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Du grausam tiefes Loch

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Draußen pfeift der Wind um die Häuser. Ich sitze auf meinem Bett, reibe mir den Schlaf aus den Augen und sehe vorsichtig aus dem Fenster. Das ist sie, die große Veränderung, meine neue Wirklichkeit.

Mitten in Hamburg erwache ich aus meinem alten Leben und sitze zwischen Managern, Pfeffersäcken, Ärzten, Architekten, Hochschulprofessoren und altwehrwürdigen Bäumen.

„Kann mir mal jemand sagen, warum ich mich mit Bäumen schneller anfreunde als mit Menschen?“

Mit der Natur werde ich von jeher schnell warm; ist sowas wie blindes Vertrauen. Mit den Menschen klappt das eher selten. Und mit dem Wachwerden ist das auch so eine Sache.

Argwöhnisch und missmutig beäuge ich die neue Welt, kenne weder Stadt noch Menschen. Bin ich mir auf dem Leim gegangen? Am Anfang bin ich immer euphorisch und wenn ich den Schaden angerichtet habe, falle ich in ein tiefes Loch.

Cecilia, eine gute Freundin, noch dazu Psychologin, kennt NLP (glaube, das heißt Neuro-Linguistisches-Programmieren) und so einiges mehr, meinte eines Abends, so zwischen der zweiten und dritten Flasche Wein, dass, wenn sie es nicht besser gewusst und mich nicht mit der Zeit verstanden hätte, ich eigentlich ein manisch depressiver Vollfreak und Nihilist sein müsste, der seine Umwelt mit permanenter Manipulation, sowie mit primadonnenhaften Launen verpestet.

(Sieh an; danke für die Blumen, dachte ich damals.)

Unzufrieden schlurfe ich ins Bad, putze meine mürrischen Zähne. Warum ist mein Leben so? Oder ist es für alle das Gleiche? Streben nicht alle nach Gemütlichkeit, ein wenig Komfort, um auszuruhen?

Warum versuchen wir unsere Arbeit, am Ende das ganze Leben erträglich zu machen? Wovon wollen wir uns eigentlich erholen, wenn das Leben nur noch komfortabel ist? Was bedeutet es, den eigenen Traum zu leben? Woher weiß ich, dass es mein Traum ist?

„Du meine Güte, was für bescheuerte Gedanken du am frühen Morgen hast.“

Ich fange an nach Kaffee zu suchen, tapse unsicher in der unbekannten Küche herum und staune über die für meinen Geschmack zu edle, riesige, zu ultra-geschmackvoll eingerichtete Wohnküche. Die „zu's“ fand ich schon immer gefährlich.

Riesig, wie der Altar von Albis Kathedrale, türmt der Café-Vollautomat sich vor mir auf und überfordert mich mit seinen dutzenden Knöpfen, Schaltern und Öffnungen. Ich schleiche um die monströse Maschine herum, suche Zündschloss, Ersatzrad, Tankstutzen, Tastatur und USB-Schnittstelle, um sie zu wecken, um irgendeine Regung zu provozieren.

So geht es mir mit allem. Ich gehe auf die Dinge zu und versuche sie zu verstehen. Wahrscheinlich haben mich meine Freunde deswegen bei Charlotte untergebracht. Ist Therapie; Frage ist nur für wen.

Charlotte ist gebildet und schön, dass ich mich wie ein Unhold aus dem Tartarus fühle, dem die Gesellschaft einen Ring durch die Nase ziehen will, um mich in körpernahen Klamotten in die Herde zu stecken.

Sie ist fleißig, zuverlässig und freundlich, dass ich unruhig werde, dem Braten nicht traue. Irgendetwas habe ich übersehen; oder ich bin unfähig Diamanten von Steinkohle zu unterscheiden. Ich selber bin mehr der Rauchfleisch, Muße und Bernstein-Typ.

„Ha, da ist er doch!“

Endlich finde ich den Schalter, mit dem ich die Wahnsinnsmaschine zünden kann.

„Du meine Güte!“ Plötzlich reinigt sich das Gerät von selbst, lässt ein Programm durchlaufen und pisst mir auf die Füße; plötzlich leuchtet eine grüne Lampe.

„Das ist es? Ein Leben lang warten, bis Ampeln auf Grün schalten? Wenn das die ganze Erkenntnis des Lebens ist, spring ich sofort aus dem Fenster. Ich habe doch nicht meine Heimat verlassen, um festzustellen, dass Cities von Schein und Alleinsein gefüllt sind.“

Trinke Café, denke an vergangene Abende. Habe irgendwie das Gefühl, als ob sich Charlotte aus ihrem Luxus-Kokon befreien will. Sie sieht zwar aus wie ein Schaukelpferd, ist aber keines.

Irgendetwas ist faul in dieser Stadt; komme nur nicht drauf was es ist. Immer wenn ich mit Dirigentenschwung ausholen will, ziehen sie ihre Zugbrücken hoch und labern langweilig daher. So verlief auch der erste Abend. Gibt so eine unsichtbare Barriere.

„Ich brauche frischen Wind. Leben. Wo sind all die Wüteriche?“

Vielleicht gibt es zu viele Schaukelpferde. Mein Über-Es erwacht.

„Schaukelpferde, sind aus Holz, blinken und glänzen stolz vor sich hin, besonders wenn sie im Schaufenster rumstehen und alle begeistern. Aber die Bewegung kommt von Reiter und Reiterin, nicht vom Holz.“

Gerade schließt Charlotte die Haustür auf, klackert die Treppe hoch und kommt zur Wohnung rein:

„Bonjour, Cherie. Bist du fleißig?“

„Hola Señorita. Nee. Ich spüle gerade meinen Kopf durch; ich glaube es gibt zu viele Schaukelpferde. Deswegen seid ihr auch so ein lahmer Haufen. Wie war die Konferenz? Konntest du ein paar Hälse umdrehen?“

„Was ist denn los mit dir, du bist so, so, so…?“

„Rattig nennt man das. Komm her.“

Küssend taumeln wir ins Schlafzimmer.

Brennende Krokodile löscht man nicht

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