Читать книгу 350 Gramm - Don Kitty - Страница 4
ОглавлениеSchließer mit Komplexen erkennt man meist schon an der Körpergröße: zu klein geraten und die fehlenden Zentimeter versuchen sie durch Lautstärke wettzumachen. Der geistig einfach gestrickte Beamte ist meist wortkarg und nicht sehr diskussionsfreudig. Wenn ihm die Argumente ausgehen, schließt er dich einfach in deiner Zelle ein. Ende.
Die nächsten im Bunde sind die Wichtigtuer. Wie der Name schon sagt, tun sie nur wichtig, sind es aber ganz und gar nicht. Genauso wenig wie sie beliebt sind.
Der absolute Bringer sind weibliche Justizvollzugsbedienstete. Mich würde ja wirklich brennend interessieren, wer auf die glorreiche Idee kam, Frauen als Schließerinnen im Männerknast einzusetzen. Angeblich sollen sie eine beruhigende Wirkung haben. Aber ohne den Frauen zu nahetreten zu wollen: Im Männerknast haben sie nichts zu suchen. Wirklich nicht. Alles voller akut untervögelter Männer und mittendrin Schließerinnen in hautengen Hosen. Irgendwann war jeder so weit, dass er auch zu einer Schließerin nicht Nein sagen würde. Und Olla sagte einmal auf einer unserer Runden auf dem Hof: „Nach zwei Jahren hier gefallen mir schon langsam die Schließer.“
Und auch bei den Damen in Grün gibt es ganz unterschiedliche Charaktere: Zum Beispiel das Miststück. Die tritt quasi gleichzeitig mit dem Klopfen in die Zelle ein und lässt dir keine Zeit, dich anzuziehen. Alles für einen Blick auf einen nackten Männerarsch. Außerdem: die Domina. Ihr gefällt es sichtlich, den eingesperrten bösen Buben Befehle zu erteilen. Und dann ist da noch die Perverse. Macht auf unnahbar und unantastbar, aber in ihren Augen siehst du, wie sie sich vorstellt, von zehn durchtrainierten eiskalten Verbrechern durchgenudelt zu werden.
Aber ganz ehrlich: Es gibt auch Beamte, die wirklich in Ordnung sind. Die machen ihren Job ohne jeden Hintergedanken und ganz fair. Freunde werden wir aber trotzdem niemals. Wahrscheinlich liegt das an der Uniform – ich habe im Laufe der Jahre eine Art Allergie gegen alles entwickelt, was grün und uniformiert ist.
Ich denke nicht, dass sich der normale Beamte vorstellen kann, was passieren könnte, wenn ein paar Gefangene, die gut drauf sind, eine Brutaloparty steigen lassen würden. Gewalt ist zwar allgegenwärtig – sie bricht jedoch weitaus seltener aus, als manche es vermuten würden. Denn schon eine kleine Schlägerei kann bis zu einem halben Jahr Nachschlag bringen. Darauf können die meisten sehr gut verzichten.
In meinem Knast gab es Verbrecher jeder Art. Betrüger, Diebe aller Couleur, Dealer, Bank- und Posträuber, Geiselnehmer, Geldfälscher, notorische Schläger, Waffenhändler, Erpresser, Mörder, Menschenhändler, Zuhälter, Einbrecher, Ausbrecher, Extreme von links wie rechts, Bombenleger, Chefs und Soldaten krimineller Vereinigungen, Vergewaltiger und gefährliche Trinker. Einfach alles.
Aber das Erbärmlichste, Wertloseste und mit Abstand am meisten Gehasste sind und waren die Pädophilen, die Kinderficker. Im Knast kurz Kifis genannt. Lebender Abschaum.
Einmal – nur ein paar Wochen nach meiner Ankunft – betrat ich den Duschraum und war mit den Gedanken eigentlich ganz woanders. Als ich mich auszog, bemerkte ich auf einmal einen der Kifis und erstarrte für einen Moment. Starrte ihn an. Ich stellte mir vor, wie ich auf ihn zugehe, ihm einen gewaltigen Headbutt auf die Nase verpasse und ihn dann an den Ohren mit seinem Gesicht volles Rohr gegen mein Knie ziehe. Ich höre knirschend die Zähne brechen. Sein Blut vermischt sich mit dem Wasser und dem Schaum auf den Duschkacheln und er klatscht wie ein nasser Sack auf den Boden. An den Haaren ziehe ich ihn zur Kante am Einstieg des Duschraums und platziere seine zermatschte Fresse auf den Kacheln. Dann trete ich ihm mit aller Wucht ins Genick. Seine Kieferknochen bersten und die restlichen Zähne verteilen sich in der Dusche. Von hinten kralle ich meine Finger in seine beiden Mundwinkel und reiße sie bis zu den Ohren hoch. Für ein immerwährendes Grinsen. Als ich in Gedanken gerade begann, mich den tieferen Regionen meines Fantasieopfers zu widmen, hüpfte die Sau noch halb eingeschäumt aus der Dusche an mir vorbei und macht sich halbherzig abgetrocknet aus dem Staub. Kurz überlegte ich, ob ich laut gedacht hatte. Aber wahrscheinlich war schon mein fixierender Blick genug. Nun ja – man sieht sich wieder.
Vor allem die Gefühlswelten im Knast sind eine Sache für sich. Alles wird extrem intensiviert. Liebe, Schmerz, Sehnsucht, Hass, Neid, Rache. Die eisenhärtesten Typen heulen sich heimlich die Seele aus dem Leib. Aber darüber sprechen möchte keiner.
Ich selbst habe meine Wohnung verloren, meine Freundin ist abgehauen, der größte Teil meiner sogenannten Freunde lässt mich im Stich. Eine schlechte Nachricht nach der anderen trudelt ein und ich muss mich mit einer hohen Haftstrafe auseinandersetzen. Nicht gerade aufbauend. Ich habe aber noch keine Träne vergossen – denn Herzschmerz, Sehnsucht und vor allem Hass und Rachedurst machen ich jeden Tag ein bisschen stärker. Außerdem stehen meine Mutter und meine wahren Freunde fest hinter mehr. Aber davon später mehr. Wenn du dich vorher darauf einstellen und vorbereiten kannst, dich also selbst den Bullen stellst, ist Gefängnis gar nicht mal so schlimm. Aber wenn du von der Straße weg verhaftet wirst und urplötzlich im Knast steckst, dann wird es kompliziert und unangenehm. Kompliziert, weil du nichts mehr selbst regeln kannst. Wenn du in U-Haft bist, geht deine Post nicht mehr direkt an dich, sondern über Staatsanwalt und Richter, und ein Brief braucht etwa zwei Wochen, bis er dich erreicht. Außerdem wird er natürlich geöffnet und gelesen. Nur der Briefverkehr zwischen deinem Anwalt und dir ist davon ausgenommen. Wenn du also einen guten Anwalt hast, kannst du deine Post über ihn senden oder du suchst dir einen Mithäftling, der bereits in Strafhaft sitzt. Dessen Post wird vom Stationsbeamten überflogen und nicht so genau gelesen. Verschlüsselt sollte die Post aber trotzdem sein.
Ich rege mich ein bisschen über den Anstaltskaufmann auf. Als U-Häftling hat man einmal die Woche „Einkauf“. Als Strafgefangener nur noch einmal im Monat. Ganz abgesehen davon, dass er seine Waren zu unverschämt hohen Preisen verkauft: er bescheißt. Das fette Schwein zieht jeden Zweiten über den Tisch. Als ich einmal zu einem der Beamten sagte, der Typ habe sich von seinem ergaunerten Geld bestimmt schon ein Haus gebaut, meinte der nur trocken: „Ich glaube, eher zwei!“
Ich glaube, es gibt keinen zweiten Knast, in dem der Einkauf so teuer ist wie hier. Und wenn man mit der Not anderer seine Kohle macht, ist das besonders mies. Vor allem unter dem Deckmantel der Justiz.
Alles in allem ist es hier aber gar nicht so schlecht. Einmal die Woche Sport, Fernsehen (wenn du Kohle hast), arbeiten kannst du auch und das Essen ist sogar ganz gut.
Ich habe schon in vielen Kantinen schlechter gegessen. Das Wichtigste ist: nicht nachdenken. Sonst wirst du bekloppt. Versuch dich abzulenken! Wenn du nicht arbeiten gehst, dann mach Sport! Das mache ich. In der ersten Woche mal 20 Liegestütze und 30 Sit-Ups. Und dann Muskelkater. Draußen habe ich kaum Sport gemacht. Mal ein bisschen Fahrrad, eine Runde schwimmen oder laufen. Mehr war nicht. Ich war immer der Überzeugung, mit meinem Körper sei alles in Ordnung. Zwar war ich jeden zweiten Tag mit Drogen voll bis Oberkante Unterkiefer – aber da tut einem auch nichts weh. Außerdem gesteht man sich nicht gerne ein, dass man seinen Körper irreparabel schädigt. In den letzten Jahren konnte ich nur schlafen, wenn ich vollgesoffen war. Aber der Schlaf im Vollrausch ist leider nicht der erholsamste. Erst nach rund zwei Monaten im Knast hat sich das langsam wieder eingependelt. Mittlerweile schaffe ich sechs Stunden ohne aufzuwachen. Meine Schweißausbrüche waren nach etwa zwei Wochen vorbei. Der Arzt meinte, das sei ein Entzug, den ich da durchmache. Das wollte ich mir auch nicht so richtig eingestehen. Ich fand bisher immer andere Gründe für meine Atemnot, die fehlende Kondition und die nächtlichen Schweißausbrüche – an den Drogen lag es nie. Mit denen könnte ich sowieso aufhören, wenn ich wollte. Dachte ich zumindest. Die größte Lüge, die man sich so einreden kann.
Im Knast beschloss ich, mich zu ändern und mit dem Training anzufangen. Nach fünf Monaten war ich bei vierhundert Liegestützen und eintausend Sit-Ups jeden zweiten Tag. Trotzdem war ich noch lange nicht richtig in Form. Jahrelange Exzesse haben ihre Spuren hinterlassen. Aber ans Aufhören denkst du nicht, solange es nicht einen wirklichen, einen triftigen Grund gibt. Wir hatten immer einen Spruch, der sich mit der Zeit mehr und mehr bestätigte: „Wer einmal hat geleckt, der weiß, wie’s schmeckt!“ Hier im Knast käme ich aber irgendwie nie auf die Idee, mir Drogen zu besorgen. Denn sie würden meine ohnehin schon extremen Stimmungsschwankungen nur noch verstärken. So eine emotionale Achterbahn wie hier, schickt dich an die Grenzen der Belastbarkeit. Besonders, wenn man sowieso schon sehr impulsiv ist, wird das zu einer extremen Kraftprobe. Denn du darfst dich nicht wehren. Also, wie gesagt: Ablenkung ist alles. Deshalb tausche ich auch regelmäßig Bücher und CDs. Musik macht viel aus. Seit meinem Gefängnisaufenthalt hat sich mein Musikgeschmack unglaublich erweitert. Das Angebot ist riesig.
Du musst jede Sekunde aufpassen, mit wem du redest und vor allem, was du sagst. Es wimmelt von Verrätern und Spitzeln, die auf der Stelle jeden anscheißen, und das nur, um sich einen Vorteil zu verschaffen. So sehr wie hier im Knast, gilt das nirgendwo anders. Für mich sind Verräter der letzte Dreck. Wer mit dem Feuer spielt, muss damit rechnen, sich die Finger zu verbrennen. Das ist aber noch lange kein Grund, andere mit reinzuziehen.
Ich glaube, mehr als hier wird nur noch im Bundestag gelogen. Die Storys, die man hier aufgetischt bekommt, sind eine wahre Pracht. Vor allem mit welchen Besitztümern sich manche Leute hier schmücken. Jeder Zweite fährt draußen Ferrari, hat eine riesige Hütte und wäre eigentlich gerade in der Südsee, wenn die Bullen ihn nicht aufgrund eines Verrats gefunden hätten. Ich habe das Gefühl, alle Millionäre Deutschlands sind inhaftiert. Nur sind die Typen meist so knapp bei Kasse, dass sie noch nicht mal was zu rauchen haben.
Bei den Russen siehst du die kommunistische Erziehung. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ein Teil von ihnen geht arbeiten und versorgt die anderen mit allem Notwendigen. So geht es keinem richtig schlecht. Bei unseren Jungs wirst du so was nicht erleben. Jeder hier ist Egoist: geizig, gierig, neidisch. Das ist wohl auch der Grund, warum Kommunismus hier nicht funktionieren würde. So ziemlich die beste Staatsform, aber leider nicht durchführbar. Schade.
Kommst du mit den Gefangenen und den Beamten gut zurecht, gehst jedem Streit aus dem Weg – soweit das möglich ist – und tust alles, was man dir sagt – egal wie sinnlos es ist – dann bekommst du keine Probleme. Viele meiner Leidensgenossen hier lassen sich durch Optik, Mimik und Verhalten stark beeinflussen. Das mache ich mir zunutzen und habe meine Ruhe.
Sinn des Strafvollzugs ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft – den Sinn verfehlt er allerdings auf ganzer Linie. Das hat sogar der hiesige Anstaltsleiter im Radio zugegeben. Bei der aktuellen Überbelegung sei an Wiedereingliederung und Resozialisierung nicht zu denken. Das Gefängnis sei eine reine Verwahranstalt. Auch die, die dich einfahren lassen oder hier bewachen, interessiert es einen Scheiß, was mit dir passiert. Mehr noch: Wenn du bisher nicht wusstest, wie man illegal an Geld, Drogen und Waffen kommt – spätestens hier im Knast lernst du es. Es geht einfach nur ums Absitzen. Nach dem Warum und Wieso fragt keiner. Das Ende vom Lied: Nach der Haft bist du auf jeden Fall kriminell. Und wenn du clean gekommen bist, gehst du als Junkie.
Bei manchen wird das Strafmaß sicher seine Richtigkeit haben. Aber ich glaube, dass fast die Hälfte aller Urteile nicht auf der Gesetzgebung, sondern auf Aussehen, Emotionalität, Finanzen und der Leistung der Rechtsanwälte fußt. Hast du einen guten Anwalt – mit hohem Ansehen - bist du so gut wie gerettet. Was so viel heißt wie: Hast du genug Geld, hast du auch einen guten Anwalt und bekommst damit das bessere Recht. Von wegen, vor dem Gesetz sind alle gleich! Manche sind eben immer gleicher. Und der Spruch: „Im Namen des Volkes“ sollte auch aus den Urteilen gestrichen werden. Denn das Volk findet die zahlreichen Fehlurteile in seinem Namen ganz bestimmt nicht gut. Außerdem stimmt die Verhältnismäßigkeit der Urteile irgendwie nicht. Wenn du mit Hasch dealst, hast du dich eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht - letztendlich also vor allem den Staat beschissen. Dafür wirst du mit einer ordentlichen Freiheitsstrafe bestraft. Gewalt- und Sexualstraftäter werden hingegen viel zu gering bestraft. Folglich ist dem Staat sein Geld wichtiger, als die Unversehrtheit seiner Bürger. Aber was will man von einem Haufen bornierter Arschlöcher schon erwarten!
Richtig schlimm ist es für die wirklich Unschuldigen. Klar: Egal, wen du hier fragst, unschuldig sind sie alle. Das ist im Knast halt so. Aber bei der Vielzahl der Inhaftierten, muss es aber auch wirklich Unschuldige geben. Und oft merkst du das auch schnell. Ich bewundere diese Leute und mit welcher Stärke sie ihr Schicksal ertragen. Zumindest die meisten. Als ich gerade eine Woche hier bin, schneidet sich einer meiner Mitinsassen die Halsschlagader mit einem Dosendeckel auf. Eine erschreckende Art des Freitods und zugleich eine tierische Sauerei. Nur eine Woche später erhängt sich ein anderer. Aber die meisten Selbstmörder sind Wichtigtuer und verletzen sich kurz bevor die Tür zum Essenfassen geöffnet wird oder der Hofgang ansteht. Aber sie merken schnell, dass es nicht besonders klug war, die Beamten so in Aufregung und Stress zu versetzen - sie landen ganz schnell in der B-Zelle, einem besonders gesicherten Haftraum.