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I. Juli 2004

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Ich sehe aus dem Fenster auf Häuserdächer, die außerhalb der Gefängnismauern stehen. Die Vögel im Hof fressen gerade das Brot, das einige Gefangene aus dem Fenster geworfen haben. Ich kann keinen richtigen Gedanken fassen, obwohl ich schon fünf Monate hier bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich erst vor acht Tagen endgültig zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden bin, obwohl ich mit viel weniger gerechnet hatte. Natürlich hat mein Anwalt sofort Revision eingelegt – es ist allerdings ungewiss, ob die durchgeht. Und wenn, dann ist fraglich, ob es überhaupt etwas bringt. Aber der Versuch ist es wert. Der berühmte Strohhalm, an den man sich klammert.

Der erste Tag war schlimm. Mir war noch kotzübel. Die letzten zwei Tage vor der Verhaftung hatte ich durchgefeiert, gerade mal drei Stunden gepennt und dann wurde ich noch zu allem Überfluss bei einem Deal verhaftet.

Die erste Nacht durfte ich in der Ausnüchterungszelle der Polizeiwache verbringen. Gefolgt von dem ganzen erkennungsdienstlichen Mist, den sie jedes Mal, wenn sie dich verhaften, wiederholen. Fingerabdrücke, biometrische Daten und Fotos. Obwohl es schweinekalt war, konnte ich die erste Nacht in der Zelle verhältnismäßig gut schlafen – schließlich hatte ich bereits ein oder zwei schlaflose Nächte hinter mir.

Am Morgen kamen zwei Beamte vom K13, um mich abzuholen. Mit dem Namen K13 konnte ich erst nichts anfangen, aber ich erfuhr schnell, dass sie für Organisiertes Verbrechen zuständig sind. Mein Anwalt war bereits benachrichtig und traf pünktlich zum Haftprüfungstermin ein. Der zuständige Richter war ein desinteressierter dicker Sack. Die Staatsanwältin hingegen eine hübsche Frau. Was für ein beschissener Job für so ein heißes Gerät“, dachte ich. Der sofortige Vollzug der Untersuchungshaft war schnell entschieden. Nichts anderes hatte ich erwartet. Wir waren bei dem Deal zu dritt und wurden auf verschiedene Knäste verteilt. Trennung nennt sich das – soll Absprachen verhindern. Der Dritte im Bunde durfte sogar nach Hause, weil er eine feste Arbeit hatte und somit keine Fluchtgefahr bestand.

Die Herren vom K13 fuhren mich in ein Gefängnis, das außerhalb der Stadt lag. Auf der Fahrt erklärten sie mir, dass sie es eigentlich gar nicht auf mich abgesehen hatten, ich ihnen aber leider in den Weg gekommen sei. Mein Pech!

Obwohl ich schon am Tag zuvor erklärt hatte, keine Aussage machen zu wollen, versuchte mich einer der beiden mit kleinen Einschüchterungen und offenen Drohungen zu beeindrucken. Erfolglos. Ich blieb stumm wie ein Fisch. Kurz vor der Ankunft starteten die Herren ihren letzten Versuch, mich zu einer Aussage zu bewegen. Die Drohungen wurden plumper: „Ich hoffe, du weißt, dass andere Gefangene Typen wie dich festhalten und dann in den Arsch ficken!“ „Kommt immer darauf an, wer hinten steht“, war meine Antwort kurz bevor wir den Knast erreichten.

Dort angekommen wurde ich – nach gründlicher Durchsuchung – neu eingekleidet. Seine Privatsachen darf man nicht behalten. Sie werden bei der „Habe“ für dich aufbewahrt. Ich bekam anstaltseigene Trainingsanzüge, Arbeitsklamotten, Turn- und Normalschuhe, Bettwäsche und eine Menge mehr. Alles in besonderer Knastqualität – mit Rissen und Löchern. Alles kam in eine große Kiste und wurde mit Besteck, Zahnbürste, Seife, Rasierzeug und einem Kamm komplettiert.

Dann holte mich der Stationsbeamte ab und erklärte mir, dass ich wegen Überbelegung in eine Gemeinschaftszelle müsse. Er erkannte wohl meinen fragenden Blick und schob nach, ich brauche keine Angst zu haben, ich würde mir den Haftraum mit einem Deutschen teilen. Haftraum ist die vornehme Umschreibung für Zelle. Anscheinend hatte man schon in meiner Strafakte geschmökert und erfahren, dass ich eine Vorstrafe wegen „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ hatte. Hört sich schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist.

Meine Zelle befand sich im dritten Stock. Dort nahm mich ein schmaler, blasser Typ in Empfang – er machte einen freundlichen Eindruck, was mir die Situation zunächst wirklich erleichterte. Mit einem Querkopf hätte ich in dem Moment sicher viel Spaß gehabt. Der Typ war ein Ossi aus der Nähe von Dresden und saß wegen Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Betrug. Vier Jahre hatte er noch vor sich, viereinhalb bereits hinter sich. Wir stellten uns vor und er wies mich ein. Zu meinem Glück kannte er sich sehr gut aus, was Paragrafen und Regeln betraf. Mich störte nur seine Unnahbarkeit und dass er ein Weichei zu sein schien.

Am dritten Tag musste ich zum Anstaltsarzt zur Zugangsuntersuchung. Ich machte von Beginn an kein Geheimnis daraus, dass der Alkohol in den letzten zwei Jahren mein bester Kumpel gewesen war und ich außerdem mit einigen Naturprodukten und Chemikalien experimentiert hatte: gelegentlich Speed, Ecstasy, Kokain, LSD, Kristalle und Pilze. Das führte zu starken Depressionen, wogegen der Arzt mir sofort doxipinhaltige Antidepressiva verschrieb. Drogen gegen Drogen. Auf jeden Fall haben mich die Dinger ordentlich weggeknallt.

Als ich auf meine Zelle zurückkam erwischte ich den Ossi-Arsch, wie er in meinen Papieren rumschnüffelte. Nach zehn Sekunden Blickkontakt, musste ich ihn zunächst ordentlich würgen und machte ihm dabei klar, dass er mich auch einfach fragen könne, falls er unbedingt etwas wissen wolle. Nachdem ich ihn wieder losgelassen hatte, wusste ich, dass ich mir den nötigen Respekt verschafft hatte. Nach ein paar Tagen war das Thema gegessen und wir vertrugen uns wieder.

Als nächstes stand duschen auf dem Programm. Sammeldusche. Während einige Gefangene duschten, mussten wir warten. Dank meiner neuen medikamentösen Behandlung waren meine Gedanken immer noch vollkommen wirr. Ich schaute einem meiner Leidensgenossen direkt ins Gesicht und merkte erst überhaupt nicht, dass es Jörg war. Ein Freund aus meiner Heimatstadt. Er sah mich genauso erstaunt an wie ich ihn. Dann das Übliche: Warum bist du hier, wie lange hast du?

Plötzlich eine Parole von irgendwo hinter uns: „Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da!“ Ich drehte mich um und erkannte das nächste Gesicht. Ulf, ein Sauf- und Stadionkumpel. Langweilig würde mein Aufenthalt hier nicht, soviel war schon mal klar. Es war aber schon ein merkwürdiger Zufall, dass ich Ulf mal wieder im Knast traf. Vor langer Zeit war ich schon einmal fünf Tage im Knast und der Erste, den ich damals traf, war auch Ulf. Jetzt saß er wegen verschiedener Delikte und erzählte mir, dass zurzeit noch mehr bekannte Gesichter hier einsaßen.

Seltsam, bevor Ulf in den Bau ging, gab ich ihm noch meine Telefonnummer – falls er Geld oder sonst was brauchen würde. Da ahnte ich noch nicht, dass er den Knast wahrscheinlich vor mir verlassen würde. Später traf ich noch Olla, der über zehn Jahre kassiert hatte, und Micha mit vier Jahren im Gepäck.

An Micha konnte ich mich zwar erinnern, aber ihn nicht richtig einordnen. Aber egal – mit ihm hatte es noch keinen Stress gegeben, soviel wusste ich auf jeden Fall. Und das genügte.

In der ersten Woche bin ich nicht auf den Spazierhof gegangen. Während der Woche hat man zweimal am Tag eine Stunde Hofgang. Morgens um 9 Uhr und mittags um 13 Uhr. Aber die ersten Tage war ich so platt von den Tabletten, dass ich, selbst wenn ich gewollt hätte, nicht aus dem Bett kam.

Es dauerte nicht lange und ich war bestens informiert, wie ich wo und bei wem zu welchen Drogen kommen konnte. Im Grunde gab es alles, was es draußen auch gab – nur die Preise waren absolut utopisch. Ein großer Vorteil war es, wenn man außer Deutsch noch ein paar andere gängige Sprachen beherrschte – der Ausländeranteil im Knast lag damals bei etwa 40 Prozent und das Drogengeschäft hier war fest in russischer Hand.

Weitaus interessanter war die heimliche Schnapsbrennerei. Im Grunde ganz simpel: zehn Löffel Zucker, eine Plastikflasche mit Orangensaft und ein Stück Hefe aus der Gefängnisbäckerei. Fertig ist der Alkohol. Alles, worauf man achten muss ist, die Flasche nicht ganz zu füllen und sie etwa 14 Tage lang regelmäßig zu entlüften – wegen der Gärung. Nach zwei Wochen hat man ein Gebräu, das ähnlich schmeckt wie Chriss Schaumwein, leider nur in rauen Mengen besoffen macht und dann gleichzeitig für einen ordentlichen Dünnpfiff sorgt.

Nach etwa einer Woche wurde mein Zellenkollege in den offenen Vollzug verlegt, was mich ziemlich verwunderte, denn er war erst vor einigen Wochen mit einem Handy erwischt worden, das er in seiner Elektroschreibmaschine versteckt hatte. Außerdem waren solch zügige Verlegungen in den offenen Vollzug sowieso eher selten. Außerdem kamen mir seine ständigen Fragen schon von Beginn an sehr komisch vor. Wie dem auch sei – Hauptsache er war weg und ich hatte die Zelle für mich alleine. Ich konnte endlich machen was ich wollte, hatte mehr Platz, konnte das Fernsehprogramm bestimmen und vor allem: Ich konnte mir einen runterholen wann immer ich wollte.

Allerdings hatte das Alleinsein schon bald ein Ende, als Pit mich bequatschte, sich auf meine Zelle verlegen zu lassen. In der folgenden Zeit teilten wir fast vier Monate lang die Zelle. Keinen Tag zu lange, denn viel länger hätte ich es mit ihm wirklich nicht ausgehalten. Pit ist wirklich ein netter Kerl, aber tief in mir steckt ein Spießer und schon bald steigerte ich mich Tag für Tag in tausend Kleinigkeiten rein, die mir an ihm so richtig auf den Sack gingen. Gott und wem auch immer sei Dank, dass er bald Arbeit bekam und damit auch eine Einzelzelle.

Was mir mit der Zeit außerdem mehr und mehr auf die Nerven ging – neben dem endlosen Gelaber wirklich dummer Mitgefangener –, waren diverse Schließer. Also Justizvollzugsbeamte. Zwar waren die in meiner Abteilung größtenteils irgendwie in Ordnung, aber im Knast wimmelt es grundsätzlich von nervigen Beamten.

Das sind zum einen die Spitzel. Die machen auf Kumpel – nur, um dich auszuhorchen. Diese Sorte Beamte steht ständig hinter irgendwelchen Zellentüren und belauscht die Gespräche der Gefangenen.

Auch sehr beliebt: die Schließer, die die Gefangenen gegeneinander ausspielen. Ein beliebtes Hobby, der Staatsdiener in Grün. Außerdem gibt’s die Beamten, die in ihrer Freizeit gerne mal „Ausländer raus“ oder Schlimmeres rufen, die die Justizvollzugsanstalt mit einem Zuchthaus verwechseln und am liebsten die Todesstrafe wiedereinführen würden. Den Leck-mich-am-Arsch-Beamten erkennt man an seiner permanenten Geistesabwesenheit und dann sind da noch die Brutalos. Die bevorzugen die Nachtschicht und treffen sich hier mit Gleichgesinnten. Dann heißt es: kurz rein in die Zelle, ordentlich auf’s Maul und wieder raus. Merkt keiner und ist für die Beamten auch vollkommen ungefährlich: Einer nimmt das Opfer in den Nelson (Polizeigriff), der andere teilt kräftig aus. Die Typen stehen zu Hause bei Muttern bestimmt ordentlich unterm Pantoffel und brauchen ein Ventil. Du kannst von Glück sagen, wenn sie nicht an deiner Zellentür rütteln.

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