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Vorwort

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„Hast Du Angst vor dem Sterben“, fragte sie mich im zarten Alter von 14 Jahren.

„Quatsch, das haben andere auch schon überlebt“, gab ich damals, ein Jahr jünger als sie es war, zur Antwort. Wir waren zu diesem Zeitpunkt so voller Tatendrang, dass dieses Thema für mich noch weit weg war. Ich lachte laut los, weil Sandy mich dermaßen dumm angesehen hatte. Sie verstand nur Bahnhof. Dabei ergaben meine Worte für mich sehr wohl einen Sinn. Meiner Meinung nach gehörte das Sterben zum Leben dazu und wir alle würden diese Welt einmal verlassen müssen. Niemand war jemals zurückgekommen und hatte berichtet, es sei furchtbar. Ganz im Gegenteil. Menschen mit Nahtoderlebnissen erzählten doch immer, wie schön, warm und hell es gewesen sei. Wovor also Angst haben?

Heute erscheint dieser Satz mir nicht mehr so lustig. Ich empfinde ihn wohl eher als Hohn. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich sicherlich anders geantwortet. Damals hatte ich keine Angst davor. Warum auch? Wir waren noch so jung und meine Gedanken richteten sich auf alles Andere, nur nicht aufs Sterben.

Heute sitze ich hier, und frage mich, ob ihr dieser Satz in den Monaten des Sterbens noch in Erinnerung kam? Ob sie schmunzeln musste, oder ob sie geweint hat?

Heute bin ich diejenige, die Angst vor dem Sterben bekommen hat, weil ich mit ansehen musste, wie lange es dauern kann. Weil ich sehen musste, wie viel Leid ein Mensch ertragen kann. Sandy schloss ihre Augen 2011 für immer.

Sicher, sie hat es geschafft. Sie ist erlöst von den unsagbaren Schmerzen und dem Zerfall ihres Körpers. Doch all die Hinterbliebenen, Freunde, Verwandte, Bekannte... Denen steht der Schmerz ebenso wie der Schock noch ins Gesicht geschrieben.

Sie müssen ebenso wie ich die schreckliche Sehnsucht ertragen, und werden die Bilder der Sterbenden wohl nie mehr los. Das Bild der Toten, die nur noch ein Schatten dessen war, was sie zu Lebzeiten dargestellt hatte.

Ich weine... Ja.

Ich trauere... Ja.

Aber ich bin auch unendlich glücklich und stolz, einen großen Teil meines bisherigen Lebens mit ihr gemeinsam gegangen zu sein.

An ihrem Sterbebett versprach ich ihr, dass ich über uns und ihr eigenes Leben schreiben würde. Ich versprach ihr, mich damit um ihre hinterbliebenen Kinder zu kümmern. Vielleicht ist dies meine Aufgabe. Ich werde diese Zeilen für die Beiden schreiben, damit sie sehen, wie ihre Mutter einmal war. Damit sie schwarz auf weiß lesen können, wie schön ihr Leben einmal war, und zwar, bevor sie sich entschlossen hatte, diesem wunderbaren Leben den Rücken zu kehren.

Denn es war wunderbar...

Dies ist meine Art, mit all den Geschehnissen fertig zu werden, meine Trauer zu bewältigen und auf Wiedersehen zu sagen.


Doris Kändler

Wenn Du gehen musst ...

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