Читать книгу Bella mia - Donatella Di Pietrantonio - Страница 5

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Den Wuschelkopf über den Teller gebeugt, sitzt er an seinem Platz, und der Dampf der Brühe weitet die Poren seiner Pickel, ringelt die langen, feinen Härchen, die in der Erwartung, ein Bart zu werden, noch planlos sprießen. Nach dem Geräusch des Bestecks zu urteilen, strengt er sich an, aber er isst zu wenig. Lange rührt er mit dem Löffel um und führt ihn dann halb leer zum Mund. Er weicht unseren Blicken aus, er weiß, dass wir ihm zuschauen und die Proteine zählen, die er zu sich nimmt, ebenso wie die, die er im Teller lässt.

Er kaut Schweigen.

Es gelingt mir nicht, ihn ganz zu lieben, diesen Jungen. Groß, mager, ein Körper mit abgebrochenen, nirgends runden Linien, und unter dem Knie wird die Zeichnung der Beine plötzlich unscharf. Die Großmutter behandelt ihn immer noch wie ein Kind, doch ich weiß nicht recht, wie ich mich verhalten soll. Er ist schon fast ein junger Mann, manchmal wirkt er noch jünger, als er ist.

Als er ein Baby mit dunklen Locken und Herzmund war, hatte ich keine Mühe, Zärtlichkeit für ihn zu empfinden, damals besaß er die Anmut, die den Kleinen für die Erhaltung der Art mitgegeben ist, im Übermaß. An den endlosen Nachmittagen, an denen ich auf ihn aufpassen sollte, überschüttete ich ihn mit Küssen. Er roch nach Welpe, jetzt hängt ihm manchmal ein strenger Geruch nach ungewaschenen Achselhöhlen an, und seine Haare wirken fettig, während er stumm herumgeht. Wenn er sein T-Shirt auszieht, sieht man vorn eine Landschaft hervorstehender Rippen und Wirbel im Rücken. Er krümmt sich wie einer, den gerade ein Ball in die Magengrube getroffen hat. Nicht immer erkenne ich ihn von hinten, wenn ich ihn von weitem sehe, er ist so schnell gewachsen.

Wir sitzen um diesem neuen Tisch, der keinem von uns gehört. Vorher hatte jeder seinen eigenen, die verwitwete Großmutter in ihrem Haus im Dorf, ich in meiner Wohnung im Stadtzentrum und er mit seiner Mutter ganz in der Nähe; als es passierte, wohnten die beiden seit eineinhalb Jahren wieder hier. Jetzt leben wir drei allein zusammen, in dieser uns zugewiesenen Wohnung. Er ist mein Neffe, für meine Mutter der Enkel.

Das Erdbeben hätte es nicht gebraucht; schon vorher hatte jeder seinen eigenen Schmerz. Doch meine Schwester war froh, dass sie mit ihrem Sohn wieder nach Hause gezogen war, als Notlösung war das akzeptabel, sagte sie. Sie eignete sich die Orte wieder an, frischte unterbrochene Beziehungen auf, gewöhnte sich wieder an die verlangsamte Zeit. Das milderte den Schmerz der Trennung.

Im Winter tranken wir an den Sonntagnachmittagen bei unserer Mutter Kaffee unter der niedrigen Hängelampe im Esszimmer. Sie verwöhnte uns mit einer Praline, die wie zufällig neben dem dampfenden Tässchen lag; später stellte eine unsichtbare Hand uns dann eine Schale mit geschältem Obst hin, während sie uns unter dem Vorwand, sie müsse im Hof die Wäsche abnehmen, allein ließ, damit wir zwei uns freier austauschen konnten.

Wenn er nicht mit seinen Freunden wegging, begleitete er uns im Schutz seiner Kopfhörer. Er schloss uns aus. So macht er es auch jetzt manchmal, wenn er morgens den Bus verpasst hat und ich ihn im Auto zur Schule fahre. Er nutzt die Musik, mit der er sich die Ohren volldröhnt, als Stacheldraht zwischen uns. Um diese Zeit ist er wahrscheinlich noch verletzlicher, noch stärker darauf bedacht, Abstand zu wahren. Er verkriecht sich völlig in seiner Winterjacke, stellt den Kragen hoch, verschanzt sich und macht sich unerreichbar. Hartnäckig starrt er aus dem Fenster oder auf seinen Hosensaum, seine Schuhe. In den Rechtskurven klammert er sich fest, bis die Fingerknöchel weiß hervortreten, um nicht zu mir zu rutschen. In den Linkskurven klebt er mit Gesicht und Schultern am Fenster, wendet mir für den Fall, dass ich mich in seine Richtung lehne, nur seine spitzen Knochen zu, die Hüfte, den Ellbogen. Seinen Gruß beim Aussteigen höre ich kaum, aber die Tür schließt er überraschend sanft.

Vor einigen Tagen trafen wir uns vor der Haustür, er mit seinem Rucksack und ich mit schweren Einkaufstaschen. Er ging einige Schritte vor mir, brummte halblaut Ciao über die Schulter und ließ die Tür offen, als er hinaufging. Doch dann lud er seinen Ballast vor der Wohnung ab und kam die Treppe wieder herunter, um mir zu helfen, nahm mir die Tüte mit Kartoffeln und die Packung Mineralwasser ab, die ich am inzwischen blau angelaufenen Zeigefinger hielt. Ich habe mich bedankt, keine Antwort.

Bella mia

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