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Um wenigstens ein bisschen zu schlafen, dachte ich ans Meer. Das Meer wenige Dutzend Meter von dem Haus entfernt, das ich bis vor einigen Tagen für mein Zuhause gehalten und wo ich von klein auf gewohnt hatte. Nur die Straße trennte den Garten vom Strand; wenn Südwestwind wehte, schloss meine Mutter die Fenster und ließ die Rollläden ganz herunter, damit der Sand nicht in die Zimmer drang. Aber das Brausen der Wellen hörte man, kaum gedämpft, und nachts wiegte es einen in den Schlaf. Daran dachte ich, wenn ich mit Adriana im Bett lag.

Wie Märchen erzählte ich ihr von den Spaziergängen mit meinen Eltern auf der Seepromenade, bis zur bekanntesten Eisdiele der Stadt. Sie ging mit Trägerkleid und rot lackierten Zehennägeln an seinem Arm, während ich vorauslief, um mich anzustellen. Gemischtes Fruchteis mit Schlagsahne für mich, Schokolade und Kaffee für die beiden. Adriana wusste gar nicht, dass es so viele Sorten gibt, ich musste sie ihr mehrmals aufzählen.

»Wo liegt diese Stadt überhaupt?«, fragte sie begierig, als handle es sich um einen magischen Ort.

»Etwa fünfzig Kilometer von hier.«

»Fahr doch mal mit mir hin, dann zeigst du mir auch das Meer. Und den Eisladen.«

Ich erzählte ihr von den Abendessen im Garten. Ich deckte den Tisch, während die Badegäste vom Strand kamen und wenige Meter entfernt auf dem Fußweg hinter dem Gartenzaun vorbeigingen. Sie schlurften in ihren Holzsandalen, und an ihren Fesseln rieselten die Sandkörnchen herab.

»Und was habt ihr gegessen?«, wollte Adriana wissen.

»Gewöhnlich Fisch.«

»Also Thunfisch aus der Dose?«

»Nein, nein, es gibt noch ganz viele andere. Wir haben sie immer frisch auf dem Fischmarkt gekauft.«

Ich beschrieb ihr die Tintenfische, indem ich mit den Fingern die Fangarme nachahmte. Dann die ausgestellten, sich im Todeskampf windenden kleinen Bärenkrebse, die ich fasziniert beobachtete. Sie starrten mit den beiden dunklen Flecken am Schwanz zurück wie mit vorwurfsvollen Augen. Auf dem Rückweg, am Bahndamm entlang zusammen mit meiner Mutter, raschelte die Tüte bei ihren letzten Zuckungen.

Beim Erzählen war mir, als schmeckte ich die frittierten Fische, die gefüllten Calamari und die Fischsuppen, die sie zubereitete, noch auf der Zunge. Wer weiß, wie es meiner Mutter jetzt ging. Ob sie wieder ein bisschen zu essen angefangen hatte, ob sie öfter mal aufstand. Oder ob sie in irgendeinem Krankenhaus lag. Über ihre Krankheit hatte sie mir nichts sagen wollen, bestimmt wollte sie mich nicht erschrecken, aber in den letzten Monaten hatte ich sie leiden sehen, sie ging nicht einmal mehr an den Strand, obwohl sie sonst immer schon in den ersten lauen Maitagen damit angefangen hatte. Mit ihrer Erlaubnis ging ich allein zu unserem Sonnenschirm, mittlerweile sei ich ja groß genug, sagte sie. Auch am Tag meiner Abreise bin ich am Strand gewesen und habe mit den Freundinnen sogar Spaß gehabt, ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Eltern tatsächlich den Mut aufbringen würden, mich zurückzugeben.

Ich war noch immer braun, unterbrochen vom Weiß in Form eines Bikinis. In diesem Jahr brauchte ich einen Büstenhalter, ich war kein Kind mehr. Auch meine Brüder waren braun, aber nur da, wo bei der Arbeit oder beim Spielen im Freien die Sonne hinkam. Wahrscheinlich hatten sie sich am Anfang des Sommers geschält und waren dann erneut braun geworden. Vincenzo trug auf dem Rücken die dauerhafte Landkarte seiner Sonnenbrände.

»Hattest du auch Freundinnen in der Stadt?«, fragte Adriana. Sie hatte eben am Fenster eine Klassenkameradin begrüßt, die unten auf dem Platz nach ihr rief.

»O ja. Vor allem Patrizia.«

Mit Patrizia zusammen hatte ich auch im Frühling den Bikini ausgesucht. Wir hatten ihn in einem Geschäft in der Nähe des Schwimmbads gekauft, auch dorthin gingen wir zusammen. Sie war eine Superschwimmerin, ich ging eher gezwungenermaßen hin. Mir war immer kalt: bevor ich ins Wasser stieg, wenn ich wieder herauskam. Das Grau in dem Becken, der Chlorgeruch, das alles gefiel mir nicht. Aber jetzt, wo alles anders war, sehnte ich mich sogar danach.

Wir wollten uns den gleichen Bikini kaufen, Pat und ich, um uns am Strand mit unseren neuen Formen zu zeigen. Im Abstand von einer Woche hatten wir unsere erste Monatsblutung gehabt, und auch das Aufblühen der Pickel schien abgestimmt zu sein. Unsere Körper zeigten sich gegenseitig den Weg.

»Dir steht der hier besser«, hatte meine Mutter zwischen den Regalen des Geschäfts gerufen und einen weniger knappen Bikini hochgehalten. »Und die Haut am Busen ist auch besonders zart, weißt du, mit dem anderen würdest du dir einen Sonnenbrand holen.« Ich erinnere mich an jedes Detail dieses Nachmittags, am nächsten Tag ist sie krank geworden.

So hatte ich auf den winzigen Bikini mit Schleife zwischen den Körbchen und an den Hüften verzichtet. Patrizia nicht, sie wollte ihn trotzdem. Sie kam oft zu uns nach Hause, ich zu ihr seltener; meine Eltern fürchteten, die Untugenden ihrer Familie könnten mich anstecken. Sie waren fröhlich, ein wenig zerstreut und unordentlich. Nie sahen wir sie sonntags in der Messe, nicht einmal zu Ostern und Weihnachten, vielleicht standen sie nicht früh genug auf. Wenn sie Hunger hatten, aßen sie, was ihnen gerade passte, und sie verwöhnten auch ihre zwei Hunde und eine ungezogene Katze, die auf den Tisch sprang, um die Reste zu stehlen. Ich erinnere mich an die nachmittäglichen Brote, die wir uns allein schmierten, mit Wellen von Schokolade, auch wenn das den Zähnen schadete.

»Die gibt mir Kraft zum Schwimmen«, sagte Pat. »Nimm doch noch eine Scheibe, deine Mutter sieht es ja nicht.«

Nur einmal durfte ich bei ihr übernachten. Ihre Eltern waren ins Kino gegangen, und wir saßen bis spät vor dem Fernseher und knabberten Chips, und dann blieben wir noch fast die ganze Nacht wach und redeten von Bett zu Bett, mit der Katze, die schnurrend auf der Decke lag. Solche Freiheiten war ich nicht gewöhnt, am nächsten Tag wäre ich zu Hause beinahe über dem Hühnerbrustfilet eingeschlafen.

»Die werden dir doch nichts gegeben haben?«, fragte meine Mutter besorgt.

Patrizia hielt es für einen Scherz, als ich ihr sagte, ich müsse weggehen. Anfangs begriff sie diese Geschichte von der echten Familie, die mich wiederhaben wollte, nicht, und ich begriff sie noch weniger, als ich sie aus meinem eigenen Mund hörte, so wie man sie mir erzählt hatte. Ich musste sie erneut erklären, und plötzlich wurde Pat von Schluchzern geschüttelt. Da bin ich wirklich erschrocken, an ihrer Reaktion erkannte ich, dass mir etwas Schlimmes bevorstand. Pat weinte sonst nie.

»Hab keine Angst, deine Eltern, diese hier, meine ich, werden das nicht zulassen. Dein Vater ist doch Carabiniere, er wird schon einen Ausweg finden«, versuchte sie, mich zu trösten, als sie sich wieder gefasst hatte.

»Er sagt immer wieder, dass er’s nicht verhindern kann.«

»Deine Mutter ist bestimmt fix und fertig.«

»Seit einer Weile geht es ihr nicht gut, vielleicht seit sie weiß, dass sie mich nicht mehr behalten kann. Oder sie hat beschlossen, mich wegzugeben, weil sie krank ist und es mir verheimlichen will. Eine Familie, die nie aufgetaucht ist, und jetzt wollen sie mich auf einmal zurückhaben – das kann ich einfach nicht glauben.«

»Wenn man dich so anschaut, ähnelst du allerdings keinem von deinen Eltern. Jedenfalls nicht denen, die wir kennen.«

Die Idee kam mir dann in der Nacht, am Morgen teilte ich sie Patrizia unter ihrem Sonnenschirm mit. Wir schmückten sie bis in die kleinsten Einzelheiten aus und waren von unserem Plan begeistert. Nach dem Mittagessen lief ich schnurstracks zu ihr, ohne meine Mutter, die im Schlafzimmer ruhte, um Erlaubnis zu fragen. Zu der Zeit hätte sie mich sowieso gehen lassen, mit einem müden, gedankenverlorenen Ja.

Pat öffnete mir mit gesenktem Kopf, hielt sich an der Türe fest und schob mit dem Fuß barsch die Katze weg, die ihr mit dem Schwanz um die Beine strich. Ich wollte schon gar nicht mehr eintreten. Doch sie nahm mich an der Hand und begleitete mich zu dem Nein, das ihre Mutter mir sagen musste. Wir Mädchen hatten uns ausgedacht, dass wir am folgenden Tag vom Strand zusammen zu Pat gehen würden und ich mich dort verstecken würde, solange es nötig war, auch ein, zwei Monate. Wenn ich verschwunden wäre, würden sich diese ganzen Eltern vielleicht mehr anstrengen, um eine Lösung für mich zu finden. Ich würde auch daheim anrufen, aber nur einmal und nur ganz kurz – wie im Kino –, um sie zu beruhigen und ihnen meine Bedingungen zu diktieren.

»Ich geh nicht zu denen. Entweder ich ziehe zu euch, oder ich hau ab und zieh durch die Welt.«

Pats Mama umarmte mich fest, mit der gewohnten Herzlichkeit und einer neuen Verlegenheit. Sie machte etwas Platz auf dem Sofa und bedeutete mir, mich neben sie zu setzen. Auch sie schob die Katze weg, es war nicht ihr Moment.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Du weißt, wie sehr ich dich mag. Aber das geht nicht.«

Arminuta

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