooch nur een Vater für meen Kind.«


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