Читать книгу Die dunkle Seite der Seele - Dorle Weichler - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеSie rannte! Rannte um ihr Leben! Sie schnappte gierig nach Luft und begann schon zu keuchen, sie hatte einfach keine Kraft mehr. Kalter Schweiß lief über ihr Gesicht, sie bekam keine Luft mehr, ihre Lungen brannten wie Feuer! Und ihr Herzschlag dröhnte so schrecklich laut in ihren Ohren. Dazu kam immer heftiger werdendes Seitenstechen! Sie konnte einfach nicht mehr, so groß die Gefahr auch sein mochte, sie konnte das ganz einfach nicht mehr durchhalten! Ihre Kräfte verließen sie endgültig, sie zitterte am ganzen Körper und sie hatte Angst! Furchtbare Angst!
Sie ließ sich da, wo sie gerade stand, einfach fallen und sah sich um. Der schmale Weg, auf dem sie sich befand und auf dem sie bis jetzt um ihr Leben gerannt war, kam ihr sehr merkwürdig vor! Überall hatten sich die dicken Wurzeln der Bäume verbreitet und alle paar Meter säumten riesige Findlinge den Weg! Sie wollte mehr sehen, stand wieder auf und sah sich den Weg genauer an. Diese Unebenheiten hatten sie immer wieder straucheln und stolpern lassen, ihr langer und sehr weiter blauer Rock hatte sie auch behindert, und er war so schrecklich schwer, war ihr auch beim laufen immer wieder schwer vor die Beine geschlagen. Was war das überhaupt für ein komischer Rock? Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn angezogen oder auch überhaupt je besessen zu haben!
Vor ihren Augen fing plötzlich alles an sich zu drehen, ein Schwindel erfasste sie und ihr wurde so schrecklich übel! Von jetzt auf sofort gaben ihre Beine nach, sie strauchelte und fiel zu Boden. Aber dennoch zwang sie sich mit allerletzter Kraft an den Rand des Weges, der mit Grashalmen und Blüten überall zwischen den Steinen übersät waren, zu kriechen. Es ging nicht anders, sie musste sich jetzt einfach einen ganz kleinen Moment auf diesem weichen Grün ausruhen und einen Augenblick verschnaufen. Sie legte den Kopf auf einen der kleineren Steine und schloss vollkommen erschöpft die Augen.
Wo war sie hier überhaupt? Was war passiert? Sie konnte sich an nichts erinnern! An überhaupt nichts! Und das machte ihr noch mehr Angst als sie ohnehin schon hatte!
Mühsam öffnete sie die Augen und sah sich wieder um. Warum war sie denn ausgerechnet hier gelandet und warum war ihr alles so absolut fremd? Nicht das geringste kam ihr auch nur bekannt vor, und weit und breit war nicht eine einzige Menschenseele zu sehen. Auch keine Häuser oder wenigstens ein paar Tiere auf einer Weide oder vielleicht Ställe oder Scheunen.... nichts! Kein Anzeichen von Leben weit und breit!
Das alles konnte doch eigentlich nur ein böser Traum sein, bestimmt würde sie gleich aufwachen und friedlich in ihrem Bett liegen. Aber nein, alles schien doch real zu sein, oder? Verzweifeltes, hemmungsloses Schluchzen überkam sie, sie war so schrecklich müde und vollkommen allein!
Dann schrak sie zusammen! Ganz plötzlich war ein stürmischer Wind aufgekommen, gleichzeitig setzte heftiger Regen ein und ein ohrenbetäubender Donner krachte, es blitzte unmittelbar danach und sie hätte am liebsten laut geschrien! Gott im Himmel! Ein so starkes Unwetter hatte sie noch nie erlebt.
Mit ihren allerletzten Reserven raffte sie sich auf und schaffte es jetzt bis zum nächsten Findling, der am Wegesrand unter einem riesigen Baum lag und ließ sich einfach darauf nieder. Soweit sie es durch den heftigen Regen überhaupt noch sehen konnte war sie fast am Ende dieses Weges angelangt, und jetzt sah sie sich noch einmal ganz genau um, aber es gab nicht das Geringste, an dem sie sich hätte orientieren können. Alles kam ihr so sinnlos vor, aber es half alles nichts, sie musste weiter, bevor die Verfolger sie einholen konnten. Sie stand auf, strich sich ihren patschnassen Rock glatt und sah in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Nichts war zu hören oder zu sehen bis auf den Regenschleier und sie sah so etwas wie eine Staubwolke, die sich aber in noch sehr weiter Ferne befinden musste, oder war das eine Halluzination? Könnte man im strömenden Regen Staubwolken sehen? Allerdings schien diese Wolke näher zu kommen. Wieder überkam sie ein heftiges Zittern, sie musste weiter, ganz schnell weiter, bevor die Meute sie sehen und überwältigen konnte.
Sie quälte sich wieder auf die Füße und wollte einfach ziellos drauf los laufen, als sich plötzlich alles änderte! Schlagartig hatte das Unwetter aufgehört und wie aus dem Nichts tauchte etwas ganz merkwürdiges auf! Was sie sah war nur ein kleines Stück des Weges weiter vorn, vielleicht hundert Meter oder weniger, etwas, das sie sich gar nicht erklären konnte! Was sie dort, auf der rechten Seite des Weges, erblickte war wie ein gewaltiges Gebäude! Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Gemauert aus riesigen Felsbrocken, ungefähr so wie eine Burg oder ein Schloss, nur insgesamt kleiner und irgendwie gedrungener, aber mit so etwas ähnlichem wie einer breiten Einfahrt oder Auffahrt, dort, gleich an der rechten Seite!
Es sah fast so aus als ob es zu einer Art Parkdeck führen könnte! Doch was ihr auch immer durch den Kopf ging, wichtig war nur, dass sie versuchte, auch diese letzten Meter noch zu schaffen! Dieses Gemäuer, was es auch immer es war, musste ihr doch Schutz und Sicherheit bieten können! Auch wenn es einen ausgesprochen düsteren und abweisenden Eindruck machte.
Sie richtete sich auf und atmete erst einmal ganz tief durch! Auch wenn sie keine Kraft mehr hatte... sie musste jetzt sofort weiter und sich dort ein sicheres Versteck suchen!
„Reiß dich zusammen, Lena! Du musst da hoch! Und du wirst es schaffen“, flüsterte sie sich selbst Mut zu! Der Aufgang bestand aus groben, unbehandelten Steinen, und ihre eh schon schmerzenden nackten Füße wollten ihr den Dienst versagen! Sie brannten als würde sie über glühende Kohlen laufen. Und dann, mit allerletzter Kraft, erreichte sie endlich wirklich das Dach, oder wie auch immer man diese kahle Fläche nennen sollte!
Zumindest war es von einer kleinen, ungefähr einen halben Meter hohen, aber sehr dicken Mauer umsäumt, hinter der sie sich wenigstens würde verstecken könnte.
Kaum war sie oben angelangt ließ sie sich einfach auf die kalten, harten Steine fallen! Ihr war schon wieder so schrecklich übel, aber sie versuchte dennoch verzweifelt, sich endlich zu beruhigen und wieder zu Atem zu kommen.
„Tief ein und ausatmen, Lena! Alles wird gut! Du musst nur wieder richtig zu Atem kommen“, versuchte sie sich wieder selbst zu beruhigen!
Doch zuerst musste sie es jetzt einmal schaffen, etwas mehr Ordnung in ihre Gedanken zu bringen! Denn eines war ihr immer noch nicht klar geworden; wovor hatte sie überhaupt diese schreckliche Angst? Oder vor wem? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wer oder was sie so grausam jagte als wäre sie ein wildes Tier, das erlegt werden sollte!
Plötzlich konnte sie sie wieder hören! Ihr Herz begann erneut wie verrückt zu rasen, und die Angst übermannte sie schlimmer noch als je zuvor! Ihre Jäger konnten nicht mehr weit entfernt sein. Vorsichtig erhob sie sich vom Boden und lugte über den Rand der kleinen Mauer. Doch viel mehr als die noch immer größer werdende, gewaltige Staubwolke konnte sie jedoch immer noch nicht ausmachen, aber sie hörte schon diese schreckliche Stimme, die immer lauter wurde!
„Schneller, ihr verdammten Viecher! Schneller!“ Und dazu war deutlich das scharfe Knallen einer Peitsche zu hören! Wieder und immer wieder! Die Tiere schienen regelrecht zu schreien vor Schmerzen!
Sie kamen näher! Immer näher! Doch jetzt, mit angehaltenem Atem, erkannte sie, was da immer schneller auf sie zu kam! Es waren Elefanten, riesige Elefanten mit gewaltigen Stoßzähnen! Drei mal zwei Tiere jeweils hintereinander und nebeneinander gekettet mit riesigem, schwerem Geschirr aus purem Gold! Und sie zogen einen goldenen Streitwagen, der so groß war, dass er hinter den Elefanten noch zu sehen war! Und die Peitsche schwang eine Frau, die von einer außergewöhnlichen, blendenden Schönheit war! Goldblonde Locken flogen um ihr wunderschönes Gesicht, das jetzt aber zu einer grausamen Fratze verzehrt war! Ihre blauen Augen, blauer noch als das edle Gewand das sie trug, blitzten, zornig und hasserfüllt! „Wo bist du, verdammtes Weib? Glaub ja nicht, dass du dich vor mir verstecken kannst! Ich finde dich! Egal, wo du auch glaubst, dich verkriechen zu können! Ich will dich, und ich werde nicht eher ruhen als bis ich deinen blutigen Kopf in meinen Händen halte!“
Und plötzlich war Lena sich sicher, dass diese grausame Gestalt nur der Teufel selbst in der Verkleidung einer schönen Frau sein konnte! Ob sie wollte oder nicht, sie fing wieder hemmungslos an zu weinen! Sie war allein, allein mit ihrer Angst vor dem, was noch passieren könnte! Und der Angst, nichts mehr zu wissen! Nicht einmal ihr eigener Name fiel ihr ein. Sie war allein und verloren inmitten eines grauenvollen Geschehens! Und kein Mensch weit und breit der ihr vielleicht hätte helfen können!
*****
Doch mit einem Mal war alles vorbei! Sie keuchte immer noch und ihr Herz raste! Tränen liefen ihr auch noch immer übers Gesicht und die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu. Aber es war plötzlich sehr ruhig! Regelrecht unheimlich ruhig! Fast wie in einer Grabkammer! Hatten sie sie gefasst und umgebracht? Was war denn jetzt wieder passiert?
Sie versuchte mühsam, sich zu beruhigen! War sie vielleicht tot? Das Grauen packte sie von neuem und und ließ sie am ganzen Körper furchtbar zittern! Aber konnte man tot sein wenn man seinen eigenen Herzschlag noch hören und fühlen konnte? Das konnte doch wohl ganz bestimmt nicht möglich sein.
Sie versuchte, den Atem anzuhalten und lauschte. Bis auf diese seltsamen Geräusche war alles ruhig. Vorsichtig öffnete sie die Augen, aber außer einem regelmäßigen leisen Piepen, das von hinten zu kommen schien, war nichts anderes mehr zu sehen oder zu hören.
Sie war allein und lag in einem fast dunklen Raum, woher kam nur dieses merkwürdige Licht hinter ihr? Sie versuchte angestrengt, sich umzudrehen, aber es gelang ihr kaum! War sie gefesselt? Hatte die Wanderhure sie doch erwischt? Die Wanderhure? Wie um alles in der Welt kam sie jetzt ausgerechnet auf die? Hatte sie nur geschlafen und vielleicht nur etwas aus dem Roman, den sie vor einiger Zeit gelesen hatte, geträumt? Plötzlich fühlte sie wieder, wie diese grausame Angst langsam mehr und mehr in ihr aufstieg! Was passierte denn nur mit ihr? Wo war sie? Und vor allem, wer war sie? Wie kann man denn vergessen wer man ist? Lena! Ja, ihr Name war Lena, und weiter? Verdammt! Sie musste doch ein Leben geführt haben, oder etwa nicht?
Warum konnte sie sich denn nicht richtig bewegen? War sie gefesselt? Endlich schaffte sie es, wenigstens den Kopf ein wenig nach hinten zu drehen. Sie lag definitiv in einem Bett, und hinter dem Bett befanden sich Monitore mit gelben, grünen und roten Linien und Zacken und großen roten und grünen Zahlen. Die Zahlen wurden plötzlich größer und fingen an zu pulsieren, das Piepen wurde immer lauter und schneller.
Eine Tür ging auf und ein Mann in weißer Kleidung trat ein. „Was, zum Teufel,treiben Sie denn da? Sie müssen ruhig liegen, Frau Kirchner! Sonst werde ich andere Seiten aufziehen müssen, haben Sie verstanden?“
„Was ist denn los mit mir? Was ist passiert? Und wo bin ich?“ flehte sie den Mann an. Der aber tat als hätte er nichts gehört, packte sie grob an, riss sie fast hoch, und machte irgend etwas an dem Gerät hinter ihr.
Die Geräusche wurden wieder leiser und das Piepen klang gedämpfter. Der Mann fasste sie wieder ausgesprochen unsanft an den Schultern und warf ihren Oberkörper regelrecht wieder auf das Kopfkissen zurück! Mit kaltem Entsetzen spürte sie seine Hände auf ihrem Körper! Wollte er sie etwa vergewaltigen? Was machte er denn nur? Im nächsten Moment hatte er ihre rechte Hand ergriffen und stülpte ihr eine Art Fingerhut auf den Zeigefinger!
„Bitte, sagen Sie mir doch endlich wo ich bin! Bitte! Und mir ist so übel und ich habe ganz böse Kopfschmerzen! Und Durst!“ Aber mit Panik musste sie feststellen, dass nicht ein einziges Wort davon wirklich über ihre Lippen gekommen war! Konnte sie auch nicht mehr sprechen?
Und dieser Mann reagierte in keinster Weise auf ihr flehentlichen Augen! Und bevor sie noch ganz begreifen konnte, was hier passierte und dieser Mann mit ihr machen wollte, hatte er schon eine Spritze aus seiner Tasche genommen und aufgezogen. Ohne auch nur einen Hauch von Mitleid stieß er diese brutal in den Arm. Das Zimmer drehte sich noch kurz vor Lenas Augen, dann versank sie wieder in einen tiefen, bösen Schlaf.