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Hamburg, Stadt der Stürme

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Raketen schießen links und rechts in den Himmel; Menschen rennen kopflos in einer Wüste umher; Bauwagen auf kargem, trockenem Sand; ich sehe zwei Ex-Freundinnen vorbeirennen; tiefes Grollen, ohrenbetäubendes Donnern, von tief unten, als wenn der ganze verfluchte Erdkern explodiert. Atompilze schießen in die Höhe. Druckwellen rollen ran; Kreaturen schreien.

Wir rennen zu einem Bauwagen, schmeißen uns darunter, feuchte Tücher vor Gesichter haltend; öffnen den Mund zum Druckausgleich; staubig donnert die Druckwelle ran, fegt über uns hinweg, Baubude, Bäume, Sträucher, alles mit sich reißend.

Vom Blitz getroffen reiß ich die Augenlider auf; ich bin nassgeschwitzt; ein Scheißtraum. Meine Augen sind noch matt, als ich aus dem Fenster sehe; ich denke an die letzten Wochen. Wie sehr liebe ich meine Heimat mit ihren Olivenbäumen und Schafen. Schon lange rumorte es in mir. Du musst nach Hamburg, Heimatstadt deiner Mutter.

„Ja, ja, ich bin doch unterwegs!“, beruhige ich die Götter.

Doch ich habe ein Problem. Ich schreibe Geschichten. Ich bin der Meinung, es auch von Hamburg aus machen zu können. Und dann habe ich Glück: Meine feudale Redaktion glaubt das auch. Sie ist einverstanden, unter der Voraussetzung, dass meine Beiträge weiterhin pünktlich kommen und ich mich hin und wieder blicken lasse.

Skepsis kriecht in mir hoch. Liegt es an Deutschland? An Hamburg? Ist das Pflaster so rau? Oder bin ich ein Sonderling, der nicht überlebensfähig ist? Ich zögere nicht lange und frage Laetitia, die Chef-Redakteurin.

„Wieso ist das wichtig, mich im Ganzen zu sehen? Ich kann anrufen, oder eine Nachricht schicken; ich mache doch kein Urlaub im Gulag“, und runzle die Stirn.

„Weil ich dich kenne, Guapo; du bist ein Grenzgänger, probierst alles aus. Meist ist das zauberhaft, aber wir beide wissen, warum dein Leben ist, wie es ist.“

„Ich weiß“, entgegne ich und sie hat Recht. Na toll.

„Entweder wird dein Besuch in Hamburg kurz, oder sehr lang. Wenn du begeistert bist, gibt es keine Grenzen; und jetzt hau ab, bevor ich heule, Puta Allemanna, Bastardo di Mierda!“

„Amore, ich komme wieder, ganz bestimmt.“

Schnell stehe ich auf und werfe ihr den Kuss nur zu, da sie anfängt zu schluchzen und ich Prügel riskiere, wenn ich sie in den Arm nehme. Beeindruckend, und steinerweichend, wenn sich stolze Frauen öffnen, ihre Verletzlichkeit zeigen.

Ich schlafe bestimmt 100 Minuten und werde gerade wach, als der Kapitän Turbulenzen ankündigt. Wir sollen uns anschnallen; wie rücksichtsvoll. Gelangweilt sehe ich raus und schaue dem neblig-nassen Teppich zu, wie er sich beharrlich weigert Licht durchzulassen. Was für eine elendig trübe Suppe.

Dann schüttelt es uns mächtig durch. Zwei Mädels neben mir reden ohne Pause. Die Windböen toben dafür immer stärker. Ich fange an zu lächeln. Langsam ist es still im Flieger. Im ersten Leben muss der Kapitän Cowboy gewesen sein. Brennender Eifer lässt ihn die Maschine durch das boshafte Wetter reiten.

„Cabin Crew, 10 Minutes.“

Als ich die Landebahn durchs Seitenfenster sehe, halte ich die Luft an. Wie ein betrunkener Seemann taumelt die Maschine. Selbst die Vielflieger schauen bleich aus den Löchern.

„Scheiße, der Kapitano ist die Reinkarnation von Käpt'n Ahab, so hart, wie der am Wind segelt!“

Plötzlich drückt er die Karre runter, um seine Harpune in der Landebahn zu versenken; hart rumpelnd wie ein Sack Kartoffeln knallt das Bugfahrwerk auf Asphalt.

„Welcome Hamburg“, dröhnen Lautsprecher.

Wie ein Leguan schlingert die Kiste zum Terminal. Regentropfen schießen waagerecht am Fenster vorbei. Der Himmel? Beeindruckend dunkel; im Hades ist es bestimmt heller. Hallo Hamburg.

Bin nervös wie beim ersten Date und knete meine Nase. Wir docken an, marschieren wie verzweifelte Lemminge aus dem Flieger. Unruhig renne ich nach links und rechts schauend, ständig das Gepäckband suchend. Da ist es; die Mädels aus dem Flugzeug stehen schon davor.

„Heftige Landung, oder?“, fangen sie Smalltalk an.

„Kann man sagen, allerdings ist heute mein erstes Mal“, gebe ich zurück und lade sie ein, ihre Dominosteine anzureihen.

„Dein erstes Mal? Noch nie geflogen?“

„Na klar, aber nie Hamburg.“ Komme mir vor, wie bei meiner ersten Mount-Everest-Besteigung.

„Ich bin Kristina; das ist Solveig, meine Freundin. Hier, meine Telefon-Nummer, falls du Hilfe brauchst.“

„Nett von euch. Muss ich auf etwas Acht geben?“

„Weißt du wo du pennst?“, fragt sie, ohne auf die Frage einzugehen. Eigentlich rede ich nicht leise.

„Ja, weiß ich. Sagt mal, sehe ich irgendwie hilflos oder hilfsbedürftig aus? Könnt ihr mir erklären, wieso ihr wie zwei Krankenschwestern mit mir redet?“


„Bist schon okay, wie heißt du?“ Sie antworten auch jetzt nicht; Hamburg ist ein komischer Laden.

„Don Tango“, gibt meine gerunzelte Stirn zum Besten.

„Wie bitte? Das ist ein Witz, oder?“

„Nein; ich habe den Namen seit ich auf der Welt bin.“ Doch sie hören es nicht, sind in Gedanken schon woanders und geben den Trolleys Stöße, die jeden Grubenarbeiter ehrfurchtsvoll hätten staunen lassen.

„Wir müssen los. Wenn du Lust auf ein Bier hast, melde dich. Viel Spaß in der coolsten Stadt der Welt“, rufen sie mir noch schnell zu, bevor die Drehtür sie verschluckt und auf der anderen Seite widerkäut.

Stehe im Flughafenfoyer wie eine einsame Insel im Meer. Ganz schön hektisch hier. Menschen rempeln sich an mir vorbei. Wohin ich sehe, überall geschäftige Unruhe. Alles telefoniert. Kurze Zeit später schleudert die Drehtür auch mich nach draußen. Eisiger Wind will mich von den Füßen pusten.

„Was zum Teufel ist das für eine Scheiße?“, brüllt meine aufkommende Verzweiflung den Hamburger Himmel an. Sprühregen sorgt dafür, dass meine Haut nicht vertrocknet.

„Verdammt ist das nass; ätzend kalt noch dazu.“


Jetzt weiß ich, wie sich kochende Frühstückseier fühlen. Eben ist einem schön warm, und plötzlich gibt es eine eiskalte Dusche, die einen erschreckt, alles zusammenzieht, bis man wie eine vertrocknete Olive aussieht. Bin mir sicher, dass die Nase blau ist, bevor meine Zähne klappern. Binnen Sekunden friere ich wie ein Frischling und fluche wie ein kinderloser Olivenbauer. Ich muss schnell ins Warme, oder ich erfriere, bevor ich Hamburg buchstabieren kann. Sehe mich hektisch um.

Überall Taxis, die wie müde Fischerboote herumdümpeln. Eine Autotür wird aufgestoßen; ich blicke dem Taxifahrer ins fragende Gesicht. Türkische, vielleicht arabische Wurzeln. Möchte ihn fragen, ob er frei ist, da platzt es aus ihm raus:

„Hast du keine Augen im Kopf?“

„Pardon, wie bitte?“

„Von welchem Planeten kommst du denn? Steig ein wenn du ein Taxi brauchst, oder geh weiter. Pass aber auf, wenn du selber fliegst und sei vorsichtig mit der Flughöhe, okay? Also, was ist jetzt?“

Hat der einen Ton am Leib. Ich nicke ihn lächelnd an, während er wie ein Wiesel aus dem Auto springt und meine Koffer verstaut.


„Moin. Willkommen in Hamburg, der geilsten Stadt im Sonnensystem.“

„Was bedeutet Moin?“

„In Hamburg sagt man MOIN. Das ist unsere Begrüßung, zu jeder Tageszeit, egal ob in der Nacht oder morgens. Aus welchem Loch kommst du gekrabbelt?“

„Mallorca, und du?“

„Hamburg. Mama kommt aus der Türkei; mein Alter aus'm Iran; haben sich in Altona kennengelernt; bin hier geschlüpft.“

„Was? Wie bitte? Türkei, Iran, Hamburg, schlüpfen? Kannst du das noch mal langsam erklären? Hört sich an, wie ein Kochrezept.“

„Für dich in Langsam: Meine Eltern haben sich in Altona kennengelernt; Ma ist Türkin; mein Alter aus dem Iran; bin hier zur Welt gekommen und hier geblieben; ist'n tolles Viertel. Leider explodieren die Mietpreise, weil Multikulti angesagt ist; aus alt mach schick und fein, was in Realität bedeutet, dass sich Mietpreise verdoppeln. Was soll's; noch geht es; Leben und leben lassen, sag ich immer. Und du? Bist du'n richtiger Mallorciner? Siehst gar nicht so aus; bist recht groß für einen Cocker-Spanier.“

Er ist gelaunt wie Börsenhändler vorm Crash. Ich habe noch nie einen Menschen so über seine Stadt schwärmen hören; meine Neugier wächst, obwohl ich mit den Jahren vorsichtiger geworden bin; hab mir zu oft die Flossen verbrannt. Ich erzähle ihm meine Geschichte.

„Mein Vater ist aus Portugal; Mama ist Hamburgerin; deswegen spreche ich fließend Deutsch; aufgewachsen bin ich in Portugal, Barcelona und Mallorca; aber in Hamburg bin ich noch nie gewesen.“

„Cool. Wie abgefahren. Deine Geschichte hört sich spannend an. Du, Julio, pass mal auf; wenn wir nicht bald losfahren, sabbeln wir noch länger. Wo willst du hin?“

„Bring mich in dein Viertel, nach Altona, in die, warte mal; Mist, ist schlecht geschrieben: Bernot, oder vielleicht Bernhardiner-Straße.“

„Du hast wirklich keine Ahnung: Bernadotte-Straße, du Vogel!“, prustet er los und lacht sich halb kaputt.

„Hast Recht. Okay, dann los.“

Fische mein Handy aus der Jacke, will Charlotte anrufen.

„Hola, Señorita. Que tal?“

„Parfait, très bien. Wo bist du?“

„Ich sitze im Taxi; bin in einer Stunde bei dir.“

„Hast du Hunger?“

„Ja und Durst; ist ziemlich kalt bei euch; friere wie ein Schneider. Hast du es warm bei dir?“

„Oui oui. Stört es, wenn Gäste da sind?“

„Nein. Bis gleich.“

Warme Stimme; klingt sexy; stecke die Hand in meine Tasche, die Schlange beruhigen. Längst erzählt der Taxi-Fahrer seine Lebensgeschichte und lässt wenig aus. Hin und wieder schaue ich aus dem Fenster. Weltweit gültiger Kneipenwortschatz hilft, dass wir zusammen allein sind, ohne dass die Unterhaltung durch unvorhersehbares Schweigen stirbt.

„Habt ne Menge Grün und Blau; überall Bäume und Wasser.“, nuschle ich vor mich hin.

Höre unbekannte Namen: Max Brauer, Lessingtunnel, Barner Straße. Ein paarmal biegen wir ab. Plötzlich hält der Wagen. Noble Wohngegend mit Stadtvillen.

„Da sind wir, Julio.“

Ich steige aus, zahle mit Direktorentrinkgeld und bekomme seine Karte, für den Fall, dass ich wieder ein Taxi brauche. Greife nach meinem Koffer, mache nur ein paar Schritte und drücke die Klingel. Summend öffnet sich die Tür; ich betrete das Treppenhaus, was mindestens so gepflegt wie schön ist. Wahrscheinlich um 1900 gebaut. Verschnörkeltes, handgefertigtes dunkles Treppengeländer. Vielleicht Mahagoni. Knarrende Treppen finde ich toll. Bin auf Charlotte gespannt. Stehe eine Sekunde vor der Tür, da geht sie schon auf.

Eine schöne, elegante Brünette steht vor mir. Enger, hochgeschlossener Rock. Kniefrei. Körperbetonte Bluse, hochhackige Schuhe. Wow, ist die sexy.

„Bonsoir. Ich bin Charlotte; deine Freunde haben mir viel von dir erzählt. Komm rein.“

„Danke; siehst toll aus.“

„Merci“, lächelt sie zurück.

Haselnussbraune Augen, Anflug von Sommersprossen; Küsschen links, Küsschen rechts; dreht sich elegant um, geht catwalk-mäßig den Flur entlang; irgendwie hat sie etwas Edles, was Adliges an sich; ein perfekt sitzender String springt mir ins Gesicht; ihre schlingernden Bewegungen schieben ihn hin und her, lösen ein Feuerwerk bei mir aus. Mein Blut bekommt Temperatur; die Fantasie macht mich zum Einhandsegler.

Überall Stimmen, leichte Musik, klapperndes Geschirr, Gerüche. Mein Magen schreit Alarm. Mein Durst ist noch schlimmer. Ich schmeiße meine Sachen in irgendeine Ecke, stopfe die Hand in die Hosentasche und gehe in einen riesigen Wohnraum. Offene Küche. Bestimmt mehr als zwanzig Menschen. Blicke scannen mich ab. Mag das nicht. Fühle mich schnell unwohl. Schon geht es los:

„Darf ich dir Alessandra, meine beste Freundin vorstellen; sie kommt aus Italien.“

Superschlanke Mailänderin; lässig angezogen. Talentiert, smart, hübsch und vermutlich sehr einsam. Sie ist mir sofort sympathisch; interessant noch dazu. Charlotte zieht mich weiter.

„Klaus und Heinrich; gute Freunde; sie haben eine Galerie in der Stadt und helfen mir, wenn ich unschlüssig bin.“

„Willkommen in Hamburg.“

Super-cooles Pärchen, angenehm schwul; nicht so fürchterlich tuntig, dass man nicht weiß, wie man am besten wegsieht; sind angezogen wie Bond; stehen bestimmt auf Bauhaus und Bang&Olufsen an der Wand; machen bestimmt Marathon oder Triathlon, irgend sowas mit viel Disziplin und so.

„Liane und Lisa. Freunde und Nachbarn.“

„Hey Don. Charlotte hat von dir erzählt.“

„Hoffe nicht zu viel?“, lächle ich zurück.

Lesbische Zwillinge. Können nicht ohne die Andere, außer auf Klo vielleicht; sehr bunt angezogen; halten sich verliebt an den Händen; fassen sich hier und da an; sind süß, besonders, wenn sie nacheinander und nicht im Chor sprechen.

Charlotte schleppt mich erbarmungslos weiter. Es kommen Peng und Puff, Freunde aus der Stadt, gefolgt von Wumm und Knall. Herr und Frau Biedermann aus dem Viertel. Er Proktologe, sie Zahnärztin. Die Schächte der Hansestadt sind also gut versorgt. Es folgen ein dutzend Namen, inklusive detaillierte Umschreibungen. Langsam schwirrte mir der Kopf. Namen über Namen. Ich behalte keinen und bin angeschlagen, als wenn ich Grass geraucht oder gelesen habe.

„Charlotte, wirklich, nette Freunde… hast du auch was zu trinken?“

„Und zu guter Letzt, möchte ich dir…“

Ja, sicherlich: den Frosch mit der Maske vorstellen. Ätzende Gedanken sprießen wie die Pilze; Durst ist schlimmer als Heimweh. Der Verhaltens-Säugling kommt zum Vorschein; Einwortsätze folgen.

„Charlotte? Trinken?“

„Bien sûr. Don, maintenant.“

Man reicht Sektflöten; wir stoßen an; aufs Leben, die Liebe, sogar auf mich; gefällt mir, besonders das mit der Liebe. Zum Glück bleibt mein Weinglas voll; schon bessert sich meine Laune. Was für eine Mischung: drei lesbische, zwei schwule Pärchen. Ein paar vereinzelte Frauen und drei versprengte Hetero-Paare. Stimmung und Gespräche sind okay. Alles in allem eine bunte Mischung aus Wirtschaft, Kunst, Musik und Sport, mit einer Prise Politik.

Alle sind hübsch angezogen; unheimlich glatt; mir zu perfekt. Herumwandernde Ausstellungsräume. Ständig präsentieren sie etwas. Alles ist durchgestylt, glamourös und großartig. Ich frage mich, wer die Menschen dahinter sind. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Seidentuch passend zum Tweed-Blazer; schwere Uhren passend zur Zeit des Tages. Alles sendet eine Botschaft, kippt ein Statement in den Abfluss der Zeit.

Charlotte genauso. Meine bei ihr aber einen lautlosen Schrei des Ausbrechens zu hören. Fassaden interessieren mich nicht; groteske Horrorshow; für mehr als zum Einsturz bringen taugen sie nicht.

Es ist so weit. Mein Auftritt lässt sich nicht mehr aufschieben. Längst bin ich hundemüde; ich lasse meine Schallplatte ablaufen, inklusive der alten Songs. Kindheit in Lisboa und Barcelona; dann Malle, Esel, Schweine, Oliven und Schafe, gefolgt vom Song übers Schreiben und Saufen. Das Beste zum Schluss: Frauen, Bücher, Musik und Kunst. Einmal vom bunten Teller.

Merke es sofort: Habe keine Lust mehr zu reden und werfe Köder aus. Mal sehen wer zuschnappt. Hamburg würde mich schon lange reizen, besonders die Hamburgerin. Gierig schlucken sie die Brocken. Endlich wieder Zuhörer.

Erste Müdigkeit stellt ihren Fuß in meine Tür; schon lange kann ich nicht mehr zuhören; alles ist wie weggeregelt; ich bin jetzt Ausguck auf einem alten Segelschiff und höre nur frischen Wind pfeifen; was man unten an Deck sagt, bekomm ich nicht mit. Selbst meine eigene Stimme nicht. Hin und wieder schauen manche Gesichter erwartungsvoll, lächeln mit großen Augen herüber. Vereinzelt ziehen sich Brauen zusammen; Hände werden schüchtern vor den Mund gehalten. Manch tiefgründiges Lächeln kann ich ernten.

Nach der Vorspeise gibt es Fisch mit weißem Rioja. Es schmeckt fantastisch. Wir trinken aus Kristallgläsern. Wie edel. Wo ich herkomme, trinkt man Wein aus Wassergläsern, egal ob Port, Weiß oder Rot; zerkratzte Tonteller statt Porzellan; einfaches Besteck statt Tafelsilber; zwischendurch schaue ich mich um; ich sitze tatsächlich zwischen Lippenstift, Blusen, gezupften Augenbrauen, rasierten Beinen, Dessous, Perlen und Seidenstrumpfhosen.

Sogar die Kerle sind elegant, sauber und emsig angezogen; ihre Fünf- bis Siebentage-Bärte penibel gepflegt, als kämen sie vom Laufsteg; alle sind schlank, smart und nett; bestimmt weiß jeder, an welchem Tag sie, mit welchem Gerät um welche Uhrzeit, Fitness machen. Alles ist perfekt durchorganisiert, so wie Leben, Altersvorsorge, Versicherungen, Karrieren, Renten, Meetings und Vernissagen; das Leben als Projekt, mit dazugehörigem Plan.

Ich weiß, dass ich Entertainment für sie bin und von einem anderen Planeten komme. Ich sehe an mir runter: Die Füße stecken in Wollsocken und Laufschuhen; meine schwarze Trekking-Hose ist mehr praktisch als schick und der Funktionspulli sorgt dafür, dass ich wie ein Abenteuerfreak aussehe. Schöner Kontrast zu den grazilen, schönen Großstadtvögeln.

Nach dem Dessert kommt Cognac. Irgendwann gehe ich auf den Balkon, rauche meine erste Zigarette; ziehe kräftig; schaue aufs Mobiltelefon. SMS von Laetitia.

„Gut angekommen? Wie findest du Charlotte? Besos.“

„Sexy“, sende ich zurück.

Sie sendet einen Smiley zurück. Nach der zweiten Kippe gehe ich rein. Irgendwann zeigt mir Charlotte den Rest der Wohnung: Sie lebt alleine auf 250 Quadratmetern. Wie dekadent.

Mitternacht. Der harte Kern ist übrig. Ich bin hundemüde, meine Worte kaum noch zu verstehen. Ich habe genug für heute, hebe mein Glas und wünsche allen eine gute Nacht. Charlotte, ganz Dame des Hauses, steht auf und geleitet mich in mein Zimmer.

Müde schlurfe ich hinterher, höre im schummrigen Licht ihre klackernden Absätze. Mein Körper erwacht; das Rückenmark kocht; mein Schwanz steht ab, wie ein wahnsinniges Ding aus einer anderen Welt. Vor einer Tür bleibt sie stehen und kommt näher.

„Fühlst du dich wohl?“, fragt sie. Was für eine Frage; bin blass wie ein Grottenolm; das Blut ist weiter unten.

„Bin hundemüde, obwohl es mir schwerfällt zu sagen, wenn du vor mir stehst.“

Sie schenkt mir ihr Kleopatra-Lächeln, scheinbar wartet sie auf irgendwas; doch ich schalte zu langsam; meine Sensoren sind nicht mehr fein genug.

„Schlaf gut“, haucht sie und dreht auf dem Absatz um.

„Charlotte. Warte.“

Ich mache einen großen Schritt, greife ihre Hüfte und drehe sie rum; schnell werden ihre Augen dunkel; der Blick geht tief; ich ziehe sie langsam zu mir; sie duftet umwerfend; zwanzig Zentimeter zwischen unseren Lippen.

„Gute Nacht.“, flüstere ich und zieh sie noch dichter heran.

Plötzlich beuge ich mich vor; küsse ihren Mund. Gerade öffnet sie die Augen, da ziehe ich sie mit einem Ruck ganz ran. Nun gibt es kein Halten mehr. Wie gierige Tiere fressen wir aneinander. Im Rausch gehen meine Hände auf Entdeckungsreise, fassen das feste Fleisch, gleiten über BH und String, über ihren Hals; packe sie an den Hüften; wir verschmelzen, sind verloren, im Strudel des Universums.

Plötzliches Scheppern. Glas geht zu Bruch, wir reißen die Augen auf, bekommen wieder Erde unter die Füße.

„Ich muss zu den Gästen.“ Lächeln, flüchtiger Kuss.

Ohnmächtig, mit blassem Gesicht und pochender Hose, bleib ich zurück und schleiche ins Zimmer; mein neues Zuhause. Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen, zerre mir die müden Klamotten vom Körper, schmeiße sie in die Ecke, strecke mich aus und schlaf sofort ein. Zwei Stunden später, ich bin neblig tief weggetreten und fange an zu träumen, da öffnet sich die Tür; leise werden Highheels abgestreift; fallen zur Seite. Langsam wird mein schläfriger Geist wach, während der Körper mit den Fingern trommelt.

Ich knipse die Nachttischlampe an; nichts soll mir entgehen. Sie blickt mich mit dunklen Augen an, knöpft sich ihre Bluse auf, steigt aus dem Rock, lässt String und BH zu Boden gleiten und schwebt heran. Unerträglich die Spannung.

Zwei Kannibalen fallen übereinander her, fressen sich die Haut von den Knochen, keinen Fetzen Fleisch auslassend. Sie packt meinen Schwanz, schiebt gierig sein Hemd rauf und runter; winden uns im Fieberwahn; ich greife runter; ihre Feige ist fest, leicht geöffnet, patschenass; packe ihre Beine, drehe sie auf den Rücken; vor Hitze, Wahn und Lust zitternd, schlecke ich ihre saftige Frucht aus, fahre an den festen Lippen entlang, lasse meinen Schwanz mit der nassen Blüte spielen, ständiger Ohnmacht nahe. Schnurren und Stöhnen. Langsam schiebe ich ihr meinen glühenden Stab rein; dann bis zum Anschlag; sie schreit auf; durchpflüge wie im Rausch ihren Körper, als wenn die letzte Saat der Menschheit aufgehen muss.

„Vorsicht! Vorsicht! Nicht zu schnell!“, ermahne ich mich, verlangsame das Tempo und fühle das Pulsieren des Universums; wir nehmen wieder Fahrt auf. Ihr Fleisch, der ganze Körper brennt, ist eng und saftig; ich rutsche von ihr runter, küsse die Innenschenkel, dann ihre Knospe, umschmeichle sie mit Zunge und Lippen, als würden wir tanzen; ich will den Drachen steigen lassen.

Wimmern, stöhnen, erstickte Schreie pressen sich aus dem tobenden Körper. Sie fliegt immer höher; berührt die Sonne; dann gleißendes Licht; Feuer; Explosionen. Sie schnaubt, bäumt sich auf; schweres Zittern; mein Mund auf Ihrem; ersticktes Wimmern.

Küssend verschlinge ich ihren Mund, spalte ihr Becken mit meinem brennenden Unterleib. Erstickte Schreie zerplatzen in meinem Mund. Gegenseitiges Beatmen. Dann erstürmt mein Schwanz ihren Planeten, lässt den schwebenden Körper erzittern und erbeben. Unten mein Schlüssel in ihrem Schloss. Oben winden sich Zungen um jeden Millimeter, einander gegenseitig auspeitschend. Wir verschmelzen, stoßend, bebend, die Lippen vom Gesicht des anderen nagend, erhöhen Aphrodite und Dionysos den Takt des göttlichen Metronoms.

Wie ein verrücktgewordenes Tier pumpe ich die Steinzeit aus mir raus; unsere Herzen pochen wie wild; Schweißperlen laufen meinen Rücken runter, verdampfen, wimmern, weinen, zetern, flehen, schreien. Ich verliere den Verstand. Dann die Explosion.

Flüssige Lava schießt mir durch die Arterien, brennt mit zuckendem Schwert einen leuchtenden Strahl in ihren vibrierenden Körper, der alles gierig verschlingt. Lava durchströmt, verbrennt sie. Zitternde Hände pressen meine Hüfte auf ihr Becken; Pflaster für ihre pochende Wunde. Körper zittern, verglühen langsam, mit ersticktem Wimmern seufzend zu Asche.

Mein Mund nagt letzte Überreste von ihrem Gesicht. Kaum merklich senkt meine Pumpe den Takt. Immer wieder fährt meine Zunge das Flussbett zwischen Zähnen und Lippen ab. Mein Schwanz pocht wild, will nicht ermatten. Ich küsse Augen, Gesicht, Nacken, den empfindlichen Bereich hinter den Ohren. Schauer laufen über unsere Körper. Glasige Augen strahlen, glitzern sich wortlos an. Küsse fallen wie müde Herbstblätter herab. Regungslos, ineinander verflochten, entfliehen wir der Zeit. Vorsichtig lasse ich sie über mich fließen. Eng umschlungen schlafen wir ein.

Brennende Krokodile löscht man nicht

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