Читать книгу Bella mia - Donatella Di Pietrantonio - Страница 7

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Ich begegne einer der Patrouillen, die die gesperrte Rote Zone bewachen, und gehe zwischen den vereinzelten morgendlichen Passanten ein paar Häuserblöcke weiter. Dann muss ich nicht einmal das Absperrgitter beiseiteschieben, sondern drücke mich nur flach an die Wand und tauche in den Schatten der verbotenen Gasse ein. Ich gehe bergauf, schon schwer atmend. Ab und zu weht von den vom nächtlichen Regen noch durchnässten Stützbalken ein übler Geruch nach faulendem Holz herüber. Als ich in die Via Mezzaluna einbiege, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, etwas Dunkles, Haariges, vielleicht ein kleines Tier, das plötzlich davonhuscht. Um zu meiner alten Werkstatt zu gelangen, muss ich an dem Haus entlanggehen, das seine Fassade verloren hat und das übrig gebliebene Innere zeigt, Konserven und Nudelpackungen in der Küche, im Bad den zerbrochenen Spiegel, der kubistische Variationen des Himmels einfängt, im weit offen stehenden Schrank die Kleider, die noch auf den Bügeln hängen und ihre Ärmel von der beharrlichen Sonne bleichen lassen. Ein Lichtschalter ohne Wand baumelt an einer Leitung. Übelkeit steigt auf, ich schlucke sie runter. Es ist dieses leichte Schwanken, ich muss nur den Blick abwenden und weitergehen.

Ich arbeitete im Erdgeschoss eines nun unzugänglichen Palazzos, Kategorie E. Ich schließe das eiskalte Schloss auf, das die beiden Hälften des Tors zusammenhält, doch dann muss ich den scheinbar nachgiebigeren Flügel mit beiden Händen aufstoßen, auch das genügt nicht, ich muss mit der Schulter, mit dem Knie nachhelfen, um die Reibung des Nussholzes am Boden zu überwinden. Überlaut hallt das Quietschen in der unfassbaren Stille. Instinktiv strecke ich die Hand aus, um rechts das Licht anzuknipsen, das nicht aufleuchten kann. Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte weiter hinein, warte, bis ich mich an das Halbdunkel gewöhne. Die Schuhe stoßen klirrend gegen Tongefäße und wirbeln Staub auf, ich kann es riechen. Auswendig finde ich das einzige Fenster, und diesmal gehen die Läden willig auf.

Nach dem Erdbeben war ich nie wieder hier. Als ich mich entschlossen hatte, meine Tätigkeit anderswo wieder aufzunehmen, habe ich jemanden beauftragt, den Brennofen und einige andere Sachen abzuholen, das Allernötigste. Bei einer Manufaktur in Castelli habe ich neue Halbfabrikate zum Bemalen gekauft und auch neue Pinsel, Glasur und Farben, auch ein paar Schmuckelemente. Auf dem Markt der Piazza d’Armi habe ich eine große Plastikwanne zum Mischen der Glasur und einen langen Holzlöffel zum Umrühren erstanden.

Nur die fertigen, in Kartons verpackten Stücke sind heil geblieben, dort hinten stehen sie, ich könnte sie mitnehmen und den Inhalt verkaufen. Aus den großen Regalen an den Wänden dagegen sind fast alle Gegenstände herausgefallen, von den durch das Erbeben schrägen Brettern heruntergerutscht. Am Boden haben die Scherben gestrichelte Linien gezogen, die genau die Umrisse des großen Raums nachzeichnen, nur etwas enger. Auf der einen Seite liegen die Bruchstücke der Schrühware, weiter vorn die glasierten Flaschen, die noch trocknen mussten, und auf der anderen Seite, schon fertig zum Brennen, die Teller mit den Hähnen und die Apothekengefäße mit Motiven aus dem 16. Jahrhundert. Diese Arbeiten sind verloren.

Ich hebe eine Scherbe auf und lese unter einer Beere meine nach dem E abgebrochene Signatur. Wie durch ein kleines Wunder finde ich dann ein unbeschädigtes Glöckchen, das in einer meiner Gummilatschen gelandet ist. Ich puste es ab, während ich es langsam drehe und aus nächster Nähe die Einzelheiten des Blumenfrieses verfolge. Es war für Ostern 2009 bestimmt. Ich prüfe, ob der winzige Klöppel noch funktioniert. Das leise Geklingel wirkt wie ein Wecker, ich verliere Zeit, dazu bin ich nicht hergekommen. Ich stecke das Glöckchen ein und suche nach den Zeichnungen.

Die Ordner liegen in der Mitte des Tisches neben den Dosen und Farbproben auf den Ausschussziegeln. Einer davon ist bis ans Ende der Platte gerutscht und schwebt auf der Kante, halb in der Luft. Ich bringe ihn neben den anderen wieder in Sicherheit, im Staub bleibt seine saubere Spur zurück. Die Zeichnungen auf den von der Feuchtigkeit gewellten Blättern sind in gutem Zustand, ich werde sie noch verwenden können. Nur die Tinte ist an manchen Stellen leicht verwischt. Ich will schon hinausgehen, die Ordner unter dem Arm, doch dann gebe ich der Versuchung nach, auch den alten Kittel voller Kleckse mitzunehmen, den ich hier benutzte. Ich nehme ihn von seinem Haken, beschwert vom abgebröckelten Putz.

Der Tag draußen ist so klar, dass es schmerzt. Vom Hang des Monte Sirente fegt der Wind herunter und schlüpft in die vor ihm liegenden Gassen wie Finger in einen Handschuh. Er riecht nach Schnee und nach Harz, das an den Stämmen getrocknet ist. Ich muss meine Augen abschirmen, um das von blauen Stützbandagen zusammengehaltene Haus gegenüber zu betrachten. Aus der offen stehenden Balkontür im ersten Stock flattert träge der schmutzig-weiße Vorhang heraus, tanzt eine Runde und verschwindet, dann erscheint er wieder, je nach Laune der Luft, die ihn bewegt. Von dort duftete es nachmittags nach den Kräutertees von Signora Leda. Sie war sympathisch und litt an Arthrose, allerdings ein wenig geschwätzig. Wenn ihre Beine es erlaubten, kam sie herunter und überquerte mit einer vollen, auf dem Tellerchen zitternden Tasse die Straße, andernfalls rief sie durchs Fenster, um mich nach oben einzuladen. Ich stieg in die warme, dampfige Küche hinauf, und sie zählte mir gern die stets verschiedenen Namen der Mischungen auf, aus denen sie ihre Tees braute: Kaminfeuer, Wintergarten, Zauberwald. Wenn ich keine Lust hatte, ihr zuzuhören, schützte ich eine heikle Arbeitsphase vor und blieb unten. Für sie habe ich eine Teekanne bemalt mit den Früchten und Blüten der Zutaten und ihren Initialen L B über den Heidelbeeren. Auch die wird zerbrochen sein.

Ich denke fast nie an Leda. Doch jetzt reiße ich das Unkraut aus, das ungestört vor ihrer Tür in den Ritzen zwischen den Pflastersteinen wuchert. Es hat schon seine Samen ausgestreut, der Winter hat es verdorren lassen, aber es leistet zähen Widerstand und schneidet mir in die Handflächen. Zu spät bemerke ich dabei das Motorengeräusch, das unten auf der Via Cascina näher kommt. Ich habe keine Zeit, mich zu verstecken, halte mir die Ohren zu und warte. Es dauert nur einen Augenblick, der Panzerwagen der Armee fährt schnell vorbei; flüchtig sehe ich die zwei Soldaten im Tarnanzug, sie reden und lachen, schauen nicht in meine Querstraße hinein.

Zurück bleibt ein Zittern und Schaudern, dann verhallt der Lärm in der Ferne, und über das Viertel legt sich wieder eine tödliche Stille. Auf dem Rückweg zum Parkplatz mache ich einen weiten Bogen um die Via del Drago, erfinde ich einen langen, gewundenen Umweg. Zum Verlassen der Roten Zone wähle ich einen Durchgang, der als sicher gilt, wo die Patrouillen nie vorbeikommen. In der Scheibe meines wartenden Autos spiegeln sich die schmutzigen Rückseiten aller Mauern, an denen ich entlanggeschlichen bin.

Bella mia

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