Читать книгу Wenn Du gehen musst ... - Doris Kändler - Страница 8

Eine Freundschaft wird geboren...

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Wir lernten uns bei den Pfadfindern kennen.

Wir konnten uns nicht ausstehen, was wir auch nicht vertuschen konnten.

Unsere Streitigkeiten fingen mit Tritten und gegenseitigem Bespucken an und endeten in lauten Wutausbrüchen, mit den wüstesten Beschimpfungen. Die Leiter der Pfadfindergruppe hatten ständig alle Hände voll zu tun, uns voneinander fern zu halten, was sich bei den Ferienfahrten doch immer als recht schwierig erwies.

Jeder Kontakt zwischen uns führte unweigerlich zu Krieg. Ich konnte eigentlich nie sagen, warum ich sie so sehr gehasst habe und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Doch sie war ein echtes rotes Tuch für mich. Wenn ich nur schon ihren Namen hörte, hätte ich gerne um mich geschlagen.

Unsere Eltern kamen einmal vor der Abfahrt zu einer der vielen Ferienfahrten ins Gespräch. Dabei kam heraus, dass ich vergessen hatte, meinen Badeanzug einzupacken. Ihre Mutter war so nett, mir den Badeanzug ihrer Tochter anzubieten, da sie um die Ecke wohnten. Ein Katzensprung entfernt lag der Badeanzug, doch wir Teenies schrien sofort einstimmig: „NEIN!“ Das wäre niemals für mich in Frage gekommen. Und ganz offensichtlich auch nicht für sie.

Herrje. Dann hätte man gleich einen brennenden Stab gegen meinen Stolz drücken können!

So zogen jedenfalls einige Monate ins Land. Bis zu jenem Abend...

Ich war mit einer Freundin namens Chrissi unterwegs. Es war Oktober und bitterkalt. Wir trafen auf eine Bekannte von ihr, die meine Rivalin im Schlepptau hatte. Na toll, dachte ich so bei mir. Sandy und Sandy zusammen unterwegs. Die Beiden teilten nicht nur Freud und Leid miteinander, sondern auch den Vornamen.

Chrissi und die „gute“ Sandy unterhielten sich eine ganze Weile miteinander, während wir Feinde uns weiterhin angifteten. Wir langweilten uns abseits der Beiden zu Tode und bespuckten uns gegenseitig. Unsere Anspuckorgien fanden ein jähes Ende, da die beiden anderen völlig irritiert und ganz offensichtlich angeekelt waren.

„Ihr seid ja ekelhaft“, sagten sie fast einstimmig.

Sandys Begleitung musste ebenso wie meine Freundin wegen ihrer sehr strengen Eltern recht früh nach Hause. Sie verabschiedeten sich und nun saßen wir beide alleine da.

Sandy fragte forsch: „willst du noch mit zu mir kommen? Ich habe noch keine Lust rein zu gehen. Also allein.“

Ohne darüber nachzudenken, antwortet ich frei heraus „OK.“

Es war so unglaublich einfach.

Was danach kam, hätte ich mir vorher niemals träumen lassen.

Wir gingen also zu ihr nach Hause. Dort angekommen, stellten ihre Eltern erst einmal Essen auf den Tisch. Es gab Quark mit Mandarinen für mich. Oh mein Gott. Ich liebte dieses Zeug. Sandy aß lieber etwas Herzhaftes und bediente sich am übrig gebliebenen Mittagessen.

Ihre Eltern waren locker und nett. Kein Wort wurde mehr verloren über unsere Feindschaft bis dahin. Wir saßen gemeinsam am Küchentisch und eigentlich hatten wir uns nicht viel zu erzählen. Sie musterte mich im Geheimen ebenso, wie ich es tat.

Die Küche der Familie war sehr klein. Ein rechteckiger Küchentisch stand der Länge nach ganz an die Wand geschoben und an den drei freien Tischschenkeln stand jeweils ein Stuhl. Die Küchenzeile aus dunklem Holz befand sich an der Wand direkt gegenüber. Zwischen Tisch und Küchenzeile war gerade mal genug Platz, dass man noch gehen konnte, sobald jemand auf einem Stuhl saß.

Auf der Fensterbank stand ein Vogelkäfig mit einem Nymphensittich namens Danny. Der Käfig stand offen und der Vogel saß bei uns auf dem Tisch. Sandy hatte sich eine Portion Nudeln mit Curryketchup genommen und für den Vogel eine Nudel an die Seite gelegt.

Irritiert fragte ich: „Der isst doch jetzt nicht die Nudel, oder?“

Sie grinste mich an und im nächsten Moment fiel der Vogel über die Nudel her, als hätte er schon Jahre nichts mehr zu essen bekommen. Er hatte die Nudel im Schnabel und schlug mit dem winzigen Köpfchen hin und her, bis er nur noch ein Stückchen im Schnabel hatte, was er dann genüsslich aß. Auf diese Weise war die Nudel irgendwann völlig in seinem Magen verschwunden.

„Tztztz, das ist ja der Wahnsinn.“ Ich konnte es kaum glauben.

„Ja“, sagte Sandy. „Danny isst alles Mögliche mit uns. Er liebt auch Fritten und Salat.“

Na Gott sei Dank mochte er wohl offensichtlich keinen Fruchtquark, denn er kam über den Tisch zu meinem Teller gerannt und nahm eine Schnabelspitze. Dann lief er schnell wieder zu Sandy herüber, die bereits die nächste Nudel an den Tellerrand gelegt hatte. Also aß er bei ihr weiter. Ich fand es noch nicht einmal ekelig, dazu war der kleine Kerl viel zu niedlich.

Ihre Eltern saßen im Wohnzimmer und kamen sporadisch nach dem Rechten sehen. Es war eine eigenartige Stimmung im Raum. Da war Neugierde, die noch längst nicht vergessenen Dispute aber auch ein Gefühl von Geborgenheit. Wir sprachen nicht sehr viel. Nur so das Wichtigste.

Diese Stille hielt ich nicht aus. Also tat ich, was ich am besten konnte.

Ich war gerade dabei, mir einen Löffel Quark zum Mund zu führen.

Das war MEIN Augenblick. Ich drehte den Löffel vor meinem Mund, spannte ihn in meine Richtung zurück und feuerte los. In Sekundenschnelle hatte sich die Quarkmasse in ihrem Gesicht verteilt. Sie schaute mich völlig baff an. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Ich lachte laut los. Sie sah aber auch zu albern aus mit der weißen Masse im Gesicht. Ein Mandarinenstückchen klebte auf ihrer Nasenspitze. Ich konnte vor Lachen kaum an mich halten.

Ein sehr kritisches Lächeln bildete sich in ihrem Gesicht. Doch man sah ihr an, dass sie nicht wusste, wie sie mein Verhalten einordnen sollte.

Dass ich einfach nur total bescheuert war, konnte sie schließlich nicht wissen.

Sie stand auf, wischte sich die Masse aus dem Gesicht und machte sich ein Brot. Ich werde es niemals vergessen. Es war ein Brot mit Käse und Mayonnaise oben drauf. Sie konnte wirklich unglaublich viel auf einmal essen.

Mittlerweile hatte ich mich beruhigt und sah ihr beim Essen zu. Mein Teller war bereits leer und ich war satt. Und da war es wieder...

Sie führte die Scheibe Brot wie in einem schlechten Film geradewegs zum Mund. Ein zaghaftes Grinsen zog sich durch meine Mundwinkel und schwuppdiwupp... schlug ich mit der Hand unter die Ihre. Langsam rutschte die Scheibe Käse von ihrer Nase herunter. Die Mayonnaise klebte überall in ihrem Gesicht.

„Du hast sie doch nicht mehr alle“, sagte sie und lachte ebenfalls laut los. Was man so laut nennen konnte.

Ihr Lachen war anders als meins. Es klang eher heiser, während meins sehr laut und schrill war. Sie lachte mehr... naja, so ohne Ton. Ich fand es super.

ICH FAND SIE SUPER!

Ihr Vater betrat die Küche, sah das Chaos und stellte trocken fest, dass wir beide total verrückt seien. Dann verließ er den Raum mit den Worten, wir sollten die Sauerei beseitigen.

Gemeinsam säuberten wir die beschmutzten Gegenstände, und lachten miteinander, bis wir vor lauter Bauchschmerzen nicht mehr konnten.

Langsam rückte die Zeit näher, da ich nun auch einmal nach Hause musste. Liebend gerne wäre ich noch geblieben. Dies war der schönste Abend seit langem für mich.

Gut, das wollte ich ihr nicht sagen. Das war dann doch zu viel des Guten. Aber ich wollte sie gerne meiner Mutter vorstellen. Ihre Eltern hatten nichts dagegen, dass Sandy mich nach Hause brachte.

Es war stockdunkel draußen, obwohl es noch recht früh am Abend war. Also machten wir uns auf den Weg. Die Straßen waren wie leergefegt. Wegen der Kälte rannten wir. Da wir nicht wirklich weit voneinander entfernt wohnten, kamen wir recht schnell an. Meine Mutter war sehr erstaunt, Sandy an meiner Seite zu sehen. Sie hatte meinen Hass ihr gegenüber nicht vergessen. Dennoch lächelte sie nur und ging zurück ins Wohnzimmer. Wir beide gingen in unsere Küche. Mein Vater war noch arbeiten an diesem Abend.

Der Fußweg hatte unseren Magen wieder geleert, weshalb wir die Kessel auf dem Herd inspizierten. Darin befanden sich Reste vom Mittagessen. Es gab Kartoffelklöße, Rotkohl und Fleisch mit viel Soße. Schnell wärmten wir uns das Essen auf und jede von uns Beiden hatte einen ganzen Teller voll.

Wieder überkam mich der Wunsch ihr das Essen ins Gesicht zu schleudern. Ihr Gesichtsausdruck nach meiner Schandtat war einfach unvorstellbar lustig gewesen, deshalb schmiedete ich einen neuen Plan. Noch einmal wollte ich dieses unnachahmliche Gesicht sehen.

Sie war jedoch vorgewarnt. Ich musste also alles gut durchdenken.

Ich wartete gespannt ab und setzte alles daran, dass sie meine geheimen Pläne nicht durchschauen würde. Ich sah krampfhaft in eine andere Richtung, jedoch immer so, dass ich sie niemals aus dem Augenwinkel verlor.

Irgendwann war es soweit. Sie war völlig entspannt und zelebrierte das Essen förmlich. Die Anwesenheit meiner Person schien sie absolut vergessen zu haben.

Also nahm ich mir eine ganze Gabel voll mit den Leckereien des Tellers, drehte sie vor meinem Gesicht herum und...

Feuer!!!

Der hatte gesessen. Die komplette Gabelfüllung hing mitten in ihrem Gesicht. Ich konnte kaum noch gerade sitzen vor Lachen. Sandy nahm ebenfalls die Gabel und traf mich mitten im Gesicht. Nun lachte auch sie, was jedoch schnell in Entsetzen überging, denn einige Spritzer der Soßen-Rotkohl-Mischung waren ausgebrochen und hatten sich in der Küche verteilt. Sogar die Tapete war nicht verschont geblieben. Oh je. Wir mussten schnell handeln, denn meine Mutter war wegen unserem Gelächter schon auf dem Weg in die Küche. Herd, Spüle und Fensterbank konnten wir noch sauber machen, aber für die Tapete war es zu spät. Also stellten wir die Stühle genau davor und setzten uns vor die Flecken.

Meine Mutter ließ einen prüfenden Blick durch die Küche wandern, ärgerte sich darüber, dass wir die Ration für den nächsten Tag vollständig weggeputzt hatten und ging zurück ins Wohnzimmer.

Ob sie die Flecken in unseren Gesichtern nicht gesehen hat, kann ich bis heute nicht sagen. Ich habe sie nie danach gefragt. Eins steht allerdings fest...

Die hatten wir vergessen!

Uns fiel wahrhaftig ein dicker Stein vom Herzen, dass wir die Situation noch entschärfen konnten. Wir nahmen schnell einen mit Spülmittel getränkten Lappen und versuchten alles um die Tapete noch zu retten. Doch diese Flecken waren nicht mehr heraus zu waschen.

Damit wir keinen Ärger bekamen, beschloss ich, einfach so zu tun, als wüsste ich nicht, woher die Flecken kamen.

Nun war es schon sehr spät geworden und Sandy musste nach Hause. Die Hälfte des Weges begleitete ich sie, dann sollten sich unsere Wege trennen.

Auf dem Weg zurück nach Hause fiel mir auf, dass wir tatsächlich kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten. Wir hatten unendlich viel Spaß miteinander gehabt, aber eben ohne viele Worte.

Ich hätte mich sehr gerne wieder mit ihr getroffen, doch damals wäre ich nicht in der Lage gewesen, einfach klingeln zu gehen. Ich wusste ja nicht, wie sie am nächsten Tag zu mir stehen würde.

Würde sie mich dann vielleicht wieder hassen? Würde sie mir eventuell aus der 2. Etage von oben aus dem Fenster auf den Kopf spucken? Vielleicht würde sie mich auch fragen, was ich denn von ihr wollte! Aber was wäre, wenn sie ebenfalls so dachte?

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Eine Minute später stand ich im Flur unseres Hauses und beschloss, meine Mutter um Rat zu fragen.

„Kind, bist du das?“, kam es aus dem Wohnzimmer.

„Ja“, gab ich zur Antwort und öffnete die Türe zum Wohnzimmer, in dem meine Mutter den Telefonhörer in der Hand hielt.

„Hier ist ein Gespräch für dich. Es ist Sandy!“

Oh man, war ich froh. Damit hatten sich all meine Fragen und Ängste erledigt…

Wenn Du gehen musst ...

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