Читать книгу Ein eigenes Leben wagen - Dorothee Lehmann-Kopp - Страница 11
Kapitel 8 - Caroline Java 1893
ОглавлениеLiebste Julie,
mein Brief trifft Dich und die Deinen hoffentlich bei bester Gesundheit an. Dieses Jahr hatte ich das Gefühl, die Zeit des Monsun würde gar kein Ende finden, aber nun ist sie endlich vorbei, und man braucht keine Taucherausrüstung mehr, wenn man das Haus verlässt. Was recht gut ist, denn wir feiern nächste Woche endlich Klein-Berthas Taufe. Wir haben sie immer wieder aufschieben müssen, weil Willems Eltern gern teilnehmen wollten, sie aber in Samarangh feststeckten, wo sie alte Freunde besuchten.
Nun haben wir beide sechs Kinder, und ich mag Dir gar kein Foto von mir mitschicken, schon gar nicht, nachdem ich das von Dir sah: Kugelrund bin ich geworden, ganz anders als Du; Du bist ja immer noch so schlank wie früher. Das Essen unserer Köchin ist aber auch gar zu gut. Obwohl ich in der Schlussphase meiner Schwangerschaft richtig Sehnsucht nach Tafelspitz mit echter „Grüner Sauce“ hatte. Ich beging den Fehler, es bei Ronny zu erwähnen, der natürlich nicht ruhte und nicht rastete, bis die Köchin mir ihre Version davon zubereitete. Sei froh, dass Du nicht mitessen musstest. Gott weiß, welche armen Pflanzen dafür ihr Leben lassen mussten – Pimpernelle, Borretsch, Dill, Sauerampfer, Schnittlauch, Kerbel und Petersilie waren es jedenfalls nicht. Aber da alle voll gespannter Erwartung zu uns hinsahen, brachte ich es nicht über mich, es liegen zu lassen. Danach erklärte ich jedoch die heimatlichen Sehnsüchte für gestillt, und in Zukunft könne es wieder die gewohnte Kost geben.
Mit den alten Drachen, den gestrengen Damen des Kaffeekränzchens, hat sich das Verhältnis einen Hauch gebessert: Sie beobachten voll tiefer Skepsis die Bestrebungen der Frauenrechtlerinnen im alten Europa, von denen Du schriebst und zu denen Marie ja im Grunde gehört, auch wenn sie keine exponierte Rolle übernimmt. Als ich versuchte, für Verständnis zu werben, warfen sie mir Blicke zu, als sei ich ein besonders gefährliches Insekt. Ich kam auf die gloriose Idee, ihnen zu erzählen, dass ich persönlich mit der allseits geliebten, verehrten und hochrespektierten Regentin der Niederlande bekannt bin – drei Jahre ist es ja schon her, dass der alte König starb, und es wird noch sicher fünf Jahre dauern, bis Wilhelmina alt genug ist, den Thron zu besteigen und Emma sich auf ihre Rolle als Königinmutter zurückziehen kann. Warum ist mir Esel das nicht früher eingefallen! Du hättest sehen sollen, wie ihre Kinnladen herunterklappten. Aber Freundinnen werden wir trotzdem nicht werden. Zu dem, was an Grausamkeit während der Kolonialzeit geschehen ist, haben sie ein gänzlich ungebrochenes Verhältnis. Und ein sehr arrogantes zu den Angestellten. Dass wir Ronny nicht nur als Diener, sondern auch als Freund betrachten, macht mich so verdächtig, dass ich mir besser noch einige Begegnungen mit Emma mehr einfallen lassen muss, als je stattgefunden haben. Der Effekt dürfte das Mittel heiligen: Immerhin tue ich es weniger für mich als für Willem und auch die Kinder: Die europäische Gesellschaft hier ist zu überschaubar, als dass man sich ihr entziehen könnte oder dürfte. Und ich bin auch nach all den Jahren so glücklich auf unserem Anwesen, dass ich nirgendwo anders leben möchte.
Allerdings bin ich Dir sehr dankbar, wenn Du mir von dem politischen Geschehen zuhause berichtest: Deutsche Tageszeitungen bekomme ich kaum in die Hand, und wenn sind sie uralt. Und unsere Zeitungen hier haben doch einen anderen Fokus. Sie mögen unsere Emma halt deutlich lieber als Wilhelm II. Obwohl man ihnen da ausnahmsweise ja nur zustimmen kann. Der Prunk und das Zeremoniell, die Einführung des Kaisergeburtstags und dass er sich am jüngsten Tag zu Gottes rechter Seite sitzen sieht, haben hier viel Spott auf sich gezogen. Sogar über die Einführung der alten Tänze und dass die Länge der Schleppen der Damen bei Hofe vorgeschrieben wird, haben sich die Drachen ereifert! Dabei hätte ich fast gedacht, dass derartig konservative Rückschrittlichkeit ihnen gefallen würde. Immerhin wurde auch die Entlassung Bismarcks vor drei Jahren hier in den Zeitungen gefeiert; sie zitierten Fontane: „Gut, dass wir den endlich los sind.“
Aber das, was ich höre und was die niederländischen Zeitungen berichten, ist doch sehr ausschnitthaft, und die Briefe von Dir über alle Neuigkeiten aus der Heimat sind größte Freude. Auch wenn sie natürlich ebenfalls Wochen unterwegs sind. Am 31. März habe ich auf die Uhr gestarrt und überlegt, wann es bei Euch 24 Uhr ist und alle Uhren um 20 Minuten vorgestellt werden. Nun gibt es eine einheitliche Mitteleuropäische Zeit – bei uns war dann vermutlich Mittag. Oder schon der 1. April?
Für das nächste Jahr planen wir eine kleine Rundreise, auf die ich mich sehr freue. Nur Willem und ich (und Ronny natürlich)!!!
Richte allen die herzlichsten Grüße aus, auch an Ernst und Carl, obwohl die sie eigentlich nicht verdienen: Seit Monaten (!) habe ich nichts mehr von ihnen gehört.
Und Du, sei umarmt!
Alles Liebe
Deine Caro