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Schlimm, diese Berge aus weißem Nichts

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Das weiße Dokument lächelt mich unschuldig an. Kein Buchstabe hat sich darauf verirrt. Alle Worte der Welt sind zur Kur oder sonst wo. Suche vergebens nach Sätzen; fühle mich leer, so unendlich leer, wie die Flasche Bordeaux vor mir. Schlimm ist, dass man trinkt, wenn man nichts aufs Papier bringt. Und man trinkt, weil nichts auf dem Papier steht.

Meine Arme fingern nach einer Flasche, entkorken sie hastig, während mein Kopf verzweifelt im trüben Meer der verlorenen Wörter fischt.

Durst ist schon lange da. Ich stecke mir eine Zigarette an, nehme einen Schluck dazu. Vielleicht passiert etwas. Nach ungezählten, nicht weniger ungeduldigen Minuten, die sich nach Stunden anfühlen, schaue ich aus dem Fenster und trommle mit den Fingern; sehe auf den Bildschirm, dann wieder an die Decke; Fegefeuer der Zeit.

Nichts. Rein gar nichts. Verdammt. Himmel und Götter sind immer noch da und lachen sich kaputt. Bunte Murmeln kreisen vor mir; keine Ahnung, ob es Gedanken, Ideen oder Tränen sind. Ich drohe vom Stuhl zu fallen, bin blind, sehe alles verschwommen. Dann werden meine verzweifelten Sehnerven wieder scharf; sie suchen Dunkles, um zu entspannen. Wut, vermischt mit saurer Verzweiflung kriecht in mir hoch. Im Zimmer steht eine Bücherwand; ich will mich ablenken.

„Sie hat eine Menge Bücher.“

Zünde mir eine weitere Zigarette an. Bücherregale sind wie Kleiderschränke. Ich liebe sie; besonders die Schubladen mit der Unterwäsche. Drehe das Licht heller, ziehe an der Kippe, gehe neugierig die eingestaubten Buchreihen durch, wie Terracotta-Soldaten auf ewiges Leben wartend.

„Was haben wir denn hier? Camus, Aurel, Nietzsche, Mann, Freud, Salinger. Und hier? Ach guck, Garcia-Marquez, Bukowski und Hemingway, die üblichen Verdächtigen. Sogar David Foster Wallace. Wow! Was ist das? Ökonomie? Pfui Spinne. Du bist dir aber auch wirklich zu nichts zu schade. Und hier? Roth. Sogar Grass. Allerliebst, sein masurischer Zeigefinger. Max Frisch, hast die Menschen gut beobachtet.“

Mein Körper regt sich; gehe Wein wegbringen. Drücke die Spülung, sehe in den Spiegel. Langsam gräbt die Zeit sich in mein Gesicht. Gehe wieder zur Bücherwand.

„Oha, schwere Kost: Tolstoi, Dostojewski und Solschenizyn. Das Kellerloch, einfach genial.“

Schnippe meine Kippe aus dem Fenster; setze mich wieder an den Laptop, hoffe, dass mir göttliche Eingebungen kommen. Die Weinflasche ist nett und füllt mein Glas. Dann gebe ich auf.

„Nichts, einfach nichts.“

So geht es nicht weiter. Muss etwas unternehmen. Eine weitere Zigarette hüpft in meinem Mund; Wein läuft von allein. Seit Monaten kommt mir nur Mittelmäßigkeit in den Sinn, wenn überhaupt was sprudelt.

Bilder von leeren Kleiderschränken, Speisekammern und Kühlschränken; mein Kopf meldet sich mehr und mehr ab und fühlt sich an, als wenn ich auf einem Bahnhof sitze, ohne zu wissen, auf wen oder was ich warte.

Ich krame nach der Nummer von Kristina und Solveig. Muss hier raus. Die Flasche füllt wieder nach. Kurzes Tuten vom Telefon; es knackt, jemand nimmt ab.

„Hi, hier ist Don, der Typ vom Flughafen.“

„Toll, dass du anrufst. Was machst du?“

„Hamburg kennenlernen, trinken, essen und so.“

„Heute Bier in der Schanze?“

„Gute Idee; brauche Tapetenwechsel.“

„Treffen uns S-Bahnhof Sternschanze, okay?“

„Okay. Klingt gut. Wann? Zwei Stunden?“

„Das passt. Bis gleich.“

Träge mäandert der Bildschirmschoner über den Laptop. Ich muss endlich meine eigenen vier Wände haben; dies All-Inclusive-Leben mit schönem Wohnen und edlem Geschirr kann ich auf Dauer nicht ertragen.

Stehe gegen Acht auf dem Bahnhof; bin leicht bis mittelschwer angetrunken. Menschenströme fließen vorbei, hasten um mich herum; das Leben ist eine abgekartete Sache; wir entleeren unsere Taschen, ohne was anderes ranzulassen; Menschen sind einsam und alleine, selbst wenn wir zum Vögeln in die Kiste gehen; es änderte nichts. Ständig sind wir erstaunt und begeistert, oder depressiv und am Boden zerstört.

Steige aus der Bahn, gehe die Treppe runter, als mich jemand von hinten anstößt. Drehe mich erfreut um.

„Hast du'n Euro, oder ein Bahnticket?“

Ein Punk steht vor mir; bunte, zerbombte Visage, wache Augen; 'ne Menge Metall im Gesicht.

„Wo willst du hin? Du bist doch schon da“, frage ich.

„Hört euch den Stadtphilosophen an; wie schaut es aus? Haste Pinke-Pinke?“

„Warte“, krame Kleingeld aus der Tasche, gebe es ihm.

„Cool. Danke.“

Schon ist er weg. Drehe mich wieder um, die Massenflucht beobachtend, als mich wieder jemand an meiner Schulter packt.

„Was? Ach ihr seid es.“ Kristina und Solveig stehen vor mir. Küsschen links-rechts.

„Wo wollen wir hin? Hab gehört, dass es hier eine nette Kneipe gibt.“

„Super Idee. Was hast du heute gemacht?“ Kristina sprudelt los; Solveig schweigt.

„Habe geraucht, getrunken und versucht zu schreiben, ging aber nichts.“

Wir entern die Kneipe, setzen uns und bestellen Wein. Tut gut. Kein Tafelsilber; keine Kostüme und Blusen, dafür Lederjacken und Jeans.

„Wo wohnst du?

„In Altona, bei einer Freundin.“

„Cool, die ganze Zeit schon?“

„Ja, suche aber was Eigenes; meine Umgebung hindert mich am Schreiben. Keine Ahnung warum.“

Habe keine Lust, darüber zu reden. Solveig wird wach, schaut mich wie ein feuerspeiendes Ungeheuer an.

„Was schreibst du denn? Gedichte? Romane? Anspruchsvoll oder leichte Unterhaltung?“

Auch das noch: Ein schlaues Mädchen, dass sein Revier absteckt. Ich lächle sie an, antworte automatisch.

„Kurzgeschichten, über den Alltagswahnsinn und das Leben. Manchmal auch Gedichte.“

„Hast du schon was veröffentlicht? Lust mir zu geben?“

Sie spricht wie eine Katze, die ich gegen den Strich streichle. Hab keine Lust auf Streit; ist schnell anstrengend; bleibe freundlich; hab kein Rezept gegen aggressive Frauen.

„Kann davon leben. Mehr nicht.“

Kristina schaltet sich ein.

„Solveig ist Lektorin, hat manchmal Stress mit selbstherrlichen Autoren; du musst sie für ihre Direktheit entschuldigen.“

„Was mischt du dich denn ein? Meinst du, ich kann nicht für mich selber sprechen?“

Auch das noch. Es knistert in der Luft. Keine Ahnung weswegen sie rumfauchen. Kristina will, dass es allen gut geht; die freundliche Maske überdeckt dunkle Schatten.

Erklärungs- und Interpretationsdrang, macht aus ihr eine Mischung aus Oberschwester und Religionslehrerin; will gefallen; dunkelblond, Lippenstift, Kreolen, passend zu Kette und Ringen.

Solveig dafür ganz anders; trägt ihre Entschlossenheit stolz wie einen Schutzschild. Früher ist sie wahrscheinlich Klassensprecherin mit super Noten gewesen; kam leider nur mittelmäßig bei Jungs an. Schlaue Mädchen machen Angst; das ändert sich auch später nicht.

Sie hat diese drahtige, knabenhafte Figur, mit schmalen Hüften, sehniger Muskulatur und wenig Körperfett. Kristina ist dafür weiblicher; größere Oberweite, breiteres Becken, schmale Hüfte; ihr Fleisch ist weich und legt sich wie eine Wolke über die Knochen.

Solveig hält mich für einen Gockel, für einen Macho, einen gleichgültigen, chauvinistischen Traumtänzer, der sich durchs Leben mogelt. Muss bei dem Gedanken lächeln; sehe ihr an, dass ihre Zündschnur kurz ist. Gerade schnappen beide nach Luft. Will sie beschwichtigen, einen netten Abend mit ihnen haben.

„Haltet mal die Luft an; seit Tagen bekomme ich nichts aufs Papier; jetzt sitzen wir drei endlich mal in einer Kneipe. Kommt schon: Lasst Stress und Ärger weg.“

Totenstille. Lasse eine Staffel Löschflugzeuge starten, um die energischen Glutnester im Wald zu löschen.

„Lasst uns anstoßen: auf den schönen Abend.“

Eigentlich klappt das immer. Langsam stirbt auch die letzte Flamme. Zum Glück.

„Cheers.“ Auch Kristina hebt ihr Glas. Endlich.

„Prost.“ Kommt es aus Solveigs Schweigeecke.

„Zigarette?“ Beide greifen zu. Gebe ihnen Feuer; wir trinken noch mehr Wein, quatschen; beide sind überraschenderweise Singles; langsam wird es gemütlich.

„Wieso seid ihr Männer eigentlich so blöd? Im Ernst? Ihr kennt immer nur Extreme. Entweder ihr seid total hohl und notgeil, rennt uns die Bude ein und wundert euch, dass wir euch die Tür vor der Nase zuschlagen; oder es brennt Licht und dann seid ihr so hypersensibel, so beschissen zurückhaltend, dass man den Tierschutz holen will. Was ist los mit euch? Gibt es keine Männer mehr? Was ist mit dieser bescheuerten Welt los?“, bricht es aus Solveig heraus. Auch Kristina holt tief Luft. Herrlich, endlich offenes Visier.

„Ich kenne diesen Kerl. Er ist ganz süß, aber super-vorsichtig; packt mich in Watte, als wenn ich aus Porzellan bin. Der knutscht wie ein Student, aber zu mehr sind wir noch nicht gekommen; habe es schon mit Zaunpfählen versucht; nichts; ich kann es mir nicht erklären. Was ist los mit euch?“

Vier Augen schauen mich fragend an.

„Viele haben Schiss eine attraktive Frau anzuquatschen. Und ist sie noch smart dazu, ist der Ofen ganz aus. Was denkt ihr, warum so viele clevere Mädels Single sind? Wie findet ihr denn euren Großstadtprinzen? Geht ihr in eine Bar? Reißt euch da was auf, in der Hoffnung, dass der ONS passt? So glücksspielmäßig? Ihr habt doch Ansprüche, oder? Abi machen, studieren, vielleicht Karriere; natürlich habt ihr keinen Bock, mit einem hässlichen, dummen Vogel alt zu werden.

Niveau muss er haben, empathisch soll er sein; Witz, Esprit und Charme auch. Hab ich was vergessen? Ach ja: größer als ihr bitte auch, idealerweise wenn ihr mit euren Highheels herumstolziert, richtig? Bock auf beschädigte Ware hat doch niemand. Unsere Eitelkeiten, Erwartungen und beschissenen Erfahrungen machen uns einen Strich durch die Rechnung.“

Mein Gott; ich klinge wie ein Klugscheißer; pure Küchenpsychologie. Habe keine Lust auf solche Gespräche; erste Langeweile nistet sich bei mir ein. Die Power ist raus; wir sind besoffen. Nichts geht mehr; es fängt an zu nerven. Entweder mache ich mich jetzt vom Acker, oder wir bekommen die Kurve.

Rutsche zu Solveig ran. Sie hat so was Skandinavisches an sich, dunkelblond, leichte Sommersprossen, etwas dunklere Haut. Wir trinken noch eine Weile, doch der Funke will nicht überspringen. Solveig ist voll bis oben hin, mies drauf und untervögelt. Kristina hat ihren Traumprinzen im Kopf. Drei einsame Inseln. Die zwei stehen auf, wollen gehen.

„Das wiederholen wir!“

Solveig ist hinüber, kommt aber noch mal an den Tisch getorkelt, während Kristina zahlt. Sie packt meinen Kopf und stülpt ihre Lippen drüber. Ihre ungeduldige, zornige Tentakel wühlt in mir herum; sie merkt, wie mein Widerstand kurz davor ist zu brechen. Plötzlich hört sie auf, grinst mich breit an:

„Ciao Bello.“

Dann ziehen sie ab. Ich bleibe zurück, trinke weiter und nehme mir fest vor, mich um meine eigene Bude zu kümmern.

Brennende Krokodile löscht man nicht

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