Читать книгу Wenn Du gehen musst ... - Doris Kändler - Страница 12

Es ist, wie es ist...

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Im Auto angekommen sackte ich völlig fertig in mich zusammen. Gott sei Dank rief mein Lebensgefährte an. Er befand sich in einer Gaststätte um die Ecke und wollte mit mir gemeinsam zu Mittag essen. Das war das Beste, was mir passieren konnte. In diesem Augenblick hielt ich die Stille der Einsamkeit nicht aus. Und so fühlte ich mich... EINSAM!

Als er mich sah, spürte er sofort, wie schlecht es mir ging. Wortlos nahm er mich in den Arm. Es traf ihn wohl sehr, als er mein Gesicht und meine verlorene Fassung sah. Zu diesem Zeitpunkt waren wir seit 2,5 Jahren ein Paar und er hatte Sandy in all der Zeit nur ein einziges Mal gesehen. So selten waren unsere Treffen damals. Dennoch wusste er aus meinen Erzählungen, dass sie die EINE BESONDERE Freundin für mich war, auch wenn ich sie von all meinen Freundinnen am seltensten sah.

Wie der Teufel es wollte, kam der Inhaber des Lokals zu uns an den Tisch und erzählte von schlimmen Zeiten, die hinter ihm lagen. Er kannte meinen Lebensgefährten schon viele Jahre, weshalb er sehr tief ins Detail ging. Er erzählte sehr ausführlich von einer an Krebs erkrankten Verwandten, für die es keine Hoffnung gegeben hatte. Diese Bekannte habe sich angeblich Olivenblätter aus der Heimat kommen lassen, und sei nach dem unentwegten Kauen der Blätter völlig genesen.

Ein Funke Hoffnung erfüllte mein Herz. Dem Gespräch der Männer konnte ich nicht mehr folgen, da meine Gedanken längst in eine andere Richtung abschweiften. Ich nahm mir vor, über dieses Naturheilverfahren im Internet nachzulesen. Später könnte ich Sandy anrufen und ihr sagen, ich würde diese Blätter bestellen. Ich konnte doch die Hoffnung nicht einfach so aufgeben.

Nachdem der Mann seiner Arbeit wieder nachging, sprachen mein Freund und ich über meine Eindrücke bei Sandy. Er, der sonst so pröbsche und eher unnahbare Mann erschien mir wahrhaftig gerührt. In dieser Situation schossen selbst ihm einige Tränen in die Augen. Auf der einen Seite war es sicherlich mein Schmerz, der ihn zutiefst traf. Auf der anderen Seite konnte er sich anhand meiner Erzählungen aber auch ein Bild von meiner sterbenden besten Freundin machen.

Ganz gespannt wartete er nun auf meine fachlich fundierte Meinung. Hier war ich jedoch persönlich betroffen und hatte plötzlich das Gefühl, nichts mehr zu wissen. Tief in meinem Inneren wusste ich allerdings, welcher Weg uns allen nun bevorstand.

Sandy war stets der Anker in meinem reißenden Strom der Gefühle. Und nun entdeckte ich Stück für Stück, dass ich diese Position nun nicht für sie erfüllen konnte. Es war zu hart für mich, sie beim Sterben zu begleiten. Ich konnte den Anblick ihres Sterbens nicht ertragen. Es war schrecklich für mich.

Wie sollte ich mich nun verhalten? Sollte ich jeden Tag mit ihr telefonieren? Sollte ich wegbleiben, damit sie meine Tränen nicht sah? Ich wusste es nicht.

Den Weg zurück nach Hause fuhr ich damals wohl eher instinktiv. Ich konnte mich jedenfalls nicht erinnern, wie ich dorthin kam. Ohne auch nur eine Sekunde zu vergeuden, setzte ich mich ans Internet und suchte nach den heiß begehrten, heilenden Olivenblättern. Ich fand jedoch immer nur die Auskunft darüber, dass man ihnen eben heilende Kräfte nachsagt. Eine Anleitung wie man das Präparat einsetzt, eine detaillierte Auflistung über die Wirkung dieser Pflanze oder Beschaffungsmöglichkeiten waren jedoch nirgends zu finden.

Trotzdem rief ich sie später an und erzählte ihr von dem Gespräch mit dem Gastronom.

Am anderen Ende der Leitung war es erst einmal still.

Dann sagte sie: „Dodi, du glaubst doch nicht allen Ernstes an diesen Humbug? Also wenn es auch nur die geringste Chance geben würde, hätten die Ärzte mir das sicherlich gesagt. Außerdem würde ich das Zeug sowieso nicht drin behalten. Ich erbreche ALLES. Damit würde es also sowieso nicht wirken. ES GIBT KEINE HOFFNUNG. AKZEPTIERE DAS BITTE!“

Dann war das Thema für sie durch.

Nun saß ich da, wurde am Telefon von ihr abgewürgt, und musste alleine zusehen, wie ich damit umging. Das war sehr typisch für sie. Sie konnte keine Prioritäten setzen. Aber hierbei ging es doch um ihr Leben! Wollte sie also doch lieber sterben? Was wäre, wenn ihr die Blätter helfen würden. Ich beschloss, die Blätter trotzdem zu bestellen. Also suchte ich im Internet weiter nach den Olivenblättern. Ich fand lediglich die Homepage einer Firma, bei der man diese Blätter in ihrer ursprünglichen Art und unbehandelt bestellen konnte. Doch als wäre es verhext, existierte die Firma nicht mehr. Ich war ziemlich verzweifelt.

All meine hilflosen Suchen und Bemühungen, alternative Heilmethoden zu finden, nahmen ein jähes Ende, als ich bemerkte, dass ich bereits auf den Seiten von Wunderheilern gelandet war. Da angekommen musste ich mir selbst eingestehen, dass ich auf einem völlig verrückten Trip unterwegs war. Und selbst wenn ich tatsächlich auch so was in Betracht zog, hieß das noch lange nicht, dass Sandy sich genauso darauf einlassen würde.

Ich wurde sehr schnell abgelenkt, da ich all meinen fragenden Freunden und Verwandten mitteilen musste, wie es um sie stand. In den nächsten Tagen diskutierte ich unheimlich viel mit meinen engsten Vertrauten über ihren Zustand. Sicher, wir alle glaubten, dass ihr Lebenswandel sie so krank gemacht hatte. Doch alle Fragen nach „hätte, wäre, wenn...“ nutzte nichts. So oder so, es war und blieb schmerzhaft.

Diese ganze Sache nahm einen solchen Raum in meinem Leben ein, dass mein Freund irgendwann ein Gespräch suchte. Ihm war wichtig, dass ich mich dafür nicht völlig aufgab oder sogar selbst verlor. Klar. Ich konnte ihn verstehen. Er hatte schließlich nur die Jahre erlebt, in denen wir weniger gemeinsam unternahmen.

Ihm klangen meine Worte im Ohr, mit denen ich sagte, jetzt sei Feierabend. Ich würde sie nicht schon wieder retten, wo sie ihr Leben kurz vorher weggeworfen hatte.

Ich erzählte ihm, wie viel ich mit ihr durchgemacht, und wie oft ich sie aus schrecklichen Wohnungen des Milieus herausgeholt und zu ihren Eltern zurückgebracht hatte. Wie oft ich sie alleine oder mit ihrer Tochter vor ihrem Ehemann gerettet und in Obhut zu mir nach Hause geholt hatte.

Ihm vertraute ich an, wie sehr ich verachtete, dass sie in der letzten Schwangerschaft so viel Alkohol trank und unentwegt rauchte. Wie schrecklich ich fand, was sie damit dem Ungeborenen Sohn antat.

Ich sprach aus, wie furchtbar ich es empfand, dass sie ständig nur noch im Bett lag. Der Haushalt und der kleine Sohn wurden meistens von der Tochter oder dem Ehemann versorgt.

Er verstand ja auch nicht, dass dies lediglich Worte der harten Schale waren. Der weiche Kern in mir drin dachte ja ganz anders. Natürlich fand ich all das furchtbar, aber sie tat mir auch unendlich leid. Ich wusste ja nicht, wie ich ihr hätte helfen können. Schließlich war ich weder Therapeutin noch Sozialpädagogin. Ich war einfach nur eine leidende Freundin. Eine Angehörige einer Suchtkranken in weitester Form.

Nun sollte er tatsächlich verstehen, dass ich so litt?

Doch er hielt sich zurück und verstand offensichtlich, dass es besser war, mich meinen Schmerz einfach ausleben zu lassen. Wir führten gute Gespräche, in denen ich meine Vergangenheit mit ihr aufarbeiten konnte. Er interessierte sich sehr dafür, wie ihr Leben war, bevor die Drogen alles veränderten. Also erzählte ich!

Wenn Du gehen musst ...

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