Читать книгу Die dunkle Seite der Seele - Dorle Weichler - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеBeeil dich, Lena! Lauf, lauf um dein Leben! Nur diese Worte wiederholten sich immer wieder in ihrem Kopf! Oder war es doch ihre Mutter, die endlich mit ihr sprach? Die Papiertüte war wie mit ihrer Hand verwachsen! Hatte sie sie denn nicht auf dem Friedhof gelassen? Würde sie sie für den Rest ihres Lebens mit sich herum schleppen müssen? So grausam konnte sie doch niemand bestrafen! Wo war denn nur der Rest ihrer Familie? Ihre Freunde? Oder hatte sie wirklich niemanden mehr der zu ihr gehörte?
Verzweifelt sah sie sich um. Sie rannte auf einem schmalen Pfad inmitten von Wiesen und Feldern, in der Ferne konnte sie Türme und große Zelte ausmachen, wenn sie es doch nur schaffen würde, auch dorthin zu kommen!
Immer wieder drehte sie sich um, war sie allein oder wurde sie immer noch verfolgt? Sie konnte niemanden weit und breit sehen, sie war allein, allein mit dem Kopf ihrer Mutter!
Mit letzter Kraft erreichte sie endlich ein riesiges, blau-weiß gestreiftes, rundes, nach oben spitz zulaufendes Zelt. Niemand schien in der Nähe zu sein, wenn sie sich doch wenigstens etwas ausruhen könnte, sie war so schrecklich müde! Und sie hatte Durst, furchtbaren Durst! Wenigstens etwas Wasser, bitte, ich bin am verdursten! Nur ein wenig Wasser! Bitte!
Sie hatte endlich das Zelt erreicht und ließ sich dort einfach auf den Boden fallen. Dann musste kurz eingeschlafen sein, doch irgend etwas hatte sie geweckt! Ihre Zunge fühlte sich an wie ein alter Filzpantoffel und klebte unter ihrem Gaumen! „Gott im Himmel, bitte gib mir Wasser!“
Dann hörte sie ein Geräusch! Es kam ihr bekannt vor, was konnte es sein? Pferde! Richtig! Irgendwo in der Nähe mussten Pferde sein! Sie hörte deutlich ihr schnauben und das scharren der Hufe.
Auf allen Vieren kroch sie zum Eingang, sie war vollkommen am Ende ihrer Kräfte, sie konnte einfach nicht mehr aufstehen. Aber dann sah sie das Gatter! Und einen gefüllten Wassertrog! Sie war gerettet! Die Pferde würden ihr zu trinken geben und sie würden sie bestimmt auch nach Hause bringen!
Mühsam schaffte sie es, auf die Füße zu kommen und in die Richtung der Tiere zu torkeln! Am Wassertrog brach sie vor Schwäche zusammen, nur noch ein paar Zentimeter und sie würde trinken können!
„Lauf Lena, lauf! Sie kommen dich holen! Lauf! Bring dich in Sicherheit!“ Wer war das? Eines der Pferde? Nein, es war die Stimme der Mutter die sie warnte!
Sie wusste nicht mehr woher sie plötzlich die Kraft dazu hatte, aber sie rannte, wie von Furien gehetzt wieder los. Zu spät sah sie eine Baumwurzel, die quer über den Pfad gewachsen war, und schon im stürzen spürte sie, dass sie mit dem Kopf schwer auf einen großen Stein knallte! Und wieder fiel sie in tiefste Dunkelheit.
*****
Hatte sie laut gesprochen? Oder geschrien? Irgend jemand hielt ihr ein Glas an die Lippen und stützte ihren Kopf. „Trinken Sie etwas, keine Angst, ich halte Sie.“
Sie war so schrecklich durstig, mit zittrigen Fingern versuchte sie das Glas zu halten, um mehr von dem Wasser zu bekommen.
„Ganz langsam, junge Frau, niemand nimmt Ihnen etwas weg, in Ordnung?“
Sie konnte spüren, das jemand ihr etwas Creme auf die aufgerissenen Lippen trug, das tat gut, sie fühlten sich ganz verkrustet an. Und nur einen Moment später fiel sie wieder in einen tiefen, dunklen Schlaf.